§ 636 - N I C O L I N I

Daß Brigantentum und Piraterie im Altertum keine Schande, sondern Ehrentitel waren, sagt Plutarch nicht im Leben des Theseus, 6, 5, wo er statt dessen erzählt, daß zur Zeit des Heroen Räuber den Landweg von Troizen{Trezene; Troizen: Geburtsort des Th.-kl.Pauly} nach Athen gefährlich machten, sondern im Leben des Pompejus 24, 2. Die Behauptung ist außerdem üblich bei den Scholiasten Homers (Ad Od. III, 105), bei Thukydides (I, 4), bei Diodorus (V, 34), bei Servius (Ad Aen., VIII, 429) und bei anderen antiken Schrifstellern, die von der direkten Quelle Vicos zitiert werden, welche sicherlich De iure belli et pacis II, 15, 5, 2 von Grotius war: vgl. auch Hofmann II, 759; III, 766; IV, xi.  ¶  Daß im Mittelalter «Korsar» ein «Herrschaftstitel - titolo si signoria» war, entnahm Vico direkt oder indirekt einer apologetischen Digression, die der dänische Arzt, Archeologe und Professor an der Universität von Kopenhagen Olfs Worm (1558-1654) (zu ihm vgl. hier weiter unten § 1237) zugunsten der alten der Piraterie ergebenen Könige von Dänemark geschrieben hatte: s. Danicorum monumentorum libri sex (Kopenhagen 1643) und vgl. Ducange ad. v. pirata; Hofmann III, 766, sowie hier weiter unten 1053.  ¶  Eigentlich habe Solon nach Plutarch (Solon 17, 2) sich damit begnügt, unter den Gesetzen des Drakon auch jenes abzuschaffen, das über den Diebstahl von Gemüse und Früchten dieselbe Todesstrafe verhängte, die demjenigen drohte, der ein Sakrileg oder einen Mord verübt hatte. Aber offensichtlich wollte Vico sich auf das solonische Gesetz über die etaireiai oder Gesellschaften beziehen, von dem Gaius in Dig. XLVII, 22, 4 (vgl. auch hier weiter unten § 1420) anläßlich der «sodales» der XII Tafeln berichtet. Allerdings sagt Gaius nicht, wenigstens nicht explizit, daß Solon auch etaireiai oder Gesellschaften genehmigte, die Raub zum Ziel hatten. Aber eben das wird von der direkten Quelle Vicos behauptet, die wieder einmal Grotius (l.c.) war.  ¶  «so sehr verstand sich Solon auf diese unsere vollendete Humanität» etc.: vgl. §§ 414-16.  ¶  Unabhängig von Grotius, l.c., sind die Verweise auf Platon (Sophistes 222 c) und Aristoteles (Politik I, 3 (8), 4 und 5, 1256 a 30 - b 10{Batt.: I, 8, 1256 a .. b}) zum «Räuberwesen - ladronceccio» als eine der «Arten der Jagd», oder genauer zur Plünderung der Felder , die, wie die Jagd, als ein Subsistenzmittel angesehen wurde; ebenso der andere Hinweis auf Polybios (III, 24,4) zum Verbot, nach dem die Karthager «das Kap Pelorum in Sizilien nicht ... überschreiten sollten». Aber es war Grotius (l.c.), der schon erwähnt hatte, daß die alten Germanen die Raubzüge als «Tapferkeitsübungen» ansahen, oder genauer, daß bei ihnen «latrocinia nullam habent infamiam, quae extra fines cuiusque civitatis fiunt», wie Caesar, B.g. VI, 23 schreibt; dabei verweist Grotius auch auf Tacitus, Germ. 14 und 26 und auf andere Schriftsteller und fügt hinzu, daß laut Servius (Ad Aen. VIII, 429) und Diodorus (V, 34), auch die Tyrrhener und Lusitaner {Etrusker - Portugiesen} Räuberei und Piraterei betrieben, und daß noch zur Zeit des Marius nach dem Bericht Plutarchs in dessen Biographie (5) die Spanier das eine wie das andere für höchst ehrenwert hielten. Und.  Barbeyrac hatte im Kommentar zu der Stelle des Grotius hinzugefügt, daß eine große Anzahl von Beispielen dafür von Jakob Thomasen oder Thomasius (1622-81), dem Vater des Jusnaturalisten Christian, in einer besonderen Abhandlung mit dem Titel Historia latrociniis gentis in gentem gesammelt worden waren. Ferner hatte derselbe Casar, B.g. VI, 16 von den Galliern geschrieben, daß «supplicia eorum qui in furto aut in latocinio aut aliqua noxa sint comprehensi, gratiora diis immortalibus esse arbitrantur» : aber hier handelt es sich um sozusagen häusliche Diebstähle, nicht um «heroische Raubzüge».  ¶  Nicht an «mehreren Stellen», sondern nur im Prolog zu Asinaria sagt Plautus, daß er mit «barbare», also mit einem lateinischen Wort, den Titel (Onago) jener Komödie des Demophilos. Es kann aber sein, daß Vico sich auch auf die anderen Stellen beziehen wollte, in denen der lateinische Komödiendichter Italien (und zwar von griechischen Personen) «Barbaria» nennen läßt (Poen.. III, 2, 21), «barbaricae urbes» die italischen Städte (Capt.. IV, 2, 102), und «barbarica lex» das römische Gesetz (ibid. II, 3, 32).  ¶  Daß die Griechen «in den Zeiten ihrer gebildetsten Humanität» das Räuberwesen und die Piraterei betrieben, konnte Vico bei Thukydides, I, 6, lesen, der von seinen Zeitgenossen die ozolischen oder westlichen Lokrier{nördl. Sinus Corinthiacus}, die Ätiolier, die Akarnanier{alle: von Osten nach Westen; letztere nördlich über Leucas/Ithaca(?); Nico: arcananii: weder LexdAW noch klPauly; sonst: LexdAW - kein Wunder bei der Schreibweise; klPauly, großer Nachtrag Bd. A Akarnina } und ihre Nachbarn auf dem Festland erwähnt. Und schon vor Vico hatte Grotius, l.c. in einer etwas weitgehenden{estensiva} Auslegung geradezu behauptet, daß Aristoteles diejenigen lobt, die davon leben, barbarische, das heißt nicht-griechische Völker zu plündern: wohingegen der Philosoph aus Stageira, l.c., nur bemerkt, daß die Völker, die aufgrund von Armut im eigenen Land, sowohl Nomaden wie auch Plünderer werden, dies aus Not tun. Daß aber sodann diese Plündereien den Griechen fast den ganzen den Stoff ihrer Komödien lieferten, ist eine unbegründete Behauptung Vicos, die sich nur unter der Annahme verstehen läßt, daß Vico die Werke jener «alten Dichter» für «Komödien» hielt, die nach Thukydidies, l.c., sangen, daß die Seefahrer, wenn sie sich begegneten, sich ohnen einen Unterton von Schimpf fragen, ob sie zufällig Piraten seien.  ¶  Zur Zeit Vicos war es communis opinio, daß die Küste von Nordafrika  «Berberei - Barbaria» hieß, da sie von Menschen bewohnt wurde moribus et linguis fere barbari» (~Johann/~Jean Bunon, in Klüver, Introductio, cit., p. 684, nota a). Aber daß man mit diesem Namen vor allem auf die häufigen Prisenüberfälle anspielen wollte, die noch im siebzehnten Jahrhundert die  Berber vor allem an den Küsten Siziliens und Süditaliens unternahmen, die nahegelegenen von Neapel nicht ausgenommen (vgl. § 1055), ist rein vicosche Hypothese. Vgl. jedenfalls auch das, was im § 1055 zu der wiedergekehrten «heroischen Sklaverei» gesagt wird.

