McLuhan DEV - Blätterfolge 7

DEV\IRIDIUM4.WP * 21.10.92

Der technologische Schleier.

Hülle, völlig aktiviert, aktiv rhetorische Oberfläche: Was wird verhüllt: die eigenen Lücken, Schatten, das LOCH (s. Protestantismus /Larousse: das Loch in der Schrift - persönl. Gott, inner light (McL), --> Sekten, Rotten. Der homogen aktive Diskurs (Foucault) ist also AUSNAHMSLOS und VORBEHALTSLOS.

Einschub aus MCLUH.DBA - Vorbehalt: CA_031 - 1970

"With the coming of print, the idea of truth as a MATCHING of direct statement against some COMPLEX inner state led to the development of a new cult of CASUISTRY and to the whole game of MENTAL RESERVATION."

Vgl UMd_170 (UM 144) Ohr - kosmische Panik [universal panic], "während das Auge durch Schrift und mechanische Zeit erweitert, einige LÜCKEN [gaps] und INSELN [islands] vom erbarmungslosen Druck und Schall des Widerhalls freihält. [unremitting acoustic pressure and reverberation]

E.Jünger: Was wäre nun, wenn gerade der Vorbehalt (C.Schmitt, Leviathan; McLuhan irgendwo...) das pudendum wäre - die Vor-haut; Es ginge also um eine Enthäutung vor der eigentlichen Enthäutung, um eine Enthüllung, die so enthüllt, daß nichts mehr zu enthüllen ist, sondern DIE Hülle, die unbeschneidbare Vorhaut, etc. Denk mal an den Blick des anderen Andern, von unten z.B., von außen; und etwas Windelweiches, also löchriges, pulpiges.

MB: pulp muß totalisiert werden, Benjamin: bürgerl. Individuum an jedem Glied zerissen.

My spirit rocked in sleep and sighs; and saw the moorfowl pace

All dripping on a grassy slope, and saw them cease to chase

Each other round in circles, and heard the eldest speak:

Who holds the world between His bill and made us strong or weak

Is an undying moorfowl, and He lives beyond the sky.

The rains are from His dripping wing, the moonbeams from His eye.

(W.B.Yeats. The Indian upon God)

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{Nun gehts nochmal los:}

I

Siebenundsiebzig Elektronen bilden die Hülle des Atomkerns von Iridium. Eine "Flotte von genau 77 Satelliten" soll in Zukunft "ständig die Erde umkreisen, dadurch jederzeit die gesamte Erdoberfläche funktechnisch beleuchten", schreibt Sepp Moser in Die Zeit unter dem Titel "Schwatz per Satellitenschwarm" {Die Zeit, 24. Jan. 1992, S. 74} . Sie würden "unseren Planeten umschwirren", den Kontakt "zu jedem Fleck der Erde erschließen" und so "unseren Planeten zum globalen Kommunikationsdorf verwandeln", wenn es dem Elektronik-Giganten Motorola gelänge, seine Entwicklung für das neue digitale und abhörsichere D2-Netz unter dem Namen Iridium gegen Konkurrenzsysteme durchzusetzen.

Im Gegensatz zum heutigen C-Netz "übertragen schnell bewegliche und nicht stationäre Sender die Gespräche." Beim C-Netz durchfährt der automobile Kunde die Sendegebiete oder Zellen "festinstallierter" Satelliten, bei Iridium sind die Zellen selbst "mobil" und schneller als "jedes Auto oder Flugzeug." Jeder Satellit "bedient in dem unter ihm liegenden kreisförmigen Gebiet 37 'Zellen'". Mit 26670 kmh überfliegen jeweils 11 Satelliten auf sieben Umlaufbahnen die Erde und "umspannen diese wie ein gleichmäßiges Netz." Die einzelnen Zellen "überlappen" sich und ein telephonierender Kunde wird "etwa jede Minute einmal einer anderen Zelle und nach jeweils etwa neun Minuten dem nächsten Satelliten zugeschaltet."

