BEREICH III
ORALITÄT, SCHRIFTKULTUR, BUCHKULTUR, 'NEUE MEDIEN'


Hegels Theorie des Lesens:
G.W.F. HEGEL.
Der Geist des Christentums.
Suhrkamp-Werkausgabe I.

Umberto ECO.
Lector in Fabula.
Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten.
München 1987.

"Ein Text ist nichts anderes als die Strategie, die den Bereich seiner - wenn nicht 'legitimen', so doch legitimierbaren - Interpreationen konstituiert."( 71) Strategie aber = Maschine. Ist es ein "offener" Text, "so wird der Text nunmehr [...] eine Maschine, die perverse Abenteuer erzeugt." (70)

zu S. 7: das Empfangen des Lesers ist Teil des Sendens. Der Leser empfängt eine schon von ihm empfangene Botschaft, liest einen schon gelesenen Text, liest das Senden und Empfangen, das Schreiben und Lesen. Leser und Autor kommunizieren literarische Kommunikation. Partizipation an Kommunikation?

Wenn der Text, wie sich nach und nach zeigen wird, tatsächlich eine träge Maschine ist, welche dem Leser ein hartes Stück Mitarbeit abverlangt, um gewissermaßen die WEISSEN STELLEN, die frei geblieben sind, die Räume des Nicht-Gesagten und des Schon-Gesagten auszufüllen, so ist der Text nichts anderes als eine Präsuppositionsmaschine. (29)

Der Leser ist sozusagen zur Freiheit programmiert. Der Text ist eine Maschine, die nicht nur eine intelligente Maschine ist, sondern die der Lesemaschine ihrerseits Intelligenz zuerkennt. Geht man nämlich nicht von Kreativitätsvorstellungen aus, um sich gegen den Begriff Maschine zu empören, sondern, wie es bei Eco (wo) der Fall zu sein schein, von einem Sender-Empfänger-Modell nach Wienerscher Art, dann ergibt sich eine Polemik in der Richtung, daß gesagt wird: das Wienersche Modell unterstellt der Maschine Intelligenz, in meinem Modell aber unterstellt die Maschine ihrem Benutzer Intelligenz (Kreativität). Das heißt, die Menschgewordene Maschine erlöst den Menschen aus seinem Maschinenstand.

NOTIZ 19:

---> HEGEL, WELTGEIST ALS WELTLESER; OVERREADER. s. Bloom, Clinamen. s. Goody, Homöostase (und die beim Luhmann von Lob der Routine)

---> BUCHSTABENESSEN, BIBLIOPHAGIE, GRAMMATOPHAGIE

Aber die objektiv gemachte Liebe, dies zur Sache gewordene Subjektive kehrt zu seiner Natur wieder zurück, wird im Essen wieder subjektiv. {"Das gemeinschaftliche Nachtessen Jesu und seiner Jünger" (365), Dies ist mein Leib..Blut} Diese RÜCKKEHR kann etwa in dieser Rücksicht mit dem im geschriebenen Worte zum Dinge gewordenen Gedanken vergleichen werden, der aus einem TOTEN, einem Objektive, IM LESEN seine Subjektivität wiedererhält. Die Vergleichung wäre treffender, wenn das geschriebene Wort AUFGELESEN [würde], durch das VERSTEHEN als Ding VERSCHWÄNDE; so wie im Genuß des Brots und Weins von diesen mystischen Objekten nicht bloß die Empfindung erweckt, der Geist lebendig wird, sondern sie selbst als Objekte verschwinden. (Hegel, Geist des Christentums, Werke (Theorie Suhrkamp) 1, 367)

Hegels System überhaupt als Vergeistigung, Verflüssigung einer historischen Bibliothek durch Lesen, der Geist ist bei sich, wenn die Bibliothek durchgelesen ist, und alles aus der Veräußerung zurückgekehrt. Der Geist frißt Bücher um den Bibliothekskörper zu v  e  r  n  i  c  h  t  e  n . Und nun die Melancholie dieses Lesers, der des Allegorikers Benjamin vergleichbar (?)

es entsteht ein Bedauern, dies ist die Empfindung dieser Scheidung, dieses Widerspruchs, wie die Traurigkeit bei der Unvereinbarkeit des leichnams und der Vorstellung der lebendigen Kräfte. Nach dem Nachtmahl der Jünger entstand ein Kummer, wegen des bevorstehenden Verlustes ihres Meisters, aber nach einer echt religiösen Handlung ist die ganze Seele befriedigt; und nach dem Genuß des Abendmahls unter den jetzigen Christen entsteht ein andächtiges Stauenen ohne Heiterkeit, oder mit einer wehmütigen Heiterkeit, denn die geteilte Spannung der Empfindung und der Verstand waren einseitig, die Andacht unvollständig, es war etwas Göttliches versprochen, und es ist im Munde zerronnen. (a.a.O. 369)

Daraus ergibt sich als Eigenart des jüdischen Geistes, daß der Buchstabe nicht verzehrbar ist, die "unübersteigliche Kluft" (a.a.O. 355) bleibt, wie aus Stein

Wenn Liebende vor dem Altar der Göttin der Liebe opfern und das betende Ausströmen ihres Gefühls ihr Gefühl zur höchsten Flamme begeistert, so ist die Göttin selbst in ihre Herzen eingekehrt - aber DAS BILD VON STEIN BLEIBT IMMER VOR IHNEN STEHEN; dagegen im Mahl der Liebe DAS KÖRPERLICHE VERGEHT und nur lebendige Empfindung vorhanden ist. (a.a.O. 368)

