§ 991 - N I C O L I N I

«Um nun auf die römischen heroischen Erbfolgen zurückzukommen» : auf die legitimen, in den XII Tafeln kodifizierten (§ 988).  ¶  Tatsächlich /Eigentlich {veramente} glaubte die communis opinio zu Zeiten Vicos, gestützt besonders auf Ulpian, Fragm. XXXVI, 6, auf Paulus, Rec.sent. {hier p. 90: Receptae Sententiae} IV, 8, 10 und 22 und auf Justinian, Inst. III, 2, 3, daß keine Erbunfähigkeit von den XII Tafeln hinsichtlich der Frauen sanktioniert wurde. {fosse sancita dalle XII Tavole nei riguardi delle donne} ; daß erst mit der lex Voconia (§ 987) von der rechtlichen Erbschaft nicht die Töchter, sondern die weiblichen Agnaten {agnate} bis auf die Schwestern ausgeschlossen wurden; und daß diese und andere gegen die Frauen von eben diesem Gesetz eingeführte Erbunfähigkeiten {incapacità successorie} immer mehr abgeschwächt wurden, zuerst von den Prätoren und dann von den Kaisern (vgl. z.B. Cod. Iust. VI, 55, 9), bis Justinian die letzten Spuren davon mit der Novelle 117 beseitigte (Heinecke, Antiqq. II, 20, 17; III, 14 und 9; III, 2, 24, pp. 304, 314-16, 318). Dennoch ist die Vermutung Vicos, daß «in den alten römischen Zeiten» nicht einmal die Töchter erbfähig waren {non avessero capacità a succedere neppure le figliuole} , außer daß sie völlig übereinstimmt mit der ihm so teuren Auffassung {concezione} der primlitiven hereditas als Vererbung {trasmissione} nicht nur von bona, sondern auch und vor allem von monarchischer Souveränität in der Familie {di sovranità o monarcato (ZING = monarchia) familiare} (vgl. p.e. § 513), auch in ihrer exzessiven Form die starken Zweifel der modernen Forschung vorwegnimmt {precorre} , um im antiken römischen Erbrecht die beiden Geschlechter auch de facto gleichgestellt waren {fossero equiparati anche nel fatto} .  ¶  Da im Falle des Fehlens von «sui heredes» die XII Tafeln //das Zwölftafelgesetz zur gesetzlichen Erbschaft /Erbfolge {chiamavano alle eredità legittime} die Agnaten ohne Einschränkung des Verwandschaftsgrades (§ 988) beriefen, ist klar, daß Vico jene Stelle der Justinianischen Institutuionen (III, 5, 5) falsch verstand, an der, nachdem von der agnatischen Erbfolge die Rede ist, hinzugefügt wird, aber hinsichtlich der von den Prätoren den Kognaten gewährten bonorum possessio {zum ius civile alternative Erbschaftsregelung durch die Prätoren; Milderung strenger Successionsregeln; vgl. Berger Bonorum possessio intestati (ab intestato)} : «Proximitatis vero nomine, iis solis praetor promittit bonorum possessionem, qui usque ad sextum gradum cognationis sunt, et ex septimo, a sobrino sobrinaque {Geschwisterkind (Vetter,Kusine)} nati nataeve».  ¶  Daß die XII Tafeln die emanzipierten Söhne von der gesetzlichen Erbfolge ausschloß, las Vico ebenfalls {del pari} bei Justinian, Inst. III, 1, 9.  ¶  Eigentlich «"spondere" ponebatur pro "dicere". ... Sed postea usurpari coeptum est etiam in promissionibus alterius» (Festo, ad v. und vgl. oben § 570).  ¶  Zur Ableitung von «sponsalia» aus «spondeo», Ulpian, in Dig. XXIII, 1,2.  ¶  «fremde Sprößlinge - strani allievi»: «strani - Seltsame /Eigenartige» ist gleichbedeutend mit «estrani - Fremde», «appartenenti ad altro sangue - anderen Geblütes». «Sprößlinge - allievi» bedeutet «Söhne /Kinder - figliuoli», aber nur «wenn man von Tieren spricht - parlando di bestie» (Vocabolario della Crusca, ed.cit. ad v.): deshalb ist anzunehmen {onde è da supporre, che} , daß der Latinist reinsten Wasser {il latinissimo Vico} Vico eher [Folgendes] erinnerte: «"alumnus"* proprie is dicitur qui, liber natus, a parentibus suis abiectus ferisque et avibus expositus, praetereuntibus sublatus educatusque fuerit» (Forcellini, ad v.) . Und was schließlich das «zeugungsfähig - generosi» angeht, vergesse man nicht, daß «generosus»** nicht nur «nobili ac praeclaro genere ortus», sondern ebenso «ferax, fecundus, quasi multum generans» (Forcellini, ad. v.) bedeutet. Und obwohl Beweise mangeln {manchino!