Zwar ließe sich "fast die ganze Erde mit nur drei Satelliten 'abdecken'" oder "'betreuen'", die auf "geostationärer Umlaufbahn vom Boden aus gesehen scheinbar fest am Himmel 'stehen'". Doch sind solche Systeme "kompliziert und schwerfällig". Sie erfordern bei den Empfängern "aufwendige technische Apparaturen", nämlich "ganze Koffer voll Elektronik nebst sperrigen Parabolantennen", also "unhandliche" Telephonapparate. Ein defekter Satellit wäre "nur mit technischem und finanziellem Aufwand sowie erheblichen Zeitverzögerungen zu ersetzen." Das wendige "dezentrale Netz" von Iridium hingegen garantiert schnelle Pannenbeseitigung. "Eine dauernde, kleine Serienproduktion und Vorratshaltung von Satelliten soll bei Pannen für raschen Nachschub sorgen". Die leichten Satelliten "können von einer billigen Pegasus-Rakete in die Erdumlaufbahn geschossen werden." Diese Raketen sind "auf dem freien Markt käuflich und ohne große Vorbereitungen einsetzbar." Zwar können die Iridium-Kunden nur unter sich telephonieren, aber dies können sie "unbeschränkt", "ob im Amazonasdschungel oder im ehemaligen Ostblock". Für den "globalen Schwatz" reicht ein kleines Handtelephon "mit einer Stabantenne von wenigen Zentimetern Länge" : "ein universell einsetzbares Westentaschentelephon für Weltbürger".

II

Iridium: Elektronenhülle und Atomkern, Satellitenhülle und Erde. Die Hülle: Netz, Decke oder Lappen umspannen, überlappen und decken ab. Flexible und bewegliche Hülle, an der nichts mehr fixiert ist oder am Himmel steht und die sich der Erde gewissermaßen anschmiegt; dort ähnlich flexible Kunden, an denen alles Sperrige und Unhandliche bis auf ihre Haut entrümpelt und alle Schranken und Grenzen aufgelöst sind. Sie sind von Zelle zu Zelle auf jedem Flecken oder Flicken der Erde zuschaltbar wie die Satelliten von Iridium austausch- oder nachschiebbar. Ab 500 000 Kunden werden Investitionen und Kapitaldecke kleidsam: Flexible Vorratshaltung und freier Markt auf beiden Seiten - und das Kleid aus Satelliten liegt einer Kundenschar fast auf der Haut, die Iridium nun selber einkleidet. Iridium umkleidet schmiegsam das ihr kleidsame Kleid des entspanzerten Weltbürgers, indem es ihn in seine globale Dorfuniform oder Weste investiert, an der das handlische Westentaschentelephon piept, wenn Iridium ihn oder sich zugeschaltet oder nachgeschoben hat.

Die technologische Hülle der globalen Kommunikationssysteme jedoch entfaltet aus sich selbst noch einmal ein Gewand. Die Konkurrenzsysteme heißen Odyssey, Globesat, Aries, Ellipsat oder Constellation - gesättigte Namen. Iris aber darunter, die griechische Göttin, Tochter des Thaumas und der Elektra, Botin zwischen Himmel und Erde und Personifikation des beide verbindenden Regenbogens; dieser selbst dann als Spur des von ihr zurückgelegten Weges und zugleich als ihr buntschillerndes Gewand: "und Iris umhüllt mit dem Kleid sich, dem bunten in tausend Farben, und eilt, den Weg mit dem Bogen am Himmel bezeichnend" {Ovid, Metamorphosen 11, 589} - um aus den glänzenden Fäden oder Bögen oder aus den mythisch schillernden oder "umschwirrenden" Spuren endloser Sprünge von Dorfbewohner zu Weltbürger, Journalist zu Geschäftsmann, dritter zu erster Welt, Arm zu Reich, von technologischen Innovationen zu Katastrophen(hilfe), von Vormoderne zu Postmoderne und schließlich von der "Antiquiertheit des Menschen" zu seiner sich selbst überkugelnden Übermodernität im Reich der Neuen Medien ein buntschillerndes technologisch-mythisches Textil zu weben. Und bist du noch an dein unhandliches, sperriges und an die Postdose gekettetes Telefon oder an eine noch unhandlicheres altes Schriftmedium gekettet, laß Iridium dir mit Norbert Bolz den Sprung raten: "wer nichts riskiert, riskiert nicht mehr mitzukommen." (Bolz 10992, 19) Und interpunktiere: "riskiert, nicht mehr mitzukommen" - so und nicht anders.