Das Buch bleibt aber auch, wenn es vom Geist verzehrt wurde. Es ist im Geist, in der Einheit des Geistes mit dem Objektiven, lebendig geworden, aber ..... sieh als Analogie die Tat des Verbrechers. Sie ist dem nicht-jüdischen Verbrecher (Sünder) nicht mehr äußerlich, im Gegensatz zu dem Verbrecher, bei dem gilt: "ihre Seele kommt nicht in Anschlag, nur ihre Tat" (a.a.O. 353) . Der Sünder aber "ist mehr als eine existierende Sünde, ein Persönlichkeit habendes Verbrechen, er ist Mensch, Verbrechen und Schicksal ist in ihm, er kann wieder zu sich selbst zurückkehren" (a.a.O. 353) oder "seine Tat wird er selber" (a.a.O. 337). Er kehrt also in sich zurück, aber dabei haben

Geist und Körper haben[sich] getrennt, die Tat besteht zwar noch, aber als ein Vergangenes, als ein FRAGMENT, als tote Trümmer; derjenige Teil derselben, der böses Gewissen war, ist verschwunden; und die ERINNERUNG DER TAT IST NICHT MEHR EINE ANSCHAUUNG SEINER SELBST; das Leben hat in der Liebe das Leben wiedergefunden. [...] das Leben entzweite sich mit sich selbst und vereinigte sich wieder. (354)

Es bleiben aber die toten Hülsen, in die es sich entäußert hatte. Der Weltleser (Sprung in Analogie wieder) hinterläßt die Bibliothek, die er 'verinnerlicht' hat, als Schädelstätte des Geistes. Oder wieder vom Verbrechen, das der Verbrecher selbst ist:

das Verbrechen, das aus [dem] Leben kommt, stellt dieses Ganze, aber geteilt dar; und die feindseligen Teile können wieder zum Ganzen zusammengehen. Die Gerechtigkeit ist befriedigt, denn der Verbrecher aht das gleiche Leben, das er verletzt hat, in sich als verletzt gefühlt. Die Stacheln des Gewissens sind stumpf geworden, denn aus der tat ist ihr böser Geist gewichen, es ist nichts Feindseliges mehr im Menschen, und sie bleibt höchstens als ein SEELENLOSES GERIPPE IM BEINHAUSE DER WIRKLICHKEIT, IM GEDÄCHTNISSE LIEGEN. (a.a.O. 346)

Und wie war das noch mal mit dem LESER? Wie ist es mit dem Anfang des Evangelium Johannes?

Nirgend mehr als in Mitteilung des Göttlichen ist es für den Empfangenden notwendig, mit eigenem tiefen Geiste zu fassen; nirgend ist es weniger möglich zu lernen, PASSIV IN SICH AUFZUNEHMEN, weil unmittelbar jedes über Göttliches in Form der REFLEXION Ausgedrückte widersinnig ist und die PASSIVE GEISTLOSE AUFNAHME desselben nicht nur den TIEFEREN GEIST LEER LÄSST, sondern auch den VERSTAND, der es aufnimmt und dem es WIDERSPRUCH ist, darum ZERÜTTET; diese immer objektive Sprache findet daher ALLEIN IM GEISTE DES LESERS SINN UND GEWICHT, und einen so verschiedenen, als verschieden die Beziehung des Lebens und die Entgegensetzung des Lebendigen und des TOTEN zum Bewußtsein gekommen ist. (a.a.O. 373)

GRAMMATOPHAGIE: Der Weltgeist ist ein 'unersättlicher Leser', er stillt seinen 'unstillbaren Lesehunger', aber im "BEINHAUSE DER WIRKLICHKEIT, IM GEDÄCHTNISSE" (Hegel (a.a.O. 347) spuken Gespenster, die ihn wieder heimsuchen, siehe Bastians Heimsuchung durch Buchstaben, siehe Bloom, Rückkehr desen, dem im CLINAMEN ausgewichen wurde, des um der Lebendigkeit (Originalität) willen NICHT ZU WIEDERHOLENDEN (repetition compulsion, Freud) (Tessera?).

"AN DIESEM PUNKT GELANG DIE UNBEGRENZTE SEMIOSE ZUM STILLSTAND" (U. Eco, Lector in Fabula, 54) Eco meints aber anders als Hegel. "Die Theorie des Interpretanten ist keine idealistische" (a.a.O. 54) Zit dort Peirce: "Die logische, wirkliche und LEBENDIGE Schlußfolgerung ist diese GEWOHNHEIT" (Eco a.a.O. 55).

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---> Immer wieder AUSBRUCH AUS DER SEMIOSE, BIBLIOSE.

Goody/Watt: das Homöostatische orale Prinzip:

Die soziale Funktion des Gedächtnisses [M.Halbwachs] - und des VERGESSENS läßt sich daher als die Enstufe dessen auffassen, was man die homöostatische Organisation der kulturellen Tradition in der nichtliteralen Gesellschaft nennen könnte. [...] Prozess sozialer Verdauung und Ausscheidung, den man als ein Analogon zur homöostatischen Organisation des menschlichen Körpers, vaermittels deren er sein Dasein zu erhalten such, auffassen kann." (Literalität in traditional Gesellschaften, 50; s. nächster Titel)

cit. wird J.A.Barnes mit dem "glücklichen Ausdruck" 'S T R U K T U R E L L E  A M N E S I E'.

---> U.Eco, Lector in Fabula, Stillstand der Semiose und ihre Wiedereröffnung. "Die unbegrenzte Semiose beschränkt sich selbst, um überleben zu können, um funktionsfähig zu werden." (a.a.O. 57)

---> nochmal: die E R L Ö S U N G  durch Roman Jakobson, der fleischgewordene Sohn des Turingschen Gottes, der UNIVERSALMASCHINE, der die Frohe Botschaft des Codes verkündet, aber mit menschlicher, fleischlicher Zunge. Gräßlich.

---> die sog. kopernikalischen Revolution als revolutio einer Buchrolle (s. Blumenberg, Lesbarkeit der Welt oder so...), bei der die Rolle vernichtet wird. Turings Büchersatire, Erörterung der Speicherfähigkeit von Büchern als maschinelle Speicher. KRIEG erzwingt Reorganisation des Wissens, der Gedächnisballast muß abgeworfen werden, die KÖRPERLICHEN FORMEN DES GEDÄCHTNISSES MÜSSEN VERNICHTET WERDEN; Turings Gedächtnisloser Rechner und dessen Notizen (Selbstanweisungen).

