1928 bezieht Marshall McLuhan die Universität von
Manitoba. Mit 3500 Studenten war sie die drittgrößte Kanadas. Der
Campus bestand aus einer Ansammlung von Quonset-Hütten; ähnlich
elementar war zum großen Teil die Lehre. Ein Ziel der Ausbildung
war es, den Kindern von Pionieren und Immigranten einen standard
of literacy beizubringen. Er belegte einen five-year honor
course, der obgligatorisch Physik und Fremdsprachen einschloß,
bevorzugte aber deutlich, in arkanen Überlieferungen oder
abgelegenen Gebieten den Spuren einer fesselnden Idee zu folgen.
Die Professoren fand er mittelmäßig, stundenlange Vorträge über
Milton sagten ihm nichts Neues und die Frage, was das Wort
imprimatur bedeute, überforderte ihn angesichts seiner Liste
seltsamer Wörter auch nicht: er war der einzige, der sie
beantworten konnte.(15) Seiner Meinung nach war Literatur Nahrung
für die Seele, die nach Wahrheit und Schönheit durstete.
Die breite Wissensfundierung, die er anstrebte,
umschloß englische Literatur, Geologie, Geschichte, Latein,
Astronomie, Ökonomie und Psychologie. Im ersten Jahr hatte er Lust,
sich ganz in die Ingenieursausbildung zu stürzen - angesichts der
hilflosen Ehrfurcht, mit der er später bei Gelegenheit die
Dampfwolken aus dem überhitzten Kühler seines Autos betrachtete,
ein scheinbar seltames Vorhaben. Was ihn daran faszinierte, war
aber eher ein Interesse für "Struktur und Design" weit
auseinandergelegener Wissensgebiete. Er war eben, so Marchand, an
großen Zusammenhängen interessiert. Astronomie und Geologie
inspirierten den Untergraduierten, so dessen Tagebuch, mit Gedanken
über die Großen Zyklen der menschlichen und göttlichen
Geschichte.(16)
Im zweiten Studienjahr ließ er vom
Ingenieursstudium ab. Aber welche Richtung sollte er einschlagen?
Er fühlte sich den meisten Gleichaltrigen überlegen, aber, so
fragte er sich im Tagebuch, auf welchem Gebiet? Er wollte ein
Großer Mann werden und hatte das deutliche Gefühl, daß der Weg zur
Größe nicht über eine Professur führte.(17) Nach einem Sommer mit
einer survey crew in der ländlichen Umgebung von Manitoba
vertraute er seinem Tagebuch an, daß sich ein schlacksiger junger
Mann wie er, der in seinem Zelt Bücher las während seine
co-worker auf Sauftour gingen, keiner großen Beliebtheit
erfreuen konnte. So beschloß er, sich ganz auf English und
Philosophie zu konzentrieren.
Der Unterricht in englischer Literatur an der
Universität von Manitoba war damals fest auf dem viktorianischen
Ideal des kultivierten Amateurs gegründet, der ästhetische Freude
und Erbauung in der Bekanntschaft mit den anerkannten Größen der
Literatur fand: Spenser, Shakespeare, Milton und den großen
romantischen Dichtern. Die anerkannten critics waren
Prosastilisten, die ihre Vorstellungen von Großen Männern und
Großer Literatur in Essays voller Tiefe, Pathos, Humor und Charme
ausbreiteten.(17) Diese Gentlemen schrieben in der Tat schöne
Prosa, die zu Recht zu den belles lettres gezählt wurde.
Aber in England war die Tradition der belles lettes um 1930
von T.S. Eliot, I.A.Richards und Ezra Pound niedergemacht worden.
In Manitoba schien kein Mensch sich dessen bewußt zu sein. Auf den
meisten Universitäten Nordamerikas war literary criticism
nicht weit über rein historische und biographische Analysen
hinausgediehen.
