§ 336 - N I C O L I N I

Bei der Polemik gegen diejenigen, die der Meinung waren, daß das Konkubinat «keine natürliche Verderbnis enthalte» wäre möglich {può darsi}, daß der in rechtmäßiger Ehe lebende Vico {l´uxorio Vico - SANS/ZING (Dir) die Frau betreffend} den in wilder Ehe lebenden Pietro Giannone (1676-1748) im Auge/auf dem Kieker gehabt hätte, der schon in der Istoria civile del Regno di Napoli (1723), lib. V, cap. 5, und noch mehr in einem besondereren, seit 1723 in Neapel handschriftlich verbreiteten und dann in die Apologia dell´Istoria civile, capp. 6-10 eingearbeiten Traktat zum Thema das Konkubinat für zulässig und in der antiken Welt gängig/häufig (das römische «semimatrimonium») gehalten und aufgezeigt hatte, daß es von der Kirche erst seit dem elften Jahrhundert für sündhaft erklärt, und sogar noch zu Zeiten von ~Cuiacio bei den Gaskognern und anderen Völkern der Pyrenäen in Gebrauch gewesen sei. Allerdings ist zu beachten, daß Vico nur das Konkubinat «freier Männer mit freien Frauen» tadelt, und also nicht auch zwischen Personen, von denen eine oder beide nicht frei sind: eine Restriktion, die sicher von {ispirata...a..} einigen Verfügungen der lex Iulia et Papia Poppaea (vgl. § 579) inspiriert wurde.  ¶  Der Hinweis auf die Heime für ausgesetzte Kinder enthält offensichtlich eine Anspielung auf die Santa Casa dell´Annunziata, die in Neapel dieser sozialen Aufgabe nachkam und (noch heute) nachkommt.  ¶  Die «häßlichen wilden Tiere des Orpheus» sind die Menschen von noch tierischen Sitten (§ 79): «gesetzlose Welt» entspricht gleichfalls «tierischem Unherirren» (§ 369).  ¶  Die von Sokrates gegen ~Hippias {Ippia} angeführten «naturphilosophischen {???} Gründe {ragioni fisiche}», mit denen er den Inzest zwischen Vorfahren und Nachkommen {tra ascendenti e discendenti} als von den göttlichen Gesetzen verboten {laut Vico für Sokrates nur von «Natur» im Gegensatz zu «menschlicher Natur» verboten} beweisen wollte, reduzieren sich auf einen einzigen: auf kränkelnden Nachwuchs aus ähnlichen Verbindungen (Xenophon, Memorab., IV, 4, 19-23). Zu dem Thema hatten übrigens die Jusnaturalisten eine ganze Literatur angehäuft: so ist es wohl gerade Grotius, op. cit., II, 2, 13, 5, dem Vico die Information/Nachricht entnahm, daß Hochzeiten {Nic: nozze; Vico: concubiti - H/J: Beischlaf} zwischen Vorfahren und Nachkommen bei den Persern (und auch bei anderen Völkern) üblich waren. (NICOLINI I, 113/14)