§ 227 - N I C O L I N I

"Natürliche Sprache" ist hier synonym mit "stummer Sprache" oder gestischer (§ 226). Daß, wenn der Ausdruck {la frase} so verstanden wird, die Existenz einer auf natürliche Weise bedeutenden, oder durch eine intime Korrespondenz zwischen der Geste und der repräsentierten Sache gekennzeichneten Sprache evident wird, ist eine unter den Sprach-Traktatisten des sechzehnten-siebzehnten Jahrhunderts akzeptierte These, auch von jenen, die, wie man genauer anläßlich des § 401 sehen wird, nicht nur die historische Existenz, sondern die Möglichkeit selbst einer "natürlichen Sprache" verneinten. Jedoch hatten diese Traktatisten bei der Verneinung dieser Möglichkeit sowie schon die von Vico im vorliegenden Paragraphen zitierten antiken Schriftsteller eine Sprache Auge nicht nur allein aus Gesten, sondern und vor allem aus Worten im Auge; was heißt daß sie sich in ihren diesbezüglichen Diskussionen auf die spezielle Frage bezogen, die Platon zwischen Kratylos und Hermogenes hatte diskutieren und fast gänzlich bejahend von Sokrates hatte beantworten lassen: ob für jeden Gegenstand oder nicht auf natürliche Weise (jusei) ein geeignetes - onomatoV orJothV) und deshalb allen Völkern gemeinsames Wort besteht, oder, was dasselbe ist, ob die Wörter innig mit der bezeichneten Sache verbunden sind oder nicht stattdessen einen rein konventionalen Wert haben. Wie aus Morin hervorgeht, op. cit., pp. 28-33 und 33-38, hatte die communis opinio der Zeit der geistigen Formung Vicos sich entschlossen im zweiten Sinn ausgesprochen. Dies vorausgesetzt, ist von Platon natürlich der Kratylos, passim, einzusehen, vor allem die Paragraphen 34 und 35, pp. 425 d und 438 d). Was den Pseudo-Jamblichos angeht, wollte Vico vielleicht auf die in der sechsten Abteilung (und dort besonders in Kapitel 7) von De mysteriis aegyptiorum entwickelte Theorie anspielen, wo neoplatonisch behauptet wird, daß die Namen der Götter nicht per Konvention, sondern auf göttliche Weise bestimmt worden {sono sorti....}, und von daher in keine anderen Sprachen übersetzbar sind. Schwerlich dürfte Vico die verschiedenen Fragmente der Stoiker zur Sprache gekannt haben: auf jeden Fall findet man sie nun gesammelt und geordnet in Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft, zweite Auflage (Berlin 1890), I, 288-89, 293 und 296-97. Von Origines s. außer Contra Celsum I, 24 und V, 4, auch die Exhortatio ad martyrium, 46 (Opera, ediz. Migne, I, 701 sqq., 1249 sqq., 625 sqq.). Zum Peri ermhneiaV oder De interpretatione von Aristoteles vgl. den § 2 (p. 15 bis 19 sqq.). Aber weder in De decretis Hyppocratis et Platonis, noch in den vielen anderen Schriften, in denen Galen von Platon und Artistoteles handelt, erwähnt er jemals die Frage der Sprache. Schließlich in Gellius, N. a., X, 4, ~Nigidus "acutissime docet nomina non positiva esse sed naturalia": aber von dem fraglichen philosophischen Disput sagt er nichts außer daß er "celebris" war. (NICOLINI I, 92/93)