§ 50 - N I C O L I N I

Zu den sogenannten "chinesischen Hieroglyphen" § 83; zu den ägyptischen 435; zu den skythischen oder den "dinghaften Wörtern" {"parole reali"} des Idanthyrsus 48, 99, 435.  ¶  Das Alter der Chinesen sei, so die einheimischen Chroniken, von denen Vico durch die Werke der hier nachfolgend erwähnten Missionare Kenntnis haben konnte, sogar millionen Jahre gewesen. Aber schon von europäischen Sinologen des Endes des siebzehnten Jahrhunderts war der Beginn der Reichsdynastien an die fünf- oder sechshundert Jahre vor das traditionellen Datum der Sintflut gelegt worden (Hofmann IV, 189): ganz zu schweigen von einem neapolitanischen Nichtsinologen {senza dire che qualche non sinologo..} des 18. Jahrhunderts, der in Polemik gegen Vico behauptet, daß bis zum zweiten Jahrhundert vor Christus die Chinesen keine "sicheren und authentischen Erinnerungen von dem, was in ihrem Reich vorgefallen war" hatten (Damiano Romano, Apologia cit. p. 55). Jedenfalls wurden ähnliche Untersuchungen über die alte chinesische Chronologie in Frankreich in den Jahren zwischen der ersten und der letzten Scienza nuova (1725-1744) veröffentlicht: s. unter anderem die drei Bände des Jesuitenmissionars ~Antoine Gaupil de Gaillac (1689-1759) unter dem Titel Observations mathématiques, astronomiques, géographiques, chronologiques et physiques tirées des anciens livres chinois (Paris 1729-32); eine Abhandlung über die Antiquité et certitude de la chronologie chinoise und einige entsprechende Éclaircissements, die der pariser Archäologe und Chronograph Nicolas Fréret (1688-1749) im Band X (1733) und XV (1738) der Mémoires de l´Académie des Inscriptions et Belles-Lettres einfügte; sowie gewisse Remarques sur la chronologie des chinois, die 1744 Léonard de Malpeine als Anhang zu seiner Übersetzung des zitierten Werkes von Warburton, II, 335-532 publizierte.  ¶  In den zwei aus China von dem neapolitanischen Jesuiten Michele Ruggieri (1543-1607) geschriebenen Briefen, die zum Teil in den Nuovi avisi del Giappone con alcuni altri della Cina del LXXXIII e LXXXIV (Venedig 1586), pp. 162-67 und 170-74 (vgl. jetzt Matteo Ricci, Opere storiche, Ausg./Ed. Tacchi-Venturi, Macerata, 1913, II, 422-24) findet sich nichts von dem, was Vico Ruggiero zuschreibt. Vielleicht interpretierte er, der sicherlich die beiden eben erwähnten Briefe nicht gesehen hatte, auf seine Weise einige der auf den pp. 144-314 des weiter unten erwähnten Werkes von Trigault veröffentlichten Informationen {notizie} .  ¶  In der Sinicae historiae deca prima (München 1658) p. 128 schrieb der andere {l´altro (davon mehrere, s. unten Trigault)} Jesuitenmissionar Martino Martini aus Trient Konfuzius (so wie übrigens Trigault und auch neuere Untersuchungen) ein nicht höheres Alter als das 6. Jahrhundert vor Christus zu.  ¶  Von dem Holländer Martin Schoock (1614-69) siehe das Diluvium Noachi universale, als Anhang zur zweiten Auflage der Fabula Hamelensis (~Groningen 1692). Übrigens wird nirgendwo in dieser Abhandlung gesagt, daß der Glaube an das Alter von Konfuzius viele zum Atheismus führte.  ¶  "Pereyro" ist Isaac de la Peyrère aus Bordeaux (1594-1675), nämlich derjenige, der ausgehend, wie es scheint, von einem flüchtigen Hinweis in einem Brief von Ruben ben Maimon auf Namen von Menschen {a nomi d´uomini..