§ 370 - N I C O L I N I

Zu den sogenannten nachsintflutlichen biblischen Giganten §§ 371, 372, 374: zu jenen der «mythischen Geschichte der Griechen» oder zu den Titanen siehe § 193, vgl. auch später §§ 387 und 399, wobei indes zu bemerken ist, daß, wenn Seneca, Epist., 68, sich damit begnügt hatte, Giganten und Zentauren als imaginäre Wesen {esseri im maginari} anzusehen, Makrobius, Saturn., I, 20, noch expliziter versichert hatte, daß die Giganten oder Titanen nichts anderes gewesen seien als «hominum quandam impiam gentem, deos negantem et ideo existimatam deos pellere de caelesti sede voluisse» (vgl. auch ~Solino, Polyhistor, 2).  ¶  Die «lateinischen Philologen», nämlich Servius, Ad Aen., VIII, 321 und vgl. Voss, Etym., I, 361, setzen überhaupt nicht «aborigines = (Kinder der Erde = Giganten = Adlige»; sondern sie begnügen sich damit, zu bemerken, daß das lateinische «aborigines» dem griechischen autocJoneV entspricht. Wahrscheinlich kontaminierte Vico die Stelle des Servius mit einer eigenen Übertreibung/Erweiterung {amplificazione} einer anderen von Julius Caesar Scaliger, die er beim Hoffmann, I, 418 (vgl. auch I, 19) gelesen hatte, und in der gesetzt wird »autocqwn = gegenhV = Kind der Erde«  ¶  Nach dem griechischen Mythos (Hesiod, Teog., 154-210) waren Kinder der Erde oder von Uranos und ~Gaia nicht nur die Giganten sondern auch die Erynnien und die ~Melien. Jedenfalls {comunque} ist für Vico «Kinder der Erde» gleichbedeutend mit «Abkömmlinge der Bestatteten» (§ 13 {Ü S. 13}).  ¶  Bei der Erwähnung der latinischen {lateinischen? - latini} «dii indigetes» bezieht sich Vico auf Aeneas, der von Livius, I, 2, «Iupiter indigetes» genannt wird.  ¶  Die Her-/Ableitung von «indigetes» aus «inde geniti» oder genauer von «indu- (archaiche Form von «in») geniti» war zu Zeiten Vicos allgemein akzeptiert (Voss, Etym., l.c.).  ¶  Daß die Silbe «de» oder genauer der Buchstabe «d», oft von einem Vokal gefolgt, eine «eine der redundanten Silben der ersten Sprachen» sei, ist eine auf dem archaischen Latein (vgl. Voss, Etym., I, 362) und auf einigen archaischen neulatinischen{neolatini - neulateinisch??, s. aber sqq. neapolitanisch...} (z.B: des neapolitanischen Dialekts) Sprach- und Dialektformen basierende Verallgemeinerung Vicos.  ¶  «Induperator» findet sich unter anderen praeciceronianischen Schriftstellern vor allem bei Lukrez (Forcellini, ad v.).  ¶  Die Stelle aus dem Zwölftafelgesetzt lautet: «Si calvit pedemve struit, manum endoiacito» (Godefroi, Fontes, tab. I; und vgl. Festo, ad v. struere).  ¶  Ganz vichianisch ist die Ableitung von «induciae» aus «induiacere»: die gängigsten Etymologien im siebzehnten-achtzehnten Jahrhundert waren «inde uti» und «inde otium» (Gellius, N. a., I, 25; Voss, Etym., I, 363).  ¶  Richtig ist, daß die volkssprachliche/gewöhnliche Etymologie {l´etimologia vulgata} von «ingenuus» («in geno») und von «indigena» («indu geno») grundsätzlich diegleiche sei. Aber gerade deswegen ist die ursprüngliche Bedeutung des einen wie der anderen Wortes nicht etwa «nobile» sondern «patrio {patrius: väterlich; angestammt; vaterländisch}», «nicht fremdländisch» (Voss, Etym., I, 321; Forcellini, ad v. ingenuus). Gestützt einerseits auf die Tatsache, daß vor allen in den juristischen Quellen «ingenuus» auch die Bedeutung «freigeborener Mensch» im Gegensatz zu den Freigelassenen oder Sklaven annahm, gestützt andererseits auf seine Annahme/Vermutung {congettura}, daß in der ursprünglichen heroischen Stadt Bürger nur die Heroen oder patres, also die Adligen waren, nicht auch die Famuli oder Plebejer, die vielmehr als Fremde angesehen wurden (§ 598 und passim) - nahm Vico hingegen an, daß diese Heroen oder patres oder Adligen «indigenae» oder «ingenui» genannt wurden.  ¶  Mit den Zusätzen zu den «artes ingenuae» und den «artes liberales» (vgl. dazu auch § 537) bezog sich Vico sehr wahrscheinlich auf Cicero, De orat., III, 6 und 32 («ingenuae et humanae artes», «liberales doctrinae atque ingenuae»), und vielleicht noch eher auf Ulpian, in Dig. , L, 13, 1, pr. («liberalia...studia accepimus quae graeci eleuJeria appellant», nämlich die Rhetorik, die Grammatik und die Geometrie). Aber die in diesen Ausdrücke und anderen dieser Art ausgedrückte Vorstellung von «Nichtunterworfenheit/-unterwürfigkeit {non servilità}», die auf italienisch mit dem Adjektiv «nobili» wiedergegeben werden kann, bedeutet deshalb nicht dasgleich wie die andersartige Vorstellung vom rassischen oder genealogischen Adel. (NICOLINI I, 128/29)