BIBLIOTISCHE ZITATSAMMLUNG AUS PrologDataBase

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15.2.89
Gibt es analog zur Schaltlogik (Schaltalgebra, Boolsche) eine Schaltrhetorik?s BLoom, letztes Kap von Wallace Stevens Rhetorik -> Assoziationspsychologie(18 Jhdt)-> Freud. Aristoteles: Enthymon - Syllogismus. COMPUTERLOGIK waere eine "Logik" der PERSUASION.

 

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@QUELLE
Neumann, John von.
Die Rechenmaschine und das Gehirn.
München 1970 (3)

Informatik-Bibliothek G Neu # 200Der Text entstammt den "Siliman Lectures", einer Vorlesungsreihe der "Silliman Stiftung". Diese Stiftung, so informiert ein Hinweis am Ende des Buches, wurde 1883 ins Leben gerufen. Sie wandte sich an das Yale College mit der Aufforderung, "eine jährliche Vorlesungsreihe ins Leben zu rufen, die dazu bestimmt ist, Kunde von der Gegenwart und Vorsehung, der Weisheit und Güte Gottes zu geben, wie sie sich in der Natur und Geisteswelt offenbaren" (S. 78, Information über die Silliman-Stiftung).

Das Vorwort ist von Klara von Neumann geschrieben, der Frau von John von Neumann. Wegen der Informationen über Leben und Werk von Neumanns sowie über die Verbindung der Entwicklung von Computer- und Kriegstechnologie soll es ausführlicher refertiert werden.

Demnach wurde John von Neumann 1956 von der Universität Yale aufgefordert, die Siliman Lectures im Frühjahr 1956 zu halten. Das von ihm gewählte Thema hatte ihn schon länger beschäftigt. Er musste um eine Kürzung der Vorlesungsreihe bitten, da er gerade von Präsident Eisenhower zum Mitglied der "Atomic Energy Commission" mit hauptamtlicher Tätigkeit ernannt worden war.

John von Neumann, so der Bericht von Klara von Neumann, wurde 1903 in Budapest geboren. Er studierte Chemie und Mathematik an der Universität Berlin, der TH Zürich und der Universität Budapest. 1927 wurde er zum Privatdozenten an der Universität Berlin ernannt, lehrte später in Hamburg. 1931 wurde er Fakultätsmitglied der Universität Priceton und zog in die USA.

In den zwanziger und dreissiger Jahren arbeitete er über "Quantentheorie, mathematische Logik, Ergodentheorie, stetige Geometrie, Probleme der Operatorenringe und viele andere Gebiete der reinen Mathematik."(S. 8 ) Ende der dreissiger Jahre arbeitete er über theoretische Hydrodynamik, speziell an den "grossen Schwierigkeiten, die bei der Lösung partieller Differential- gleichungen mit bekannten analytischen Methoden auftreten". (S. 9)

Seine Arbeiten führten im Krieg zu seiner "Verwendung im wissenschaftlichen Verteidigungsdienst und und verstärkten mehr und mehr sein Interesse für die Gebiete der angewandten Mathematik und Physik." (S. 9 ) Er arbeitete an einem der "wesenlichen Forschungsproblem der Verteidigung" mit, nämlich an der "Wechselwirkung von Schockwellen", indem er an dem mathematischen Entwurf der in Philadelphia für die "Ballistic Research Laboratories of Army Ordonance" gebauten ENIAC -einer der ersten grossen elektronischen (?) Rechenmaschaschinen - mitwirkte, "und von diesem Zeitpunkt an bis zu seiner letzten Stunde galt sein Interesse den noch unerforschten Aspekten und Möglichkeiten der rasch zunehmenden Verwendung von Automaten". (S. 9 )

1943, "bald nachdem das Manhattan-Projekt angelaufen war, wurde John einer der Wissenschaftler, die 'in den Westen verschwanden', und er pendelte zwischen Washington, Los Alamos und vielen anderen Orten. In dieser Zeit gewann er die feste Überzeugung, dass mit Hilfe schneller elektronischer Rechenanlagen ausgeführte numerische Berechnungen die Lösung vieler schwieriger, ungelöster wissenschaftlicher Probleme wesentlich erleichtern würden, und er versuchte auch andere davon zu überzeugen." (S. 8/9 ).

Nach dem Krieg wirkte er massgeblich an der Entwicklung eines JONIAC genannten Versuchsrechners mit, dessen Konstruktionsprinzipien massgeblich für die weitere Entwicklung von Computern wurden. Bei dem Entwurf der Maschine "versuchten John und seine Mitarbeiter, einige der bekannten Vorgäng im lebenden Gehirn zu imitieren." (S. 10 ). Er beschäftigte sich in diesem Zusammenhang mit Neurologie und knüpfte dabei wissenschaftliche Kontakte zu "Kapazitäten auf den Gebieten der Meurologie und Psychiatrie". Das führte schliesslich zu Vorträgen über die Möglichkeiten, "ein stark vereinfachtes Modell des lebenden Gehirns für von Menschenhand zu bauende Maschinen zu kopieren" (S. 10 ). Einige Monate nach seiner Vereidigung als Mitglied der "Atomic Enegy Commission" ( 15. März 1952; oben: 1956 ) erkrankte John von Neumann an Knochenkrebs. Es entwickelten sich krankhafte Veränderungen am Rückrat und "ab Januar 1956 war John an den Rollstuhl gefesselt, aber er besuchte immer noch Konferenzen, wurde in sein Büro gefahren und setzte die Arbeit am Manuskript für die Vorlesung fort. Es war offensichtlich, dass seine Kräfte von Tag zu Tag nachliessen. "( S. 11)

Eine Behandlung mit Röntgenstrahlen brachte keine Besserung. John von Neumann musste den Vorschlag machen, bei den bevorstehenden Silliman Lectures das Manuskript von jemandem vorlesen zu lassen.

"Anfang April wurde John ins Walter-Reed-Hospital eingewiesen. Er sollte es bis zu seinem Tode am 8. Februar nicht wieder verlassen. Das unvollendete Manuskript der Silliman Lectures begleitete ihn ins Krankenhaus, wo er noch einige Versuche unternahm, daran zu arbeiten. Aber dann gewann die Kranheit endgültig die Oberhand, und selbst Johns aussergewöhnlicher Geist konnte die Schwäche des Körpers nicht überwinden." (S. 12 )

John von Neumann grenzt den Ansatz, den er in den Vorlesungstexten entwickeln will, auf "mehr oder weniger systematisierte Spekulationen" ( S. 13 ) über den Versuch ein, "einen Weg zum Verständnis des Nervensystems vom Standpunkt des Mathematikers zu finden" (ebd.) Dabei sollen die logischen und statistischen Aspekte im Vordergrund stehen, insofern als in erster Linie "Logik und Statistik als Grundlagen der 'Informationstheorie' angesehen werden." (ebd.) Die dabei herangezogene Informationstheorie soll die bei der "Planung, Auswertung und Kodierung komplizierter logischer und mathematischer Automaten" (ebd.) gewonnenen Erfahrungen verfügbar machen, womit in erster Linie an die "grossen elektronischen Rechenmaschinen" (ebd.) gedacht ist.

Die Vorlesungen selbst zerfallen in zwei Teile. Teil eins handelt von den logischen und mathematischen Prinzipien, die bei der Konstruktion von Rechenmaschinen massgeblich sind, Teil zwei - "Das Gehirn" - enthält die erwähnten "Spekulationen" über die Möglichkeit, von diesen Prinzipien her zu einem Verständnis von Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems, speziell des Gehirns, zu kommen. Die Erörterungen xüber die Rechenmaschinen spiegeln den fortgeschrittensten Stand der Informationstechnologie von 1956, sind also historisch zu sehen. Deswegen aber und für die, die wie der Referent für Hinweise einführenden Charakters dankbar sind, soll versucht werden, sie wiederzugeben.

Es wird zunächst der grundlegende Unterschied zwischen analogen und digitalen Rechnern erörtert. In Analogrechnern werden Zahlen durch eine physikalische Grösse dargestellt, "deren Wert, gemessen in einer vorbestimmten Einheit, gleich der betreffenden Zahl ist" (S.15) Verwendet werden können dazu "der Rotationswinkel einer Scheibe, ein elektrischer Strom oder eine (gegen einen Bezugspunkt gemessene) Spannung usw." (ebd.) Diese Maschinen müssen aus Bauelementen bestehen, die als "darstellende Grössen" (16) in der Lage sind, die mathematischen Grundoperationen, nämlich die vier Grundrechnungsarten der Arithmetik, auszuführen. Die Darstellungsmethode durch Rotationswinkel von Scheiben bezieht sich allerdings auf den "klassischen 'Differential- analysator'", in dem "Lösungen von Systemen totaler Differentialgleichnungen" (17) "mittels der vom 'Differentialgetriebe' bzw. 'Integrator' erzeugten Operationen" (ebd.) vorgenommen werden.