---> Wiener, Mathem.mein Leben: Lösung mathematischer Symbole mit "Gefühlssymbolen" AN DENEN KEINE ERINNERUNG HAFTET.

---> TURING-MASCHINE, LIEST Beschreibung jeder anderen Maschine. Diese Beschreibungen sind aber die Maschinen selbst, es sind VOLLSTÄNDIGE Beschreibungen, oder aber: VOLLSTÄNDIGE LESUNGEN, d.h. in blabla LESUNGEN DES VOLL DEKONTEXTUALISIERTEN TEXTES DER MASCHINE, der 'Leser' muß sich erinnern, daß die Maschine in jedem Zustand völlig Gedächtnislos ist oder Vergessen, daß ihr in jedem Zustand Erinnerungsreste anhaften.

 

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** Jack GOODY, Ian WATT.
Konsequenzen der Literalität.
In: Jack Goody, Ian Watt (Hgg). Literalität in traditionalen Gesellschaften.
Ffm 1981. S. 45 ff.
Originalausgabe: Literacy in Tradition Societies. Cambridge University Press 1968.

Die meisten anderen Autoren des Bandes interessieren sich weniger für die 'revolutionären' Auswirkungen der Alphabetisierung, sondern für die Hindernisse, die ihr entgegengesetzt sind durch strenge Begrenzung derjenigen, die Zugang zu heilige Büchern haben dürfen. Eingrenzung der magischen Wirkung des Buches und der Macht, die es dem gibt, der die Schrift beherrscht. Begrenzung so durch strenge genealogische Weitergabe des Wissens und der Bücher. Durch langdauernde Einweisung in den Gebrauch.

Diese Oralitätsforschung sieht sich bezogen auf Theorien über das Ende der Schriftäre und hängt dabei eng mit Marshall McLuhan und der Torontoer Schule zusammen. Aber erst McLuhan:

Marshall McLUHAN.
Understanding Media. The Extensions of Man.
New York 1964.

Alles ist Medium (auch Licht, Möbel, Autos !). Das Medium ist die Botschaft. Alles ist Botschaft.

ders.:
Die Gutenberg Galaxis. LWS
Sammlung von interessanten Dokumenten zur Entwicklung von Schrift-, Manuskript und Buchkultur.

Oralität, Alphabetisierung, neue Kommunikationsmedien ff : Eine Mitautorin des Bandes, Kathleen GOUGH, stellt jeweils am Ende ihrer zwei Aufsätze die Intensität des Interesses an den spezifischen Implikationen der Literalität in den Zusammenhang mit ihrem möglichen Verschwinden.

Die partielle Verdrängung der Schrift durch neue Kommunikationsmittel wird die spezifischen Implikationen der Literalität allmählich immer deutlicher werden lassen. (127)

Und:

Schließlich werden wir die Implikationen der Literalität erst dann ganz ermessen können, wenn wir es einmal mit Gesellschaften zu tun haben, wo andere Massenmedien das geschriebene und gedruckte Wort in den Schatten stellen - eine Zukunft, die, sei es zum Guten oder Schlechten, nahe bevorsteht. (McLuhan, 1964) (232)

In ihrem 1963 zuerst veröffentlichten Aufsatz "Konsequenzen der Literalität", im oben angeführten Band S. 45 - 104 abgedruckt, wird zum Schluß versucht andeutungsweise, den "Vergleich zwischen nicht-literalen und literalen Kulturen bis zur Gegenwart fortzuführen" (a.a.O. 97). Dort heißt es:

Alle diese neuen Medien ["vom Buchdruck bis zum Rundfunk, Film und Fernsehen"], so darf man vermuten, gewinnen einen Großteil ihrer Wirksamkeit als Instanzen sozialer Orientierung aus der Tatsache, daß sie nicht die abstrakte und vereinzelnde Qualität des Lesens und Schreibens haben, sondern etwas von der Natur und der Wirkung der direkten persönlichen Interaktion, die in nicht-literalen Kulturen vorherrscht".

Abgesehen von der Einbeziehung des Buchdrucks in diese "neuen Medien" ist die Analogie zu den Behauptungen/Thesen McLuhans nicht von der Hand zu weisen.

1964 war McLuhans "Understanding Media. The Extension of Man" erschienen, 1962 "The Gutenberg Galaxy" mit dem Untertitel "Das Ende des Buchzeitalters". In der Einleitung zu dem o.a. Band verweist Goody darauf, daß er von Watt und ihm verfaßte Aufsatz von den Arbeiten von INNIS und HAVELOCK (näheres in dieser Einleitung S. 10 ff) beeinflußt worden war. Harold INNIS wird dabei neben McLuhan und die "Torontoer Schule"(8) gestellt. Dabei wird "diese Forschungsrichtung"(87) der Zeitschrift "Explorations" der Universität Torto zugeordnet E.A. HAVELOCKS "Preface to Plato" (s. Titel unten ) wird mehrfach herangezogen, aber auch von McLuhan in "Understanding Media" (zumindest Litverz 317). Harold Innis ( The Bias of Communication, 1951 (s. Titel unten); Empire and Communications, 1950: Litverz. Underst. Media 317) wird in der Gutenberg Galaxis von McLuhan als Beleg für die kulturellen Auswirkungen der Alphabetisierung herangezogen. Und McLuhan sagt ganz bescheiden, daß sein Buch "eine erklärende Fußnote" zum Werk Harold Innis ist.

