§ 429 - N I C O L I N I

Formal ungenau ist, daß «alle Gelehrten» vor Vico geglaubt hätten «die Ursprünge der Buchstaben und die Ursprünge der Sprachen seien getrennte Dinge», da, wie gezeigt wurde (§ 428), es nicht wenig waren, nach denen Adam, erleuchtet vom Herrn, in einem Zuge Sprache und Schrift entdeckt habe. Aber substantiell ist die Beschuldigung {l´addebito} umso begründeter, als außer (aber nur bis zu einem gewissen Punkt) Bacon, De dignitate et augumentis scientiarum, zitiertes Kapitel (VI, 1), keiner vor Vico so die Lehre von den «stummen Sprachen» vertieft hatte (§§ 225-230).  ¶  Im Gegensatz zu dem, was Vico versichert, schreibt Aristoteles, Topica, VI, 5, 2, 142 b 31, daß eine schlechte Definition von Grammatik gäbe, wer sie allein «Kunst des Schreibens» nenne ohne hinzuzufügen «und des Lesens». Und Hofmann, II, 410 hebt hervor, daß man von der Grammatik als Kunst sowohl des Schreibens wie des Lesens in Griechenland auch vor dem Stagiriten gesprochen hatte.  ¶  «daß alle Völker zuerst schreibend sprachen»: vgl. § 226.  ¶  Unter den Bedeutungen, die Forcellini von dem Wort «Charakter» aufzählt, ad. v., finden sich ~irgendwie {in qualque modo} jene von «Form», nicht aber die anderen von «Idee» und «Modell».  ¶  «waren die Charaktere der Dichter früher als diejenigen der artikulierten Laute»: zuerst die poetischen Charakter (§§ 209-210), mit denen am Ende dieses Abschnittes/Paragraphen die Hieroglyphen und dann die alphabetischen Buchstaben/Zeichen {caratteri} verglichen werden {sono raccostati} . {am Ende dieses §?? - dort nichts dergleichen!}  ¶  Zum Verweis auf Flavius Josephus vgl. § 66.  ¶  «diese Buchstaben...wären sie Formen der artikulierten Laute und nicht willkürliche Zeichen...»: wenn die alphabetischen Charaktere engen Bezug auf die alphabetischen Buchstaben hätten und nicht stattdessen bloße konventionale Zeichen wären. Indem Vico hinzufügt, daß in diesem Fall diese Charaktere bei allen Völkern {nazioni} gleichförmig sein müßten, wie bei allen die Laute gleichförmig sind, die jene darstellen (vgl. auch § 1225 a), stellt er auf den Kopf gestellt eine Argumentation des hl. Augustinus dar, der, zum Beweis des rein konventionalen /-ellen Charakters der alphabetischen Schrift, bemerkt hatte, daß «una figura literae, quae decussatim {in Kreuzesform}notatur, aliud apud graecos, aliud apud latinos valet, non natura sed placito et conventione significandi», usw. (De doctrina christiana, II, 24). Aber auch hinsichtliche der Form der alphabetischen Charaktere/ Zeichen hatten sich die Gelehrten des sechzehnten-siebzehnten-achtzehnten Jahrhunderts extravagantesten Mutmaßungen hingegeben. Es muß hinreichen {Basti dire che...} , zu erwähnen {Basti dire} , daß noch 1743 die Acta Eruditorum aus Leipzig in das Januarheft/ in die Januarlieferung unter dem Titel De alfabeto naturae einen Artikel einfägten, in dem ein gewisser Wächter behauptete, daß jene Form «ab oris similitudine» gebildet werde, so daß der Nasal «n» das Aussehen einer Nase habe, der Dental «s» wie ein «dens prostratus {vorstehend}» aussehe usw.  ¶  Obwohl Vico sie unterscheidet, sind die Ausdrücke {frasi} «in poetischen Charakteren» denken und «in Mythen sprechen» beide gleichbedeutend mit «mythisieren» {«mitizzare»} (NICOLINI I, 163/64)