§ 428 - N I C O L I N I

Was für und wieviele mehr als phantasievolle Konjekturen Kirchenväter, hebräische Rabbiner und christliche Gelehrten bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts über den Ursprung der Schrift angehäuft hatten, kann unter anderen den angeführten Büchern von Bang und Morin (vgl auch Bayle Dictionnaire, ad. v. Cham, ed. cit. II, 130, nota (B)) entnommen werden. Für die/den einen hätte es die Schrift vor der Erschaffung der Welt gegeben, insofern noch vor dem Erscheinen des Menschen auf der Erde, Gott das zukünftige Gesetz Mose in den Himmel "literis igneis nigris in dorso ignis candidi" eingechrieben hätte. Anderen zufolge hätte Adam, vom Herrn erleuchtet, außer der Sprache (§ 401) in einem Zug auch die Schrift erfunden und sich ihrer bedient, um einen Traktat De divinitate zu verfassen. Anderen gefiel es, den Erfinder der Schrift in ~Seth zu sehen, dem Autor der von Flavius Josephus berichteten Inschriften (s. oben § 49): was andere nicht hinderte, eher von ~Henoch und von seinem mutmaßlichen Buch (§ 379) zu sprechen, das laut Bouldoc op.cit. p. 134 (vgl. auch § 134) Noah unter religiöser Verehrung in der Arche aufbewahrt hätte. Im Gegensatz dazu wäre für wiederum andere Noah der erste gewesen, die alphabetischen Buchstaben zu bilden. Aus dessen Feder wäre ein Traktat De Magia naturali geflossen, den Ham beziehungsweise Zoroaster (§ 55) dem Vater vor der Sintflut gestohlen, versteckt und dann seinen Nachkommen übergeben hätte. Ein Bericht, zu dem andere die Variante eingeführt hatten: daß die Schrift schon den (er)phantasierten {fantasticati} vorsintflutlichen Engeln, die sich mit den "Töchtern der Menschen" verbanden, bekannt gewesen wäre (§ 371), welche Engel ferner Verfasser magischer Bücher gewesen wären, die dann in die Hände von Ham beziehungsweise Zoroaster geraten seien, der, da er es nicht wagte, sie mit sich in die Arche zu nehmen, ihren Inhalt auf Metallplatten und Steine eingeritzt hätte, um beides an sicherem Ort dort zu verstecken, wo er nach der Sintflut sie wiedergefunden hätte. In gleicher Weise war man dazu geschritten, graphisch die von jedem dieser und vieler anderer angenommener Schrifterfinder geformten Alphabete zu rekonstruieren. So wurde z.B. das Alphabet Noahs von dem Pauliner ~Giacomo Bonaventura Hepburn im Buch Aurea virga (Rom 1616) präsentiert, woraus Bang, p. 105, es abdruckte. Seinerseits hatte schon vorher der venezianische Priester Giovanni Agostino Panteo es für erbaulich {bello} befunden, auf S. 15 einer Voarchdumia [?] adversus alchimiam, Venedig 1530 (vgl. Bang p. 104) das Alphabet Henochs vorzustellen. Und was das adamitische Alphabet anging, konnte man es seit dem 16. Jahrhundert auf einer der Säulen der vatikanischen Bibliothek eingemeißelt finden, zusammen mit dem "wahren Abbild" des Vaters der Lebenden und einer hebräischen Inschrift, die in der beigefügten lateinischen Version lautete: "Adam, divinitus edoctus, scientiarum et literarum inventor" (Angelo Rocca, Bibliotheca apostolica Vaticana, Rom 1591, pp. 78-90, besonders 80; ~Lorenz Schrader, Monumenta Italiae quae hoc nostro saeculo et a christianis posita sunt, ~Helmstedt 1592 II, 196-97; vgl. auch Bang, op. cit., p. 100).  ¶  Die Stellen von {Gerard Johannes} Voss, Aristarcus sive de arte gramatica, lib. I, cap. 9 (Opera II, 13) und des belgischen Jesuiten Hermann Hugo oder Hugon (1588-1629), De prima scribendi origine et universae rei literariae antiquitate (1618), neu aufgelegt Utrecht 1738 pp. 13-14, werden hier und dort von Vico berührt/verbessert {sono ... ritoccati dal Vico}.  ¶  Weiterhin hatte der deutsche Philologe Bernhard von Mallinckrot (?-1654) nicht De ortu et progressu artis typographicae (Köln 1640), sondern in De natura et usu litterarum (Münster 16398) der Schrift göttlichen Ursprung zugeschrieben. Und schließlich hatte auf der Seite 49 der Historia linguae graecae (Leipzig 1691) der Schwede Lorenz Ingewald Elingius, Professor an der Universität von Upsala, die Behauptung wiederholt , daß "ipso Deo monstrante" die Schrift von Adam entdeckt worden sei. "Wiederholt", weil der göttliche Ursprung der Schrift eine auf Platon, und in seinen Spuren auf Cicero zurückgehende Theorie ist, die im neuen christlichen Weltkreis Konsistenz gewonnen zu haben scheint als Emendation einer Stelle aus Plinius dem Älteren (N.h. VII ,56) , die den "aeternus litterarum usus" behauptet: eine Behauptung - schrieb der avignonesische Jesuit ~Jacques Salian (1557-1640) in seinen Annales ecclesiastici (Paris 1641) I, 119, vgl. auch Bang p. 2 - die für einen Heiden, da ohne Kenntnis der Erschaffung der Welt in der Zeit, verzeihlich sei, die aber für jeden guten Christen in die andere zu verbessern sei, daß die Schrift ab aeterno "juxta deum" existierte, der sie nach der Erschaffung der Welt dem ersten Menschen mitteilte. Bleibt zuletzt zu erwähnen ,daß noch im achtzehnten Jahrhundert - ~wenn/wo {se} ein Postillator/Kommentator Pufendorfs, ~Giovan Nicola Herz bemerkt, nicht ohne auf die Ars combinatoria von Leibniz zu verweisen, daß "si spectemus quam infinitis modis litterae variare possint, id superare humanum ingenium videtur" (Pufendorf, op. cit. IV, 1, 2, Anmerkung 2, ed. Frankfurt und Leipzig 1759, I, 434) - Warburton, obwohl er den göttlichen Urprung der Sprache zugibt (vgl. § 401), fand, wobei er ohne es zu wissen vicoisierte {Nicolini!!, Kritik Rossi in Le sterminate antichità}, daß Platon und Cicero, wenn sie die ganz natürliche Art und Weise bedacht hätten, in der die Menschheit von der ideographischen Schrift zu den alphabetischen Buchstaben übergegangen war, sie diesen nicht göttlichen Ursprung zugeschrieben hätten (Essai, I 44). (NICOLINI I, 161-163)