§ 906 - N I C O L I N I

Vico verschmilzt in eine prähomerische Person (vgl. § 908) den mythischen Amphion und den sehr viel späteren {LEXNAMEN.RTF ->} Arion von Methymna (7.-6. Jhdt. v. Chr), der schon zur Zeit Vicos als lyrischer Dichter erwähnt wurde {era ricordato quale..} und als jener, der als «Erfinder des ~tragischen Modus» in Korinth den kyklischen {kl. Pauly}oder dithyrambischen Chor {il coro circolare o ditirambico} eingerichtet und die in Versen sprechenden Satyren {i satiri a parlare in verso} eingeführt habe. S. Herodot I, 23; {#}Suidas {kl. Pauly: die Suda}, ad nomen, und vgl. zu den Debatten des sechzehnten Jahrhunderts über den Ursprung des Dithyrambos Scaliger, Poetica I, 46, pp. 123-24; Hofmann II, 86-87.  ¶  Daß die ursprüngliche Tragödie in einem allein vom Chor gesungenen und getanzten Hymnus bestanden habe, war schon communis opinio zu Zeiten Vicos, und schon vor ihm hatte man sich dabei auf {LEXNAMEN.RTF ->} Diogenes Laertios berufen. Es wurde jedoch hinzugefügt, daß der Chor, der zuerst zu Ehren Apolls vom prähomerischen {LEXNAMEN.RTF ->} Philammon aus Delphi (§ 901) eingeführt worden, sich dann ausdifferenziert habe {si sarebbe distino pois in} in einen tetragonalen oder viereckigen, eine kreisförmigen oder dionysiakischen oder dithyrambischen, welch letzterem ferner {altresì} der kukloV beigesellt wurde , von dem anläßlich des § 856 die Rede war (s. {LEXNAMEN.RTF ->} Saumaise, Pliniae exercitationes, p. 848; und vgl. Hofmann I, 842-43; IV, 485).  ¶  Daß Aischylos auch chrologisch der erste Tragödiendichter gewesen sich, wurde nicht einmal zu Zeiten Vicos behauptet, als sehr wohl die Nachrichten bekannt waren, die überliefert worden waren von Athenaios {von Naukratis; Lex.d.A.W., Anthenaios 3.} I, p. 22; IX, pp. 392 und 529; von {LEXNAMEN.RTF ->} Suidas , ad nomina und von anderen antiken Schriftstellern über {?->} Phrynichos von Athen {Frinico da Atene} {Lex.d.A.W. Phrynichos 2.}, über Pratinas von Phleius {Pratina da Fliunte (sic!)} {Lex.d.A.W.} (behaupteter Erfinder des Satyrspiels {l'asserito inventore del dramma satiresco} ) und über {?->} Choirilos {Cherilo} {Lex.d.A.W. Choirilos(1)}den Tragiker (vgl. z.B. Hofmann III, 737 und 885; I, 839). Aber andererseits hob man die Stelle aus der aristotelischen Poetik hervor (1449 a 15 ff.), die besagt, daß die Einführung eines zweiten Schauspielers, die Verringerung der Bedeutung des Chors und der Vorrang {la prevalenza} des Dialogs {lÒgoj, 1449 a 18} eben {appunto} Aischylos zu verdanken waren, und ebenso zitierte man Quintilian X, 1, 66, der aus Aischylos den Erfinder der eigentlichen Tragödie macht. Vgl. Hofmann IV, 485.  ¶  Pausanias I, 21, 3 zufolge wäre {sarebbe stata messa in circolazione} die Legende, daß dem Aischylos als Knäblein {fanciulletto} , das die Weintrauben zu bewachen hatte, Bacchus erscheinen sei {comparisse} und ihm aufgetragen hätte, Tragödien zu komponieren, von diesem Dichter selbst in Umlauf gesetzt worden. Wahrscheinlich /Möglicherweise {Sembra, per altro, che...} geht diese Legende [auch] auf seinen Ruf als Trunkenbold {ubbriacone} zurück und auf das Gerücht {diceria} , daß er seine Tragödien im Suff komponiert habe (Atheanios {Ateneo} {Lex.d.A.W. Athenaios von Naukratis} X, 9, p. 541 {«p.» weg?, s. Platon/Aristoteles Zählung/Paginierung} ).  ¶  Wie Horaz Ad Pis., 275-77 «von der Satire ausgehend die Tragödie zu behandeln anfängt» in der Bedeutung, daß er vor der eigentlichen Tragödie das Satyrspiel abhandelt, so habe {LEXNAMEN.RTF ->} Thespis «die Satiren auf Karren zur Zeit der Weinlese eingeführt» in der Bedeutung, daß er nach der traditionellen Überlieferung, indem auf seinem Karren als Satyren verkleidete Choreuten gefahren habe, die allerälteste Tragödie vervollkomnet habe, von der man sagte, sie habe sich aus dem Brauch der Winzer der attischen Länder {delle campagne attiche} entwickelt, jedes Jahr mit Chorgesängen und Tänzen zu Ehren von Bacchus das Opfer eines tragoV oder Bocks zu begleiten zum Gedächtnis der Tötung eines solchen Tieres, das die Weinberge /Weinreben {le vigne} verwüstet habe {che avrebbe preso a devastare...