§ 1042 - N I C O L I N I

Zur aristotelischen Definnition des Gesetzes vgl. Politik III, 16, 1287 a 32. «was soviel besagt wie: ein heroischer Wille»: Glosse Vicos, nach der der «Heros» der philosophische Heros ist, von dem im § 1041 die Rede war, und sicherlich nicht der leidenschaftliche der barbarischen Zeiten. In der endgültigen Fassung seines Werkes verkürzt Vico auf die wenigen hier folgenden Sätze alle aus der traditionellen Philosophie gewonnenen ethischen Lehren und Klassifikationen in Bezug auf die Gerechtigkeit, die er in De uno weitläufig entwickelt hatte: ein Beweis dafür, daß sie auch in seinen Augen {und nicht nur Nicolinis} jetzt von geringem Interesse waren.  ¶  «die im Gemüte des Heros ihren Sitze hat - la qual siede nell'animo dell'eroe»: eine weitere Glosse Vico, die sich natürlich immer noch auf den «philosophischen Heros» bezieht.  ¶  Daß die königliche Gerechtigkeit über alle anderen Tugenden gebiete, ist hingegen eine Zusammenfassung aus der Nikomachischen Ethik V, 3, 1129 b 12 sqq.  ¶  Die Formulierung «gesetzliche Gerechtigkeit» ist wahrscheinlich der Etica di Aristotile tradotta in lingua volgare fiorentina e commentata von Bernardo Segni (Florenz 1556) p. 216 und passim entnommen: eine Vico sehr wohl bekannte und von ihm vielleicht gewöhnlich benutzte Übersetzung {versione}, die er in De uno (Opp. II, 186, nota 1) in Verwechslung mit der von uns oben im §  620 angeführten Übersetzung der Politik zitiert (1)  ¶  «der Klugheit gebietet {commandar alla... B/F dictating prudence...; also : die Klugheit gebietet...} im Senat, der Tapferkeit in den Heeren, der Mäßigkeit bei den Festen» : ein Echo (und sicherlich nicht aus erster Hand) aus dem Kapitel 6 von De mundo des Pseudo-Aristoteles, 401 a 13 sqq.  ¶  Aristoteles sagt nicht ausdrücklich, daß die allgemeine Gerechtigkeit der besonderen gebietet; aber nachdem er in den ersten vier Kapiteln des fünften Buches der Nikomachischen Ethik von ersterer gesprochen hat, behandelt er im fünften Kapitel letztere.  ¶  Mit dem «bei der Staatskasse - negli erari» faßt Vico eine Stelle aus dem siebten Kapitel des fünften Buches der oben erwähten Nikomachischen Ethik (1131 b 29 sqq.) zusammen.  ¶  Zur kommutativen {Tauschprinzip} und distributiven Gerechtigkeit (auf die auch Hobbes, De cive III, 6) verweist, und zur arithmetischen und geometrischen Proportion, die von ersterer bzw. letzterer angewandt werden, siehe das dritte und vierte Kapitel des eben erwähnten Werkes von Aristoteles und vgl. die entsprechenden Kommentar von Segni in der zitierten Übersetzung p. 175 sqq. und 229 sqq. Aber mehr als die Nikomachische Ethik war Vico in dieser Frage De iure belli et pacis von Grotius gegenwärtig, oder er hat zumindest die eine mit der anderen Abhandlung kontaminiert. Vgl. auch § 1431, sowie De uno, Kapitel 64 und 70, aus denen hervorgeht, daß diese Einteilung der Gerechtigkeit in distributive oder lenkende [rettrice - De uno: «iustitia rectrix»; Übers. Müller p. 72] und kommunative oder ausgleichende [equatrice - De uno: «iustitia aequatrix», ebd.] für Vico rein abstrakten Wert hat, insofern «iustitia rectrix in aequatrice, in rectrice inest aequatrix» (vgl. auch Opp. II, 69 und 75[74!?]-75).  ¶  Daß Aristoteles auf die geometrische Proportion «durch den Zensus» aufmerksam gemacht wurde, ist natürlich bloße phantasiereiche Vermutung Vicos. Der Zensus wird sodann hier «Basis der demokratischen Republiken» genannt, weil Vico annahm, daß er zu einem solchem in Griechenland zu den höchst menschlichen Zeiten des Philosophen aus Stageiros geworden war. Vgl. § 619 (2).  ¶  Indem Vico fortfährt, daß in den demokratischen oder menschlichen Zeiten der Zensus «die Ehren und Lasten nach der geometrischen Proportion verteilt», will er durchaus nicht, wie man aus seinen Worten schließen könnte, auf eine progressive Tendenz {criterio} bei der Erhebung der Steuern hinweisen: vielmehr will er, indem er von der gänzlich unhistorischen Annahme ausgeht, daß auch in Griechenland zur Zeit des Aristoteles ein ähnlicher Zensus galt wie der, den die Überlieferung dem Servius Tullius zuschreibt und den Vico auf die des Quintus Fabius verlegt (§ 619), nur sagen, daß der Zensus, der den Bürgern umso größerer «Ehren und Ämter» zuteilt und ihnen umso höhere «Lasten» und «Abgaben» auferlegt, je ansehnlicher ihr Vermögen ist, die geometrische Proportion anwendet, wohingegen die kommutative Gerechtigkeit nach arithmetischer Proportion allen Bürgern ohne irgend eine Unterscheidung nach Vermögen gleiche Ehren und Lasten zuteilen würde.  ¶  «zuvor hatte man sich auf keine andere als allein auf die arithmetische (Proportion) verstanden», will sagen, daß die primitiven Menschen, die nur das Gewicht empfanden und noch nicht die Zahlen verstanden, nur eine rein kommutative Gerechtigkeit begreifen konnten: weshalb sie diese mythisch als Asträa mit der Waage darstellten (§§ 65 und 713).  ¶  Zu den Strafen des «duplum» und der Talion in den XII Tafeln, § 1430.  ¶  Zum Hinweis auf Rhadamanthys und auf die «pythagoreische Gerechtigkeit : il giusto pittagorico» vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik V, 8, 1132 b 21 sqq. (Übersetzung Segni p. 240). Dort werden Pythagoras oder genauer die Phythagoräer als Erklärer {definitori}, und nicht als Entdecker des Talion vorgestellt. Jedenfalls will Vico sagen, daß gerade die Tatsache, daß Pythagoras diese Entdeckung zugeschrieben wurde, beweist, daß er nichts anderes als eine mythische Repräsentation der abstrakten Vorstellung eines Völkergründers war (§§  93-95), und daß die Pythagoreaer nichts anderes als eine politische Kaste waren (§§ 427 und 187), da ein «erhabener Philosoph und Mathematiker» sicherlich ganz anderes zu entdecken gewußt hätte: z.B. die distributive Gerechtigkeit nach geometrischer Proportion. (NICOLINI II, 115/16)
1) Trattato dei governi di Aristotile tradotto di greco in lingua volgare (Firenze 1549); Nicolini merkt an der angegebenen Stelle in De uno zur dortigen Anmerkung Vicos «BERNARDIUS SEGNIUS in Ethica Aristotelis» seinerseits an: 1) daß es sich nicht um die Übersetzung der Ethik handle, sondern eben um jenen Trattato dei governi bzw. die Übersetzung der Politik des Aristoteles; 2) daß in diesem Trattato nichts von dem stehe, was Vico in De uno laut ihm, Nicolini, aus ihm zitiert haben soll («nempe censu», vgl. SN44, §620; ). Was dann aber in der von Vico als Quelle angegebenen und von Bernardus Segnius übersetzten Ethica Aristotelis steht, wird von Nicolini nicht gesagt.

2) dort u. sonst: «Basis der Freiheit der Herren»; es ist aber immanente Logik der 'explicatio', (s. § 620 «la guisa che fa vera la tradizione»), nach der dieser Zensus als «Basis der Freiheit der Herren» sich zur «Basis der demokratischen Republiken» (Livus) entfaltet