So kann man hier in Umrissen eine Art Forschungslandkarte zusammenbasteln, die eine gewisse Orientierung über Abhängigkeiten und Beeinflussungen ermöglicht, und dabei doch nur das Ziel verfolgt, überhaupt irgendeine Orientierung zu finden nach dem Muster: wohin gehört der, wohin jener. Und sei es auch nur über größere Überlappungen in den Literaturverzeichnungen (a.a.O. Band und Understanding Media. Gut.Galax. hat keins). Und der Literaturwissenschaftler fühlt sich gewissermaßen heimisch in einem auf Literalität ausgerichteten literalen Forschungszweig. Wenn nicht ...

Wenn nicht in dem Aufsatz von Goody und Watt im Zusammenhang mit "oralen Gesellschaften" (51) der Ausdruck "homöostatische Organisation" und im Zusammenhang mit Literalität überhaupt Goody in der Einleitung nicht von einer "Technologie des Intellekts" oder von "Kommunikationstechnologie" (11) (abgesehen von der Rede von "im Gedächtnis gespeichert" (50)) sprechen würde.

Denn es handelt sich ja um Untersuchungen, die sich der Profilierung ihres Interesses durch die Entwicklung neuer Medien bewußt sind, also ihren Gegenstand angesichts der Perspektive seines vermuteten Verschwindens angehen, und, in dem erwähnten Fall, ganz offensichtlich auch bis in die Formulierungen von informationswissenschaftlichen Tendenzen beeinflußt werden. Homöostase und kybernetisch beeinflußte Evolutionsphilosophie.

Die "Gutenberg Galaxis", eine "erklärende Fußnote" zum Werk Harol Innis, will zugleich "eine längere Betrachtung" (13) zu "Doubt an Certainty in Science" J.Z.Young sein, einem Biologen mit Hirninteressen. McLuhan charakterisiert dieses Buch als "a view of the central nervous system as a new model for understanding electric technology" (Und.Med. 318)

Mir war ein anderes Buch von J. Z. Young zugänglich:

J. Z. YOUNG.
A Model of the Brain, Oxford 1964, (1960 der Medizin.Fakultät Birmingham unter dem Titel "Mechanism of Learning and Form Discrimination" vorgelegt - also der künstliche-Intelligenz-Forschung zugehörig )
(zu BEREICH VI )

Dort heißt es lapidar "If wie understood the nervous system we should be able to make one" (308/09) und Young verweist auf diesbezügliche Erfolge, nämlich auf Grey Walter's (1953) "goal-seeking artificial tortoise"(309), auf Ashbys "HOMEOSTAT" (1960) und vor allem auf die Versuche von W.K.Taylor, der mit Mustererkennung von - BUCHSTABEN - warum nicht? - arbeitete. ... Und dann: "The brain is the part of the HOMEOSTAT that chooses from the various possible actions thes most likely to ensure survival under the conditions obdaining" (40) (NB S. 308: Digitale Computer sind keine Modell-Hilfe, wegen "great accuracy and speed in a few channels", vgl auch p. 40, Young, mit eben dem Taylor setzt mehr auf analogie Modelle/Maschinen, als auf digitale, s. S 39 "Some differences beetween brains and digital computers", S. 40 v.Neumann angeführt)

McLuhan zitiert im Vorwort ausführlich aus "Doubt and Certainty in Science" von Young:

Die Wirkung von äußeren oder inneren Reizen besteht darin, daß die Funktionsharmonie des Gesamtgehirns oder eines seiner Teile gestört wird. Hypothetisch könnte man annehmen, daß die Störung auf irgendeine Weise die Einheit des augenblicklichen Musters zerstört, die zurvor im Gehrin erstellt worden ist. Das Gehirn wählt dann diejenigen Elemente der zugeführten Reize, die die Neigung haben, das Muster wiederherzustellen und die Zellen zu ihrem regelmäßigen pulsieren zurückzuführen. /.../ diese Gehirnmuster-Hypothese /.../ birgt große Möglichkeiten zu zeigen, wie wir darauf angelegt sind, uns der Welt und die Welt uns anzupassen. Irgendwie löst das Gehirn Aktionsreihen aus, die dazu neigen, es wieder zu seinem rhythmischen Muster zurückzuführen, wobeidiese Rückkehr der Akt der Vollendung oder der SCHLIESSUNG ist. ( Young a.a.O 67-68 ) (McLuhan 9).

Desweiteren finde ich Analogie in der Beschreibung zu Ashbys Homöostat,( s. J. Campbell)

Das Gehirn wendet der Reihe nach alle seine Regeln an, paßt die zugeführten Reize seinen verschiedenen Mustern an, bis die Harmonie irgendwie wieder erstellt worden ist. /.../ Während dieser aufs Geratewohl durchgeführten Tätigkeit können sich weitere Verbindungen und Aktions-Muster bilden, die ihrerseits künfige Funktionsabfolgen bestimmten werden" (McLuhan 10)

Dazu McLuhan:

Dieser unvermeidliche Drang nach "Schließung" (closure), "Vollendung" oder Gleichgewicht zeigt sich sowohl bei der Unterdrückung wie bei der Erweiterung menschlicher Sinne oder Funktionen. Da unser Buch aus einer Reiehe historischer Beobachtungen neuer kultureller Schließungen besteht, die sich aus den "Störungen" - zunächst durch das Alphabet, dann durch den Buchdruck - ergaben ... (10)

und es wird jetzt E. Hall, "ein Anthopologe" zitiert über technische Extensionen von Körperteilen und Sinnesorganen (HALLO! in diesem Zitat von Hall auf S. 10 steckt die ganze McLuhansche Extensions-geschichte drin - als auch hier schreibt McLuhan eine Fußnote )

Was soll das Ganze? Will sagen:

1. Die Literalitätsuntersuchungen sind von Ergebnissen der Informationstechnologie beeinflußt, nämlich in der Weise, daß Literalität Untersuchungsgegenstand wird im Moment, wo sie zu verschwinden droht, und in dem Moment, wo eine 'mediale Revolution' die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen früherer medialer Umbrüch lenkt.

