§ 961 - N I C O L I N I

Zu sagen, daß die Zweikämpfe /Duelle «reale Gerichte» bildeten /enthielten, und deshalb «der Anzeige - dinonzia - nicht bedurften», heißt soviel wie daß sie, im Unterschied zu den ~Wiedervergeltungen (§ 960), eine primitive Form nicht der condictio oder actio in personam, sondern von vindicatio oder actio in rem waren. Was, wenn man berücksichtigt, was danach hinzugesetzt wird, die Vermutung aussprechen heißt, - auch sie wird am Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit größerer Fülle und Präzision der gelehrten Argumente unterstützt werden - , daß vom primitiven gerichtlichen Duell die alte römische Prozedur der reivindicatio (§ 603) herrührte {derivasse} , die in ihren Formalitäten und Symbolen einer richtigen Monomachie {Heyse : ein Alleingefecht, Zweikampf} glich {arieggiante, nelle sue formalità e simboli, una vera e propria monomachia} .  ¶  Der Grund, warum Vico annimmt, daß die primitiven gerichtlichen Zweikämpfe /Duelle «in re praesenti» stattzufinden hatten ist in der Tatsache zu finden, daß in Rom die ursprüngliche Prozedur der legis actio per sacramentum so streng die materielle Präsenz des umstrittenen Gegenstandes verlangte {era così rigida nel richiedere la presenza materiale dell´oggetto disputato} , daß, wenn es sich um immobile Sachen //Immobilien {cose immobili} handelte, es den Präter und den Parteien verpflichtete {faceva obbligo al....} , das Gericht /den Gerichtshof zu verlassen {lasciare il tribunalo} und alle vorgeschriebenen Formalitäten an Ort und Stelle vorzunehmen {sul posto} , und erst in einem zweiten Moment //~~in einer zweiten Phase {historisch?} es gestattete {e soltanto in un secondo momento consentì} , daß die erwähnte materielle Präsenz symbolisch wurde durch die vom Prätor an die Parteien gerichtete Aufforderung, einen Teil der Immobilie selbst vor Gericht zu bringen {mercé dell´invito rivolto dal pretore alle parti di recare in tribunale una parte dell´immobile stesso} : z.B., wie Vico erwähnt {soggiunge} , eine «gleba» oder «Scholle» des strittigen Grundstücks {del fondo controverso} .  ¶  Mit dem, was Vico über die «vindiciae» sagt {soggiunge} , faßt Vico dunkel zusammen {riassume oscuramente quanto} , was man durch Cicero, Pro Mur., 12 und Gellius, N.a., l.c., zu seiner Zeit (nicht viel weniger als heute) über die erwähnte /vorgenannte legis actio per sacramentum wußte. Zu den von Vico ausgelassenen /übergangenen Einzelheiten verweisen wir auf Heinecke, Antiqq., IV, 6, 24, ed.cit., pp. 436-48, um hier, zur Klärung der von ihm hervorgehobenen, nur zu erwähnen /bemerken {ricordare} , daß bei der reivindicatio eines Grundstücks {fondo} , nachdem die vorgängige Formalität, die eben erwähnte Scholle vor Gericht zu bringen {di recare in giudizio la gleba mentovata or ora} , erledigt war {compiuta} , der Kläger, indem er diese mit einer Hand berührte, während er mit der anderen die vindicta oder den Halm ergriff, der die quiris oder militärische Lanze symbolisierte (§ 562), [die Worte] sprach {diceva} «Hunc fundum ex iure quiritium meum esse aio eiusque vindiciae mihi dare postulo», und der Beklagte, indem er dieselben Handlungen vollzog, dieselben Worte wiederholte: wonach beide fingieren mußten, handgemein zu werden («manum conserere»), also eben [sich] zu duellieren {di duellare} , und das heißt {cioè} eine nur symbolische vis oder Gewalt auszuüben, die Gellius nach dem eben erwähnten Halm «festucaria» [oder «stroherne»] nennt.  ¶  Wahrscheinlich ist, daß Vico, wenn er die Meinung derer zurückwies, die behaupteten, «die Zweikämpfe seien aus Mangel an Beweisen eingeführt worden», man also im Mittelalter zur Monomachi nur mangels anderer Beweismitte gegriffen habe, unter anderen auf Christian Thomaisus anspielte, den Vertreter {assertore} der Theorie, daß, so wie im Naturzustand, «ubi nullus iudex adest, cuilibet licet iniuriam sibi illatam secundum arbitrium proprium vindicare belli», so «putarunt veteres, in casu deficienti probationis, reviviscere statum naturalem», usw., usw. (De occasione, conceptione ac intention constitutionis criminalis Carolinae, § 20, in Dissertationes academicae, ed.cit. 454, nota c). Jedenfalls will Vico, wenn er die abweichende /andere Ansicht {nel sostenere il diverso avviso} vertritt, daß der Zweikampf als Gottesurteil «aus Mangel an einem gesetzlichen Rechtsweg» {per difetto di leggi giudiziarie - B/F for lack of judiciary laws} entstanden sei, das Prinzip der staatlichen Nichteinmischung bei den privanten Streitgkeiten {nelle controversie private} während der heroischen Zeit neu bekäftigen {intende riaffermare il principio della nessuna ingerenza dello Stato} {waren die Heroen Vertreter freier Markentfaltung?; und woher kam der Staat, der sich nicht einmischte?