§ 433 - N I C O L I N I

Tatsächlich führen von onoma in der Bedeutung von «Charaktere» die Lexika keine Beispiele an. Aber wie der Hinweis auf die «Kirchenväter» zeigt, wollte Vico sich auf Peri qeiwn onomatwn (De divinis nominibus) des Pseudodionysius Areiopagites beziehen, der durch die Erörterung der verschiedenen in der Bibel vorkommenden Namen Gottes die göttliche Natur und ihre Attribute erläutert. Eine Anregung dazu hatte Vico in einem Brief (1721) erhalten, den ihm anläßlich des Diritto universale sein neapolitanischer Freund und Universitätskollege Giovanni Chiaiese geschrieben hatte (Opp. V, 168).  ¶  Über welche Ideenassoziation «nomen» mit «definitio» und «quaestio nominis» mit «questio definitionis» gleichbedeutend sein soll, wird im Liber metaphysicus (Opp. I, 126) erklärt.  ¶  Der Begriff «nomenclatura» findet sich weder im Lexicon medicinae Castellis, noch im Glossarium Ducanges, noch im Lexicon Hofmanns, noch in den alten Ausgaben des Vocabolario della Crusca. Er wird jedoch, mit Zitaten von Beispielen aus dem älteren Plinius, von Forcellini vermerkt, der ihn zu einem Synonym des ciceronianischen Wortes «nomenclatio» macht, das er mit «appellatio nominatim facta, recitatio nominis» paraphrasiert.  ¶  Bei den Römern bedeutete «nomen» auch «Häuser, die sich in viele Familien verzweigten»: in dem Sinne, daß von den drei Namen eines Bürgers, spezifisch der auf die gens bezügliche «nomen» hieß. Aber daß die griechischen Patronymika die gleiche Bedeutung wie der römische Gentilname hatten, ist eine eigenmächtige Folgerung Vicos.  ¶  Publius Decius Mus {Liv. X, 7; LexdAW unter Decimus} (der «Volkstribun», auf den bei Vico angespielt wird) bemerkte in der Polemik mit Appius Claudius (Livius X, 8), daß die Patrizier für sich beanspruchten, die einzigen zu sein, die «ciere patrem» (ohne das von Vico hinzugefügte «nomen») konnten, um so zu beweisen, daß sie Freigeborene («ingenui») seien.  ¶  Mit dem Zusatz, daß die Patronymika aus den griechischen demokratische Staaten verschwanden und allein dank der Herakliden in der «aristokratischen Republik» Sparta erhalten blieben (§ 423), bezieht Vico sich, amplifizierend, auf die von Petau (II, 492-93) aufgestellten genealogischen Tafeln der sagenhaften Könige Spartas: «Eurystenes Aristodemi filius, Agis Eurystenis filius» etc.  ¶  Im römischen Recht bedeutet «nomen» statt allgemein «Recht» eher spezifisch «res debita» (Kreditrecht) und auch «Schuldner» (Dig. L, 16, 4 und 6).  ¶  Die aristotelische Ableitung von nomisma aus nomoV wird in der Nicomachischen Ethik V, 5 (8), 11, 1133 a 30) vorgeführt.  ¶  Die Ethymologen, die «numus» von nomoV ableiteten, sind Festus, ad v. nummum, und Voss, Etym. II, 481.  ¶  Die Beziehung zwischen «aloi» und «loi» wurde von ~Bernard Girard Seigneur du Haillan (1535-1610) hervorgehoben, dem Historiographen Karls IX und Heinrichs III, im Traité de l'estat de la France: vgl Ménage, Dictionnaire étymologique, ad. v. aloy.  ¶  Zur folgenden Bemerkung über das Wort «Kanon» vgl. § 489.  ¶  Da es «liquor eorum quae coquuntur» (Forcellini, ad v. ius) bedeutet, kann das «ius culinarium» sicher auch das «Fett der Opfertiere» bezeichnen, aber immer nur allgemein, ohne einen besonderen Bezug auf Jupiter. Welchen Phantastereien jedoch die Etymologen vor Vico sich hingegeben hatten, kann man in dem Etymologicon von Voss I, 374 sehen. Zu dem folgenden Vergleich von «ius forense» mit «Ious» vgl. § 398.  ¶  «Heilsopfer : ostia pacifica» wird von Vico in der Bedeutung von «Tieropfer» verstanden und implizit der Opferung von Kriegsgefangenen entgegengesetzt. Zum hebräischen Brauch, Jahwe nur das Fett, nicht die Haut und den Schwanz des Opfertieres zu weihen, vgl Exodus XXIV, 11-12; Leviticus III, 2-16; VIII, 14-15; IX, 8-20  ¶  Im klassischen römischen Recht waren die «praedia urbana», also die städtischen Grundstücke, «omnia aedificia et loca habitationi vel voluptati destinata»; die ländlichen «omnia loca fructibus colligendis destinata» (Dig., L, 16, 198 und 211; vgl. auch die zitierten Antiquu. Heineckes (II, 1, 18 und II, 3, 1, ed. cit., pp. 237-38 und 245-46); sowie die Elementa iuris civilis secundum ordinem Pandectarum II, 138, in der neapolitanischen Ausgabe 1769 p. 177). Dies vorangeschickt, stützt sich Vico mit der Vermutung, daß «praedium» ursprünglich allein zur Bezeichnung der ländlichen Güter benutzt wurde, auf zwei weitere Konjekturen: {1} daß «praedium» {Beute} von «praeda» abstamme, und {2}, daß die ersten Grundstücke der Welt die ersten Saatfelder gewesen seien, so daß folglich die erste «Bezwingung» der ersteren die Bebauung der letzteren gewesen wäre. Jedoch kann er sich zur Untermauerung der ersten Konjektur nur auf den späten Isidor von Sevilla stützen, Origines XV, 13; und bei der Formulierung der zweiten interpetierte Vico auf seine Art eine andere Stelle desgleichen Isidor: «Mancipium est quicquid manu capi subdique potest» (Origines IV, 4). Vgl. jedenfalls 486 und 1027-28.  ¶  In der juristischen römischen Terminologie gibt es den Ausdruck «terrae manucaptae» nicht, ja nicht einmal {anzi nemmeno} das Adjektiv «manucaptus», das Vico nach dem traditionellen Etymon von «mancipium», «manceps», «manucaptio» und anderen verwandten Wörtern gebildet hatte; siehe außer der erwähnten Stelle bei Isidor noch Festus ad v. mancipium; Dig. I, 5, 4, 3; die Justinianischen Institutionen I, 3, 3; und vgl. auch Voss, Etym. II, 421.  ¶  Der manceps mußte sicherlich der «wegen Immobilien der Staatskasse Verpflichtete» sein, d.h. eine Kaution in Form von Grundstücken geben, da unter den öffentlichen Diensten, die er pachtete, auch die Eintreibung der Steuern war (Festus, ad v. manceps; vgl. auch Sigonio, op. und ed. cit. I, 293). Die Hypothese, daß dieses Wort manceps ursprünglich «Eigentümer an Gütern ex iure quiritium» bedeutete (denn das will Vico sagen, wenn er annimmt, daß es von den sogenannten «terrae manucaptae» herkomme) ist von der späteren Forschung bestätigt worden. Statt «iura praediorum» hießen die Realservitute eher «servitutes praediorum» (Dig. VIII, 1, 1,).  ¶  In den juristischen Quellen wurde «mancipium» statt für Ländereien eher für Sklaven gebraucht (Dig., I, 5, 4, 3; Inst. iustin., I, 3, 3,). Heutige Forschungen jedoch ergeben , daß unter den ursprünglichen Bedeutungen des Wortes sowohl die von «dominium» war, wie auch die von jeder Sache (also auch eines Landbesitzes), die mittels der mancipatio übertragen wurde. Im diesbezüglich angeführten Fragment der XII Tafeln (Godefroi, Fontes tab. VI, und vgl. Probationes p. 100) «bezeichnet «mancipium» aber nicht das «Grundstück», sondern die juristische Formalität, mit der etwas erworben wird, also die mancipatio; und «nexum» nicht den imaginierten symbolischen Knoten, auf den Vico so viel Wert legt (vgl. z.B. § 1228) , sondern den Vertrag per nexum (§ 115).  ¶  Daß «mit derselben Gesinnung der alten Lateiner» die Italiener die Landgüter «poderi» nannten, «weil sie mit Gewalt erworben worden waren», ist natürlich phantasievolle Konjektur. Dennoch kann zur Stützung der These als der Wahrheit entsprechend angenommen werden: daß das ursprüngliche Eigentum an Ländereien eine regelrechte Bekundung von Souveräntität war (s. oben § 387). Ganz abgesehen davon, daß «podere» eine Kontraktion aus «possidere» ist, und daß über die possessiones, d.h. genau über die Grundstücke, Festus ad v. schrieb, daß sie «appellantur agri late patentes publici privatique, quia non mancipatione, sed uso tenebantur et, ut quisque occupabat, colebat», in welcher occupatio Vico, verallgemeinernd, immer einen der Gewalt geschuldeten Besitztitel sah. Vgl. auch § 1028.  ¶  Die «wiedergekehrten Barbaren» {«i barbari ritornati» - H/J : «in den wiedergekehrten barbarischen Zeiten»; vgl Battistini 1583: "Juristen des Mittelalters"}, also in diesem Fall die Schreiber und Notare des Mittelalters, nannten nicht die «Felder mit ihren Grenzen» «presae terrarum»: vielmehr wird «presa», was im mittelalterlichen Latein unter anderem «captura», «comprehensio» bedeutete, in Bezug auf Land/Ländereien [im allgemeinen (?)] angewandt, auch in der Bedeutung von «pars» und «portio» (Ducange, ad v.).  ¶  Auf Spanisch bedeutet «prenda» nicht «kühne», d.h. heroische «Unternehmung», sondern die als Pfand gegebene Sache.  ¶  Um zu begreifen, wie Vico nun von da aus zu den «Geschlechterwappen» kommen, und zwischen dem einen und den anderen eine sowohl ideelle wie etymologische Verbindung finden kann, vergegenwärtige man sich, daß für ihn die Wappen in die Grenzsteine der Felder eingeschnittene Hieroglyphen waren (§§ 483 ff.). Außerdem findet sich ein Vergleich zwischen den Hieroglyphen und dem «Emblemata», d.h. den Geschlechterwappen, schon bei Bacon, De dignitate et augumentis scientiarum VI, 1, und bei Emmanuele Tesauro (?-1675), Cannocchiale aristotelico, ed. Venedig 1670, p. 416.  ¶  Wie von den «Grenzsteinen : termini» der Felder «Terminus» in der Bedeutung von «Wort» herzuleiten sei, wird Vico im § 486 erklären.  ¶  Die phantasievolle Ableitung von «lehren : insegnare» von den Geschlechterwappen («insegne») ist so verstehen, daß, so wie das Wappen eine «bedeutende Sache [Signifikant]» ist, der Lehrende die Bedeutung der Dinge aufzeigt (§ 486).  ¶  Heutzutage gilt nicht nur als gesichert, daß es in Griechenland auch schon vor Homer die alphabetische Schrift gab, sondern es wird sogar angenommen, daß die shmata (Il., VI, 168 sqq.) eine Art von Kryptographie waren; nicht so zu Zeiten Vicos, der in ihnen in jedem Fall eine Art von Hieroglyphen sah, wofür sie übrigens offensichtlich auch von Warburton angesehen wurden. Letzterer führt sogar zur Unterstützung der Herleitung der alphabetischen Schrift von der hieroglyphischen oder gemalten nicht nur grafw an, das zugleich «ich male» und «ich schreibe» bedeutet, sondern auch shmaia und shmata, die gleichzeitig Bilder von natürlichen Dingen und Marken oder künstliche Charaktere bedeuten (Essay I, 44). Auf jeden Fall ist der Name Eurias für den Schwiegervater des Prötus von Vico erfunden worden, der das Adjektiv eureihV, den weiblichen Genitiv von euruV («weit»), mit einem Eigennamen verwechselte. Vgl. schließlich § 1228. (NICOLINI I, 167-170)