Für diese wie für andere Rechenmaschinen gilt, dass sie für die Lösung verwickelter mathematischer Probleme p r o g r a m m i e r t werden müssen. "Das bedeutet, dass der komplexe Vorgang der Lösung dieses Problems durch eine Kombination der Grundoperationen der Maschine dargestellt bzw. mit gewünschter vorgeschriebener Genauigkeit durch eine Kombination der Grundoperationen approximiert werden muss." (S. 17 )

In einem Digitalrechner hingegen wird jede Ziffer "durch ein System von 'Markierungen' repräsentiert". (ebd.) Das gilt unabhängig davon, ob im Dezimalsystem oder im Dualsystem gerechnet wird. Die Operationen eines Digitalrechners werden auf die vier Grundrechnungsarten der Arithmetik zurückgeführt. Hier tritt aber die "logische Struktur" (21), oder der "logische Charakter" (20) der Berechnung in den Vordergrund. So gilt für die Addition: "Im Gegensatz zu den physikalischen Prozessen, die die Addition in Analogrechnern simulieren, steuern im digitalen Fall strenge logische Regeln die Ausführung der Operation" (19). "Der logische Charakter der digitalen Summe wird noch deutlicher, wenn an Stelle des dezimalen das duale System verwendet wird" (19). Denn hierfür gilt folgende Additionstafel:

0 + 0 = 00

0 + 1 = 01

1 + 0 = 01

1 + 1 = 10 (19)

[ Anm: der logische Charakter dieser Tafel wird deutlich, wenn man statt '0' 'falsch' und statt '1' 'wahr' setzt und liest als: wenn.....

?????????????????????????????????????]

Dasgleiche gilt für die anderen Rechnungsarten, von denen von Neumann zusammenfassend sagt, "dass sie diese Operationen grundsätzlich von den phyikalischen Vorgängen, die in Analogrechnern verwendet werden, unterscheiden. Im digitalen Fall sind die Grundoperationen durch strenge logische Regeln beschreibbar, die für die Multiplikation und Division einen sehr komplexen logischen Charakter haben. Das mag uns verborgen sein, da wir mit ihnen lange und fast instinktiv vertraut sind, aber der Grad ihrer Komplexität wird sichtbar, wenn man sich zwingt, die Regeln vollständig aufzuzählen." (21)

Im Folgenden wendet sich von Neumann der logischen Steuerung der Automaten zu. "Über die Fähigkeit hinaus, einzelne Grundoperationen ausführen zu können, muss eine Rechenmaschine sie in der Reihenfolge (oder vielmehr nach dem logischen Plan) ausführen können, in der sie die Lösung des mathematischen Problems, die den eigentlichen Zweck der vorliegenden Berechnung darstellt, erzeugen." (21) Hier tritt ein weiterer Unterschied zwischen Analogrechnern und Digitalrechnern zutage, der aber mehr für ein "orthodoxes Schema" (24) der Maschinen, als für ihre verschiedenen realen Konstruktionen Gültigkeit hat. In Analogrechnern ist für jede durchzuführende Rechenoperation je ein für diese Operation vorgesehenes Bauelement nötig. Das heisst, dass diese Maschinen "während der Bearbeitungszeit eines Problems mit einer festen Struktur versehen" (22) sind.

Dagegen gibt es bei Digitalrechnern - dem orthodoxen Schema zufolge - "einheitlich für jede Grundoperation nur e i n e n Baustein. Ein Digitalrechner enthält also insgesamt einen Addierer, einen Subtrahierer usw., während ein Analogrechner [ hier = Differentialanalysator ] in Abhängigkeit von der bearbeiteten Aufgabe über mehrer Differentialgetriebe, Integratoren usf. verfügen muss. Das ist jedoch mehr eine historische Tatsache als eine eigentliche Notwendigkeit" (23).

Wenn diesem Prinzip entsprechend in einem Digitalrechner für jede Grundoperation nur ein Baustein vorgesehen wird, muss eine grössere Anzahl von Elementen zur Verfügung stehen, in denen Zahlen g e s p e i c h e r t werden können. "Ein Baustein dieser Art wird S p e i c h e r z e l l e, die Gesamtheit derartiger Bausteine S p e i c h e r genannt. Die Anzahl der Speicherzellen in einem Speicher ist ein Mass für seine S p e i c h e r k a p a z i t ä t." (24)

Hier nun gibt es zwei Prinzipien der logischen Steuerung: Entweder wird die Steuerung durch "S t e u e r g l i e d e r genannte Steuerelemente" (24) vorgenommen, die mit den die Grundoperationen ausführenden Bausteinen und den speichernden "Registern" (25) verbunden sind. Hierbei ist bemerkenswert, "dass ähnlich wie bei den früher erwähnten Steuerungen der Analogrechner, die Gesamtheit der (elektrischen) Verbindungen die Stuktur des zu lösenden Problems, d.h. der vom Anwender gestellten Aufgabe, repäsentiert. Da die Verbindungen der einzelnen Steuerglieder untereinander und ihre Verbindungen mit anderen Bausteinen steckbar sind, so kann zwar das System der Steckverbindungen von Problem zu Problem geändert werden, während der Bearbeitungszeit des Problems liegt es jedoch, zuminstest für die einfachsten Fälle, fest.

Oder aber - und das ist die zweite grundsätzliche "Methode zur Steuerung von Operationsablälufen, die bereits weitgehend die erste ersetzt hat" (26) - die Steuerglieder werden durch B e f e h l e ersetzt, die abei den meisten Realisierungen dieser Methode physikalisch dasselbe wie von der Maschine verarbeitete Zashlen sind.

Ein solcher Befehl enthält Angaben darüber, "welche Grundoperation ausgeführt werden soll, welchen Speicherzellen die Eingangsdaten der Operation entnommen werden sollen und in welcherSpeicherzelle das Resultat zu speichern ist." (27) Dazu müssen die Speicherzellen durchnumeriert, d.h. mit A d r e s- s e n versehen sein. Weiterhin muss wie bei den festverdrahteten Steuergliedern der Befehl Angaben über seinen Nachfolger enthalten und gegebenfalls eine Verwzeigung in der Abfolge der Operationen ermöglichen.

Ein solcher Befehl ist physikalisch gesehen dasselbe wie eine Zahl. Er wird deshalb ebenso wie die Daten, die er den Bausteinen zuführt, in einer Speicherzelle abgespeichert, "so dass jeder Befehl im Speicher in einer bestimmten Speicherzelle mit einer bestimmten Adresse gespeichert ist." (28) So lassen sich raffinierte Methoden der Steuerung der Steuerung ?? entwickeln, nämlich Methoden der Regelung der Abfolge der Steuerbefehle. "Damit werden raffinierte Befehlsfolgen möglich, die sich selbst und auch den Rechenprozess modifizieren und ihrer Struktur nach komplexer als einfache Iterationen sind. Obwohl das alles weit hergeholt und kompliziert klingen mag, sind diese Methoden jedoch stark verbreitet und von grosser Bedeutung." (29)

Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Steuerungsmethoden wird von von Neumann folgendermassen zusammengefasst: "Die Steuerglieder sind reelle physikalische Objekte, und ihre gesteckten Verbindungen sind Ausdruck des zu lösenden Problems. Befehle sind abstrakte, im Speicher gespeicherte Grössen. Daher ist derInhalt eines bestimmten Speicherabschnitss Ausdruck des zu lösenden Problems. Aus diesem Grunde wird diese Steuerungsart g e s p e i- c h e r t e S t e u e r u n g genannt." (29)

Von Neumann verfolgt dann die Darstellung von Mischformen von Analog- und Digitalrechnern sowie Fragen der für grössere Rechenoperationen notwendigen Genauigkeit. Die für Digitalrechner erforderliche extrem hohe Genauigkeit von 1:10 hoch 12 ( die für Analogrechner typische Genauigkeit wird mit 1:10 hoch 4 angegeben ) wird aus der "Struktur unserer heutigen mathematischen und numerischen Verfahren" (35) hergeleitet: "Zerlegt man diese Verfahren in ihre konstituierenden Elemente, so erweist sich ihre grosse Länge als charakteristisch. Das gilt für alle Probleme, die die Verwendung einer schnell rechnenden Maschine rechtfertigen, d.h. für Probleme, die wenigstens einen Grad mittlerer Komplexität aufweisen. Die Ursache dafür ist, dass unsere heutigen Rechenverfahren eine Darstellung aller methematischen Funktionen durch Kombinationen von Grundoperationen erforderlich machen - gewöhnlich als Kombination der vier Grundrechnungsarten der Arithmetik. Viele Funktionen können auf diese Weise nur approximiert werden, was in den meisten Fällen zu langen, möglicherweise iterativ definierten Folgen von Grundoperationen führt. Mit anderen Worten: Die a r i t h m e t i s c h e T i e f e der erforderlichen Operationen ist im allgemeinen ziemlich gross. Die l o - g i s c h e Tiefe ist grundstäzlich noch um einen beträchtlichen Faktor grösser, da z.B. die Zerlegung der vier Grundrechnungsarten der Arithmetik in die ihnen zugrunde liegenden logischen Schritte lange Ketten logischer Schritte ergibt." (35) Es entsteht nämlich dabei das Problem der Summierung von kleinsten Fehlern durch das, was von Neumann die "Fehlerfortpflanzung" (36) nennt.