} , nachdem der Gott ihren Anbau gelehrt hatte (s. ~Lodovico /~Louis Desprez in seiner Horazausgabe des siebzehnten Jahrhunderts, Neudruck Venedig 1762 pp. 1403-04 und vgl. außerdem {più oltre} § 910.  ¶  Von Euripides sagt Aristoteles, Poetik 13, 1453 a 28, daß er, obwohl er Anlaß zur Kritik gibt wegen der Lösung, die er seinen Dramen/Theaterstücken {ai suoi drammi} gibt , sich doch immer als der tragischte der Dichter erweist. Vgl. auch {altresì} Quintilian I, 10, 68.  ¶  Auch zur Zeit Vicos war bekannt, daß Aristophanes durchaus nicht der Erfinder der sogenannten alten Komödie gewesen war, von der man vielmehr behauptete, daß Susarion {Lex.d.A.W. Susarion}von Megara sie «inchoata», Kratinos sie «exposita» und Aristophanes sie «perfecta» habe. Auch versäumte man nicht {Né si mancava di allegare i passi} , die Stellen anzuführen aus Platon (Theaitetos {Teeteto} , 152 e), Aristoteles (Poetik 3, 1448 a 32; 5, 1449b 6 und 8), aus Horaz (Sat., I, 4, 1; Epist. II, 1, 158), aus Plinius (N.h. VII, 58), von Persius (I, 123), von Diogenes Laertios (VIII, 78), von {LEXNAMEN.RTF ->} Suidas (ad nomina) und aus anderen antiken Schriftsteller über {ff die Namen: LEXNAMEN.RTF ???->}Susarion, Epicharmos, Kratinos, Phormis, Eupolis, Krates usw. S. Scaliger Poetica/Poetik I, 6, pp. 29-40 und vgl. Hofmann I, 944, 1008 und 1009; II, 165 und 205). {Susarione, Epicaromo, Cratino, Formide, Eupoli, Cratete} {s. zu allen Lex.d.A.W.}  ¶  Sicherlich «bereitete» Aristophanes «der Neuen [Komödie] den Weg» (§ 806), da während der vierzig Jahre seiner Theaterpraxis die alte Komödie tiefgreifend verändert wurde (§ 808). Daß aber diese Veränderung {trasformazione} aufgrund der antisokratischen Sticheleien der Wolken geschah (§§ 808 und 911) ist rein vichianische Phantasterei {fantasticheria} . Dunkel bleibt die Überlegung zu Hippokrates (§§ 98 und 857), auch in ihrer Paraphrase im § 914. Jedenfalls gibt es keine Nachricht über jemals festgestellte chronologische Beziehungen zwischen dem Vater der Medizin und der griechischen Tragödie und Lyrik. Letztere ließ man schon zu Zeiten Vicos mit Kallinos {Callino} {Lex.d.A.W.} beginnen, der als «inventor elegiaci carminis» angesehen wurde und zwischen dem achten und siebten Jahrhundert v.Chr. gelebt hatte, was soviel heißt wie etwa dreihundert Jahre vor Aischylos (Hofmann, I, 653).  ¶  Nach der traditionellen Chronologie lebten Sophokles und Euripides jeweils von der LXXIII Olympiade (494-94 v.Chr.) bis 405 und von 480 bis 406: also, streng genommen, nicht «etwas vor», sondern vor und nach dem traditionellen Datum für die XII Tafeln (450 v. Chr.): Auch bleibt unverständlich, warum diese in diesem Zusammenhang erwähnt werden, es sei denn, will sich auf das beziehen, was er im § 910 sagt: daß auch noch nach den XII Tafeln die Plebejer von den Heroen für «Ungeheuer aus zwei Naturen» gehalten werden.  ¶  Die Lyriker, die «ebenfalls später» kamen, dürften /könnten jene sein {dovrebbero essere quelli} , die im § 909 «neue Lyriker» genannt werden, oder, wie hinzugefügt wird, die sogenannten «melischen». Jedoch die hauptsächlichsten unter ihnen - Alkaios, Stesichoros, Sappho, Anakreon, Simonides von Keos, Bachylides und sogar Pindar {Alceo, Sticoro, Saffo, Anacreonte, Simonide da Ceo, Bacchilide e persiono Pindaro} {Lex.d.A.W. .... Backchylides = Neffe des Simonides}- dichteten {poetarono} alle nich nach sondern vor den oben genannten XII Tafeln //dem oben erwähnten Zwölftafelgesetz. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, obowhl es wenig wahrscheinlich ist, daß Vico hier, im Unterscheid zum § 909, Vico auf Kallimachos {Callimaco} {Lex.d.Antike 3. K.}und, ganz allgemein, auf die gelehrte Lyrik der alexandrinischen Zeit anspielen will.  ¶  Die sieben Weisen lebten zwischen und sieben und sechsten Jahrhundert v.Chr. und die traditionelle Chronologie, weit davon entfernt aus Hippokrates einen der Ihren zu machen und ihn in jene Zeit zu setzen, sieht in ihm, genau wie Vico (§§ 98 und 914) einen Zeitgenossen Herodots. (NICOLINI II, 45-47)