§ 582 - N I C O L I N I

Vico sieht die Kapitel III und IV des vorangehenden vierten Abschnitts als Parenthese an. Deshalb knüpft das «Auf diese Weise» an das Kapitel II jenes Abschnitts (§ 553 ff.) an.  ¶  «in die Treue oder die Gewalt oder den Schutz der Heroen aufgenommen - ricevuti in fede o forza o protezione degli eroi»: vgl. § 523.  ¶  Zu den «ersten Genossen  - soci - der Welt»: §§ 258 und 555.  ¶  Zur Autorität des pater über die Erwerbungen der Söhne und Sklaven, § 556.  ¶  Der Sohn wird von Aristoteles, Magna moralia [Große Ethik] I, 34, 1194b 14 tatsächlich «Teil» (meroV) des Vaters genannt: «beseeltes Werkzeug (organon emyucon) ist bei dem griechischen Philosophen, Nikomachische Ethik VIII, 12 (13), 1161 b 3-5, hingegen nur der Sklave für den Herrn (vgl. auch § 1538).  ¶  Zum   profektizischen  Pekulium, § 556.  ¶  In den ersten Zeiten Roms war das Recht des Vaters, den Sohn zu verkaufen, uneingeschränkt, und die Verfügung der Dezemvirn [Zwölftafelgesetz], auf die Vico anspielt, d.h. «Si pater filium ter venum duit, filius a patre liber esto» (Godefroi, Fontes, tab. IV, und vgl. Probationes, pp. 74-75) - also die Verfügung, aus der dann bei der Emanzipation die Formalität der dreifachen mancipatio (Gellius, N.a. V, 9; Ulpian, Fragmenta X, 1, etc.) - war eher restriktiv als konzessiv. Aber andererseits konnte noch im dritten Jahrhundert nach Christus der arme Vater, der nicht in der Lage war, den unmündigen Sohn aufzuziehen, diesen verkaufen (Paulus, Rec. sent. V, 1, 1).  ¶  Daß im alten Gallien vor der römischen Eroberung das Familienhaupt das Recht über Leben und Tod gegenüber Frau und Söhnen hatte, wird von Cäsar, B.g. VI, 19 bezeugt und mehrfach von den juristischen Schriftstellern des siebzehnten-achtzehnten Jahrhunderts wiederholt. Deren Mehrheit behauptete allerdings im Gegensatz zu Vicos Annahme, daß dem alten germanischen [Vico:Kelten] Recht die Befugnis, die Söhne zu verkaufen, unbekannt war. Vgl. z.B. Christian Thomasius (1655-1728), De usu iuris paterni romanorum secundum mores Germaniae et ius borussicum revisum, in Dissertationes academicae, ed. Halle 1773, I, 876, sowie Heinecke, Elementa iuris germanici (1737), ed. Napoli 1770 I, 51.  ¶  Zu der Sitte der Moskowiter und Tartaren war die direkte oder indirekte Quelle Vicos der Diplomat und Historiker ~Sigismund Baron von Herberstein aus ~Wippach{Sigismondo libero barone di Herberstein da Wippach} (1486-1566), der in den Rerum moscivitarum commentaria (Basel 1551) auf Seite 49 erzählt, daß in Rußland, wo er Botschafter gewesen war, «si pater filium, ut mos est, venditit, et is quocumque tandem modo liber factum est aut manumissus fuerit, pater hunc rursus atque iterum, iure patriae potestatis, vendere potest», und erst «post quartam venditionem nil iuris amplius in filium habet». Daß aber diese Sitte von den Europäern auch «in Westindien wiedergefunden wurde», sagen weder Acosta noch die anderen üblichen Quellen Vicos über die amerikanischen Sitten.  ¶  Daß «nulli sunt homines, qui talem in liberos habeant potestatem, qualem nos (romani) habemus» ist eine Behauptung der Kompilatoren der justinianischen Institutuiones (I, 9, 2). Ihre «offenkundige Falschheit  - aperta falsità» [H/J: «Diese falsche Behauptung»] ist jedoch mindestens vom sechzehnten Jahrhundert an gerade von jenen «Wissenschaftlern - dottori -B/F: scholars - W(440) : Doktoren», d.h. Historikern und ~Theoretikern{trattatisti} des römischen Rechts erkannt worden, denen Vico vorwirft, diese Stelle allzu wörtlich genommen zu haben. Z.B. hatte Barnabé{Batt §979} Brisson, De regio persarum principatu, ed. cit., p. 198, mit Hinweis auf die entsprechende Aussage von Aristoteles, Nicomachische Ethik VIII, 10 (12), 4, 1160 b 26 sqq., die väterliche Gewalt in Persien als tyrannisch bezeichnet, da dort die Väter wie in Rom ihre Söhne «uti servi» behandelten. Und Denis Godefroy hatte in seinem Kommentar zu der eben transkribierten Stelle (Corpus iuris civilis, ~Neuausgabe, cit. I, 117, nota 7) sogar bemerkt, daß das Recht der väterlichen Gewalt, statt den Römern eigentümlich, und somit deren Zivilrecht zu sein, «gentium proprium fuit», da es sich bei den Persern, Ägyptern, Hebräern, Griechen, Galliern «et hodie apud moscovitas» finde. Was die folgende, ganz Vico eigene Hypothese angeht, daß die «Juristen - giureconsulti», denen die Kompilatoren der justinianischen Institiones die obengenannte Stelle entnahmen, einen Vergleich zwischen dem römischen Volk und - nicht etwa allen anderen Völkern, sondern nur - den von Rom eroberten ziehen wollten, so steht fest, daß die Stelle der Instituiones des Gaius (I, 55), als deren ungenaue Zusammenfassung sich an die siebzig Jahre nach Vicos Tod die justinianische Fassung herausgestellt hat, besagt, daß fast («fere») kein anderes Volk, bis auf die Galater, ein der römischen patria potestas analoges Institut hatte. Jedenfalls will die These Vicos (zu ihrem richtigen Verständnis sollten sowohl die §§ 1360-62 wie die Scienza nuova prima III, 32, in Opp. III, §§ 350 ff. herangezogen werden) zu verstehen geben, daß alle von Rom eroberten Völker kraft ihres heroischen Rechts (§ 575) patria potestas, sui haeredes, agnationes, iustae nuptiae, Testamente, dominium ex iure quiritum usw, also das gesamte alte ius civile der Römer hatten, und es erst aufgrund ihrer Unterwerfung verloren, wobei ihnen nur die rein «natürliche» oder moralische[?] {kantianisiert Nicolini} (nicht juristische) Autorität über die Söhne, sowie die cognationes, die bonorum possessiones usw, das heißt also allein die Rechte blieben, die in den ersten Zeiten Roms den Plebejern zugestanden hatten(§ 110).  ¶  Mit den «Schuldverhältnissen - obbligazioni» de iure naturali gentium meint Vico diejenigen bonae fidei oder ex jure gentium: vgl. § 575, der auch zum dem irrtümlichen Verweis auf Ulpian heranzuziehen ist.  ¶  Vgl. schließlich § 1260. (NICOLINI I, 249-252)

ZUSATZ: «Aber daß diese Sitte von den Europäern auch in den Westindien gefunden worden sei, wird weder von Acosta noch in den anderen gewohnten Quellen Vicos über die amerikanischen Sitten gesagt» : Sergio Landucci, I filosofi e i selvaggi 1580-1780 (Bari: Laterza 1972) führt auf S.282 das Kapitel De patria potestat aus Bodins De republica (1601) als (mögliche) Quelle an.{10.08.98}