Bei der nun folgenden abschliessenden Charakterisierung von Rechenautomaten in Bezug auf ihre "Geschwindigkeit, Grösse und ähnliches" werden verschiedene Grundelemente unterschieden:

"1. Elemente, die logische Grundoperationen wie Konzidenzen, Mischungen und Antikoinzidenzen ausführen. Weitere logische Elemente sind nicht erforderlich" 2. Elemente, die Impulse regenerieren.

Man beachte, dass die arithmetischen Bauseine aus den zuerst erwähnten logischen Grundelementen aufgebaut werden." (37) Die kürzeste Zeit für eine elementare logische Operation erreichen Halbleiterdioden, ferromagnetische Ringkerne und Transistoren. Sie wird mit 10 hoch -6 beziffert. "Für die nächsten zehn Jahre" erwartet von Neumann Operationszeiten von 10 hoch -8 bis 10 hoch -9 Sekunden. Bei den Speicherelementen ergibt sich aus den hohen Kosten für die schnellsten Elemente die Notwendigkeit einer Hierarchisierung von Speicherelementen nach der für die beim Zugriff auf die in ihnen gespeicherten Daten/Befehle notwendigen Zugriffszeit. "Bei einer grossen, modernen und schnellen Rechanlage" rechnet von Neumann mit 3 bis 5 verschiedenen Speicherstufen, wobei die Speicherkapazität mit geringer werdender Zugriffszeit wächst. Interessant ist hierbei, dass von Neumann die Eingabe- und Ausgabegeräte der Maschine in dieser Speicherhierarchie eingliedert: "Die l e t z t e Stufe einer jeder Speicherhierarchie ist notwendigerweise die Aussenwelt, und zwar die Aussenwelt, mit der die Maschine direkt Verbindung aufnehmen kann, d.h. die E i n - und A u s g a b e g e r ä t e der Maschine. Als Informationsträger dienen in der Regel Lochstreifen, Lochkarten oder Magnetbänder und ausgabeseitig (für die Drucker) auch Papier.

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Attali Jacques
Die kannibalische Ordnung
Frankfurt-New York 1981
frz. : L'ordre cannibale. Vie et mort de la m‚dicine. Paris 1979.

kannibalordnung

das schauspiel der ordnung der maschinen. auch wenn das hospital seine religiöse und polizeiliche aufgabe zu einem teil noch bewahrt, auch wenn der kranke noch vergebung und absolution verlangt, ist das schauspiel der kannibalischen ordnung im wesentlichen kommerziell geworden: noch immer wird das übel verzehrt, um es zu beseitigen, jetzt aber nicht mehr symbolisch oder durch administrative massnahmen, sondern ökonomisch: das schauspiel der heilung wird im zwanzigsten jahrhundert zum konstitutiven element der industriellen konsumtion. schauspiel der wiederherstellung von ordnung; schauspiel von leben und tod, in das die liberale demokratie die revolutionen kanalisiert; mit dem sie alles verzehrt, was sie bedroht; mit dem sie sich die wünsche und hoffnungen auf den sozialismus einverleibt und mit dem schliesslich die diktatur die werkzeuge ihrer barbarei auf hochglanz bringt.

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industrielle konsumtion

die beschwörung der maschinen: private oder öffentliche versicherungen schon ab 1913 wird das preussische system auf ganz deutschland ausgedehnt. die kassen sind nicht mehr berechtigt, sich die ärzte auszusuchen; auf 1000 bis 1350 versicherte soll nunmehr ein arzt kommen. im jahre 1928 sind 33% der bevölkerung versichert. dann wird dieser apparat zu einem wichtigen instru-

ment der politischen strategie der nazis, die den archetyp der ordnung der; maschinen, die absolute neue ordnung verwirklichen werden. als erbschaft des viktorianischen pragmatismus überlässt grossbritannien die versicherung der arbeiter der individuellen verantwortung des arbeitgebers; doch mit der entstehung der Labour-party und der eroberung der parlamentsmehrheit duch die

liberalen im jahre 1905 wird die öffentliche versicherung obligatorisch, insbesondere die arbeitslosenversicherung, die versicherung gegen armut. tatsähclich ist es Grossbritannien, das zweiffellos wegen der extremen anfälligkeit seines arbeitsmarkts für die risiken der arbeitslosigkeit, vielleicht auch aus der erinnerung an die ordnung der körper, diesen systemtyp als erstes land organisiert.

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versicherung

ein schauspiel der ordnung, das sich auf eine entscheidende gestalt des mangels konzentriert: die arbeitslosigkeit. 1910 wird die versicherung auf die altersversorgung sowie auf die kosten von arzeinmitteln und krankenhausbehandlung ausgedehnt. 1912 erreicht das system zwölf-millionen personen. 1937 sind es 21 millionen. es wächst und festigt sich trotz des zögerns der ärztevereinigungen, die erfolglos die fiktions des medizinischen

tausches aufrechtzuerhalten suchen; und bald wird der zahlende dritte auch von rechts wegen als mit der ärztlichen ethik vereinbar anerkannt. die logik der inszenierung ist komplett: die ärzte werden nicht entsprechend der geleisteten hilfe, sondern nach der zahl ihrer potentiellen klienten bezahlt.// in den

vereinigten staaten triumphiert die privatversicherung über die öffentliche, und das zu beschwörende übel wird die krankheit, nicht die armut // die gesundheit der arbeiter wird zu einem entscheidenen instrument, die rentabilität des menschlichen kapitals zu sichern und zu steigern

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versicherung

der medizinisch-industrielle komplex

die verwandlung der ärzte in gehaltsempfänger, die entwicklung von produkten und die ärztliche forschung in pharmazeutischen laboratorien kündigen die verschmelzung der therapeuten und produzenten, von behandlung und ökonomie, von ordnung des lebens und ordnung der maschine an: indiz der beginnenden fusion von vergessenem kannibalismus und triumphierendem kapitalismus. //

und der kannibalismus? sobald das übel keine physische wirklichkeit mehr ist, scheint jede strategie ihm gegenüber ihren ursprünglichen sinn zu verlieren. aber in wirklichkeit ist der kapitalismus nur eine dritte inszenierung des kannibalismus, übersetzung der übersetzung einer übersetzung, die es besser als

die früheren ordnungen versteht, die kannibalistische beschwörung unter einer maske zu verstecken, die nicht mehr so leicht zu durchschauen ist.// alle darsteller und alle requisiten sind jetzt vorhanden: ein therapeut, eine beschwörung und vor allem ein versprechen auf ewigkeit, das auf der aneignung des lebens fusst.

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kannibalismus

schon während der ordnung der körper liess sich der amputierte körper mit beinen aus holz oder aus edelmetallen als ersatz für verstümmelte glieder wieder vervollständigen. die prothese tritt bereits in der ordnung der maschinen als kopie des körpers auf, ehe sie in der späteren ordnung der codes zum entscheidenden instrument der heilung wird. sie ist die lächerliche metapher-

einer-metapher, so wie es in der ordnung der körper der fakultätsarzt für den polizeiinspektor des Hopital-General war. die prothese der maschinen ahmt das wissen von der maschine nach: jetzt, wo man zu sezieren weiss und die arbeit sich teilt, zergliedern sich auch die künstlichen glieder. wie der zeitgenös-

sische therapeut soll die prothese dem körper nicht mehr eine schranke, sondern ein stütze sein, den arbeitern ihre arbeitskraft zurückgeben,... als neuer therapeut dient sie der reparatur, kanalisation und lenkung

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prothese

schon 1815 konstruiert ein gewisser Lechaix eine apparatur zur muskelstärkung. 1820 erfindet Martin eine knie-prothese mit einem differentialfederwerk. unter der herrschaft der ordnung der maschinen nimmt die medizin einen wichtigen platz bei der macht ein, vertreibt den priester und den polizisten aus ihren

positionen und hinerlässt die spuren ihrer arbeit in der neuen gesellschaftlichen produktion

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prothese

chronologisch fällt also die utopie des medizinischen-tausches mit der utopie des freien-marktes zusammen. in wirklichkeit kann sich die ordnung der maschinen den erfordernissen früherer ordnungen nicht so leicht entziehen; der therapeut zeigt ein übel an, das so furchtbar ist, dass der medizinische markt allein es nicht aufheben kann: erneut bedarf es des schauspiels einer

beschwörung. doch ist die inszenierung nicht mehr bloss den reichen vorbehalten, sondern wendet sich an alle gesunden: ihre gesundheit muss gesichert werden; sie müssen sich versichern. man geht also von der wohltätigkeit zur versicherung über. um dieses neue schauspiel zu organisieren, bedarf es eines ganzen

jahrhunders, während dessen das neue übel denunziert wird; die massen spenden dem neuen diskurs eifall und nehmen den neuen schrecken in sich auf; medizin und bourgeoisie legen ihre doppelte strategie so an, dass sie miteinander in einklang stehen und jede seite der anderen in die hände spielt: der staat sichert der medizin den status des wahren therapeuten; der praktiker

bezeichnet dafür die liberalistische ökonomie als das gesündeste ökonomische system.

