Im Caput I der
pars posterior —
De constantia philologiae — von
De constantia iurisprudentis heisst es: NOVA SCIENTIA TENTATUR. Wäre dies als erste Form der
Neuen Wissenschaft zu zählen? Schematisch: Nicolini geht von zweien aus, der
ersten (SNP) von 1725 und der
zweiten (SNS) von 1744. Die von 1733 wird der von 1744 zugeschlagen. Rechnet man sie gesondert, gibt es drei. Die Zählung kann aber hochgeschraubt werden bis auf neun (Fubini, Cristofolini; Mark Lilla: drei bis sechs). Die Neunerzählung hat den grossen Vorteil, die verschiedenen Entwicklungsstadien vom
Diritto universale bis zu Sn44 deutlich zu machen.
Laut der im folgenden sehr verkürzt wiedergegebenen Darstellung von Paolo Cristofolini,
Vico et l'histoire, (Paris 1995, S. 8-20) im im Kapitel
Les matériaux — vgl. das
Inhaltsverzeichnis — sieht diese Neunerzählung folgendermassen aus:
- Die «Kohärenz der Philologie» (1720)
Caput I der pars posterior — De constantia philologiae — von De constantia iurisprudentis, publiziert 1720: eine SN in embryonalem Zustand. Neue Wissenschaft heisst hier: neue Philologie, nämlich eine, die unter strikte Herrschaft der Metaphysik gestellt wird und zum Gegenstand die "Geschichte der Dinge" hat, da "den Worten die Ideen der Dingen angeheftet sind" ("Sed, cum rerum ideae quibusque verbis appictae sint, ad philologiam in primis spectat tenere rerum historiam"). Weitere 'embryonale' Elemente: ein synoptischen Schema (programma chronologicum ), die Einteilung der Epochen in dunkles, mythisches und historisches Zeitalter nach Varro, verbunden mit der von den Ägyptern überlieferten Einteilung in Zeitalter der Götter, der Heroen und der Menschen; die Dichotomie von profaner und heiliger Geschichte und der Rückgriff auf letztere, um zur Erkenntnis des dunklen Zeitalters zu gelangen; die Behauptung, dass die erste Sprache der Nationen die "poetische" sei und dass die Poeten die ersten Gründer der Nationen seien; die Giganten als Übergangserscheinung von der vorsintflutlichen zur nachsintflutlichen Geschichte; eine erste Skizze der Homerischen Frage; Identifikation der Vorsehung als leitendes Prinzip der römischen Jurisprudenz.
- Die «Zweifel und Wünsche hinsichtlich der Theologie der Heiden» (ca. 1723)
Diesen Titel, der Korrenspondenz von Muratori entnommen, zieht Cristofolini dem vorher üblichen der Neuen Wissenschaft in negativer Form vor. Vico arbeitete daran nach 1720 und vor 1725 und wollte darin "die Prinzipien des natürlichen Rechts innerhalb der Humanität der Nationen" (Vita) auffinden. Ziel war, diese Prinzipien mittels der die Kritik der Autoren des modernen Systems des Naturrechts, Grotius, Selden, Pufendorf, Hobbes und Bodin zu entwickeln, aber Vico fand dann, dass "diese negative Art des Beweises" (Vita) das Verständnis zu sehr erschweren würde, und gab die Arbeit wahrscheinlich auf.
- Die erste «Neue Wissenschaft» (Sn25)
Vico nennt sie selbst Scienza nuova prima. Sie war dem Kardinal (später Papst Klemens XII) Corsini in der schliesslich vergeblichen Hoffnung auf 'sponsoring' gewidmet und in einer weiteren Widmung den Akademien Europas ans Herz gelegt. Die kritische Reaktion der Acta Eruditorum Lipsiensia führt zu heftigen Gegenangriffen Vicos in einer Reihe von Vici Vindiciae, da er sich auf dem gefährlichen Terrain der Orthodoxie angegriffen fühlte. "Von da an", schreibt Cristofolini, "wird Vico nicht mehr soviel Vertrauen auf den Dialog mit dem gelehrten Europa haben" (S. 12). Aber Jean Leclerc beurteilte das Werk positiv in der Biblithèce ancienne et moderne. Es folgt ein "synthetisches Resumé" des Werkes. Wer zuerst, wie zumeist üblich, die Neue Wissenchaft von 1744 gelesen hat, findet hier eine kühnere und klarere Form der Formulierung, die Theorie der Ricorsi fehlt und die Konzeption ist eher "progressiv denn zyklisch" (S. 12). Es 'fehlen' die allegorische dipintura des Frontispiz, die Axiome ("assiomi o degnità così filosofiche come filologi", Sn44 § 119), die Homer-Theorie und die abschliessende Darstellung einer idealen ewigen Republik.
