§ 179 - N I C O L I N I

Anscheinend hat Vico nie die Werke von Hobbes gelesen {s.Kommentar}: es scheint, daß er stattdessen die Theorien nur durch die wild polemische Darstellung kannte, die Georg Pasch aus Danzig (1661-1707), Professor der Moral, Logik und Metaphysik der Universität Kiel auf den Seiten 190-203 des von Vico ungenau zitierten Werkes, nämlich De novis inventis, qorum accuratiori cultui facem pertulit antiquitas (Leipzig 1700) gegeben hatte.  ¶  Wenn Vico, hier und woanders (besonders § 553) von den "Wilden und Gewalttätigen" des Hobbes spricht, will er sich auf die hobbesianische Vorstellung des Naturzustandes als unglückseligste Periode eines immerwährenden "bellum omnium contra ommes" beziehen, in dem, vom fundamentalen egoistischen Instinkt der Selbsterhaltung beherrscht, der Mensch gezwungen gewesen sei, Seinesgleichen als Feind anzusehen und zu bekämpfen (De cive, Widmungsbrief und I, 12; Leviathan, Kap. 14). Eine Vorstellung nicht ganz unähnlich der vichianischen des "tierischen Umherirrens" (§ 369 sqq.), oder, wie Vico sie auch nennt (§ 248), "des ruchlosen Zustand{s} der gesetzlosen Welt", wie schon zu seiner Zeit Romano, Apologia pp. 149-52 hervorhob.  ¶  Indem er dem englischen Philosophen vorwirft, nicht die im vorigen Paragraphen ausgesprochenen "Prinzipien" {"il principio di cose"} gesehen zu haben, spielt Vico auf die fundamentale hobbesianische Lehre an, nach der der Übergang vom Naturzustand zum sozialen und zivilen Leben, und das heißt zu jenem allesverschlingenden Leviathan, welcher der Staat ist, nicht etwa {già} wie im vicoschen System auch und vor allem Kraft moralischer Werte - religiöses Gefühl, Scham, moralischer Sinn , - sondern immer und ausschließlich durch den Zwang vonstatten gegangen sei, den auf den Menschen der genannte egoistische Instinkt der Selbsterhaltung ausübte (Leviathan Kap. 17).  ¶  "Mit dem ´Zufall´ seines Epikur umherirrte" Hobbes vor allem, weil er sich das das epikuräische Prinzip des kontraktualistischen Urprungs des sozialen Lebens zu eigen machte und es zu seinen extremen logischen Folgerungen trieb (vgl. schon De cive, Kap. 5, und noch entschiedener Leviathan, Kap. 17 und 18). Aber auch in diesem Fall begnügte sich Vico damit, den Pasch zur Hand zu nehmen, der in besagtem Werk und an besagter Stelle den englischen Philosophen heftig der Anleihe {di plagiodall´epicureismo} beim Epikurismus bezichtigt hatte.  ¶  "Jener große Teil", durch den Hobbes geglaubt habe, "die griechische Philosophie ... zu ergänzen", war die "politische/zivile Philosophie", die er als "non antiquior" als sein De cive (1641) ansah: siehe den De cive vorangestellten Widmungsbrief an Wilhelm Cavendish, Graf von Devon, oder die Elementa philosophica, in Opera philosophica latine scripta, Amsterdam 1668, I, ~in princ., und vgl. Pasch p. 193, der unter heftigster Kritik den Passus wiedergibt {trascrive il passo}.  ¶  Ganz undenkbar ist, Vico habe sagen wollen, daß Hobbes zu einem so egoistisch utilitaristischem Prinzip von dem Gebot der christlichen Nächstenliebe geführt worden sei. Deshalb muß "und auch Hobbes wäre nicht auf diesen Gedanken gekommen" usw. vielleicht in dem Sinn interpretiert werden, daß unter den Quellen der hobbesschen philosophia civilis auch die im Christentum (oder in der neoplatonischen Auffassung des Christentums) verwurzelte politische Philosophie sich befand, o b w o h l {s e b b e n e} dieses Christentum "nicht nur die Gerechtigkeit, sondern sogar die Liebe gebietet".{??}  ¶  Polybios VI, 57 schreibt eher, daß, wenn den öffentlichen Dingen weise Männer vorstünden, das öffentliche und private römische Leben nicht von so großem Aberglauben durchtränkt worden wäre. Jedenfalls waren hier und im § 334, wo die Aussage des Polybos weniger ungenau zitiert wird, Vicos direkte Quelle die Penées diverses à l´occasion de la comète qui parut au mois de décembre 1680 von Bayle. Vgl den Nachdruck Rotterdam 1721, III, 557. (NICOLINI I, 83-85)