} (§§ 959 und 962).  ¶  Tatsächlich scheint heute (aber noch nicht zu Zeiten Vicos) der legendäre Charakter nicht nur des Frotho III zugeschriebenen «Gesetzes über die Duelle» {della «legge sugli abbattimenti» attribuita...} festzustehen, sondern ebenso der Person selbst dieses Herrschers, von dem behauptet wurde, er habe in Dänemark in den ersten Jahren der christlichen Ära geherrscht. Auf jeden Fall war der erste, der bezeugte, daß er «de qualibet controversiam ferro decerni sanxit, speciosius viribus quam verbis configendum existimans», der Grammtiker  Saxo oder Sasso (1204 c. {~~cecidit?}) im fünften Buch der Danorum regum heroumque historiae (die Quelle des Hamlet von Shakespeare), zuerst in Paris 1514 veröffentlicht und dann wieder 1644 in ~Soroe wieder aufgelegt {ristampata} . Aber eher als direkt aus Saxo mußte Vico aus Ducange oder Hofmann, ll. cc. schöpfen {dovette attingere al... o allo...} .  ¶  Daß Vico, ohne überhaupt die Originaltexte zu konsultieren, die ihm bei erster Lektüre gezeigt hätte, wie weit er von der richtigen Spur abgewichen war {quanto egli andasse fuori di carreggiata} , auch zu den in den verschiedenen von ihm zitierten barbarischen Gesetzen enthaltenen Anordnungen über die gerichtlichen Zweikämpfe {sui duelli giudiziari} wieder einmal aus Ducange oder Hofmann schöpfte, geht klar aus der Tatsache hervor, daß er behauptet, wobei er sie mißversteht {fraintendenoli} , daß auch das Edictus langobardorum, die Lex salica ecc. darauf abzielten, zum Vorteil der Zweikämpfe die «gesetzlichen Gerichtsurteile - giudizi leggitimi» mit richtigen gerichtlichen Beweisen {con vere e proprie prove giudiziarie} abzuschaffen: wo doch eine solche Absicht, entsprechend einer irrtümlichen Meinung des XVII und XVIII Jahrhunderts, die auf einer verdorbenen /falschen Deutung {cattiva interpretazione} des Titel XLV der Lex burgundiorum beruhte, mehr oder weniger allein {LEXNAMEN.RTF ->} Gundibald {Gundibaldo} , König der Burgunder, zugeschrieben wurde. Vgl. Heinecke, Elementa iuris germanici, II, 104, ed.cit. I, 384, und allgemein zum Stand der Untersuchungen {studi} zur Zeit Vicos {mentre il Vico scriveva} , Montesquieu, op.cit. XVIII, 17 sqq.  ¶  Aus erster Hand transkribiert ist indes die Stelle von Cujas {Cuiacio} : vgl. De feudis, Buch I, in Opera, ediz. cit. II, 1193.  ¶  Möglich ist, daß Vico in der Rede über die «Reiter - reistri» {nel discorrere dei ..} das französische «reistres» oder «reîtres» italianisierte, seinerseits eine Gallisierung {gallicizzamento} des deutschen «Reiter› oder «Reuter» (»Berittener», «leichter Reiter» {uomo a cavallo, cavalleggero (SANS cavalleggiero)} ) : vgl. Claude {Claudio} Fauchet (1529-1601), De la milice et armes, Buch II, in Ménage, Dictionnaire étymologique, ad v. Ridde. Aber wo Vico hätte lesen können oder glauben können zu lesen, daß diese Reiter «in Deutschland - in Lamagna» «eine Wissenschaft des Zweikampfs» pflegten und «diejenigen, die miteinander zu kämpfen haben, die Wahrheit zu sagen verpflichten», hat bis jetzt nicht herausgefunden werden können.  ¶  Mit dem Zusatz, daß {Nel soggiungere che...} «die Zweikämpfe, wenn man Zeugen zuließe und deshalb Richter sich einschalten müßten, in Strafgerichte oder Zivilgerichte übergingen» will Vico wahrscheinlich nichts anderes sagen, als daß es unter den Riten des alten gerichtlichen Zweikampfes {dell´antico duello giudiziario} , die in den heutigen außergerichtlichen Duellen sich erhalten haben {restati negli odierni duelli non giudiziari} , sich jener findet, daß jeder der Duellanten «solet adducere amicum vel arbitrum, einen Secundanten, qui et caveat ne alter contra leges gladiatorias agat, armis illicitis utatur insidiisve potius quam vi aperta utatur» (Heinecke, Elementa iuris germanici III, 6, 264, ed.cit. II, 625). (NICOLINI II, 68-70)