§ 432 - N I C O L I N I

Der an der Spitze zitierte "philologische Grundsatz" ist der XXVIII. (§ 173): vgl auch § 52.  ¶  Nach Clemens von Alexandrien (Stromata V, 4, in Opera, Ausg./Ed. Migne II, 39-42; vgl auch Porphyr, Leben des Pythagoras, Kap. 11 und 12) hätten die Ägypter sich dreier Arten von Schrift bedient: der epistolaren oder alphabetischen; der hieratischen; der hieroglyphischen, die sich ihrerseits durch Symbole (oder Figuren, die die darzustellenden Dinge nachahmen), durch tropische Zeichen und durch Enigmen ausdrückt. Wieviele Dispute dieser nicht immer klare Passus unter den alten Ägyptologen ausgelöst hat, ist unbeschreiblich: auf jeden Fall interpretierte man ihn am Ende des siebzehnten Jahrhunderts allgemein in dem Sinn, daß als erstes die epistolare oder alphabetische Schrift entstanden sei; daß sich die hieratische Schrift eines speziellen und verborgenerem Alphabets bedient hätte; und daß zu allerletzt die hieroglyphische Schrift erdacht worden sei, die normalerweise in chirologische und symbolische unterteil wurde: jene "proprie loquens per prima elementa", diese dreigeteilt in imitative, tropische und allegorische oder enigmatische (Marsham, op. cit., pp. 37-38; vgl auch Stanley, Hist.Phil. in der zitierten lateinischen Übersetzung p. 664). Daraus geht hervor, daß Vico, indem er die Quellen sagen läßt, {1} daß im Zeitalter der Götter die Ägypter eine "heilige" oder "göttliche" Sprache sprachen (§ 437) mit graphischem Ausdruck durch Hieroglyphen, {2} im Zeitalter der Heroen eine "symbolische" Sprache mit graphischem Ausdruck durch "Zeichen" oder "heroische Impresen", {3} und im Zeitalter der Menschen eine "epistolare" Sprache mit graphischem Ausdruck durch alphabetische Lettern, daß Vico also - {1} außer daß er aus der hieratischen und der hieroglyphisch-chirologischen Schrift einen einzigen Typ gemacht hatte, {2} außer, daß er diesen Typ als getrennt von der hieroglyphisch-symbolischen Schrift angesehen hatte {avere onsiderato quale tipo a parte la scrittura..} und {3} außer daß er diesen letzteren Typ mit den heroischen Impresen sowohl der Antike wie des Mittelalters (vgl. § 438) verglichen hatte - auf geniale Weise Warburton (Essay, I, 92 ff) und die späteren Ägyptologen vorwegnimmt, indem er nicht die alphabetischen Buchstaben als die älteste und natürlichste {spontanea} Schrift ansieht, sondern die Hieroglyphen, und nicht die die Hieroglyphen, sondern die alphabetischen Buchstaben als die jüngste und künstlichste (vgl. ebenfalls § 435). {Zu dieser "Vorwegnahme" vgl. Rossi ST Stermin.Antich.? 81 sqq.} Andererseits ist es reine Phantasterei {fantasiosità}, zwischen dieser triplex scribendi ratio und der zeitlichen Dreiteilung in Zeitalter der Götter, der Heroen und der Menschen eine enge und genaue chronologische Beziehung herzustellen, zu dem es weder bei Clemens noch in anderen Quellen einen Hinweis gibt. Und es ist reine Willkür, zwischen den sogenannten "drei Sprachen der Ägypter" und den zwei "klassischen Stellen Homers" ein tatsächlich nicht vorhandenes Band zu knüpfen. Denn schon in der ersten (Il I, 250 ff) sagt der Dichter nur, daß Nestor, nachdem er in Pilo zwei Generationen oder Lebenszeiten (geneai) von Menschen (meropvn) gesehen habe (nicht "verschieden redende", sondern einfach "sprechende" oder "sterbliche"), er in der dritten regierte. Und in der zweiten (Il XX, 215 ff) erzählt Äneas dem Achill unter anderem nicht etwa die von Vico versicherten Dinge, sondern daß, als Dardanus Dardanien gründete, sich noch nicht in der Ebene das heilige Ilion erhoben hatte, Stadt der auch dies mal nicht "verschieden redenden", sondern schlicht sprechenden oder sterblichen Menschen (meropvn). Bleibt zu erwähnen, daß die Tradition Merkurio Trismegisto dem Älteren die Erfindung der "Buchstaben", nicht auch der Gesetze zuschreibt: vgl. § 66. (NICOLINI I, 166/67)