Bei allem Zorn auf die Beschränktheit der
Professoren hatte McLuhan doch nichts gegen belles lettres
oder gegen "adventures of the soul amidst masterpieces". Er
war im Gegenteil davon entzückt. Von allen großen Männern und
Schriftstellern war für ihn der größte Thomas Babington Macauly,
dessen Berühmtheit allerdings wie die anderer viktorianischer
Giganten schon seit der Jahrhunderwende im Sinken begriffen war. In
seinem Tagebuch bekannte er, seine Zuneigung grenze an
"Heldenverehrung". Das war mehr als Faszination für
stilistisches Können, denn aus Trevelyans klassischer Biographie
Macaulys lernte er, so das Tagebuch, was es bedeuten könne, ein
Mann und liebender Bruder in einer glücklichen Familie zu sein.
Ähnliche Erbauung erfaßte ihn bei Berichten über die Tugenden und
Fähigkeiten von T.H. Huxley und Thomas Carlyle, and there was no
stopping his visions of noble self-possession when he discovered
Matthew Arnold's Essay on Marcus Aurelius.(18) Dieser
wohltuende Einfluß, so Marchand, half dem Heranwachsenden über die
Angst angesichts der period of rapid change (18) hinweg, die
ihm bevorstand. So war es wohl auch Linderung, daß es um 1930 in
Manitoba einen Joyce, Eliot und Pound so gut wie nicht gab, nicht
einmal in der Universitätsbibliothek oder in irgendeinem Buchladen
in Winnipeg. So konnte McL in aller Unschuld in seinem Tagbuch ein
aufgeschnappte Urteil wiederholen: daß ein tatkräftiger Mann ohne
Schaden an seinem Geist zu nehmen alles, was nach 1842 geschrieben
war, mißachten könne. Wäre er diesem Rat gefolgt, sein Leben wäre
sicher easier gewesen.(19)
Bei dem enormen Lesestoff, den zu absorbieren er
vorhatte und dem er mit verschiedenen Resumée- und
Indexierungsmethoden zu Leibe rückte, fühlte er sich unter großen
Zeitdruck. Da er während seiner fünf Universitätsrahe zu Hause
wohnte, ließen ihn die Arbeitstörungen durch die elterlichen
Ehezwiste schwermütig ein lebenslanges Junggesellentum in Aussicht
nehmen. So wäre er in der Lage, hoffte er, bei etwas Frieden und
Ruhe der Welt seine geistige Prägung aufzudrücken.
Eines Abends im April des Jahres 1930 überkam ihn
auf der Toilette, so sein Tagebuch, eine Idee, die der Keim zu
einem großen Werk sein könnte. Er stellte fest, daß das ganze Leben
- intellektuell, spirituell und physisch - von Gesetzen regiert
würde, die den Menschen noch größtenteils unbekannt seien. In
mehreren Tagebucheinträgen entwickelt er diese Vorstellung: Wenn
eine Person unwissentlich diese Gesetze verletzt, wird sie in ihrem
Tun geschmälert, wenn sie gehorcht, gedeiht sie in ihm. In einer
Welt, in der diese Gesetze schließlich erhellt wären - Gesetze, die
auf einem psychologischen und metaphysischen Verständnis von
Christi Vorschriften beruhten - wären "Tod, Krankheit und
Sünde" niedergerungen. Er sah in dieser Idee, die vielleicht
einiges der Christian Science seiner Mutter dankte, ein
gutes Thema für eine Dissertation in Philosophie. Dort würden die
Glaubenssätze des orthodoxen Christentums, die er auf jeden Fall
bewahren wollte, nicht abgeschafft sondern großartig erweitert oder
ausgeweitet werden. Gerade und erst in dieser totalen oder globalen
metaphysischen Ausweitung konnte die ebenso weite und von ihm
hochgeschätzte Aussicht des fundamentalistischen Christentums auf
das in biblischer Prophetie schon je angekündigte Ende der Welt
ihren angemessenen Raum finden.