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versicherung

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@QUELLE

Flusser, Vilem.
Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft?
Göttingen 1987
(Immatrix Publications ).
Satz: Immatrix Publications auf Commodore PC20-II. Buch und Diskettenausgabe.

Motto: "Scribere necesse est, vivere non est. Frei nach Heinrich dem Seefahrer" (S. 6 )

Der Schreiber beginnt einleitend sein Schreiben mit der Mutmassung, dass Schreiben "im Sinne einer Aneinanderreihung von Buchstaben und anderen Schriftzeichen"(7) fast oder überhaupt keine Zukunft zu haben scheint. Es gibt neue Codes und neue Informationsträger, die mächtiger sind als Alphabet und Papier. Die "Schriftcodes", so ist in der Schrift des Verfassers zu lesen, werden wohl, "ähnlich den ägyptischen Hieroglyphen oder den indianischen Knoten, abgelegt werden müssen. Viele Menschen wollen das nicht wahrhaben, "vor allem aus Trägheit"(7).

@KOMM1 Was "wir" schon wissen müssten, "viele Menschen" aber nicht wahrhaben wollen, vor allem wegen ihrer "Tragheit", ist etwas Aufrüttelndes. Wer dies Aufrüttelnde mitteilt ist nicht träge und er vertritt alle Menschen ("wir"); die vielen anderen stehen aussen vor. An sie richtet sich die Botschaft. Das ist das Schema der Prophezeiung: alle sind von dem Neuen betroffen, viele wollen das nicht wahrhaben, der Prophet ist aber die neue Menschheit( "wir") und zugleich die alte (auch "wir" ). Er versteht die Sünder, ist er doch ein Hauptsünder, aber zugleich und gerade deswegen ist er der Prototyp des neuen Menschen.

Es gibt aber Menschen, und zu ihnen zähält sich Vilem Flusser, die glauben, "ohne Schreiben nicht leben zu können"(7). Sie glauben, schreiben zu müssen, weil "sich ihr Dasein in der Geste des Schreibens und nur darin äussert"(8). Deswegen die Fragen: "Was ist das Spezifische am Schreiben"(8), wie sähe das Dasein der Menschen aus, "wenn das Schreiben aufgegeben würde"(8)? Das sind Fragen, zu deren Beantwortung man ein umfangreiches Buch schreiben müsste, aber eben ein Buch. "Statt was? Das eben steht in Frage."(8)

@KOMM2 Laut Verlag steht das überhaupt nicht in Frage, da das Buch auf zwei Fünfeinviertelzolldisketten für DM 48.- zu kaufen ist, und zwar als "Das Erste Wirkliche Nichtmehrbuch" (Verlagsankündigung, letzte Seite des ref.Buches )

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@QUELLE Flusser, Vilem
Gedächtnisse.
In: Philosophien der neuen Technologie.
Hrsg: Ars Electronica.
Berlin 1989 (Merve)
pp.41-55.

Der Beitrag beginnt mit der Feststellung, dass "wir" in doppeltem Gegensatz zur Natur, nämlich zum "Zweiten Grundsatz der Thermodynamik" stehen, denn "wir" geben "nicht nur erebte, sondern auch erworbene Informationen an künftige Generationen weiter" (41). Der zweite Grundsatz der Thermodynamik aber besagt, "dass in der Natur alle Informationen dazu neigen, vergessen zu werden". (41) "Unsere Spezies" widerspricht ausserdem dem Gesetz von Mendel, das besagt, "dass erworbene Informationen nicht von Organismus auf Organismus übertragen werden können" (41), denn "sie speichert erworbene Informationen in einem kulturellen Gedächtnis, zu welchem die aufeinanderfolgenden Generationen Zutritt haben" (41).

@DEF1 Thermodynamik, 1.,2. Hauptsatz.

@FRAGE1 : was heisst, die NATUR VERGESSE? Was 'vergisst' das Holz, wenn es verbrennt? Was heisst es, Erinnern als 'Speichern' von 'Informationen' zu bezeichnen? Die Natur 'vergisst', "unsere Spezies" 'speichert'? )

Es handelt sich also um eine "doppelte Naturverneinung" (41), die die "menschliche Position: 'die Menschenwürde" (41) ausmacht. "Wir" sind also "'historische Wesen'" (41), da wir "über genetische und kulturelle Gedächtnisse verfügen."( 41) Hier setzt der Grundgedanke des Beitrags an : "Elektronische Gedächtnisse sind daran, unser kulturelles Gedächtnis umzuformen. Der Begriff 'Menschenwürde'wird daher eine neue Bedeutung gewinnen." (41/42)

Zunächst wird Gedächtnis als "Informationsspeicher" (42) definiert. "So verstanden sind Gedächtnisse überall in der Natur aufzufinden". (42). Im "allgemeinen Strum zur Entropie hin" sind das "Gedächtnisinseln", als Beispiele werden Wasserstoffatome und galaktische Systeme herangezogen.

@KOMM1 Minimaxtentenz
@DEF2 Entropie

Es handelt sich dabei um einen "negativ-entropischen Epizyklus". Beispiel

@DEF3 Epizykel (gr.): Kurve, die ein auf einem Kreis liegender Punkt beschreibt, wenn der Kreis auf einem anderen abrollt (von der Antike u. Kopernikus zur Erklärung der Planetenbahnen benutzt ). Duden, Fremdwlex.

hierfür: die Biomasse. Sie besteht "aus kleinen Tropfen, in deren komplexen Molekülen genetische Informationen verschlüsselt sind, und wir selbst sind Auswüchse aus dieser Biomasse" (42). Die hier "gespeicherte" Information wird "dank Kopierung" weitergegeben. Dabei entstehen "Fehler", von denen die meisten "aus dem Gedächtnis der Biomasse ausgeschieden werden" (42). Die wenigen, die im Gedächtnis "verbleiben" bilden "'die Evolution des Lebens'" (42). V. Flusser formuliert zusammenfassen: "die Biomasse prozessiert die in ihr gelagerten Informationen dank fehlerhaftem Kopieren, und dadurch entstehen neue Informationen." (42) Diese Formulierung führt zu einem Ausblick auf die "genetische Technik" (43). Sie kann "als der Versuch angesehen werden, erworbene Informationen in der Biomasse zu speichern. Aus der Biomasse ein kulturelles Gedächtnis zu machen." (43) So gesehen, handelt es sich bei der genetischen Technik um eine "Kunstform", die von ihr hergestellten "Chimären" sind "Kunstwerke" (43).

Wenn schon hier Fehler eine so gravierende Rolle spielen, dann verdient "das weit jüngere kulturelle Gedächtnis (das heisst: 'die Menschenwürde')" wohl "noch weniger Vertrauen" (43). "Die meisten der von UNS im Verlauf UNSERER relativ kurzen Gegenwart hier erworbenen Informationen sind in Vergessenheit geraten." (43) Als nämlich die Menschen begannen, "kulturelle Gedächtnisse auszuarbeiten (als sie begannen, Menschen zu werden), fanden sie nur zu sehr fragwürdigen Gedächtnisstüzten Zugang. ( Eine Gedächtnisstütze ist ein Gegenstand, welcher erlaubt, 'informiert' zu werden, das heisst: Informationen zu speichern.) (43) Zwei dieser "Gedächtnisstützen (hardware)" werden behandelt: "Luftwellen und harte Gegenstände (zum Beispiel Steine und Knochen)." (43)

"Wir" besitzen Organe, die geeignet sind, "Luftwellen in Symbole umzugestalten" (44) (in "'Phoneme'" ). Aber "alle in Luftwellen gespeicherte Information ( alle 'orale Kultur' ) /muss/ sehr schnell empfangen werden und im Nervensystem des Empfängers gespeichert werden", weil sie leicht von Geräuschen "zersetzt" werden kann. Im Nervensystem des Empfängers "wird diese Information nach noch nicht völlig durchblickten Methoden prozessiert, bevor sie an andere Empfänger weitergegeben wird, und erfährt dadurch eine zusätzliche Verzerrung. Daher ist bei 'oralen Kulturen' nur in sehr beschränktem Mass von Geschichtlichkeit (von kumulativer Speicherung erworbener Informationen ) zu sprechen." (44)