2. Sie sind zugleich von den Auswirkungen einer wissenschaftlichen 'Revolution' beeinflußt in der Weise, daß zentrale Erklärungsmuster aus der diese 'Medienrevolution' ermöglichenden Wissenschaft importiert werden. Homöeostase, Netzwerk. Störung: ja da gehts dann bis zu Prigogine/Stengers und zur Emergenz. (NB McLuhan elektrisches Nervensystem (Und.Med.) schon von einem Ernst Kapp um 1877 als Metapher gebraucht (S. Zielinski, Audiovisionen, S. 48)

Thema dieser Auslassung:

1. Forschungsgeographische Karte

2. Zirkulation von Einstellungen/Ideen. Der Gegenstand, Literalität, wird im Lichte der Konzepte beleuchtet, die an seiner Beseitigung mitarbeiten, die ihrerseits das Interesse auf ihn lenkt.

Understanding Media. Alphabetische Kultur wird durch neue Medien abgeschafft. Aber man kann es auch umdrehen: FLUCHT VOR DER SCHRIFT IN DAS ZEICHEN:

Leibniz: laßt uns rechnen. Der finale Interpretant (Semiotics, Aufsatz über Hartmann, Saving the Text; finaler Interpretant bei Peirce)

---> Kafka, H 267

alle nimmt den richtigen uhrenmäßigen Gang. erst jetzt, nachdem der Fall von allen Schriftsätzen, Zeugenaussagen, Verhandlungsprotokollen, Urteilsbereatungen und Entscheidungsgründen befreit ist, erkennt man sofort seine überwältigende Einheit.

Der Fall ist eben von der Semiose/Bibliose befreit; dann nimmt er einen uhrenmäßigen, nämlich maschinellen Gang -> Computer.

---> McLuhan.

Electric technology does not need words, any more then the digital computer needs numbers. [...] Such a state of collective awareness may habe been the PREVERBAL CONDITION OF MEN.(Underst. Media 83)

the electric extension of the process of collective consciousness, in making consciousness-without-walls, might render LANGUAGE WALLS obsolescent. Languages are stuttering extension of our five senses [...] An IMMEDIATE SIMULATION OF CONSCIOUSNESS woult BY-PASS SPEECH in in a kind of massive extrasensory perception

The message of the electric light is total change. It is pure information without any content to restrict ist transforming and informing power. (a.a.O.60) S. S 122, Licht = Missile = "selfcontained transportation system".

Also die unmittelbare ERLEUCHTUNG jeneseits des Textes/der Texte.

Und der Narzissus-Mythos: Selbst-Amputation/Extension unter Stress.

The young man's image is a self-amputation or extension induced by irritation pressures. As counter-irritant, the image produces a generalized numbness or shock, thet declines recognition. Self-amputation forbids self-recogniction. (a.a.O. 52)

Wie wenn nun die "irritation pressure" Bibliotisch wäre? Selbst-amputierung/extension ins elektronische Netzwerk. Und gleichzeitig Netzwerk-charakter des eigenen Schreibens/Forschens. McLuhan bezeichnet sein Werk (Gutenberg Galaxis) ja als Fußnote zu Innis: also Kommentar also.

Globales Dorf - Netzwerk. McLUHAN bezieht sich bei der Formulierung des Prinzips von "configuration and structure" (Und. 27) oder von "organic interrelation" (a.a.O.) und von Dezentralisierung, Zerstückelung und Integration im Netz unter anderem explizit auf Beispiele aus der modernen Literatur, sehr gezielt aus James Joyce, vor allem Finnegans Wake. So in :

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Marshall McLUHAN.
Die innere Landschaft. Literarische Essays.
Düsseldorf 1974.

Dort Artikel über Joyce.

Und er bezieht sich auf Beispiele aus Zeitungen: Anzeigen/Ads, Beispiele für IKONIZITÄT :

and icons are not specialist fragments of aspects but UNIFIED and compressed images of COMPLEX kind. (Und.Med. 201)

Dazu früh von ihm:

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Herbert Marshall McLuhan.
The Mechanical Bride. Folklore of Industrial Man.
London 1951.

Wenn die Folklore des Industriellen Menschen auch aus dem Laboratorium, der Studie und dem Anzeigenbüro stammt, so findet man doch in ihnen "a great degree of cohesion and unity", unbewußt, nämlich aus einer Art "kollektivem Traum" stammend.

 

Ein weiteres Werk von McLuhan:

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Marshall McLUHAN/ Quentin FIORE.
Krieg und Frieden im globalen Dorf.

Eine Bestandaufnahme einiger gegenwärtigen festgefahrenen Situationen, aus denen es einen Ausweg gäbe, wenn man mehr vorwirkte.

Düsseldorf, Wien 1971. Engl. 1968.

Es geht wieder um die "Orientalisierung des Westens durch elektronische Technologie und das Zusammentreffen von Ost und West." (4) Da Joyce als wahrscheinlich Einziger je entdeckt hat,

daß alle sozialen Wandlungen Auswirkungen neuer Technologien - Selbstamputationen des MEnschen - auf die Ordnung unserer Sinne darstellen (4)

In der Neuen Technostruktur des elektronischen Zeitalters gibt es keine "Abgeschiedenheit" mehr, "in der allein Unehrenhaftigkeit und Überltat gedeihen" (200). Es handelt sich um eine Wandlung "vom mechanischen Ritual zur elektronischen Romantik", und durch sie wird "jeder Bürger wieder zum Soldaten". Man wird wieder auf dem Land leben, es wird keine Straßen und Räder mehr geben in diesem "Schoß dieses makrokosmischen konnubialen Glücks" (213) geben. 112 ff Quantenmechanik, Gin aus der Badewann, Krieg, Napoleon. Viele Photos, am Rand Zitate aus "Finnegans Wake" und

S. 19 eine Mikrophotographie eines Fliegenpenis: "Der Beweis gegen einen Standpunkt. Totales Einbezogen sein gegen zivilisierte Objektivität." (19).