}, die vor Adam gelebt hätten, anonym und ohne Druckortangabe um 1645 ein Buch über die Praeadamitae verfaßt und 1655 in Druck gegeben hatte, das enormes Aufsehen in ganz Europa erregte (zu einer langen Liste von allein im Jahre 1656 erschienenen Wiederlegungen vgl. Bang, op. cit., p. 134, vgl. auch p. 132) und das nicht ohne Auswirkungen auf die sogenanten neapolitanischen "Atheisten" des Endes des siebzehnten Jahrhunderts, und damit auch auf Vico, geblieben ist (F. NICOLINI, La giovinezza di G.B. Vico2, Bari 1932, pp. 128-129). Von ihm sagt übrigens, ganz im Gegenteil zu Vico und der Wahrheit gemäß {??? tutt´al contracrio del Vico ET CONFORME verità} Schoock, op. cit. p. 274, daß er 1656, eingekerkert in Brüssel, "metu poenae" vom Kalvinismus zum Katholizismus überging. Wahr ist ferner, daß derselbe Schoock bei der Aufstellung eines langen Verzeichnisses von heterodoxen Positionen auf S. 275 erwähnt "Diluvium noachicum non fuisse effusum super universum terrarum orbem, sed super terram saltem iudaicam".  ¶  In De christiana expeditione apud Sinas suscepta a Societate Iesu (Augsburg 1615) - ein Werk, von dem es eine italiänische Übersetzung von Antioni Sozzini aus Sarzana (Neapel o.J., aber 1622) - behauptet "Trigaulzio", d.h. der dritte {l´altro; s. oben} Jesuitenmissionar ~Nicola Trigault aus Douai (1577-1628) (auf S. 19) daß die Chinesen die Druckerpresse fünf Jahrhunderte vor der Zeit entdeckt hatten, in der er schrieb (Anfang des siebzehnten Jahrhunderts): ein halbes Jahrtausend, das Vico allerdings von der Zeit aus berechnete, in der er (dies) las (erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts). Es scheint ferner {sagt Trigault?}, daß sie die typographischen Buchstaben seit den Jahren 712-56 n. Chr. kannten, und schon 953 die beweglichen zu benutzen anfingen: Dinge die, auch wenn mit einiger chrologischer Ungenauigkeit, von spezialisierten Wissenchaftlern zwischen dem Ende des sechzehnten und dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts hervorgehoben worden. Siehe z.B. als Anhang zu dem angegebenen Werk von Warburton die erwähnten Remarques des französischen Übersetzers, II, 455,57, Anmerkung 12. Vgl außerdem hier unten § 1264 und zu dem von Trigault dem Konfuzius zugeschriebenen Alter De christiana expeditione dort a.a.O. p. 29.  ¶  Fraglich scheint, ob Vico direkte Kenntnis von den zu seiner Zeit existierenden Büchern über die konfuzianische Philosophie hatte: z.B. von Tschung-Young: Sinica scientia politico-moralis, 1677 in Goa von dem Jesuitenmissionar Prospero Intorcetta aus Piazza Armerina (1626-96), dem ersten lateinischen Übersetzer von konfuzianischen Schriften, veröffentlicht; von Confucius (Paris 1687) von ~Philippes Couplet aus Malines (1628-92), auch ein Jesuitenmissionar; und schließlich von den Zusammenfassungen, Auszügen und Übersetzungen von Konfuzius, Lao-Tse und anderen, die von einem anderen {dall altro missionario} Jesuitenmissionar, François Noël (1651-1729), in die drei Bände der Sinica philosophia, 1711 in Prag veröffentlicht, eingefügt worden waren und jeweils {rispettivamente} die "cognitio primi entis", die "caeremoniae erga defunctos" und die "Ethik" enthielten. Eher scheint es, daß Vico diese Philosophie rein analogisch abhandelte, d.h. auf der Grundlage von dem Wenigen, was er vor allem durch die Neoplatoniker der italienischen Renaissance von der hermetischen Philosophie kannte, die er übrigens hier mit der konfuzianischen vergleicht. Auf jedem Fall ist es vollkommen wahr, daß die sogenannte chinesische Philosophie nicht über eine reine ethisch-politische Praezeptistik hinausgeht. Vgl. auch § 427. (NICOLINI I, 34-36)