Während er in dem ihm überlieferten Christentum
nur auf ausdorrende und ertötende Schriftgläubigkeit nach Art
seiner beiden bibellesenden Großmütter stieß, würde die durch ihn
ins Christentum einzuführende metaphysische Erweiterung den Glauben
greifbar, tastbar und sozusagen taktil machen.(19) [KM-»] Das
Christentum seiner Vorfahren krankte letztlich an der Schrift. Gäbe
es denn eine andere, erweiteterte Schrift, die jenseits des
Buchstabens und des buchstäblichen Sinnes alle anderen
'Schriftsinne' ansprechen könnte? [«-KM]
Gesellschaftliche Kontakte pflegte er meistens in
der Bibliothek mit Büchern. Auf Parties, so eine ehemalige
Klassenkameradin, war er kaum zu sehen. Seinem Tagebuch bekennt er,
daß er eher ein "onlooker" sei. Zunehmend wurde ihm sein
alter Freundeskreis suspekt, gezeichnet wie dieser war von
geistiger Degradierung und dem Hang zum Kartenspiel. Was nicht
bedeutete, daß er nicht, to build up his frame, sportliche
Ertüchtigung anstrebte. So erschien, was einigen als Schüchternheit
vorkam, anderen als Selbstvertrauen bis hin zur Arroganz. Auch
schrieb er Gedichte zu Ehren einer berühmten amerikanischen
Teenager-Pilotin, Elinor Smith. Wenn nur die männliche Zuneigung zu
Frauen nicht so glandular wäre. Frauen, auch wenn sie es
nicht beabsichtigten, wirkten so mächtig auf die niederen
Instinkte. So wurde er gequält von Begehrlichkeit. Sein Tagebuch,
der Ort seiner ständigen strengen Selbstprüfung, enthält den vom
inzestuösen Schrecken vor dem Vater verstärkten Wunsch, daß er von
jeder Sexualität befreit sein möge.(20)
Doch konnte er dort zugleich festellen, daß seine
Arbeitsamkeit und sein erhabener Ausblick auf die geschlechtlichen
Dinge ihn sicher durch die Gefährdungen jugendlicher Versuchungen
führten. Er kannte der Zielsetzung puritanischer Tagebuchführung
entsprechend sich selbst so gut und war mit ausreichender Weisheit
begabt, sich nicht durch Leidenschaften an ein Mädchen fesseln zu
lassen. Sollte ihn nicht zuvor wahre Liebe überwältigen, würde er
mit dreißig Jahren eine geistig hochstehende Frau heiraten, obwohl
er bis jetzt noch nicht irgendeine solche entdeckt hatte.(20)
Die um Rettung vor Verdammnis kämpfende
Selbsterforschung kann auch die familiäre Situation nicht außer
acht lassen. So dringt er vor zu dem zwielichtigen Ort, wo er
zutiefst abgestoßen und ebenso angezogen wird von der Frau, die er
am besten kennt, seiner Mutter. Er liebte und bekämpfte sie, so
Marchand, mit der Heftigkeit eines Mannes, dessen Leben an einem
seidenen Faden hing.(21) Später sollte er, besser gewappnet und
gerüstet, das wahre Ausmaß dieses Terrains vermessen.
Schon jetzt aber, 1944, bringt er in einem Ansatz
zu seinem späteren ersten Buch, The Mechanical bride, frühe
Klarheit in dieses Zwielicht und entdeckt unter dem Titel
Dagwoods America an der Comic-Figur des Pantoffelhelden
Dagwood die Ursache von Unmännlichkeit in der Koedukation. Wie
können Schüler, so heißt es in Dagwoods America, jemals von
Lehrerinnen inspiriert werden, die nur begreifen, was sie
auswendiggelernt haben, einen engen intellektuellen Horinzont haben
und alles persönlich nehmen.(21) Und doch war er der Sohn einer
Elokutionistin und in Disputen mit dieser geliebten Widersacherin
am Küchentisch erprobt. Bald entdeckte er an sich die gefährliche
Fähigkeit, sich wirklich zu jeder Frage in eine Debatte stürzen zu
können, die ihn umsomehr aufheiterte, je verlorener der Posten war
und je weniger evident die Argumente zu dessen Verteidigung
schienen.