Übrigens: Harold Bloom wird S. 208 zititiert, aus "Blake's Apocalypse".

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Emanuel STEARN (Hg).
McLuhan. Für und Wider. (SUB A 1969/7962)

Biographisches zu McLuhan (wenig). Kaum in Erinnerung, da Stabi es zu schnell zurückforderte.

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Harold A. INNIS.
The Bias of Communication.
Toronto 1951.

Die Einleitung McLuhans beschreibt das Werk als passend zum "electric age", nämlich mit "mosaic structure", VIII.) McLuhan bezeichnet sein Werk (Gutenberg Galaxis? ) als Fußnote zu Innis, der seins als Foßnote zu A.L.Kroebers Configurations of Cultural Growth. (33)

"The bias of Communication" (stammt aus 1949, 33), geht im Blitzestempo über große Geschichtsräume, verwirrend.

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Eric A. HAVELOCK.
Preface to Plato.
Cambridge, Massachusetts, 1963.

Entstehung eines autonomen Selbst durch Alphabetisierung. Beschreibt die

crisis in Greek Culture which saw the replacement of an orally memorised tradition by a quite different system of instruction and education." (198) [Homer -> Plato].

Der CORPUS des Wissens, die "tribal encyclopedia" (209) wird vom Körper des Wissenden getrennt, das autonome Selbst muß sich von dem körperlichen, identifikatiorischen, narrativen Wissen befreien, um es neu organsieren und systematisieren und homogenisieren zu können. Änderung der "technology of communication" :

Refreshment of memory through written signs enabled a reader to dispense with most of that emotional identification by which alone the acoustic record was sure of recall. THIS COULD RELEASE PSYCHIC ENERGY [...]. (208)

(Freud: Gebundene Besetzung wird flottgemacht durch Bewußtwerdung.)

Frage

given the immemorial grip of the oral method of preserving group tradition, how a self-consciousness could ever have been created. (208)

Und die Antwort:

The fundamental answer must lie in the CHANGING TECHNOLOGY OF COMMUNICATION. ( 208)

Teil II, The Necessity of Platonism.

Kap 11 "Psyche or the Separation of the Knower from the Known" (197 ff).

Kap 12. "The Recognition of the Known as Object" (215 ff)

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Milman PARRY.
The Making of Homeric Verse. The Collected Papers of Milman Parry.
Oxford 1971.

Wie konnten die alten Sänger ohne Texte riesige Epen (z.B. Homer, und noch neuere Serbokroaten) behalten. "There ist no memory of words save by the voice and the ear". (321) Formelhaftigkeit und Melodie. Jede Formel führt automatisch zu einer anderen ("Each formula ist thus made in view of the other formula with which it is to be joined" (329))

What was this constraint [sich an Formeln zu halten] that thus set Homer apart from the poets of a later time, and of our own time, whom we see IN EVERY PHRASE CHOOSING THOSE WORDS WHICK ALONE WILL MATCH THE COLOR OF THEIR VERY OWN THOUGHT? The answer ist not only the desire for an easy way of making verses, but the complete need of it. Whatever manneer of composition we could suppose for Homer, it could be only one which BARRED him in erery verse and in every phrase FROM THE SEARCH FOR WORDS THAT WOULD BE OF HIS OWN FINDING. Whatever reason wie may find for his following the scheme of the diction, it can be only one which quits the poet at no instant. This is a need which can be lifted form the poet ONLY BY WRITING, which alone allows the poet to leave his unfinished idea in the safe keeping of the paper which lies before him, while with whole unhurried mind he seeks along the ranges of his thought for the new group of words which his idea calls for. (317)

NOTIZ 12. Frage nach Archiv-Organisation, Wissenorganisation:

Moebiusband. Das Dazwischen. Eine Technik der ARCHIV-Eröffnung. ---> Lévi-Strauss. Der Blick aus der Ferne. München 1985.

Seine Universalien, deren Vorhandensein er bestreitet. Er will "die Zwänge des Geiste [...] durch ein INDUKTIVES Verfahren" (163) freilegen. Diese Zwänge aber sind solche, "die der Funktionsweise des Denkens eigentümlich sind. Diese Zwänge lenken die Bildung der Symbole und erklären, wie sie in Opposition zueinander treten und sich miteinander verbinden." (162) Mit ihnen steht die "Kohärenz jedes KLASSIFIKATIONSSYSTEMS in engem Zusammenhang" (ebd.) Weiter:

Man stößt aber von vornherein auf eine Willkür, aus der Schwierigkeiten herrühren, die einzig die ERFAHRUNG beheben kann. So willkürlich die Wahl der Elemente aber auch erscheinen mag, so fügen sie sich doch zum System zusammen, und die sie verbindenden Beziehungen bilden kohärente Ganzheiten. (162)

Übrigens auf dem Klappentext: "nach der für ihn lebensentscheidenden Begegnung mit ROMAN JAKOBSON".

Also: Handelt es sich um eine Neuorgansisation des Wissens? Anders: Ein neues INSTRUMENT der Wissensorganisation. Anders: Ein neues Instrument der WISSENS-ERSCHLIESSUNG. Anders: Instrument der ERZEUGUNG von organsiertem Wissen. Anders: Instrument der Eröffnung eines neuen ARCHIVES. Was heißt Archivieren. Einem Archiv einverleiben.

Levi-Strauss: Bei ihm handele es sich nicht um "Idealismus" oder um "Mentalismus" (160), er sei kein "Hegelianer". "Warum hätte ich dann aber Ethnologe werden sollen, anstatt die philosophische Laufbahn fortzusetzen, zu der mich mein Universitätsstudium vorherbestimmte." (161) Weil der in der "lebensentscheidenden Begegnung mit Roman Jakobson" (s.o) das 'Ding' gefunden hatte.

Möbiusband, auf dem man oszillierend auf zwei Seiten sich befindet. Erzeugung von Wissen, eine Seite, Erschließung von Wissen, die Andere. Was also besagt die Rede von der wachsenden Informationsflut? Aus literaler Perspektive: es werden neue Archive erschlossen. Aber wie?

