§ 808 - N I C O L I N I
Zum Ursprung der Poesie und der poetischen Charaktere § 376 ff.
¶ «unserer gegenwärtigen menschlichen Sitten»: derjenigen menschlicher und zivilisierter Zeiten
{d itempi umani e civili} (§ 921).
¶ Die Bezeichnung /Abqualifizierung
{la qualifica} «dimidiatus Menander»
{«halber Menander»- «Menandro dimezzato»}, die immer und so zu Unrecht auf Terenz gelastet hatte
{pesata sempre...} , wird in der Sueton zugeschriebenen
{!?, vgl. BATT} Vita des Dichters (Kap. 5, Ende
{in fine} ) Caesar zugeschrieben
{vgl. Kommentar BATTISTINI}. Aber heute gilt als sicher, daß die Verse, lin denen sie enthalten ist, von Cicero gechrieben wurden. Als ein impliziter Protest gegen diese Bezeichnung /Abqualifizierung kann ein ~diffuses
{diffuso} und enthusiastisches Urteil über den lateinischen Komödiendichter
{comica} gewertet werden, das Vico ein einer unveröffentlichten Schulschrift vorbringt
{esibisce} , in der er unter anderem bemerkt, daß Terenz «die Dinge mit solcher Ordnung und solchem Licht darstellt und sie mit so anschaulichen Worten und so angemessenen Gefühlen /Gesinnungen /Ansichten
{sentimenti} ausdrückt, daß sie alle, statt Gegenstände einer szenischen Fiktion zu sein, wirklich stattzufinden scheinen»; daß «er nicht nur die Zuschauer unterhält ohne sie zu langweilen, sondern sie in solchem Maße fesselt und entzündet
{li incatena e accende} , daß sie mit höchster Begier die Entwicklung der Handlung verfolgen»; daß er in seinen Komödien «viele leuchtende Beispiele der [all]gemeinen Sitten anführen» wollte, «um so dem Zuschauer sich eine Art Kriterium zu den menschlichen Dingen bilden zu lassen /// um sie so dem Zuschauer als ein Maßstab in den menschlichen Dingen anzubilden /// (so daß sie dem Zuschauer Maßstab in menschlichen Dingen sein können»
{in guisa da far formare allo spettatore come un criterio intorno alle cose umane} ; daß es «auf der Welt nichts Eleganteres und [stilistlisch] Ausgeglicheneres /Ausgewogeneres /// nichts Angemesseneres
{nulla di più elegante e di più aggiustato} gibt» als seine Komödien: Werke eines Mannes, der «an [sittlichem]Ernst // an Erhabenheit und Kunst[fertigkeit]
{1. sittlich oder rhetorisch; 2. ästhetisch-stilistisch-dichterisch} {per gravità e arte} alle lateinischen Komödienschriftsteller überragt», usw. usw.
¶ «erfundener Menschen» : «
di uomini d´idea »: Typen, poetische Charaktere, mythische Personen
{( Comm. Batt.}.
¶ Daß in den aristophanischen
Wolken ~~~Anitos, Melitos und Liconos ihre Anklagepunkte gegen Sokrates zusammengefischt hätten, und die Richter, die ihn verurteilten, die Gründe für ihr Urteil
{i motivi della loro sentenza} , war
communis opinio nicht im siebzehnten-achtzehnten Jahrhundert, sondern auch noch in von uns nicht zu entfernten Jahren. Dennoch war auch zu Zeiten Vicos sicher nicht unbekannt, daß zwischen der Aufführung
{rappresentazione} dieser Komödie (424 v. Chr.) und dem Prozess gegen den Philosophen (399) nicht weniger als fünfundzwanzig Jahre lagen, und das im ~~Gastmahl des Agathon
{nel convito di Agatone} , von dem man annimmt, daß es 416 gefeiert wurde, also acht Jahre nach dieser Aufführung, Plato Sokrates und Aristophanes als gute Freunde in herzlicher Unterhaltung zeigt.
¶ Zum Verderben der Mythen §§ 80-81 und vgl. 814; zu den drei Zeitaltern der heroischen Poeten 905; zu
muJoV in der Bedeutung von «vera narratio», 401. (NICOLINI II, 25/26)