Harte Gegenstände können Informationen länger speichern. Sie dienen aber zugleich als Werkzeuge. "Die Benützung nützt die Information 'ab' (sie wird vergessen)." (44). Deshalb wurden "seit Anbeginn, neben Werkzeugen auch 'reine Gedächtnisstützen' hergestellt", die "nur dem Zweiten Grundsatz der Thermodynamik ausgesetzt sind". (44) "Und das ist ungefähr alles, was wir in Punkto 'kulturelles Gedächtnis'bis vor kurzem geleistet haben." (45)

Vor dreitausendfünfhundert Jahren nun wurde das Alphabet erfunden. "Das ist ein Code, welcher die Phoneme der gesprochenen Sprachen in visuelle Zeichen umkodiert und erlaubt, diese Zeichen in harte Gegenstände zu graben." (45) Damit wurde ein "weit funktionelleres kulturelles Gedächtnis" (45) möglich. Es konnten "'Monumente'hergestellt werden (Texte), welche oraale Informationen in hardwäre speichern, von dort bequem abberufen werden können, und welche erlauben, kopiert zu werden", so dass ein "relativ verlässliches und diszipliniertes Speichern" möglich wurde. (45 )

Die "Linearität des alphabetischen Codes" wirkte auf das Denken zurück: "es wurde selbst linear (fortschrittlich), und geschichtsbewusstes Handeln (also letzterdings Technik) wurde möglich" (45/46): eine entscheidende Phase auf dem "Weg zur Menschwerdung" (46). Dieses "neue kulturelle Gedächtnis (die Bibliothek) (46) stand gegen das "vorangegangene orale Gedächtnis( Mythus J) und materielle Gedächtnis (Magie)." (46) Die Bibliothek aber erfuhr eine "ideologische Sakralisation /.../, welche die okzidentale Kultur bis heute kennzeichnet." (46) "Dadurch wurde die kulturelle Funktion der Bibliothek umgebogen: nicht sie diente dem Menschen in seinem Engagement, erworbene Informationen vor der Entropie zu bewahren, sondern im Gegenteil der Mensch diente ihr, um in ihr vor der Entropie (vor dem Tod) bewahrt zu werden." (46) Hier geht es um eine Ideologie, "auf welcher in letzter Analyse alle sogenannten 'westlichen Werte' beruhen." (46) Flusser leitet aus dieser "letzten Analyse" eine Reformulierung der platonischen Ideenlehre als Ausdruck dieser Ideologisierung ab. (47) Die "letzte Analyse" erklärt aber aus dieser Ideologie auch "nicht nur die Grundstruktur des Christentums und aller ihm folgenden Wertsysteme, sondern ebenso die Grundstruktur des modernen wissenschaftlichen Denkens". (47) Es kann aber auch noch, so Flusser, die Vorstellung des Menschen als Subjekt hier abgeleitet werden. Eine "noch tiefergreifende Folge" der Sakralisation der Bibliothek ist jedoch, "dass wir uns selbst im Verhältnis zu diesem sakralisierten Kulturgedächtnis überhaupt erst identifizieren."(48) "Wir identifizieren uns als 'Subjekte'(Untertanen) einer über uns schwebenden 'immateriellen' Bibliothek, als in die Welt der Erscheinungen vorgeschobene Protuberanzen." (48) Und in zugespitzt provokativer Formulierung: "Als Organismen sind wir Teil der phänomenalen Welt, aber als Protuberanzen der Bibliothek stehn wir der phänomenalen Welt als Subjekte gegenüber. Wir tragen gewissermassen im Innern unseres Körpers einen Kern, in welchem Informationen erworben, gespeichert und prozessiert werden, und dieser Kern hat die Funktion, die Informationen an die Bibiliothek weiterzuleiten. Dieser Kern trägt im Verlauf der westlichen Geschichte verschiedene Namen (zum Beispiel 'unsterbliche Seele' oder 'Geist' oder 'Intelligenz'oder 'Ich'oder 'Selbst')" und charakterisiert "alle Anthopologien der westlichen Gesellschaft"(48).

@KOMM2 Westend, Bahnhof

Mit diesem erklärungsmächtigen Ansatz können "beinahe alle akzidentalen 'ewigen' ontologischen Fragen /.../ " als Folgen ideologischer Verdinglichung erklärt werden. Flusser meint, dass diese Fragen falsch gestellt seien. "Die Erfindung der elektornischen Gedächtnisse wird dazu beitragen, diesem Unfug ein Ende zu bereiten." (49)

Elektronische Gedächnisse sind "Simulationen einiger Gehirnfunktionen".(49) Es werden "einige übertriebene Gehirnfunktionen aus dem Schädel auf unbelebte Gegenstände hinausprojiziert und können beobachtet werden".(49)

@KOMM3 Autopsie

Die technische Verbesserung von Gedächtnisfunktionen hat die unbeabsichtigte Folge, "dass sie uns kritischen Abstand zu diesen Funktionen bietet."(49) Die Verbesserungen : Informationen können in grösserem Umfang gelagert, besser abberufen und leichter übertragen werden. Das Gehirn wird "für andere Funktionen freigelegt", "man wird nicht mehr Daten zu lernen haben, sondern das zweckmässige Speichern, Abberufen und Variieren von Daten. Nicht mehr das Repertoire, sondern die Struktur von Systemen", also das "Prozessieren von Daten"(50). Elektronische Gehirne können automatische Maschinen (Roboter) steuern, d.h. sie können ihre Informationen "auf Gegenstände drücken. Ein solches Drücken von Informationen auf Gegenstände heisst 'Arbeit'. (Zum Beispiel ist ein Steinmesser das Resultat von Arbeit, einer Bewegung, welche die Information 'schneiden'auf einen Stein gedrückt hat). Der Mensch wird also von Arbeit befreit und kann "'Programme'" schreiben.(50) "Der Mensch wird nicht mehr ein Arbeiter sein ('homo faber'), sondern ein Spieler mit Informationen ('homo ludens'). Eine weitere Verbesserung: "Elektronische Gedächtniss erlauben ein müheloses Löschen der darin gespeicherten Informationen: sie vergessen leichter als Gehirne."(51) Menschliche Gehirne sind von "falsifizierbaren Informationen belastet: Elektronische Gedächtnisse gestallten ein kritisches Eliminieren solcher Informationen."(51) So wird Geschichte ("im Sinn von: Informationsakkumulation) "künftig ein weit disziplinierterer und kritischerer Prozess sein als vorher").(51)

@REF1 Vergessen -> v. Neumann, Computer-Gehirn. A.Turing

@KOMM4 Selbstreferenz. Flusser beschreibt die Art seines Schreibens. Es ist das Schreiben der "künftigen Kultur", Flusser ein Prophet dieser Kultur. Ist dieses Schreiben kritischer und disziplinierter als das alte?

Diese zu erwartenden "Veränderungen in der künftigen Kultur" sind sehr tiefgreifend, gehend aber noch nicht "bis zur Wurzel der kulturellen Revolution, deren Zeugen wir sind."(51) Nur wer die "kritische Distanz zur Gedächtnisfunktion" ins "Auge" fasst, ist in der Lage, "den Impakt dieser Revolution auf unser Dasein einzusehen."(51)

@KOMM5 Kreisel. Die Distanz ermöglicht Beobachtung der Gedächtnisfunktionen. Die Beobachtung der Möglichkeit dieses Beobachtens ermöglicht die Beobachtung ihrer Bedeutsamkeit für unser Dasein. Was in Flussers Beobachtung für uns bedeutsam ist, ist die Bedeutsamkeit seines Beobachtens dieser Bedeutsamkeit neuen Beobachtens für uns. Wenn er beobachtet, wie das Funktionieren des Gehirns beobachtbar wird, so ist das ja ein Beobachten, das ebenso als Datenverarbeitung seines Gehirns zu beobachtet sein müsste. Aber eben dies beobachtet er ja, also steht er draussen. Draussen stehen, d.h. eine Gehirntätigkeit ausüben, die nicht ihr eigener Gegenstand ist, kann er aber nur als Prophet. Flusser prophezeit, dass alle geistige Tätigkeit beobachtbar wird, ausser der Prophezeiung dieser Beobachtbarkeit.