Neu? Ist die Bewegung nicht Induktion in der Weise, daß der Blick aus der Ferne (Ethnologie: Blick auf die Ferne. Blick aus der Ferne auf das nächste, nämlich das humanum) von der Grenze her blickt zwischen Geist und Natur, ein metaphysischer Blick, der nichts metaphysisches sieht, sondern das 'physische' im Vertrauten, weil von AUSSEN gesehen.

Was ist das für eine Grenze? Also da gibt es die Computer, Rechenmaschinen, gut, aber schon von Anfang an auch: symbolmanipulierende Maschinen. Sie stellen dar eine nach außen verlagerte menschliche Praxis, sagt wer. WELCHER RHETORISCHEN FIGUR ENTSPRICHT ABER DIESE VERLAGERUNG. Wenn es sich um Symbole handelt, WIE WERDEN SIE IN DIE 'SPRACHE' DER MASCHINE ÜBERSETZT. Wie werden sie ÜBERTRAGEN in eine 'Sprache', die wie Derrida vom Zeichen sagt, von ABWESENHEIT und WIEDERHOLUNG bestimmt ist. Wo ist die Grenze zwischen elektrischem Impuls und Zeichen.

Die Homerfrage, ---> MILMAN PARRY. Wo steckt der 'Text', wenn der Dichter ihn nicht 'singt'. Parry: der text 'assembliert' sich 'von selbst' aus den Formeln unter dem Druck der Rezitation. (re-zitation). Also ist er schon vorhanden, aber eben nicht als Text auf dem Papier, im Buch. Wo ist er dann. Ist dann beim "Verbomoteur" nicht der Körper, die Stimme (Parry) die 'Bibliothek' ? Dort ist er es aber nicht als 'Text', sondern als 'Muster'. Wieder Abwesenheit. Die Texte 'schlafen' ja in den Büchern. Werden 'erweckt' durch das Lesen. [ Nebenfrage: Versucht 'der Mensch' 'die Natur' zu entziffern, oder umgekehrt 'liest' die Natur sich mit eigenen/fremden Augen? ] Was aber schläft in den Büchern. Was ist ein Buch im Regal, unaufgeschlagen. Was schlägt der Sänger auf, wenn das Re-zitativ beginnt?

Ist in diesem Zusammenhang was mit INNERVATION anzufangen?

---> Rousseau. Promeneur solitaire. Geht er im literalen Gedächtnisraum spazieren und botanisieren, als Natur imaginiert?

---> Der GRUNDTEXT. Und die Abweichungen. Lessing-Goeze: Metaphern, Blümchen, literale Effeminierung. Der Buchstäblichkeit ausweichen (Wiederholung), den Goeze aufs Glatteis locken.

Lessing weiter: Meine These von den Bibliosymptomen. Krätze/Kretze; Jucken/Jucksen. Ja jetzt wieder: Diese Schnüffler und Knäblinge wagen es, an der literalen Traditionsmaschine herumzufummeln. Wieder Moebiusband. Sie versuchen, auf die andere Seite zu gucken, nämlich HINTER DEN TEXT. Wer steckt dahinter, wer hat ihn gemacht und wie bin ich durch ihn gezeugt. Und sie entdecken: Die Produktionsbilder. Metapher z.B. als Produktionsmittel entdeckt und zugleich (provokativ) benutzt. Das Tolle im Antigoeze ist dann nicht so sehr der Stil, sondern der operativ geführte stilus, die Feder als Skalpell. Aber immer fein textuell-rhetorisch. Eben Grenzspiele. So auch, die Grenze weiter verschoben (Chinesische Mauer) : Kafka. Klamm: K. will den Text sehen, den er liest. Sagt aber er wolle ihn sprechen und über ihn hinaus ins Schloß kommen. Natürlich, ER WILL MIT IHM ÜBER DEN TEXT REDEN, und so drüber hinauskommen. DIE PHANTASMEN DER ORALITÄT. ABER ALS FIGUR, TÄNZCHEN, PROVOKATION. Das Schlimme ist ja, daß K. mit dem Brief nicht zufrieden ist.

Psychopathologie der Bibliosis etc.

Weitere Texte zur Oralität/Alphabetisierung.

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Jack GOODY.
The logic of writing and the organiszation of society.
Cambridge University Press 1986.

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Jack GOODY.
The interface between the wirtten and the oral.
Cambridge University 1987.
PHOKO.

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Walter J. ONG. (S.J.)
Orality and Literacy. The Technologizing of the Word.
London and New York 1982.
Dtsch: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen 1987 (Westdeutscher Verlag)
Norddeutscher Zentralkatalog: kein Vermerk.
28.7.89 Anschaffung bei Stabi beantragt.

Sprachstudien haben sich bisher meistens auf geschriebene Texte bezogen, aus einem einfachen Grund: "the relationship of study itself to writing" (8) Bezug auf Studien von Jack Goody (s.o.), Milman Parry (s.o.) und Eric A. Havelock (s.o.). Dazu Albert B. Lord (27), der späte McLuhan (Underst.Med., Gut.Gal.) (29) und Julian JAYNES über die rechtshirnigen Stimmen des "bicameral man" (29)

Formalisierung, Ritualisierung. Wird oraler Kultur zugeschrieben. Wo sie dann in früher literaler auftaucht, wird sie noch stark nachwirkender Oralität zugeschlagen. Warum. Weil der Zeichenbegriff nicht überdacht wird, grammatologisch (Derrida). Die Argumentation läuft wie bei Goody/Watt. Oralität = Prälogisch, MYTHISCH. Das wird als Ethnozentrismus abgetan, aber nichtsdestoweniger bleibt: UNMITTELBARKEIT. Man setzt sich gegen Levy-Bruhl ab (Ong, Goody/Watt), gegen Cassirer (Goody/Watt), und macht dann doch munter auf der Schiene weiter.