Dieses "haranguing", wie er es nannte,
beschränkte sich nicht auf offizielle Universitätsdebatten. Kurz
nach der Entdeckung seiner metaphysischen Erneuerung des
Christentum begegneten ihm beim Essen mehrere Anti-Evolutionisten,
die offen ihre Verachtung für Darwin kundtaten. Obwohl oder gerade
weil ihr Fundamentalismus ihm prinzipiell sympathisch war, hatte er
doch zuviel von T.H. Huxley und überhaupt gelesen und war allzu
erregt von seiner neuen Vision des ausgeweiteten Christentums, daß
er nicht über seinem Sandwich mit hausgemachtem Käse und
ebensolcher Butter auf die Gelegenheit zum Zuschlagen gewartet
hätte. Eine winzige Gesprächspause nutzend, drang er vor mit seiner
Überzeugtheit von neunzehn Jahren, die jeden zur Raserei bringen
konnte, und erklärte, daß Gott nicht mit einem den Menschen
unverständlichen fiat arbeite, sondern durch intelligible
Gesetze einschließlich denen der der Evolution. Ein Gott, der die
modernen Theorien eines T.H.Huxley nicht umgreifen - oder
neutralisieren -könne, schien ihm undenkbar. Unter mitleidigen
Lächeln zog einer der Jungen seine Bibel und replizierte. Drei
Stunden später war der Kampf noch in vollem Gange. Aber McLuhan
konnte seinen Gegnern nicht klarmachen, daß sein System auf den
grundlegenden christlichen Glaubenssätzen ruhte und sie erweiterte
statt zu ersetzen. Mit "You are lost my boy" überließen sie
ihn schließlich seinem verlorenen Posten und seinen Magenkrämpfen.
(23 nach Tagebuch von 1930)
In einem Mitstudenten namens Tom Easterbrook fand
er schließlich einen Sparring-Partner, der ihm Nächte hindurch
standhalten konnte. Mit ihm schiffte er sich 1932 auf einem
Viehfrachter als Besatzungsmitglied nach Enland ein. Von vier Uhr
morgens bis zwei Uhr mittags hatten sie das Vieh zu versorgen, das
Wetter war schlecht, Seekrankheit machte schwer zu schaffen und die
Koje wurde zu einem kleinem Purgatorium.(22) Einmal in England fand
er sich mit Fahrrad und Palgraves Golden Treasury im Himmel.
Golden Treasury, ein Monument des viktorianischen
literarischen Geschmacks und die Verzweiflung von Dichtern wie
Pound und Eliot, hüllte Klosterruinen und Weiden in einen zarten
Dunst. (23] [KM-»] Noch 1969 erinnert er sich in dem Vorwort zu der
von Eugene McNamara unter dem Titel The Interior Landscape
herausgegebenen Sammlung seines Literary Criticism - ein
Versuch, den unter dem Medienguru begrabenen hochqualifizierten
Philologen McLuhan wieder hervorzuholen - an diese Fahrradtour
durch England unter dem poetischen Reiseführer, wo nach Versen, die
er ihm entnimmt, "aye", viele blühende Inseln in den
Gewässern weltweiter Agonie liegen und seinen Geist mit der
Gewißheit stärken, daß Kunst und Dichtung Klage gegen menschliche
Fühllosigkeit führen. [«-KM]
Hier in England war die Heimat all der Großen
Männer, die er auf der Universität gelesen hatte, hier sangen
Shakespeares und Keats Lerchen und Nachtigallen und die Straßen von
London bewahrten noch einen leichten Nachschimmer der Aura von
Johnson, Macauly und Arnold. Winnipeg und Nordamerika hingegen, das
war die moderne Vulgarität eines mechanisierten und
kommerzialisierten Leben. In Dichtung aber sprach edler Protest der
menschlichen Seele und ein Echo davon konnte man noch in England
finden, something cultivated and literary that had once set the
tone of civilization. Es war, als käme man nach Haus, sagte
McLuhan 1972. England sei immer sein geistiges Hauptquartier
gewesen.(23)
Immer auf der Suche nach Einblick in die Grundzüge
von Disziplinen, die möglichst weit von Literatur entfernt waren,
fand er beim Stöbern in einem Antiquariat ein vielversprechendes
Buch über Ökonomie, sein Freund Easterbrook eine Ausgabe von
What's Wrong with the World von G.K. Chesterton. Beide waren
gelangweilt und tauschten die Bücher. Das sollte bleibenden Einfluß
auf sein Denken haben. Aus der gesättigten edwardianischen Prosa
Chestertons schossen nicht nur häufig die brillianten Einzeiler,
die McLuhan so sehr schätztenlernen sollte, sondern Chestertons
Denken war nach einer von ihm später entwickelten bedeutsamen
Unterscheidung viel eher analogisch denn dialektisch oder logisch.
