§ 55 - N I C O L I N I

Vgl § 1139.  ¶  "weil in der Geographie gezeigt wird": in der Poetischen Geographie. Aber vom Ursprung der assyrisch-babylonsichen Monarchie spricht Vico wirklich wieder in der poetischen Chronologie: vgl § 736. - Im siebzehnten Jahrundert, genauer nicht bevor 1770 der französische Orientalist Abraham Anquetil-Duperron (1731-1805) die ~Avesten, indem er sie in seine Sprache übersetzte, auch in Europa bekannt gemacht hatte, schlugen sich die "Philologen" - d.h. außer Marsham pp. 144-145, den Vico mehr als alle anderen benutzt, auch Voss, Van Heurn, Bochart, Huet, Hyde und viele andere, deren mehr oder weniger wunderliche Hypothesen im Dictionnaire historique et critique von Bayle versammelt sind (vgl. Neuauflage Amsterdam 1740, IV, 555-60) - noch mit den so phantastischen wie widersprüchlichen Nachrichten herum, die aus den griechisch-lateinischen Quellen zu Zoroaster überliefert waren; um nun in diese einige Ordnung zu bringen, hatte man die Existenz von fünf Zoroaster, zu fünf verschiedenen Zeiten und an fünf verschiedenen Orten geboren, zu behaupten begonnen (s. Thomas Stanley, Historia philosophica, lateinische Übersetzung von Leclerc, Leipzig 1711, pp. 1111-14; vgl auch schon Marsham p. 143). Soweit diese eine Voraussetzung {dieses Paragraphen}. Auf die andere, daß die zwei Zoroaster, denen größeres Gewicht beigemessen wurde, der ~baktrische und der chaldeische (d.h. derjenige, welcher als Gründer nicht allein der Magie {del m agismo} angesehen wurde, ~~~von der er im Gegenteil abstammte/herrührte, sondern kraft der alten Verwechslung {confusione tra...} von "magus" und "chaldeus", auch des Chaldeismus oder der Astrologie, mit der er nichts zu tun hatte) waren; auf die Tradition, nach der Babylon {la Babilonide}, bevor es Assyrien einverleibt wurde, unter anderen unabhängigen/freien Monarchen sieben Könige chaldeischer Abstammung {di razza caldaica} gehabt hätte, und nach diesen andere arabischer Herkunft (vgl. schon § 49), von denen der letzte vom Eroberer Babylons selbst {stesso}, also von Ninus, dem König von Assyrien, gefangengenommen worden sei (~Giulio Africano, in ~Giorgio Sincello, p. 90, vgl. auch Goguet, op. und Neuauflage {ristampa} cit., I, 56); auf einer anderen von Justinus überlieferten {raccolta da Giustino..} Tradition, nach der, allerding in Abweichung von einigen antiken Schrifstellern, derselbe Ninus, nachdem er sich Babylon angeeignet hatte, kurz vor seinem Tod Baktrien erobert hätte, wobei er den letzten unabhängigen/freien König Zoroaster besiegt und getötet hätte (Augustinus, De civ. Dei, XXI, 14) , der als eine Person mit dem biblischen Ham phantasiert wurde (vgl. Bochart, Geographia sacra seu Phaleg et Chanaan, IV, 1,3, Ausg./Ed. Lüttich 1692, col. 205; Bang op. cit. p. 13; Athanasius Kircher, China illustrata, Amsterdam 1667, p. 226); zu der von diesen beiden Traditionen bestimmten Konfusion im Geiste Vicos, der schließlich als letzten unabhängigen/freien König von Babylon den chaldeischen Zoroaster annahm: auf all diesem ist die in diesem allerdunkelsten Paragraphen formulierte Hypothese gegründet. Diese kann, in klarerer moderner Terminologie so paraphrasiert werden: - Sowohl der chaldeische Zoroaster (der immaginäre letzte unabhängige/freie König von Babylon) wie auch Ninus müssen statt historischer Personen rein mythische Personifikationen gewesen sein: der eine der Adligen, der andere der Plebejer Babylons, von denen erstere als Gründer einer streng aristokratischen Regierung sich selbst als die einzigen wirklichen Bürger, und die anderen nicht mehr und nicht weniger als Fremde angesehen hätten. Folgerichtig wäre das, was die Tradition als von außen durch Ninus gegen Babylon geführten Krieg annahm, der mit der Eroberung des Landes und der Ermordung von Zoroaster geendet hätte, nichts anderes gewesen als ein Bürgerkrieg zwischen eingeboren Adligen und Plebejern, der zur Ersetzung der aristokratischen Regierung durch eine demokratische und dann absolut monarchische geführt hätte. Nur so, nämlich nur durch die Annahme, daß der Mythos anachronistisch in das Leben eines einzelnen Menschen (Zoroaster) Vorfälle, die sich in Babylon über zwei Jahrtausende ereignet hatten, komprimiert habe, würde jenes "chronologische Ungeheuer" verschinden: daß in den Grenzen des Lebens eines einzelnen Menschen, d.h. höchstens innerhalb eines Jahrunderts, in Babylon die verschiedenen Formen ethisch-politischen Lebens und die entsprechenden Regierungsformen (wie Vico jene und diese im vierten Buch festlegte) aufeinander folgen: tierisches Herumirren, patriarchalische Herrschaft in isolierten Familien, ebenso isolierte heroische Städte, Vereinigung dieser in einem aristokratischen Staatswesen, demokratische Republik, Monarchie. - Aber einmal abgesehen von ihren Phantasiereichtum, steht diese Hypothese in scharfem Gegensatz zur von Vico in der chronologischen Tafel festgesetzten Chronologie, wie sich im § 736 zeigen wird.  ¶  Bei dem Vergleich "wie ein Frosch im Sommerregen ... entstanden" denke man an den Volksglauben an die Erdgeburt der Frösche, Kröten und anderer verwandter Tiere. (vgl. §§ 388 und 535). (NICOLINI I, 38/39)