§ 992 - N I C O L I N I

Vgl. § 1367.  ¶  Zu Zeiten Vicos war der Ursprung des römischen Testaments noch mehr als heute eine heftigst umstrittene Frage {questione dibattutissima} , und zwar nicht nur unter den Romanisten, sondern auch unter den Jusnaturalisten. Letztere verbanden diese Frage mit der anderen, ob oder ob nicht die Erbfolge, und besonders die testamentarische, mit dem Naturrecht übereinstimme {fosse conforme} . Siehe unter den höchst zahlreichen ersteren ~Desiderio {Desiderio} Hérault, Rerum et quaestionum quotidinararum tractatus, cap. XXII, §§ 4 und 9 (ed. Paris 1650, pp. 143 und 144) und Ulrich Huber {Hüber} (zu ihm vgl. Vico, Opp. V, Namensindex), Digressiones istutinianeae, quibus varia et praesertim humaniora iuris continentur, ed. ~Franeker {ed. Franeker (Ort!)} , 1671, pp. 671 sqq. : unter den letzeren Grotius, passim, bes. II, 7; Pufendorf, passim, bes. IV, 2 und 10; und vor allem Christian Thomasius, der, außer daß er das Thema in anderen seiner Schriften flüchtig berührt {oltre che toccare di volo l´argomento} , ihm ganze drei seiner Dissertationes widmete: De origine successionis testamentariae, schon zitiert anläßlich des § 987 (ed.cit. II, 984-1005); Prima initia successionis testamentariae apud romanos (II, 1033-48); De sensu legis decemviralis testamentariae (III, 1-244). Vgl. außerdem zu einer //als eine zusammenfassende Darstellung {per un´esposizione irassuntiva} Heinecke, Antiqq. II, 10, 1-2, ed. cit., pp. 278-79.  ¶  Daß vor den XII Tafeln auch die gesetzlichen Erbfolgen den Römern ganz und gar unbekannt warren und daß bis dahin {sino allora} die Habe {beni} eines Verstorbenen res nullius wurden bzw. {ossia} deswegen vom erstbesten ~Besetzer /~Okkupanten angeeignet werden konnten {acquisibili dal primo occupante} , ist niemals von jemandem behauptet worden: im Gegenteil waren sich die oben erwähnten Romanisten und Jusnaturalisten in dem Glauben einig, daß die gesetzlichen Erbfolgen, welche letztere dem Naturrecht für konformer oder weniger von ihm abweichend /verschieden hielten {o meno difformi da questo} , auch in Form den testamentarischen lange vorhergingen. Was dann das Testament angeht, so waren die meisten der Meinung, daß es den Römern gänzlich unbekannt war bis zu den XII Tafeln, welche, als sie es einführten, sich an dem ~~Gesetz über die Testamente {alla legge testamentaria} von Solon inspiriert hätten (Plutarch, Solon, 21, 3-2). Andere indes betonten, daß Plutarch im § 17 des Leben des Coriolan vom Testament in procinctu {LANG Soldatentestament vor Schlacht; Berger, Testamentum in procinctu} als von einer schon zu Lebzeiten Zeit seines Helden, also nach der traditionellen Chronologie vor dem Kodex der Dezemvirn {so Wahrig} existierenden Institution redet {Ü frei}. Andere wiederum {ancora} ließen genau wie heute sowohl das Testament in procinctu wie das calatis comitiis {Vor vom höchsten Pontifen einberufener Volksversammlung von röm. civis erklärtes Textament - s. auch Berger: Comitia calata & Testamentum calatis comitiis} auf die Königszeit zurückgehen {risalire} , wobei sie untereinander nur das Detail {sul particolare} diskutierten, ob das zweite von Servius Tullius oder direkt von Romulus eingeführt worden war /wäre {fosse stato introdutto} . Andere schließlich (und unter ihnen Thomasius), äußerten, obwohl sie dieser letzten Meinung anhingen, den Vorbehalt {formolavana la riserva} , daß das Testament calatis comitiis, von dem sie vermuteten, daß es ursprünglich beschränkt gewesen sei allein auf die Enterbung der [erb]unwürdigen Söhne {dei figli indegni}, viel eher mit der gesetzlichen Erbfolge zu vergleichen sei als mit der testamentarischen, insofern es nicht etwa den Willen des Testators, sondern ein imperatives Geheiß /Mandat /Kommando {un comando imperativo} des Gesetzes, von ihm manchmal ~provoziert /ausgelöst, aber viele andere Male ihm aufgenötigt /aufgezwungen, ausdrückte.  ¶  Es läßt sich nicht mit Sicherheit sagen {Non si può asserire con sicurezza} , ob Vico mit der Behauptung, die Testamente seien den heroischen Gesellschaften unbekannt und «den demokratischen Republiken und noch viel mehr den Monarchien eigentümlich», hierauf gegründet {su codesto fondamento} zu der Schlußfolgerung gelangen wollte, daß die testamentarische Erbfolge zuerst ~~nicht etwa {nemmeno} mit den XII Tafeln eingeführt worden wäre, sondern erst {ma adirittura quando...} als der römische Staat //die römische Staatsform/ Republik //der römische Staat aus einer aristokratischen oder heroischen zu einer demokratischen wurde {da... si fece democratica} , das heißt [also] {ossia} nach den leges Publiciae (§ 104). Jedenfalls würde eine solche These, so unhaltbar sie historisch wäre, in voller Übereinstimmung mit der allgemeinen Theorie Vicos vom polygenetischen Charakter der XII Tafeln (§ 1452) stehen, von denen auf diese Weise die lex testamentaria dann einer der späteren Zusätze wäre //sich erweisen würde {verebbe a essere una delle accessioni posterioi} .  ¶  Daß das Testament nicht nur den Germanen (§ 985), sondern allen alten /antiken Nationen /Völkern {nazioni - Völker: Ü H/J; nations: Ü B/F} bis auf die Römer, denen es eine «ambitio inanis» und die «avaritia» eingeflößt /eingeblasen {suggerita} hätte, unbekannt gewesen wäre /war {fosse sconosciuto} , hatte schon Thomasius energisch unterstrichen {già sostenuto vigorosamente dal T.}, der in seiner Feindschaft /Abneigung /Gegnerschaft gegen die testamenti factio schrieb {così avverso alla testamenti factio da scrivere essa «non...»}, daß diese «non solum parum utilitatis adferre reipublicae, sed et eidem esse valde noxiam» (Dissertationes II, 1000-1003). Das genaue Gegenteil von Vico [also] {Proprio il contrario del Vico} , der, obwohl es für ein ein Institut späterer Zeiten hielt, das Testament ebenso wie die legitimen Erbfolgen von der Vorsehung gewollt glaubte.  ¶  Zum Hinweis auf die lex Salica, § 988. (NICOLINI II, 88/89)