Noch wichtiger aber war, daß das Buch eine großartige Verteidigung
der Vorstellungen war, zu deren Vorkämpfer er werden wollte:
Persönliche Freiheit, die Heiligkeit der Familie und die
Traditionen des Christlichen Europas als Gegengift gegen
Sozialismus und Kapitalismus.(24)
Chesterton argumentierte nicht in methodischer und
logischer Entwicklung seiner Gedanken, sondern wirkte durch das,
was McL später als Strategie gegen solches mit "concepts"
arbeitendes lineares Denken "percepts" nannte. Perzepte
entstanden im freien Spiel eines erhellten Geistes mit Topoi,
Allgemeinplätzen oder clichés und plazierten sie in fehlende
und unerwartete Kontexte. Den Allgemeinplatz "Man kann die Uhr
nicht zurückstellen" zum Beispiel brach Chesterton auf, indem er
nach uralter 'vorrationaler' Auslegungskunst analogisch oder
typologisch 'bewies': "Man kann". Denn wie die Uhr eine von
Menschen gefertigte Konstruktion ist und ihr Zeiger vom
menschlichen Finger auf jede Zahl oder Stunde zurückgestellt oder
jede Zeit und Stunde auf ihr restauriert oder wiederhergestellt
werden kann, ist es möglich, die Gesellschaft, die auch
Menschenwerk ist, jederzeit zu rekonstruieren oder zu
restaurieren.(24)
Unter dem Kugelhagel von Chestertons Perzepten
beklagten seine Gegner eine gewissen Indifferenz gegenüber oder
Neutralisierung von Wahrheit und Realität. Aber das waren die
Vorwürfe von "Experten", die Chesterton und in seinem Gefolge
McLuhan verachteten. "What ruins mankind is the ignorance of the
expert", sagte Chesterton (24) und für McL lag gerade in dem,
was der Experte nicht wußte und nicht fragte, sein eigentliches
Wissen, das zu wahrem Einblick führen konnte.
Auch führte Chesterton McL dem Römischen
Katholizismus zu. Chesterton glaubte, daß die Welt, wie immer
beschaffen, kein Gewirr von täuschenden Erscheinungen, sondern
real, vernunftgemäß letztlich gut sei, denn Gott hatte sie
geschaffen. So verwies alles in der Welt in einem unendlichen Netz
von Analogien auf ihren Schöpfer. Marchand erläutert das an
Chestertons Beispiel des Hirtenhundes. So wie dieser treu die Herde
hütet, so hütet der Priester die Gemeinde so wie Christus sein Volk
hütet. Aber der Hund war für Chesterton kein Symbol für Treue, er w
a r treu in seinem Hundesein, so wie es der Priester in seinem
menschlichen war. Und beide waren analogisch auf die Treue Christi
bezogen, der das Sein selbst war. Hund und Priester waren real und
in ihrem Sein unterschieden und doch partizipierten sie an dem
Einen Sein Gottes. Dies war das analogische Denken des Thomas von
Aquin, so wie später für McL das rationale das des Descartes und
das dialektische das von Hegel sein sollte. Es gab keinen Zweifel,
welchem Denken er anhing. Analogisches Denken wurde Teil seines
Wesens wie es sein kanadischer Akzent war. Das verwirrte viele
seiner Leser, die in seinen Analogien bloße Gleichungen
sahen.
Wie verwirrend und phantasievoll diese Analogien
auch sein sollten, so vergaß McLuhan doch nie Chestertons Lehre,
daß alle Dinge der Welt real und liebenswert seien und letztlich
ein kohärentes Ganzes darstellten, weil Gott sie geschaffen hatte.
So tief war er von dieser einfachen Wahrheit beeindruckt, daß er
später nicht im Materialismus sondern im Gnostizismus die wahre
Häresie des zwanzigsten Jahrhunderts sah: die Leugnung der
Realität, Vernunftgemäßheit und Güte der Schöpfung Gottes zugunsten
irgendeines intellektuellen Konstruktes oder zugunsten des Einen,
einer esoterischen und versteckten Realität, die nur auserwählter
menschlicher Erkenntnis oder Gnosis zugängig war.
Herbst 1933 begann McL mit seiner Magisterarbeit
über George Meredith as a Poet and Dramatic Novelist.
