§ 960 - N I C O L I N I

Indem er zu {a proposito dei..} den Duellen und Wiedervergeltungen wiederum {Col tornare a ricordare} das Interdikt «Unde vi» und die Klaghandlungen {Ü «azioni» H/J} «De vi bonorum raptorum» und «Quod metus caussa» (§ 638), wollte Vico sicherlich // so gut wie sicher {quasi certamente} sagen, daß mit diesen Verfahrensmittel {con quei mezzi procedurali} «erst spät», und nicht auf Grund des strengen /rigiden ius civile, sondern des so viel menschlicheren ius honorarium oder praetorium {Zeiger zu Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law?} gewisse {qualche} Formen von vis oder privater Gewalt dizipliniert wurden, die noch in den Beziehungen zwischen römischen Bürgern entsprechend der heroischen Sitte herrschten.  ¶  Buchstäblich genommen {A rigore di termini} müßte der Ausdruck «private Wiedervergeltungen» im Gegensatz zu den öffentlichen Wiedervergeltungen /Wiedergutmachungen, die direkt von einem Staat gegenüber {nei riguardi} einem anderem Staat ausgeübt /durchgeführt werden , dem «ius repressaliarum» entsprechen, in der üblichen Bedeutung des Ausdrucks, und also, wie man zu Zeiten Vicos sagte, der von einem Staat einem eigenen Untertanen, der unbefriedigter Gläubiger eines Bürgers eines anderen Staates wäre/war {che fosse creditore..}, gewährten Erlaubnis {facoltà concessa...} , «pignerandi {pigneror: zum Pfand nehmen / sich aneignen, beanspruchen} contra quemlibet de terra debitoris pro iniuriis et damnis» (Grotius, De iure belli et pacis III, 2; Pufendorf, De iure naturali et gentium VIII, 6, 13 ecc; und vgl. Hofmann IV, xl). Aber da im § 1054 gesagt wird, daß im Mittelalter «die heroischen Wiedervergeltungen» wiederkehrten, ist es offensichtlich {ovvio} , daß Vico hier sagen will (egal ob die Behauptung richtig oder unrichtig ist), daß mit der mittelalterlichen Barbarei das oben erwähnte Interdikt und beiden oben erwähnten prätorischen {prätorianischen - milit.?} Klaghandlungen jede Kraft /Wirksamkeit {vigore} verloren, und der heroische Usus /Brauch wiederkehrte {e tronò l´uso erooico} , sich selbst mit Gewalt und absehend von der //ohne Rücksicht auf die Autorität {prescindendo affatto dall´autorità...} des Staates Recht zu schaffen.  ¶  Unklar ist, was mit der hinzugefügten Bemerkung gesagt werden soll, daß die heroischen oder privaten Wiedervergeltungen «bis in die Zeiten des Bartolus», d.h. bis Bartolo da {EncBrit} /di {Nicolini} von Sassoferrato [1313/14{P.Stein} //1314{EncBrit} - 1357] {P.Stein, Röm.Recht u. Europa, 117} 1354 seinen berühmten Tractatus de repressaliis schrieb (man findet ihn {vedilo nel...} im zehnten Band der Consilia, quaestiones et tractatus, Venedig 1552). Wenn nun gesagt sein soll {Se che ...} , daß die Praxis, sich sein Eigentum mittels eines privaten Gewaltaktes wieder anzueignen, etwa um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts verschwand /aufhörte {l´uso... cessò circa ....} , so ist die Behauptung evidentermaßen unrichtig {inessatto} , da trotz des Verbots durch die Gesetze, diese Praxis lange Zeit danach fortgesetzt wurde {qull´uso continuò molto tempo dipoi} . Wenn [aber] gesagt sein soll {Se che...} , daß mit dem Traktat des Bartolus, diese Praxis {esso} zuerste systematisiert und legalisiert wurde durch das Rechtsinstitut der Wiedervergeltung {nell´istituto giuridico della rappresaglia} , ist die Behauptung doppelt unrichtig, sei es, weil der bartolinische Traktat das Werk eines ~Privatrechtlers /eines privaten Rechtsgelehrten ist {è opera di privato giureconsulto} , sei es, weil schon seit Jahrhunderten Verträge, Kapitularien und Statuten versucht hatten, diese Materie/ Sache {la materia} zu disziplinieren und zu legalisieren. Befremdlich ist allerdings {Strano, anzi..} , daß der Neapolitaner Vico offensichtlich das erste bekannte Beispiel eines internationalen Vertrags nicht kannte {mostri d´ignorare} , in dem unter anderem auch das ius repressaliarum zwischen den Bürgern des einen und des anderen vertragschließenden Staates {dell´uno e dell´altro Stato contraente} geregelt wurde, nämlich das ~Kapitular, das am 14 Juli zwischen zwischen Sicardo, Fürst {principe} von Benevento, und Andrea, Herzog {duca} von Neapel stipuliert /abgeschlossen /aufgesetzt wurde {stipulato tra...