§ 402 - N I C O L I N I

Zu verstehen/deuten: auf solche Weise {per tal modo} wurden Himmel, Erde und Meer von den primitiven Menschen als anthropomorphe Gottheiten ("beseelte Gottheiten {animate divinità}") phantasiert {phantasticati} , die ursprünglich, als die Sprache noch stumm war (§ 401), bezeichnet wurden, imdem konkret {materialmente:materiell, wirklich, tatsächlich} mit dem Finger {con la mano} auf Himmel, Erde und Meer gezeigt wurde, um erst später, nachdem auf die stummen Sprachen die artikulierten (ibid.-401) gefolgt waren, die Namen Zeus, Ceres {wohl Kybele-Cibele} oder Berekynthia und Neptun zu erhalten.  ¶  Bei dem folgenden Hinweis auf die "poetischen Charaktere" erinnere man sich vor allem (vgl. §§ 205 und 209), daß in der vicoschen Terminologie, der Ausdruck, da er synonym mit "Mythos" ist, eine typische Personifikation bezeichnet. Deswegen - möchte Vico sagen - mußten, nachdem aus dem Himmel, der Erde und dem Meer die drei genannte typischen Personifikationen geworden waren, auch die zu diesen drei Elementen zugehörigen Erscheinungen personifiziert oder als von Zeus, Ceres {Kybele, s.o.} und Neptun jeweils vollzogene Handlungen phantasiert werden.  ¶  "aus denen wir Ideen, und zwar meistens von weiblichen Wesen, formen": vgl. § 406, gegen Ende.  ¶  Zu der Tendenz aller primitiven oder barbarischen Epochen, die göttlichen Wesen von größerer Statur als der menschlichen zu phantasieren vgl. auch § 816.  ¶  Die Dinge, die später {in un secondo momento}, d.h. nachdem im Menschen das abstrakte Denken {il raziocinio astratto} auf Kosten der Phantasie erstarkt war (§ 185), als "kleine Zeichen" {Vico "piccioli loro segni"} des Himmels, der Erde und des Meeres genommen wurden, sind natürlich die Personifikationen von Zeus, Kybele und Neptun, nun zu einer Größe verkleinert, die die menschliche nicht übertrifft.  ¶  Zur Metonymie § 406: Vico möchte hier festhalten, daß aufgrund der allgemeinen und irrtümlichen Vorstellung von den Tropen oder dem sogenannten uneigentlichen Sprechen als einer gegenüber der sogenannten eigentlichen Rede raffinierteren und intellektuelleren/gedanklicheren {raziocinante} Ausdrucksform schließlich die oben erwähnte mythische Vorstellung vom Himmel und der Erde, die doch tatsächlich die Auswirkung von Unwissenheit war, zum Audruck von Gelehrtheit wurde {si finì col trovare indice di dottrina}. (NICOLINI I, 149)

ZUSATZ: Vgl. Übersetzung von Vicos «E metonimia spose in comparsa di dottrina l´ignoranza...» bei B/F durch «Metonomy drew a cloak of learning over the prevailing ignorance of...»