Dieser Impakt erzwingt eine neue Anschauung vom Menschen: "das Erwerben, Speichern, Prozessieren und Weitergeben von Informationen" muss als ein Prozess gesehen werden, der sich "zwar auf Gegenstände (Gedächtnisstützen) stützt (zum Beispiel auf computer hardware oder auf menschliche Organismen), aber diese Gegenstände gewissermassen durchläuft".( 52) Mit diesem Durchlaufen werden diese Gegenstände, auch der menschliche Körper, zu "Medien des Informationsprozesses"(52). Diesen Prozess in einem dieser Medien lokalisieren zu wollen, hiesse ihn verdinglichen. "Daher sind alle verdinglichenden Begriffe dieses Prozesses (etwa 'Seele', 'Geist', 'Identität', 'Ich' oder 'Selbst') im Licht der Praxis mit elektronischen Gedächtnissen aufzugeben."(52) Und in der entscheidenden Formulierung: "Wir haben uns als Knotenpunkte eines Netzes anzusehen, durch dessen Fäden (seien sie materiell oder energetisch) Informationen strömen. In diesen Knoten werden die Informationen gestaut, prozessiert und weitergegeben, aber diese Knoten sind nicht ein Etwas: entknotet man sie (löst man die Relationsfäden, die sie bilden), dann bleibt nichts übrig (wie bei der sprichwörtlichen Zwiebel). Mit anderen Worten: wir haben eine Anthropologie auszuarbeiten, welche den Menschen als eine Verknotung (Krümmung) einiger sich überschneidender Relationsfelder ansieht."(52) Mit dieser Formulierung ist der "unvermeidlich gewordene Ausbruch aus der ideologischen Verkapselung in der Individualität (Identität, Subjektivität)" (52) geschafft. Dieser Ausbruch hat sich aber schon vorher angekündigt. Zum Beispiel in der analytischen Psychlologie ( individuelle Psyche als Spitze eines Eisberges aus "kollektiven /.../ psychischen Prozessen ), in der Ökologie ( Organismen "als Funktionen von komplexen Relationsfeldern"(53) , in der Politologie ("'Einzelmensch'" und "'Gesellschaft'" als Abstraktionen von zwischenmenschlichen Beziehungen). Diese "relationelle (topologische) Sicht unserer Stellung"(52) wird von der Physik bestätigt. Dort erscheinen die "physikalischen Objekte als Verknüfpungen (Kerben) von physikalischen Kräftefeldern"(53). Flusser führt Husserls Phänomenologie als Artikulation "dieser Feldsicht"(53) an.

Aber erst die Praxis mit den elektronischen Gedächtnissen zwingt "uns dazu /../, die hergebrachte Ideologie von einem harten Kern (den wir haben oder der wir sind) aufzugeben"(54/55) und "viele (vielleicht alle) unserer bisherigen Kategorien"(54) umzuformulieren: "wir werden die Kategorie 'Subjekt-Objekt' durch die Kategorie 'Intersubjektivität' ersetzen müssen."(54) Daraus ergeben sich schwindelerregende Perspektiven: es wird die "Unterscheidung zwischen WIssenschaft und Kunst hinfällig werden: die Wissenschaft wird als eine intersubjektive Fktion, die Kunst als eine intersubjektive Disziplin zwecks Erkenntnissuche erscheinen, also die Wissenschaft als eine Kunstart, und die Kunst als eine Variante der Wissenschaften." Dieselbe schwindelerregende Perspektive tut sich für das Ich auf: "Wenn 'Ich' als das erkannt wird, zu dem andere 'Du'sagen (wenn Selbsterkenntnis als Folge des Anerkennens der anderen erkannt wird), dann wird die Unterscheidung zwischen Erkennen (Kognition) und Anerkennen (Rekognition) hinfällig werden: Kunst und Wissenschaft werden dann als 'politische Disziplinen'angesehn werden müssen"(54). Und schliesslich: "wenn wir uns selbst als Funktion aller anderen erkennen, und alle anderen als unsere eigenen Funktionen, dann wird "Verantwortung" jenen Stellenwert einnehmen müssen, der bisher von ¡ndividueller Freiheit'besetzt ist. Und nicht mehr der Diskurs, sondern der Dialog wird die künftige Kultur strukturieren, also nicht mehr 'Fortschritt', sondern gegenseitige Begegnung. Diese "Vorahnungen" Flussers bergen, so betont er, "in sich ebensoviel Gefahr wie Hoffnung"(55). Auf keinen Fall wird aber "unserer negativ entropische Einstellung (unsere 'Ek-sistenz') /.../ 'entheiligt' werden", wenn wir "unsere Ideologie betreffs unserer Identität aufgeben"(55).

@KOMM6 Kreisel. Der Beitrag verzichtet auf Quellenangaben(55), er ist "Resultat eines Sammelns von Informationen aus weit auseinander liegenden Gebieten"(55). Es wurde aber mehr als gesammelt, es wurden Daten gespeichert, prozessiert und dabei zu einem Netz verknüpft. Kein einzelnes Datum ist "ein Etwas"(52), es kann nicht "aufgelöst" werden. "Entknotet" man es, dann "bleibt nichts übrig"(52).

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REFER6.TXT

Schmidt Burghart
Das Widerstandsargument in der Erkenntnistheorie
Frankfurt aM 1985
wissensautomatisation

schlägt die sich selbst heimatlos machende produktive subjektivität in eine nicht mehr zu legitimierende institutionalität um, nicht mehr zu legitimieren, weil es keine sachmasse gegenüber der freien konstruktion gibt, dann wird ohne die tiefe der geschichte im hintergrund die bestehende struktur zur so unwiderruflichen konventionalität wie die mittelalterliche autorität. man könnte fast sagen: folgte der mittelalterliche formalismushang im denken

aus einem mangel an erfahrung, so folgt der gegenwärtige aus einem überfluss an erfahrung, der durch ungehemmte relativierung erfahrbarkeit, erfahrenheit totschlägt; die institution oder methode wird gegen jede einspruchskompetenz abgedichtet: materielle produktion wie ideller wissenszuwachs seinen nicht

demokratisierbar, behauptet man. automatisierte vorgänge können sich nur durch immanente fehlerquellen des funktionszusammenhangs selber hemmen, sonst bleibt nur übrig, sie in einer art maschinensturm abzustellen. die polemik gilt nicht der automatisation, sondern ihrer totalisierenden tendenz.

0117 851205

wissensautomatisation

automatisation galt ja einmal als ersetzen menschlicher arbeitskraft, sie könnte demnach der befreiung von arbeit dienen, anstatt wie bisher die menschliche arbeit zu sterilisieren, das heisst sie abstrakt zu machen, zum blossen "coup" oder handstreich, wie Benjamin sagt.

0118 851205

wissensautomatisation

die konstruktivität als konsequenz aus dem nominalismus statt des materialistisch scheinenden empirismus hat für ihre geltung in unserer gegenwart wohl am eindeutigsten Bense-Max formuliert: "in der seinsthematik, die wir unserer wahrnehmung und bearbeitung der welt zugrundelegen, stellt sich ... kontinuierlicher übergang von einer ontologischen zu einer semantischen realität dar: zeichen treten an die stelle von dingen, funktionen an die stelle

von sachverhalten, seiendes wird nicht festgestellt, sondern hergestellt, es wird nicht inhaltlich, sondern strukturell, nicht extrahiert, sondern konstruktiv aufgefasst... (nur das gemachte kann im vollen sinne des worts 'gegenständlich' sein)."(Aesthetica-baden-baden-1965)

0185 851205

nominalismus

für uns wird aber nun wichtig: der rede vom methodenprimat oder vielmehr der forschungspraxis des methodologisierens traten gerade die entgegen, die den begriff der methode am stärksten in anspruch nahmen und keineswegs mit ihrem panlogismus jenseits des rationalismus standen. Spinoza, der gerade für den

antirationalisten Jacobi zum prototyp der aufklärungsratio wurde, wandte sich in seinem Tractatus-de-Intellectus-Emendatione gegen das dauernde prüfen des erkennnisinstrumentariums bei Descartes, weil es zu einem hinterfragen-des-hinterfragens gediehe in grundlosem regress. er ebrauchte für den hinweis auf endlose mögliche methodenprüfung ein kräftiges bild, das sich gleichwohl an sinn und bestimmung des werkzeugs hält. "denn um eisen zu

schmieden, braucht man einen hammer, und um einen hammer zu haben, muss er er erst gemacht sein; dazu braucht man wieder einen anderen hammer und andere werkzeuge und so ins unendliche, und so würde jemand vergeblich zu beweisen versuchen, die menschen hätten nicht das vermögen, eisen zu schmieden. (Spinoza-Baruch, Tractatus-de-Intellectus-Emendatione, in: Opera/Werke, hg.

Blumenstock-Konrad, bd.2, Darmstadt 1967, p.23.)

0194 851205

unendlicher regress

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REFER7.TXT

Haefner Klaus
Die neue Bildungskrise
Reinbek bei Hamburg 1985

bildungskrise

die allgegenwart von informationen, verteilt mittels technischer medien, verschlimmert diese situation lebt doch jeder mehr und mehr in einer irrealten informationellen umwelt.