III

Ein springendes, hüpfendes, schwirrendes Weberschiffchen also, Lückenbüßer oder -behüpfer, umspannende Netze webend, Instrument einer weltumspinnenden Sprungrhetorik, kleiner widerlicher Spanner oder spannende kleine Sprungtrope, zwielichtig und zwiegeschlechtlich diffus und diffundierend, eine ver- und zuschiebende Differenz, ausuferndes Zwischending, Gewebe aus der Spannung des minimalen Abstandes zweier Häute oder Hüllen: Menschenkleid und Medienhülle, Haut an Haut, aber dazwischen wie Flöhe : Oxymoron, Katachrese, Metonymie, Metapher oder - Mythos, aber nicht des Ur-, sondern des umspringenden oder verzwirnenden Ab- und Übersprungs, Mythos als Medium seines eigenen Sprungs aus dem ursprünglichen Ursprung in den ursprungslosen, immer an- und zukommenden; Schiebermythos also der Zwischendinge oder Medien als ihrer eigenen Botschaft: sei dazwischen, habe und sei gesprungen springend, geschaltet schaltend, kurzgeschlossen kurzschließend, entschieden entscheidend, und ein großartig spannendes und befreiendes dezisionistisches Springen, Entscheiden und Schalten wird dich anspringen, entscheiden und schalten, deine Sprünge, Scheidungen und Risse mit ihnen selbst gnädig bedecken und dich in sie selbst einwickeln: geschaltet habend bist ein- oder zugeschaltet und am Schalthebel, denn nur, wer erfindet, daß Kein Mensch die Neuen Medien erfunden hat, findet, daß sie ihn finden als sein ihn programmierendes Programiererglück: "Wem es also gelingt, im Synthesizersound der Compact Discs den Schaltplan selber zu hören oder im Lasergewitter der Diskotheken den Schaltplan selber zu sehen, findet ein Glück. Ein Glück jenseits des Eises, hätte Nietzsche gesagt. Im Augenblick gnadenloser Unterwerfung unter Gesetze, deren Fälle wir sind, vergeht das Phantasma vom Menschen als Medienerfinder. Und die Lage wird erkennbar." (Kittler 1986: 5/6)

Was aber verhüllt der Mythos von den Neuen Medien? "Der Schleier des Medienzaubers legt sich wohltätig betäubend über die Wunde, die das Existieren ist", sagt Norbert Bolz (Bolz 1992, [Welt als Chaos..] 97). Im Bolzschen "Klartext": der Mythos der mediadisierten Postmoderne legt sich über die Wunde der Moderne und reicht deren Subjekten ein "Präservativ" "in den "Medien einer totalen Mobilmachung"(98), ein Präservativ das, über das Subjekt als Wunde, als nacktes 'Subjekt der Moderne' oder über eine "nackte Wahrheit" (Phil.nach.Ende...) gestreift, die Postmoderne zu einer "Gestalt des Erwachens aus dem Alptraum der Moderne"(99) verhüllt und sie als Befreiung von der nackten Wahrheit und Nacktheit der Wahrheit (der Moderne) als "das mythische Gefühl der freien Lüge" (117) erlügt, indem sie mit Bolz-Nietzsche "ein dünnes Apfelhäutchen von Kultur über glühendem Chaos" (8) medienmythisch neu auslegt und wendet, um so die Moderne (in einem großartigen Entschuldungsunternehmen) in die "Rückkehr in den Stand mythologischer Unschuld" (102) zu verhüllen, einzuwickeln und zu verpacken.

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[Gleitest ab in Hülle-Kern und weg von McLuhan. Denke an Ars concionandi, inventio etc: Amplificatio.] [blurb, verwischen, rasieren (Giedion), Rhetorik, Transvestit: Quintilian; Bolz, Chaos S 101]

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Der Mythos der Neuen Medien oder die Neuen Medien als Mythos : was verhüllen sie, wenn nicht eine Verhüllung. Eine gewisse Konturiertheit verschwimmt, ein gewisses Profil wird eingeebnet, eine zerklüftete Landschaft planiert, eine gewisse Tiefe wird zu reiner Oberfläche und eine dritte Dimension und einen ihr zugeordneten perspektivischen Blick oder Durchblick verstellt eine zweidimensionale Flächigkeit und befreit die perspektivischen Seher von ihrem zwanghaften Starren auf und Beleuchten von etwas anstößig Nacktem, um sie aus in sich selbst leuchtenden Flächen oder irisierenden Regenbogenhäuten aus Satelliten-oder Bildschirmen selbst anzublicken, ("funktechnisch") auszuleuchten und sie so in den von ihnen nicht mehr einsehbaren distanz- und tiefenlosen Raum einer globalen Medienbühne der kollektiven und korporativen Darstellung ihrer gestisch-pantomimisch-rituell vollzogenen Entkernung, Entselbstung, Auslöschung und Mediatisierung zu punktualisieren, involvieren oder - wieder - sie in sie selbst als nur noch oberflächiges textiles Gesamtkunstwerk der Vermaschungen dieser ihrer zahllosen Sprünge, Schlaufen und Schlingen ineinander einzuhüllen. "Statt die vermeintliche Sinntiefe von Kunstwerken auszuloten, setzt die Postmoderne gerade auf den Reiz der Unbestimmtheit. Darin folgt sie einem zentralen Theorem des Medienästhetikers Marschall McLuhan: Je größer die Unbestimmtheit einer Botschaft, desto größer die Chance und die Notwendigkeit der Teilnahme, der Partizipation und Performanz." (Bolz 1992 [Chaos], 101)