- Die «Fünf Bücher» (Sn30)
Diese Fassung sollte zuerst eine Neuauflage von Sn25 mit einem Supplement sein. Die Geschichte der Ausarbeitung dieser Fassung sowie die der Beziehungen mit den Herausgebern ist komplex. Nachdem die Herausgabe in Venedig gescheitert war und eine ganze Serie neuer Ideen nicht mehr integrierbar schien, entstand eine von Sn25 ganz unterschiedliche neapolitanische Ausgabe. Zwischen 1725 und 1730 hat nun eine, schreibt Cristofolini, "veritable coupure" stattgefunden sowohl was die Struktur des Werkes wie die Organisation des Materials angeht, so dass alles, was von jetzt an bis 1744 sich noch ereignet, nur in einer Reihe von allerdings sehr zahlreichen Eingriffen in die Fünf Bücher von 1730 besteht, mit denen die ab jetzt definitive Struktur festgelegt ist. Es folgt wieder ein "synthetisches Resumé" der fünf Bücher des Werkes. Dieses Werk, fährt Cristofolini fort, "hat alle Charakteristika eines work in progress und eines object fluide", und ist deswegen bis jetzt noch nicht in einer modernen Edition zugänglich. In ihm selbst gibt schon zwei Serien von "Korrekturen, Zusätzen und Verbesserungen" (Correzioni, miglioramenti ed aggiunte — die berüchtigten CMA's — spätere folgen) mit weitgehenden Eingriffen. Dann existiert eine grosse Anzahl von durch Vico mit handschriftlichen Anmerkungen versehenen Exemplaren. Die geplante grosse nationale Vico-Ausgabe wird einen kritischen Apparat mit allen diesen marginalia enthalten. "Als Kompensation für die Schwierigkeiten der Lektüre vermittle dieses Werk dem Leser, der sich in eines der annotierten Exemplare vertieft, die Wahrnehmung eines grossartigen Denkens in Bewegung" (S. 16).
- Die ersten Korrekturen (CMA1, gedruckt, 1730)
Vierzehn engbedruckte Seiten. Zum erstenmal erscheint das in Sn44 als XIII aufgeführte Axiom XII.
- Die zweiten Korrekturen (CMA2, gedruckt, 1730)
Zwölf Seiten mit einem Brief an Francesco Spinelli. Axiom I wird entdeckt.
- Die dritten Korrekturen (CMA3, mss, 1731)
Unzufrieden mit diesen umfangreichen errata-corrige, macht sich Vico daran, diese Korrekturen in den Text zu integrieren mit der Aussicht auf eine Neuauflage. Cristofolini beschreibt diese Manuskript gebliebene Fassung im Detail (S. 17 ff.) und kommt zu der Auffassung, dass diese drei Korrektur- und Erweiterungsphasen, von denen keine in der letzten Fassung berücksichtigt wird, ein bestimmtes Moment in der Entwicklung Vicos dokumentieren, einer Entwicklung, die nicht unilinear ist und die man keinesweg auf einen Fortschritt vom Schlechteren zum Besseren reduzieren kann. Das geht wohl gegen die Veröffentlichung der CMA's durch Fausto Nicolini (§§ 1113 ff der Laterza-Ausgabe), der sie gänzlich auf die Sn44 abgebildet hat als Stadien einer sukzessiven Vervollkommnung bis hin zum 'Meistertext' von 1744.
- Die vierten Korrekturen (CMA4, mss, 1733-34)
Vico nennt sie die "dritten". Aus ihnen würde sich, wenn man sie zu einer Neuausgabe von Sn30 benutzen würde, ein Buch ergeben, das dem von 1744 schon sehr nahe kommt. Es gibt da aber doch reichlich annotierte Exemplare der Sn30: das Exemplar "Galiani", das "Concina" und ein noch weiteres, jetzt in der Nationalbibliothek von Neapel liegendes.
- Die «Neue Wissenschaft» von 1744 (Sn44)
Auf diesen Text bezieht man sich gewöhnlich, wenn man von der Neuen Wissenschaft spricht. Die erwähnte italienische Neuausgabe wird sich im Unterschied zu allen anderen auf das erhaltene Manuskript stützen