Ong-Luria: "Was ist ein Baum". Frage an Ong: "Was ist ein Stuhl". Antwort Ong: Das ist eine Stelle, von der aus jemand einen Illiteraten danach fragt, was ein Baum ist. Aber das ist auch 'operationale' Definition. Oder Kette: Sofa, Stuhl, Sessel, Lehrstuhl, Hocker. Der Akademiker wird ganz illiterat, nämlich operational den Lehrstuhl aus der Kette entfernen.

Das Buch ist in der Reihe "New Accents" erschienen. Diese Reihe, so Terence Hawkes im "General Editor's Preface"(IX) sieht ihren Auftrag darin, in einer "Zeit rapiden und radikalen sozialen Wandels" (IX) dessen Auswirkungen vor allem auf die "literary studies" zu dokumentieren. Eine "Neue Generation" von Wissenschaftlern reagiert hier auf die Erosion von Vorstellungen und Vorannahmen, die die konventionellen "literary disciplines" bis jetzt gestützt haben. Im weiten Feld der Studien menschlicher Kommunikation wurde mehr und mehr Nachdruck auf die Natur und die Funktion neuer elektronischer Medien gelegt. Auf diesem Hintergrund richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend auch auf solche Aktivitäten, "die in unserer Gesellschaft bis jetzt aus den anerkannten Kulturbereichen ausgeschlossen waren" (X).

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Albert COHEN. Eisenbeißer.
München 1989.
Lesefrüchtchen:

---> KRYPTOGRAPHIE.

Und von da an wurde das Getto von Kephalonia ein Flammenmeer an Kryptographie. (Cohen, Eisenbeißer, 49)

---> ART OF MEMORY

Am Ende eines langen, schwarzen Korridors befand sich eine dunkle, winklige Küche, geschmückt mit Gesetztesbücher, juristischen Handbüchern, Ochsenhörnern und zahlreichen Aktenordnern. Eisenbeißer hatte nicht viel Ordnung, aber viel Gedächtnis. er wußte zum Beispiel, daß sich der Aktenordner 'Hypothekentilgung Tsatsakis' unter dem kaputten Bügeleisen befand, daß die Angelegenheit 'Biß des Hundes des Friseurs' im Gewürzkasten lag, daß die Akte 'Strittige Entbindung Euphrosine Abravanel' an dem riesigen Wasserkrug ruhte, neben der Kiste mit der Holzkohle, daß die Akte 'Beschneidung Jesulam' gewöhnlich auf dem Herd abgelegt war und daß der Packen 'Angelegenheit Unrat Bension' seit sechs Jahren auf dem Spülstein schlummerte. (a.a.O. 67)

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Gerd BAUMANN (hg).
The Written Word. Literacy in Transition.
Oxford 1986.
darin:

Walter J. ONG, SJ.
Writing is a Technology the Restructures Thought. (23 ff)

Geza VERMES.
Scripture and Tradition in Judaism: Written and Oral Torah. (79 ff)

*** Adam HODKIN.
New Technologies in Printing and Publishing: THe Present of the Written Word. (151 ff)

ART OF MEMORY.

Unterschied zwischen SPEICHER und GEDÄCHTNIS, von der elektronischen Gnostik (Kittler u.a.) vernachlässigt. S. auch VON NEUMANN, Der Computer und das Gehirn. SPEICHER: spurenlos löschbar.

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Marcel JOUSSE.
Le Style oral rythmique et mnémotechnique che les Verbo-moteurs.

Archives de philosophie 2, 1924, cahier IV, 1-240.
(über Fernleihe bestellt, aber als Buch)

wird als Grundlage von Milman Parry (s.o. Einleitung von seinem Sohn, XXIII) erwähnt. Körper (Gestik, Tanz ) als Gedächtnis.

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Helga HAJDU.
Das mnemotechnische Schrifttum des Mittelalters.
Wien (?, Leipzig ) 1936.

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Francis A. Yates.
The Art of Memory.
Chicago/London 1966.

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Maurice HALBWACHS.
Das kollektive Gedächtnis.
Ffm. 1985.

und weiter ins völlig Unbelesene: Das große Werk von Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. 1925 geschrieben.

Splitter:

- Schönert, Hamburg, Claudius. Literatur sei oft einziges GEDÄCHTNIS. Wie funktioniert das.

- Benjamin, Eingedenken.

- Kafka hat es in den KNOCHEN, kann es nicht sagen, aber die Musikhunde in ihren Körper-Figurationen. An Milena: ich bin ein einziges lebendiges Gedächtnis (so etwa).

- Oralität: Anderer Wortkontext. Frage: der eigene Körper und die Sozietät als Körper sind das Gedächtnis? (Halbwachs ?) Umfassende Konfiguration. Das Gedächtnis ist also nicht im Gehirn. S. Klavierspielen: dort ist es 'in der Hand'.

- Kafka, T: Ostjudenjunge, wie Rinnen eingegraben. Die Spur. Freuds Bahnung. Aber schon Tristam Shandy zu Beginn: die Lebensgeister bewegen sich, assoziativ, und bilden eine BAHNUNG.

- Yates, Art of Memory: Lokalisierung von Gedächtnis-Orten.

- Fiktion: Ich erinnere mich an etwas, indem ich mir das Gehirn als Architektur vorstelle, um den Ort zu finden, wo die Erinnerung haust.

- Labyrinth-Vorstellungen.

- Exteriorisierung des Gedächtnisses, elektronische. Setzt Interiorisierung voraus. Kurzzeit und Langzeitgedächtnis. v. Neumann, Gehirn. Es muß vergessen können, um zu behalten. Freuds Gedächtnis-Konstruktionen. Wiederholungszwang-Todestrieb des Gedächtnisses. Lems Roboterphantasien: der Morse-Roboter.

- überhaupt: was ist drinnen, was ist draußen.