0018 851205

gottmaschine

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REFER8.TXT

 

Laederach Jörg
Einundzwanzig Bemerkungen zur arbeitenden Maschine
1985 Frankfurter Rundschau siebter dezember

textverarbeitung

..auf dem papier bleibt in der regel neben der korrigierten fassung auch die urfassung bestehen, neben der zweiten korrektur die urfassung und die erste korrektur und so weiter. diese überholten fassungen mögen sich unter aufgeklebtem papier, ausixenden stanzwerk, unter verschmierter tipp-ex-gouache,

jenseits der mit tintengummi durchs papier radierten löcher verbergen: sie bleiben zweiffellos bestehen, von einem bestimmten punkt an störend. der computer nimmt einem fertigen text die palimpsetische-charakteristik seiner übereinandergedeckten entstehungsphasen.

0003 851208

textverarbeitung

der computer nimmt dem text eine spezifische aura. die type wirkt immer neu. die entstehungsgeschichte kann aus den korrekturen nicht mehr gelesen werden. getippt wöurde fern von der schrift, fern vom druck, der im hämmern der schreibmaschine immer präsent war... angesichts eines mit der neomaschine geschriebenen textes wächst die heimatlosigkeit des schreibenden. der computer ist ein hilfreiches instrument. der preis seines dienstes, seiner

bedienung heisst entfremdung.

0003 51208

textverarbeitung

es kann gesagt werden, dass die geschichte der schreibinstrumente auch die geschichte der desindividualisierung von textbildern ist. ... die schreibmaschine hat im kleinen das geleistet, was die neomaschine heute in bezug auf die type tut: eine taylorisierung des manuellen schreibaktes, will sagen, eines zerlegung des aktes in weitere unterakte, die allesamt quantifi-

zierbar, messbar geworden sind. und dennoch bleibt schreiben ein manueller akt, der sprachcode ein widerständiges netz zum verbergen ebenso bereit wie zum enthüllen. mit der ankunft-des-computers wird selbstverständlich die spannung zwischen dem, was man von einem text äusserlich (durch seine sofortregistratur)

wissen kann, und dem, was sich an inhalt nicht bestimmen lässt, noch viel grösser, als sie es im zeitalter der schreibmaschine war.

0003 851208

textverarbeitung

die neomaschine erlaubt endlich einen umfassenden vergleich zwischen textvarianten. es ist möglich, alles sätze, die einem zu einer bestimmten sache durch den kopf gehen, nacheinander auszuschreiben; ... meine erfahrung ist auch hier eine doppelte: einerseits ärgert es mich, wie korrigierbar ich bin, will sagen, wieviel sich nach längerer überlegung an meinem schreiben

verbessern lässt; ... kehrseite: je mehr ich an meinem text ändere, desto klarer sehe ich, dass im prinzip die erste, unkorrigierte fassung schon genügend war. über sie komme ich seltener hinaus, als ich mir dachte.

0003 851208

textverarbeitung

die neomaschine hilft beim verbessern, ausschleifen, lackieren von erstfassungen, aber die grundlegende arbkehr von dieser erstfassung muss ich mit einem anders gearteten willensimplus selbst unternehmen; die neomaschine liefert diesen willensimpuls nicht. sie hat keine ahnung von konzeption. ... die neomaschine scheint mir, immer menschlich betrachtet, ein fachmann für

kleinigkeiten, kleinlichkeiten. ihr denken, ich verwende das zu hohe wort - ihr denken ist parasitär, vampiristisch. denke ich nicht selbst, so wird sich die maschine niemals rühren. wer dient da eigentlich wem?

0003 851208

textverarbeitung

die aura des computers ist nachhaltig dadurch geschwärzt, dass er immer im zusammenhang mit fahndung auftaucht. im weiteren zusammenhang mit : behörde, registratur, gläserner-bürger, übermittlung mit lichtgeschwindigkeit, existenzprofilen, gehprofilen, handlungsprofilen, gesundheitsprofilen, leistungsprofilen, übertretungsprofilen. der staat hat sich mit solcher geschwindigkeit und vehemenz auf den computer geworfen, dass darin

ein staatsinstrument gesehen werden muss.... die einzige politische instanz, die den computer bisher verstanden hat, ist das bundesverfassungsgericht; sein einfluss in der sache ist im schwinden begriffen. ich wage zu sagen: die neomaschine wird in zukunft bei wahlkämpfen nicht nur hochrechnen und stimmen zählen; wir werden sie auch als thema erleben. und das fahndunssystem

"Nadis" wird in zukunft nicht mehr nur hinweise, sondern ganze kurztexte an den abfragenden übermitteln. kurztexte: was für eine konkurrenz für den schriftsteller! dürfen wir denn auch ein paar liefern?

0003 851208

textverarbeitung

die materialität-des-schreibens, die nie gross war, ist mit dem computer fast ganz vernichtet. geland es noch, die schreibmaschine als hilfsgerät aus dem bewusstsein wegzudrängen; war das papier in der gewichtigkeit seiner materialität der schreibmaschine irgendwie vergleichbar, etwa gleichwichtig wie diese: so liefert der computer keine unmittelbar-resultate getaner arbeit mehr, es wäre denn die unheimlich und bodenlos flüchtig anmutende schrift auf dem bildschirm, die - was andererseits willkommen ist - erst noch nicht feststeht, sondern schwappt und liquid ist. die verflüssigung-des-textes, willkommen bei korrekturen, nimmt ihm gleichzeitig alles definitive, nimmt ihm den letzten rest an erinnerung daran, dass die schrift einst etwas war, das auf gesetzestafeln geschrieben wurde. der computer ist das ende des

runencharakters-der-schrift, andereerseits ist er ein in seiner möglichkeiten, seiner agilität ins gigantische gewachsene notizbuch und skizzenbuch, ein bestehender festhalter von vorläufigkeiten.

0003 851208

textverarbeitung

wäre es so, dass der computer eine änderung, neuformung geschriebener texte herbeiführte, dann käme diese änderung zum tragen innerhalb eines, ich spreche vom gebiet der literaturkritik, ästhetischen systems traditionalistischen zuschnitts, in einem system, dem ununterbrochen das neunzehnte, höchstens das frühe zwanzigste jahrhundert hochkommt.

0003 51208

textverarbeitung

produktion von pleonastischen, also überflüssigen papierhaufen. ich wate in paper, seit ich mit dem hohen-c schreibe. das material, was auf diesen papieren steht, ist unzweifelhaft besser geworden als früher, als ich den hohen-c nicht hatte; nur impliziert die bewertöung 'besser' das anlegen von massstäben, die

vielleicht vom impakt des hohen-c bereits geändert haben? /???/

0003 851208

textverarbeitung

ich vermute, dass die neomaschine insgesamt eine entwicklung beschleunigt, die ohnehin unterwegs war: den marsch hin zu einem parlandostil, hin zu einer neuen lockerung. dass sie, dialektisch, nur über ihr fulminantes gegenstück, die äusserste stilisierung, sich durchsetzen wird, ändert nichts an ihrer bevorstehenden ankunft. ff: sprechschreiber ermöglichts

verschriftlicherung fulminanten erzählens. 0003 851208

textverarbeitung

des computers welt ist nicht so beschaffen, dass er, der weltenerzeuger, darin der mittelpunkt wäre. vom computer aus gesehen ist die welt nicht computero-zentrisch. sie ist vermutlich zentrumslos, evakuiert-leer. der mensch lebt in einer unabdingbar anthropozentrischen welt. künstliche intelligenz versteht alles, sie versteht nur nicht, was der mensch ist, obgleich sie ihn mit allen äusseren daten erfassen kann. treffen ein mensch und ein computer zusammen, sind die aufgaben ungleich verteilt: der mensch, kraft eines identifikationsbedürfnisses, stürzt sich in fieberhafte suche danach, was wohl das wesen des gegenübers sein könnte; welches seine stellung in einer anthropozentrischen welt werden könnte. auf der gegenseite :schweigen, nichtdenken, absolute ruhe, sogenenannte "emotionsfreiheit".... die maschine

wird anthropomorphisiert..

0003 851208

textverarbeitung

eine bemerkung: seine /wordstar/ anstösse für kreativität sind gering; es hilft bieder mit; aber nur zu deutlich macht es sich bemerkbar, dass es texte nicht lesen und nicht einmal ihrer primitivstruktur und primitivaussage nach verstehen kann. was wir dichter brauchen, ist ein polyvalenteres gebilde. bitte den kaufpreis unseren kleinen honoraren anpassen, wir werden's

tausendfältig danken.

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REFER9.TXT

"Der Psychiater Oliver Sacks beschreibt in seinem Buch "The Man Who Mistock His Wife for a Hat" ein Bruderzwillingspaar, das seit früher Kinheit als autistisch, psychotisch und, mit einem IQ von 60, als fast idiotisch diagnostiziert worden war. Man hatte aber bemerkt, dass beide 'idiots savants' waren, denn man konnte sie zum Beispiel fragen: welcher Wochentag ist der 13. Novermber 2027? und beide gaben in eineigen Sekunden die richtige Antwort. Auch das Osterdatum konnten sie so voraussagen. Ihre Fähigkeit reichte 40.000 Jahre voraus und 40.000 Jahre zurück. Sie konnten aber weder addieren, noch subtrahieren, noch multiplizieren.