} , daß man bei den alten römischen Adptionen besondere Aufmerksamkeit den Zeugunsfähigkeiten {alle facoltà prolifiche} der Adoptierten widmete, so steht doch fest {sta in fatto} , daß zu allen Zeiten vornehmlichstes Ziel der Adoption, vor allem wenn sie von Herrschern {sovrani} vorgenommen wurde (als welche Vico die ~primitiven patres ansieht), es gewesen war und ist {è stato ed à d´...} , wem sie fehlt, Nachkommenschaft zu sichern {a che ne è privo}.  ¶  Daß im alten {antico} römischen Recht die Emanzipation[en] als «Züchtungen und Strafen» angesehen wurden, ist eine Hypothese ohne Stütze in den Quellen. Aber Züchtigung und Strafe konnte sie tatsächlich sehr wohl in dem Sinne werden, daß der emanzipierte Sohn, da er die Qualität als suus heres verlor, nicht, wie Vico eben {or ora} gesagt hat, zur Erbfolge ohne Testament des Vaters //zur untestierten Erbfolge des Vaters zugelassen wurde /// für die ... nicht in Frage kam {non concorreva ... alla successione intestata del padre} .  ¶  Die Legitimationen per subsequens matrimonium wurd im römischen Recht erst von Konstantin eingeführt (Cod. Iust.,V, 27, 5).  ¶  Hinsichtlich der Behauptung, daß es die Konkubinate (zu ihnen vgl. schon §§ 336 und 579) «nur mit freigelassenen und fremden Frauen gab» erinnere man {si ricordi che} , daß in Rom die lex Iulia et Paia Poppaea das Konkubinat gesetzlich anerkannte {riconobbe legalmente} . Übrigens konnte ein römischer Bürger als Konkubine nicht nur eine Freigelassene und/oder {e} eine Fremde, oder genauer, eine Frau «ex ea provincia in qua quis aliquid administrat» (Paulus, in Dig. XXV, 7, 5), sondern ebenso die Freigeborene {ingenua} «quae obscuro loco nata est vel quaestum {Erwerb, Gewerbe, auch Huren-} corpore fecit» {Vico treibt Nicol. wieder ins Promiske (s. Giovinezza..)} (Marcianus {der oström. Kaiser? kl.Pauly: Finanzverwaltung - Nov.Marc.2.3. Cod.Iust. 2,7,10.12,2,1 f.)} , h. t. {?} , 3). Vgl. Heinecke, Antiqq. Appendix, I, 38-43, pp. 169-72 und, ausführlicher, Commentarium ad legem Iuliam et Papiam Poppaeam II, 4, ed.cit. pp. 131,-40.  ¶  «mit denen [den Fremden] in den heroischen Zeiten die Ehen nicht feierlich geschlossen wurden»: vgl §§ 526, 659 und 802.  ¶  Richtig {Esatto} ist, daß im alten römischen Recht ein Testament zu annullieren viel leichter war als im klassischen und im justinianischen. Das aber auf Grund des streng formalistischen Charakters des alten ius civile, und nicht, weil es mit allen Mitteln die legitimen Erbfolgen begünstigen wollte. Im Gegenteil fürchtete der den alten Gebräuchen ergebene römische Bürger nichts {nulla spaventava tanto il cittadino romano ligio alle vecchie usanze} so sehr wie ohne Testament zu sterben {intestato} (vgl. z.B. was Plutarch , Cato 9, diesbezüglich von dem schrecklichen Zensor erzählt). Wahr ist [allerdings] auch, daß dies zu Zeiten Vicos nicht nicht ins rechte Licht gerückt worden war {in sufficiente rilievo} .  ¶  «die alle Eigentümlichkeiten sind, die zum Heroismus der ersten Völker passen: vgl. §§ 670 ff. (NICOLINI II, 86-88)

ZUSATZ: *alumnus: 1. Pflegesohn, -kind, Zögling; 2. (dcht) parvi: Jungvieh; sg. alienus: Pfropfreis v. einem anderen Baume; 3. (fig) a) Sohn, Sprößling; b) Jünger, Schüler - NB 'Adoption /Assimilation' von Plebejern über 'Ausnahmen' in Gesetzen. (LANGENSCHEIDT)
** generosus: H/J und B/F haben vielleicht den hier folgenden Kommentar Nicolinis absorbiert; vgl. dagegen Weber und Auerbach in § 991 - ÜBERSETZUNGEN