§ 401 - N I C O L I N I

Richtig ist, daß logoV manchmal im Sinne von «Fabel {favola}» benutzt wird (man erinnere z.B: die logoi von Äsop): nicht ganz richtig ist wahrscheinlich , daß «Fabel» die ursprüngliche Bedeutung von Rede/Sprache/Wort gewesen sei, obwohl andererseits die lateinischen Lexikographen bei der Bestimmung der Bedeutungen von «fabula» zuerst logoV, dann muqoV setzen (Forcellini, ad v., vgl. auch Voss, Etym., I, 273). Jedenfalls bedeutet die mögliche Ungenauigkeit wenig gegenüber der Tatsache, daß statt mit «ratio», wie es intellektualistisch die Philosophen und Philologen vor ihm taten (vgl. z.B. Hobbes, Leviathan, cap. 4; Morin, op. cit. p. 26) , Vico logoV mit der Fabel oder dem Mythos zusammensah.  ¶  Zu Recht verneint Romano, Apologia p. 163, daß «Fabel {fabula} im Italienischen Sprache {favella} bezeichne», obwohl er zugibt, daß «fabulor» «dico» entspricht. Aber in Wahrheit kann der von Vico benutzte abweichende Ausdruck {diversa espressione} nur in einer von zwei Weisen interpretiert werden, die beide der Wahrheit entsprechen: entweder daß logoV «Fabel {favola}» und zu gleichen Zeit «Sprache {favella}» entspricht, oder daß «Sprache» von «fabula» (natürlich über das Diminuitiv «fabella») abstammt. Auf jeden Fall war die Abstammung von «fabula» von «fari» zu Vicos Zeiten allgemein ankzeptiert: vgl. Voss und Forcellini, ll.cc., von denen letzterer auf die Ars grammatica von Diomedes, III, 488 («latine fabulae appellantur quasi fatibulae») verweist.  ¶  Die ganz vicosche Ableitung von «mutus» von muqoV steht nicht nur in Widerspruch zu der gewöhnlichen onomatopoetischen Etymologie - «a sono quem muti edunt», also von «mu» oder «mut» (Voss, Etym., II, 463-64), - sondern auch zu den verschiedenen Bedeutungen von muqoV, unter denen sich auch «Wort {parola}» befindet.  ¶  Die «Sprache als geistige {lingua mentale}» der «stummen Zeiten» ist hier, im Unterschied zum § 227, willkürlich mit der «(gesprochenen) Sprache, die natürlich bedeutet», identifiziert {identificata... NELLA..} , von welch letzterer allein {della quale ultima soltante...} sowohl {così....come} die vorhin in dem erwähnten Paragraphen 227 angeführten antiken Schriftsteller gesprochen hatten, wie auch so viele andere {come quanti altri}, von Augustinus (De doctrina christiana, II, 24) bis zu Morin (op. cit., lib. I, cap. 6, pp. 25-33) vom Ursprung der Sprache gehandelt hatten, um fast einstimmig zu schließen, daß eine solche Sprache auf der Welt existiert haben konnte oder besser existiert hatte vor der babylonischen Konfusion {der Sprachen} (§ 62), daß aber danach die Tatsache selbst der Verschiedenheit der Sprachen die erste Voraussetzung der natürlich bedeutenden Sprache zerstört hatte, nämlich daß eine einzige Sache, statt mit so vielen verschiedenen Worten wie es verschiedene Sprachen gibt, mit einem einzigem Wort bezeichnet wird.  ¶  Strabo, I, 2, 6 handelt von der ideellen und historischen Priorität nicht der stummen Sprache vor der gesprochenen, sondern der Poesie vor der Prosa. Eher finden sich Hinweise auf eine primitive, wenn auch nicht ganz stumme, so doch wenigstens sich viel mehr durch Gesten als durch Laute ausdrückende Sprache, bei den schon zu § 400 zitierten antiken Schriftstellern. Außerdem vergegenwärte man sich, daß Justus Lipsius bei der Bestimmung der Hieroglyphen diese als gewirkt ansah «non animalium solum», wie Tacitus geschrieben hatte {secondo aveva scritto}, «sed et rerum mutarum»: vgl. seinen Kommentar zu Tacitus, ed. cit., p. 171, Anmerkung 45.  ¶  «Wie in den Grundsätzen gesagt worden ist» : der Ivii. Grundsatz (§§ 225-227).  ¶  Bei dem Vergleich von logoV mit «verbum» dachte Vico, natürlich, an den LogoV des Vierten Evangelium.  ¶  Richtig ist, daß logoV auch «Ding» bedeutet: aber nicht Gataker (zu ihm vgl. § 386), sondern ein Sebastian Pfochenius hatte sich auf die Tatsache gestützt, daß die griechischen Schriftsteller logoV und epoV in der Bedeutung von «Ding» verwendeten, um zu behaupten, daß auch rhma («der Spruch/die Rede {il detto}») in der Bedeutung von «Ding», wie sie im Evangelium des Lukas auftaucht (I, 37), im klassischen Griechisch gebräuchlich war. Ein Ergebnis, dem Gataker im De novi Instrumenti stylo (Opera critica, ed. cit., coll. 89-90). widerspricht.  ¶  Zu Recht {A ragione} bemerkt Romano, Apologia, pp. 155-56, daß muqoV in der Bedeutung von «vera narratio» von keinem griechischen Schriftsteller benutzt wurde: offensichtlich übertrug Vico, wenig kompetent in der griechischen Sprache, analogisch auf muqoV eine der Bedeutungen von «fabula» (vgl. in der Tat die letzten Worte von § 403). Ebenso ist wahr, daß auch «fabula», weit entfernt, im Sinne einer der Natur konformen Sprache eine «wahre Rede» zu bezeichnen, eine «res passim divulgata, sive sit vera sive falsa» bedeutet (Forcellini, ad v.; Voss, Etym., I, 272; vgl. auch Hofmann, II, 228).  ¶  Mit dem Ausdruck «göttliche onomathesia» spielt Vico auf die Stelle Genesis (II, 19-20) an, der zufolge Adam auf göttliche Anordnung und unter der Anleitung des Herrn durch verschiedene Benennungen die einzelnen Gattungen von Haus- , geflügelten und wilden Tieren unterschieden habe. Eine Stelle, zu der von den Kirchenvätern und den hebräischen Rabbinern an bis zu den Traktatisten des siebzehnten-achtzehnten Jahrhunderts zur Sprache eine ganze Bibliothek sich angesammelt hatte, von der man nicht mit Sicherheit sagen kann, daß die Phantastereien und manche Idiotien nicht manche seltene sinnvolle Beobachtung übertönen, Jedenfalls ist das, was Vico ziemlich dunkel dazu {al riguardo} sagt, so zu verstehen, daß - während die vorbabelische Sprache, gerade weil sie Domino inspirante monogenetisch und auf einen Schlag von Adam erfunden wurde, nur von jener allerhöchsten Logizität und Rationalität inspiriert sein konnte, die Gott eigen ist - diese Logizität und Rationalität durchaus nicht in den Sprachen gesucht/gefunden {va ricercata} wird, die nach der Zerstreung der Völker über die ganze Erde (§ 62) die poetischen Theologen oder Gründer der Nationen polygenetisch ohne jede göttliche Hilfe wiedererschaffen mußten: aus dem einfachen Grund, daß diese, ohne sich des vernunftgemäßen/vernünftigen Intellekts {dell´intelletto raziocinante} zu bedienen, sondern sich der Phantasie überlassend, eine Ausdrucksform ins Leben riefen, die nicht aus abstrakten Wörtern, sondern aus mythischen Personifikationen oder poetischen Charakteren bestand. Eine Ausdrucksform also, die umso weniger logisch oder rational war, als sie von erhabener Evidenz nur so glänzte, und damit von natürlicher Verbindung mit den dargestellten Dingen (§§ 404 ff. und, noch mehr {ancora più} 413 ff.). Womit Vico seine Wertschätzung nicht nur nicht der «göttlichen onomathesia», vielmehr den menschlichen Sprachen zuwendet {wirklich??-Ambivalenz}, sondern sich auch einem unterscheidenden Merkmal inspiriert, daß man vergeblich bei den Philosophen und Philologen finden würde, die sich vor ihm damit beschäftigt hatten, die einzige präbabelische Sprache von den vielen postbabelischen zu unterscheiden. So hatte sich Hobbes z.B. mit der Beobachtung zufrieden, daß, während jene direkt von Gott erfunden worden war, diese den Menschen ausschließlich von der «Mutter aller Erfindungen» gelehrt/beigebracht worden war, die die Not(wendigkeit) {necessità} ist (Leviathan, cap. 4). Und Morin seinerseits, so sehr er die adamitische Sprache erhob, die in ihrer göttlichen Vollkommenheit so beschaffen gewesen sei, daß «licet {wenn auch, zugegeben daß; zugegebenermaßen} arbitraria {!!!!!!!!, nicht Natursprache}, sibi constabat et secundum sensus eius vocabulis attributos rerum naturis apprime {nahezu; vorzüglich, besonders} conveniebat», verdammte ebenso sehr die postbabelischen Sprachen: - Sprachen - schrieb er hobbesianisch - erfunden «in solitudinibus et ab hominibus agrestibus, sola necessitate duce»; Sprachen - fügte er cartesianisch hinzu - in denen «omnia confusa sunt et indigesta», so sehr, daß «frustra in iis, vel levissima, rationis vetigia investigarentur», und, «si quale aliquando occurrunt, id fortuite et casu temerario debuit contingere»; Sprachen - so schließt er im Vorgriff auf antivicosche Positionen {preantivichianamente} - in denen, unter endlosen «volgo et artificibus» geschuldeten Ungereimtheiten und «ineptiae», es nichts zu Bewundern gibt außer jenen «vocabula sapienter excogiatata» und jene allerpassendste Art sie anzuordnen, die beide wiedergefunden wurden «a gentibus cultioribus in rebuspublicis bene ordinatis» (op. cit., pp. 29-30).  ¶  Siehe noch zum ganzen Abschnitt § 1526. (NICOLINI I, 146-149)