ZUSATZ: Im Projekt VD17 (Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienen Drucke des 17. Jahrhunderts) ist (19.12.99) dieser Titel von Jakob Thomasius nicht zu finden. Dafür neben politisch-juristischen des Rhetorikprofessors auch solche wie: Theses Metereo-Philologicae De Marinis Ignibus, Quos Stellas Castores Vocavit Antiquitas (1650); Dissertatio Philosophica De Cingaris (1652); De Poculo S. Joannis, quod vulgo appellant S. Johannis-Trunck (1657); De Nigello Wirekero (1679); De Barba Disputatio (1676); Nominibus atq[ue] insignibus Lupinis Dissertatio Historica (1667); De Mandragora Disputatio Philologica (1669); De Visu Talparum, Discursus Physicus (1671); Dissertatio Philosophica, De Hibernaculis Hirundinum (1671); --- und etliche mit seinem Namen veröffentlichte Dissertationen, wie: Academicam De Foeminarum Eruditione, Priorem Consensu Inclutae Facultatis Philosophicae in alma Lipsiensi sub Praesidio Viri Amplissimi atque Excellentissimi Dn. M. Jacobi Thomasii, Orar. Prof. P. celeberrimi, Facult. Philosoph. Adsessoris gravissimi, Min. PP. Collegii Collegiati meritissimi &c. Domini Patroni, Praeceptoris atque Promotoris sui aeterno observantiae cultu venerandi d. XIV. Januar. A.O.R. MDCLXXI. in Collegii Maioris Principum Auditorio Publico Eruditorum Examini proponit Johannes Sauerbrei/ Hilperh. Fr. (1671)  ¶  Grotius II, 15, 5, 2 «Hinc illa apud Homerum, an praedones estis? amica interrogation, cuius et Thucydides meminit, et in Solonis lege veteri collegia epi leian ercomenwn; quippe, ut Iustinus ait, ad Tarquinii tempora latrocinium maris gloria habebatur: et illud in Romano iure, ut si cum gente aliqua neque amicitiam, neque hospitium, neque fedus amicitiae causa facum habeatur, hi hostes quidem non sint: quod autem ex Romano ad eos pervenerat, illorum fiat, et liber homo Romanus ab eis captus servus fiat. idemque sit, siquis inde ad Romanos perveniat: et hoc quocque casu postliminium detur. Sic Corcyrenses olim ante belli Peleponnesiaci tempora hostes Atheniensium non erant, sed nec pacem cum illis, nec inducias habebant, ut ex oration Corinthiorum apud Thucydidem apparet. De Boccho Sallustius: nobis neque bello neque pace cognitus. Hinc in barbaros praedam exercere laudatum Aristoteli, et ipsa vox hostis, veteri Latio nihil nisi externum significabat. (ed. P.C.Molhuysen, Lugduni Batavorum, Sijthoff, MCMXIX, p. 301) Grotius macht für diese Situation verantwortlich, «quod regula illa iuris naturalis, cognationem inter homines quandam esse a natura, ac proinde nefas esse alterum ab altero laedi, ut olim ante diluvium, ita rursus aliquo post diluvium tempore malis moribus esse obliterata, ita ut latrocinari et praedas agerer in externos nullo bello incito, pro licito haberetur: quod Skuqismon vocat Epiphanius» und zitiert in den Anmerkungen die von Nicolini erwähnten Autoren: Caesar, Tacitus de moribus Germaniae, Servius de Tyrrhenis, Diodor Siculus de Lusitanis, und fügt hinzu «Simile est quod Iudaei damnum datum ei qui nec Iudaeus sit, nec Iudaeis federaturs, sarciendum [Wiedergutmachung] negant. (l.c.)

[Berberei Barbaria: vgl. SNP § 281]