}. Umso befremdlicher {Tanto più che} , als dieses Kapitular seit 1643 in einem der von den neapolitanischen Gelehrten /Studenten {???} {studiosi} des sechzehnten-siebzehnten Jahrhunders am meisten konsultierten Bücher veröffentlicht war, nämlich im ersten Band (pp. 81 sqq.) der Historia principium longobardorum von Camillo Pellegrini da Capua {P.Stein schreibt S. 115: Cinus da Postoia; so auch EncBrit: Bartolo da Sassoferato; statt, wie ich bis jetzt: NN. aus MM.; besser?; vgl. Ü von Kommentar Nicolini zu § 1246} (1598-1663); vgl. auch Giannone, Ist.civ. VI, 6.3.  ¶  Die Unterscheidung der gerichtlichen Klaghandlungen {delle azioni giudiziarie} in actiones in rem oder vindicationes und actiones in personam oder condictiones ist im römischen Recht eine fundamentale (Ulpian, in Dig. {in Dig.; warum "in"? Weil Gaius etc. nicht Verfasser ist} XLIV, 7, 25; Justinian, Institutiones, IV, 6, 15; und vgl., unter den Verfassern {trattatisti} der Zeit Vicos Heinecke, Antiqq. IV, 6, 31, ed.cit. p. 644, und Elementa iuris civilis secundum ordinem Institutionum, §§ 145-45, p. 253): aber der Vergleich // die Entsprechung // die Analogie {raccostamento: zwischen Vergleich und Identifikation}, ob nun begründet oder phantastisch {ma il raccostamento, fondato o fantasioso che sia, delle...} , der ersten mit den Duellen ///zwischen den ersten und den Duellen (§ 961) {dort «vindiciae <Vindikationen>», nicht «vindicationes»}, der zweiten mit den Wiedervergeltungen ///zwischen den zweiten und den Wiedervergeltungen (vgl. auch § 1029) war noch nie vor Vico gemacht worden. {Kontamination: röm.-jurist. Definitionskunst, regressiv 'zurückgeführt' auf barbarische Verhältisse; Ausgleiten, Abweichen, Ab-Drift}  ¶  Nicht nur {LEXNAMEN.RTF ->} Festus, oder genauer, {LEXNAMEN.RTF ->} Paulus Diaconus schreibt «condicere» die Bedeutung von «dicendo denuntiare», sondern auch in den Justinianischen Institutionen {Nico schreibts italienisch; sinds die?, oder vorher zit. Werktitel eines Rechtsgelehrten?} l.c. wird gesagt, daß «prisca lingua condicere est denuntiare».  ¶  Die Synonymie «Wiedervergeltung-Kondiktion» einmal ~angenommen {Stabilita la sinonimia...} , müßte die hinzugesetzte Parenthese so zu verstehen sein, daß im römischen Recht der paterfamilias, um «von der Wiedervergeltung Gebrauch zu machen», also von irgendeiner actio in personam, gezwungen wäre /angehalten wäre {fosse tenuto} , vorher denjenigen, «der ihm ungerechterweise etwas weggenommen hatte, was ihm gehörte», aufzufordern //zu verwarnen {diffidare} , es ihm zurückzugeben. Aber da es undenkbar ist {inconcepibile} , daß Vico im gegenwärtigen Abschnitt von all dem absieht {prescinde} , was er implizit im § 961 sagen wird, nämlich daß der römische Bürger, um das zurückzubekommen, was ihm ungerechterweise genommen worden war, ursprünglich nicht etwa zu einer actio in personam oder condictio griff {ricorreva originariamente non già ad...} , sondern zur actio in rem schlechthin {..per eccellenza} , will sagen zur reivindicatio, ist es wohl möglich, daß mit den Worten «um dann von der Wiedervergeltung Gebrauch zu machen» Vico nicht mehr //~~nicht etwa {non più} auf die condictiones und auch nicht /// und erst recht nicht {nemmeno} auf das, was bei der alten römischen ~Zivilprozedur ///im alten römischen zivilrechtlichen Verfahren {nell´antica procedura civile romana} die beiden Phasen des Gerichtsverfahrens {giudizio} im eigentlichen Sinne waren (das Verfahren {procedimento} {ROM_LAW.RTF} in iure und das apud iudicem {U.Wesel, Zweiteilung des Verfahren: S. 175 ff) anspielen wollte {intendesse alludere} , sondern direkt auf das, was zu seiner Zeit durch {attraverso} die Fragmente der XII Tafeln und die Postillen der Ausleger über die manus iniectio wußte und im allgemeinen //ganz allgemein {in genere} über das Exekutivverfahren der //bei den zivilrechtlichen Urteile/-n {del procedimento esecutivo delle sentenze civili} . Dies war ein Verfahren, daß ihm umso wahrscheinlicher als eine Art von vis oder private Wiedervergeltung erscheinen konnte, als in dieser nachgerichtlichen Phase {in codesta fase postgiudiziaria} die Autorität des Staates sich ganz heraushielt {si manteneva dell tutto estranea} und dem Gläubiger, falls er den Streit gewonnen hatte, die Befugnis einräumte {lasciando al creditore, se vicitore della lite, la facoltà di rivalersi del suo...