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Nun haben Mythen aber ihre mythischen Helden. Der Mythos von den Neuen Medien verhüllt aber das Verschwinden seines Begründungsaktes und dessen Helden in diesem Mythos selbst, also den Übergang oder die Transformation einer historischen Figur und eines historischen Aktes in einen zeitlosen Mythos oder Mythos einer neumedialen Zeitlosigkeit.

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27.10.92 Nun doch reingeholt aus IRIDIUM1.WP: Bleibt die Frage nach den Einwohnern des globalen Kommunikationsdorfes. Anvisierte Weltbürger sind in erster Linie "vielreisende Geschäftsleute, Journalisten, Mitarbeiter von Entwicklungshilfe-Organisationen etcetera." Aber auch an Enwicklungsländer wird gedacht. "So wäre es möglich, in abgelegenen Dörfern ohne Anschluß an das Telephonnetz dennoch öffentliche Münzstationen (mit Solarstromversorgung und gegebenenfalls durch Entwicklungshilfe verbilligten Gesprächstaxen) aufzustellen. Auch für die Katastrophenhilfe dürfte das System neue Perspektiven eröffnen."

Zumindest an einer Stelle buchtet die Technosphäre ein: sie nimmt ihr Außen in sich hinein und sperrt es zur Einpassung und Entwicklung in eine Kommunikationszelle ein.

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Fehlt immer noch: GLOBALES MEDIENDORF. Nimm das auseinander mit CA in MCLUH.DBA. Und MI_010 : "humor - a perceptive or INCISIVE joke can be more meaningful than platitudes lying beween two covers." MACH08.WP, S.3

Und MACH07.WP und MACH06.WP heranziehen, alles zu Medium=Massage (auch so ein Very Bad Pun.

Medientheorie, so McLuhan, ist wie die katholische Kirche auf einem Witz gegründet: auf diesem Felsen-Petrum-Papst werde ich ... s. MACH01.WP Aufsatz über Pynchons Gravitys Rainbow: VERY BAD PUN als zentrales allegorisches device. PLASTIC TRIVIA

DEV\IRIDIUM5.WP * 24.10.92

Halststarre! Doch nicht vom Starren auf den Bildschirm? Starren, als ob jemand dahinter säße und ihn von hinten beschreiben würde? Ist das nicht eine Ausrede? Also mal ehrlich, man möchte nicht über Neue Medien schreiben. ..... Kittler, Schrift- Höchste Führung.

Tschibo: "Das geschlossene Aromasystem für höchsten Kafeegenuß." Iridium: "Das geschlossene Kommunikationssystem für höchsten Schwatzgenuß". Denn: "Schwatz per Satellitenschwarm".

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Von Neuen Medien schreiben heißt hier: nicht aufhören können zu schreiben, daß etwas nicht aufhört sich nicht zu schreiben. Daß der Buchstabe ein Effekt von Diskursen sei und im höchsten buchstäblichen Befehl bestehe: lies, daß du lesen und dich alphabêtisieren lernest. So schreibt dieser schreibende Nomade entlang der von Priesterschaften festgetretenen Schriftpfaden über dem Tohuwabohu, indem er nicht aufhört zu schreiben, daß diese Schriftspuren als ihre Kehrseite oder Schreibunterlage das Tohuwabohu oder die Kehrseite Satans haben, die nicht aufhört sich nicht zu schreiben. Also auch hier die widerliche kleine Sprungtrope, der pocket-myth oder die miniaturisierte Universalallegorese: steig nieder in das Totenreich der Schrift und du wirst lebendiges Tohuwabohu oder das Rauschen der Kanäle oder den neuen Christus Lacans: einziger Menschenkörper ohne Seele, reiner Datenfluß.