§ 112 - N I C O L I N I
Nach der traditionellen Historiographie wurde die
lex Valeriana Horatia 449 v. Chr. publiziert in Folge der Revolution, die den Fall der Dezemvirn verursacht hatte (Livius III, 55). An seiner Authentizität werden übrigens heute größere und vielleicht begründetere Zweifel aufgeworfen als an der der
lex Publilia (§ 104). In jedem Fall scheint sie nicht die Plebiszite betroffen zu haben, bzw. die Beschlüsse
{deliberazioni} der
comitia tributa plebis, sondern die der
comitia tributa {SN 112 ne´comizi tributi : Ü HJ "in den Tributkomitien" - BJ "in the assembly by tribes (comitia tributa)}, in denen alle Stämme
{tutte le tribù}, sowohl patrizische wie plebejische, zusammenkamen: Beschlüsse, denen dergleiche legislative Wert wie denen der Zenturiatskomitien
{SN 112 "comizi centuriati" Ü HJ "Zenturiatskomizien"; BF "assembly by hundreds (comitia centuriata)"} zugeschrieben worden wäre / zugeschrieben geworden zu sein scheint
{sarebbe stato attribuito}. Aber andererseits, wie unter anderen aus Gravina,
De origine romani iuris (1713), I, 28, in
Opere, Ausgabe Neapel 1756, I, 17 hervorzugehen scheint, wurde zu Zeiten Vicos noch der Irrtums
{Carlo} Sigonios wiederholt /nachgebetet
{si ripeteva}, der (op.cit., I, 17, zit. Ausgabe., Bd. I, p. 210), der - in Unkenntnis der Koexistenz der
comitia tributa und der
concilia tributa plebis, weshalb er konsequenterweise /logischerweise aus diesen beiden unterschiedlichen Versammlungen eine einzige machte - geschrieben hatte, daß «tributa vero non vere comitia, sed plebis concilium dictum est, quod ad ea non universus populus vocaretur, sed plebs tantum
{nur} , patriciis exemptis». Vielmehr ist es gerade Vico, der sich in gewissem Maße
{Che anzi proprio il Vico s´allontana in qualche modo...} von der irrtümlichen
communis opinio entfernt, insofern er, wenn nicht hier, so doch wenigstens in dem
{aus der SN von 1730} gestrichenen § 1157 die
comitia tributa-Versammlung
{i comitia tributa assemblea} als nicht gänzlich plebeisch behauptet
{afferma}, sondern nur das Übergewicht der Plebejer betont.
¶ Nicht nur "in den beiden besonderen Fällen"
{"senonsé nelle due particolari emergenze" : BF "exept in the two particular emergencies" - Notfall, Notlage}, die Vico nennt, sondern definitiv obligatorisch für alle Bürger, Patrizier und Plebejer wurden die Plebiszite mit der
lex Hortensia, die , veröffentlicht zwischen 289 und 286 v. Chr., also etwa hundert Jahre nach dem im Text behaupteten Datum (
Epitome de Tito Livio {Epitome di Livio; hier nach kl. Pauly} , XI, Plinius,
N.h., XV, 16; Gellius
N. a., XV, 27), nicht vor, sondern ein halbes Jahrhundert nach der
lex Publilia lag
{fu} . Übrigens war die
Lex Hortensia auch von Hoffmann, III, 88, dem irrtümlich dem Jahr 367 Roms (387 v.Chr.) zugewiesen worden, und zeitlich vor der
lex Publilia hatte sie auch Gravina angesetzt,
Opere, I, 18. Befremdlich also, daß Vico, der in den unterdrückten §§ 1155-1156
{aus der Version von 1730} richtig gelegen hatte, indem er die
lex Hortlensia später als die
lex Publilia ansah, hier, in der definitiven Fassung, zur irrtümlichen
communis opinio seiner Zeit zurückkehrt.
¶ «wie hier hypothetisch gesagt wurde und weiter unten als Tatsache erwiesen werden wird
{e dentro mostrerassi di fatto} »: vgl. § 104 sowie
passim {da und dort, allenthalben} das ganze Kapitel der
Poetischen Politik (§§ 583 ff.)
¶ Reine Vermutung Vicos, daß Philo zum Diktator gewählt wurde um innere Unruhen zu unterdrücken: gemäß der Überlieferung wurde er für diese Aufgabe von Titus Emilius Mamercus bestimmt, seinem patrizischen Kollegen im Konsulat, um den Krieg gegen die rebellischen Latiner fortzusetzen.
¶ Indem er sagt «daß das, was die Plebs mit den Plebisziten in den Tributkomitien befohlen hätte, ... das ganze Volk in den Zenturiatskomitien verpflichten sollte...», will Vico nicht etwa sagen, sie es scheinen könnte, daß die Plebiszite danach von den Zenturiatskomizien ratifiziert werden sollten, sondern daß diese dasgleiche Gewicht
{lo stesso valore} der Beschlüsse des
comitiatus maximus hatten.
¶ Nicht richtig
{ist}, daß «quirites» nie im Singular benutzt wurde»: vgl. Forcellini,
ad v. ¶ «daß keine Gesetze sollten erlassen werden können, die den Plebisziten entgegengesetzt wären»: daß die Zenturiatskomitien keine Beschlüsse fassen könnten
{non potessero adottare deliberazioni} die den Plebisziten widersprachen, wie Vico es klarer im § 1157 darlegt. Und obwohl diese seine Interpretation der
lex Publilia ganz und gar konjektural ist, muß man doch denken, daß in Rom zur Zeit oder nach der
lex Hortensia, sich etwas Ähnliches vollzog. Auf jeden Fall vergegenwärtige man sich auch die §§ 627, 1101 und 1006.
¶ Eine weitere rein vicosche Konjektur/Vermutung ist, daß Philo auch offiziell jenen Wechsel der Regierungsform
{quel cangiamento di regime} von aristokratisch zu demokratisch sanktionieren ließ/sanktionierte
{facesse sancire}, den Vico als schon faktisch vollzogen behauptet. Jedenfalls war es sicherlich nicht deswegen, daß die philonische Diktatur «popularis fuit» (§ 104). (NICOLINI I, 69/70)