Meredith war wie Macauly eine der literarischen Größen des 19.
Jahrhunderts. Nach seinem Tod 1903 begann sein Ruhm rapide zu
sinken. In der Magisterarbeit aber sollte Meredith gerettet werden.
So war diese Arbeit selbst zuweileln von einem fin de siècle
mauve (27) gefärbt oder von der Zwielichtigkeit durchsetzt, die
ihr Autor Meredith selbst zuschrieb. Meredith, so heißt es dort,
"has all the joyous freshness that belongs to the morning of the
world, besides the inspired common sense that is sadly associated
with that twilight in which the owl of Minerva commences its
flight". Doch habe Meredith eine ganz unaffektierte Liebe zu
menschlicher Größe sowohl im Leben wie in der Literatur gezeigt -
eine Liebe, die der junge McLuhan voll teilte.(27)
1934 schreib er eine Reihe von Artikeln über
allgemeine Themen für die Studentenzeitschrift The
Manitobian. Schon 1930 hatte er dort Macauly - What a
Man! veröffentlicht. Unter dem Einfluß Chestertons war er aber
von Macaulys Annahme abgerückt, die politischen und ökonomischen
Abenteuer der englischen Bourgeoisie stellten eine großartige
Erfolgsstory dar. Vielmehr war die moderne Welt, schrieb er 1934 in
Tomorrow and Tomorrow, hoffnungslos in Korruption versunken.
Dabei berief er sich auf solche viktorianischen Denker wie Carlyle,
Ruskin and William Morris, deren Inspiration sich mehr oder weniger
aus dem Mittelalter speiste. Später, 1965, stellt er dann fest, daß
ihm als Jugendlichem das zwanzigste Jahrhundert menschlich als
schlicht unbewohnbar erschienen war. So antizipierte er damals
schon ein Thema der späteren Mechanical Bride, wenn er den
kaptalistischen Industrialismus der Verzerrung und Depravierung des
menschlichen Lebens und der menschlichen Sexualität
beschuldigte.
Im Marxismus sah er keine Lösung und fand ihn auch
später nicht einmal der Verachtung würdig. Mit zurückhaltender
Zustimmung erwähnt er den Faschismus; trotz seiner zahlreichen
Irrtümer habe der Faschismus die richtige Diagnose der Krankheit
der modernen Zivilisation gestellt und zu recht die einzige
mögliche heroische Therapie gefordert. The Fascists, in urging a
return to heroic enterprises, in rejecting the dull,
"emasculationg" utopias of socialism as well as the rapacious
appetites of capitalism, seemed to him to be on the right
track.(27)
Die Thematik der Sackgasse, in die die moderne
Ziviliation geraten war, wurde in anderen Artikeln vertieft. In
einem fiktiven Interview mit Dr.Johnson wird dessen Vorstellung
eines auf Wissenschaft und Technologie gründenden Fortschritts
lächerlich gemacht. Gepriesen wird Eamon De Valera
für seine Politik
der nationalen Selbstversorgung auf der Basis von Landwirtschaft
und Kleinindustrie. Und in einem Artikel über Meredith wird dessen
expliziter Feminismus kritisiert, während seine weiblichen
Charaktere Billigung erfahren als "symbols of the sweetness and
health and sanity of Earth". Das alles unter freizügigen
Anleihen bei den Ideen Chestertons und manchen seiner
Formulierungen.(28)

Inzwischen war ihm klargeworden, daß er seine
Studien anderswo fortsetzen müsse, wollte er nicht in einer
Sackgasse steckenbleiben. Er entschied sich für Oxbridge. Oxford
fiel flach, weil Er die Professoren einer Gutachterkommission für
ein einschlägiges Stipendium in eine Debatte verwickelte, statt
seine Kenntnisse unter Beweis zu stellen. Ein anderer Professor und
ehemaliger Cambridgestudent konnte ihn von der Überlegenheit von
Cambridge über Oxford überzeugen. Mit einem Stipendum der
Imperial Order of Daughters of the Empire und Zuschüssen
einer chiropraktizierenden Tante, Ethel McLuhan, ausgestattet brach
er in das Land des Goldenen Schatzkastens auf.