} , sich für das Seinige nicht an der Habe, sondern an der Person selbst des Schuldners schadlos zu halten, d.h. sich seiner mit geeigneten Mitteln zu bemächtigen, ihn einzukerkern, und nach Verlauf von sechzig Tagen, ihn als Sklaven zu verkaufen oder ihn zu töten. Natürlich kann auch eine solche Deutung nicht erklären, warum Vico überhaupt das «condicere» mit der Verwarnung /Aufforderung oder «Anzeige - dinonzia» identifiziert {perché mai il V. indenifichi il «condicere» NELLA diffida o «dinonzia» asserita da lui} . Jedenfalls /Immerhin bedenke man, daß a) zu seiner Zeit, d.h. vor der Entdeckung der Institutiones des Gaius {Niebuhr 1816 in Bibliothek der Kathedrale von Verona, P.Stein p. 194; vgl. Momigliano..u.a.}, man nicht wußte, daß für die Obligationen /Verpflichtungen zu einer bestimmten Geldsumme, dann auch für all jene zu einer ebenfalls bestimmten [anderen] Leistung {a una prestazione parimente determinata...} , die lex Silia, die dann durch die lex Calpurnia erweitert wurde, die besondere /spezeille legis actio per condictionen eingerichtet hatte {aveva istituito} , die genau deswegen so genannt wurde, weil der Kläger {l´attore} «condicebat» oder «denuntiabat» dem Beklagten gegenüber, d.h. ihn aufforderte, sich innerhalb von dreißig Tagen vor dem Amtsrichter {intimava al conventuo di presentarsi al magistrato togato} einzufinden «ad iudicem {iudex!} capiendum» {den Richter zu ergreifen?????/ - annehmen /wählen?} (Gaius IV, 18); b) daß eben aufgrund dieses Nichtwissens der von Vico selbst zitierte «Zasio», d.h. der Juriskonsult /Rechtsgelehrte Ulrich Zase aus Konstanz {Udalrico Zase da Costanza} (1461-1535) vermutet hatte, daß «olim», beim Vorbringen /Erheben /Anstrengen irgendeiner condictio {nel promuovere qualunque c.} , «denuntiabatur debitoribus ut solverent» (Opera, Ausgabe Lyon 1550, IV, 118): ein Satz, den Vico extensiv in der Bedeutung auslegen konnte, daß es zurückzugeben verwarnt /aufgefordert würde, wer fremdes Eigentum an sich genommen hätte {che si diffidasse chi avesse tolto l´atrui a restituirlo} ; c) daß «dergleichen Anzeige» {Nico kehrt zum SN-Text zurück}, in welchem Verständnis auch immer {comunque intesa} , so wenig «eine Förmlichkeit der persönlichen Klaghandlungen» war {restò così poco «sollennità dell´azioni personali»} , daß Justinian, l.c., wie schon vorher, und in dengleichen Worten, Gaius ausdrücklich hinzufügte «Nullum enim hoc tempore denuntiatio fit».  ¶  Was «scharfsinnig erkannt wurde» von dem erwähnten Zase mußte der Vergleich /die Analogie {il raccostamento} der //zwischen den mittelalterlichen Wiedervergeltungen (die tatsächlich der Staat, dem der Gläubiger angehörte, seit den Zeiten des oben erwähnten beneventinisch-neapolitanischen Kapitulars dem Staat, dem der insolvente Schulder angehörte, «anzuzeigen» oder zu erklären /anzuordnen pflegte {che...usava... ‹dinonziare› o intimare a quello} und den condictiones des vorgaianischen römischen Rechts. Aber in Wirklichkeit begnügt sich Zase /Zasius, l.c., anläßlich der Numa Pompilius zugeschriebenen Gesetze, und besonderes des ius faecialium, zu bemerken, daß die Wiedervergeltungen //Reprehensalien {warum nicht?}, weit entfernt davon, eine «consuetudo novitia» zu sein, wie es Bartolo behauptet hatte, ihren Ursprung «a vetustissimis romanis legibus» herleiteten {ripetevano la loro origine} . Eine Bemerkung übrigens, die schon von Hoffmann, l.c., hervorgehoben, ja erweitert worden war, welcher zum Beweis, daß die ~Wiedervergeltungen {mir gefällt diese H/J Übersetzung nicht mehr} sogar schon von den homerischen Heroen ausgeübt wurden, jene Stelle der Ilias (XI, 670 sqq.) angeführt hatte, an der Nestor die jugendliche Unternehmung erwähnt, die zum Ziel hatte, mit der ~~fetten Beute an Ernteerträgen {con la grossa preda (predare??) raccolta} die seinem Vater geraubten Ochsen zu kompensieren /ersetzen {di compensare, con la grossa preda raccolta, i buoi rapiti a suo padre} . (NICOLINI II, 65-68)