Eines Tages fand Sacks die Brüder in der Anstalt, in der sie versorgt wurden, in einer Ecke sitzend, und es sah von weitem so aus, als ob sie sich kurze, aber sehr gute Witze erzählten. " Es stellt sich aber heraus, dass sie sich Zahlen 'erzählen', und zwar 6-stellige Primzahlen. Sacks rüstet sich zum nächsten Treffen mit noch grösseren Primzahlen aus. Die Zwilligen akzepieren ihn als "Spielgefährten" und bedenken ihn mit acht- bis zwölfstelligen Primzahlen. Foerster dazu: "Das war vor circa 20 Jahren, vor der Zeit der ganz grossen Computer". (38)

@LIT1 Heinz von Foerster. ÚÄÄ> WAHRNEHMEN ÄÄÄ¿ . In: Philosophie der

ÀÄÄ NEMHENRHAW <ÄÄÙ

neuen Technologien. ... pp. 37-38.

Für die erste Öffentliche Vorführung des ACE, so erzählt Wilkinson einem Interviewer der Computerzeitschrift Byte, waren zwei populäre Programme vorgesehen. "For the first, they [die Journalisten] would give us a sic-figure decimal number and the computer would tell them if it ware a prime, and if not, output a factor. For the second program, they would give us any date from the year 0 up to the year 9999 and it would output what day of the week it was. It covered both the Julian and Gregorian calenders and dealt with all leap years. In all, quite an amusing little program. Mike Woodger producet that program."

@LIT2 The Birth of a Computer. An interview with Hames H. Wilkinson on the building of a computer designed by Alan Turing.

Byte, February 1985. p. 185. (Phoko)

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REFER10.TXT

V. Die Objekt gewordene Sprachen.

Es gibt drei Kompensationformen der Objektwerdung der Sprache. Der erste Kompensationversuch schlägt sich mit dem Dilemma herum, dass die Sprache, wird sie "selbst unter dem Blick einer Wissenschaft angeordnet, entfaltet und analysiert, stets /.../ wieder beim erkennenden Subjekt auf /-taucht/, sobald es sich für dieses um die Assage dessen handelt, was es weiss. "Zwei ständige Sorgen im neunzehnten Jahrhundert" bestanden. (361) Die Eine führt zum Versuch, die wissenschaftliche Sprache "neutralisieren und gleichsam glätten" (361) zu wollen, "so dass sie, jeder Besonderheit bar und von ihren Unsauberkeiten und Akzidenzien gereinigt /.../ der exakte Reflex, das metikulöse Doppel, der fleckenlose Spiegel einer nicht sprachlichen erkenntnis werden konnte. Das ist der positiviste Traum von einer Sprache, die genau auf der Höhe dessen gehalten würde, was man weiss." (361) Die andere Sorge "bestand in der Suche einer von der Grammatik, vom Wortschaft, von den systhetischen Formen, den Wörtern unabhängign Logik. einer Logik, die die universalen Implikationen des Denkens an den Tag bringen und benutzen könnte, indem sie sie geschützt hält vor den Besonderheiten einer dort konstituierten Sprache, wo sie maskiert werden könnten. Eine SYMBOLISCHE LOGIK musste mit BOOLE in der Epoche entstehen, in der die Sprachen Gegenstände für die Philologie wurden. Trotz der oberflächlichen Ähnlichkeiten und einiger technischer Analogien handelte es sich nicht um die Frage, eine Universalsprache wie in der Klassik zu bilden, sondern die FORMEN UND VERKNÜPFUNGEN DES DENKENS AUSSERHALB JEDER SPRACHE ZU REPRÄSENTIEREN. Da aber die Sprache Gegenstand für die Wissenschaft wurde, bedurfte es der Erfindung einer Sprache, die eher Symbolik als Sprache war und die deshalb für das Denken in der Bewegung, die ihm zu erkennen gestattet, transparent war. Man könnte in einem bestimmten Sinne sagen, dass die 'LOGISCHE ALGEBRA' UND DIE 'INDOEUROPÄISCHEN SPRACHEN' ZWEI PRODUKTE DER AUFLÖSUNG DER 'ALLGEMEINEN GRAMMATIK' SIND. Die indoeuropäischen Sprachen zeigen das Gleiten der Sprache in bezug auf den erkannten Gegenstand, während die logische Algebra die Bewegung zeigt, die die Sprache bezüglich des Erkenntnisaktes straucheln lässt." (362)

Die zweite Kompensation "für die Nivellierung der Sprache" ist der "kritische Wert, den man ihrer Untersuchung zugeschrieben hat. Die Sprache bildet, wo sie zur dichten und konsequenten historischen Realität geworden ist, den Ort der Traditionen, der stummen Gewohnheiten des Denkens, des dunklen Geistes der Völker." (362) So begreift man die stark betonte Erneuerung aller Techniken der EXEGESE im neunzehnten Jahrhundert." (363) Es ist die Rede von den "EXEGESEN", die Marx, Nietzsche und Freud brachten. "Die Philologie als Analyse dessen, was in der Tiefe des Diskurses gesagt wird, ist zur modernen Form der Kritik geworden." (363) "Die Philologie als Analyse dessen, was in der Tiefe des Diskurses gesagt wird, ist zur modernen Form der Kritik geworden. /.../ Gott ist vielleicht weniger ein Jenseits des Denkens als ein bestimmtes Diesseits unserer Sätze." (363) "Die Interpretation averlief in sechzehnten Jahrhundert von der Welt (Dinge und Texte zguelich) zum göttlichen Wort, das sich in ihr entzifferte. UNSERE INTERPRETATION, auf jeden Fall die, die sich im neunzehnten Jashrhundert gebildet hat, geht von den Menschen, von Gott, von den Erkenntnissen oder Gespinsten zu den Wörtern, die diese möglich mache. Und was sie entdeckt, ist nicht die Souveränität eines ersten Diskurses, sondern die Tatsache, jdass wir vor dem geringesten gesprochenen Wort bereits durch die Sprache beherrscht und von ihr durchdrungen sind. Ein eigenartiger KOMMENTAR, dem sich die MODERNE KRITIK widmet, denn er gelangt nicht von der Feststellung, jdass es Sprache gibt, zur Entdeckung dessen, was sie bedeutet, sondern von der Entfaltung des manifesten Diskurses zur OFFENLEGUNG DER SPRACHE IN IHREM ROHEN SEIN." (363/364)

"Die Interpretationmethoden stehen also im modernen Denken den Techniken der Formalisierung gegenüber, die erstgenannten mit dem Anspruch, die Sprache unterhalt ihrer selbst und möglichst nahe dem sprechen zu lassen, was ohne sie gesagt wird, die zweiten mit dem Ziel, jeder eventuelle Sprache zu kontrollieren und durch das Gesetz dessen, was ihr zu sagen möglich ist, zu überhangen. INTERPRETIEREN UND FORMALISIEREN SIND DIE BEIDEN GROSSEN FORMEN DER ANALYSE UNSERES ZEITALTERS GEWORDEN." ( 364)

Die dritte Kompensation ist, wie kann es anders sein, LITERATUR. "Von der romatischen Revolte gegen einen in seiner Zeromonie immobilisierten Diskurs bis zur Entdeckung des Wortes in seiner ohnmächtigen Kraft durch Mallarm‚ sieht man wohl, welche Funktion die Literatur im neunzehnten Jahrundert in Beziehung zur modernen Seinsweise der Sprache hat. Auf dem Hintergrunddieses wesentlichen Spiels ist der Rest nur Wirkung: Literatur unterscheidet sich mehr und mehr vom Diskurs der Vorstellung, schliesst sich in einer RADIKALE INTRANSITIVITÄT ein. Sie löst sich von allen Werden, die im klassischen Zeitalter sie zirkulieren lassen konnten (der Geschmack, das Vergnügen, das Natürliche, das Wahre), und lässt in ihrem eigenen Raum alles entstehen, was dessen spielerische Verneinung sichern kann (das Skandalöse, das Hässliche, das Unmögliche). Sie bricht mit jeder Definition der "Gattungen" als einer Ordnung von Repäsentationen angepassten Formen und wird zur REINEN UND EINFACHEN OFFENBARUNG EINER SPRACHE, die zum Gesetz nur die AFFIRMATION - gegen alle anderen Diskurse - IHRER SCHROFFEN EXISTENZ hat. Sie braucht also nur noch IN EINER STÄNDIGEN WIEDERKEHR SICH AUF SICH SELBST ZURÜCKZUKRÜMMEN, SO ALS KÖNNTE IHR DISKURS NUR ZUM INHALT HABEN, IHRE EIGENE FORM AUSZUSAGEN. Sie WENDET SICH AN SICH SELBST ALS SCHREIBENDE SUBJEKTIVITÄT, oder sie sucht in der Bewegung, in der sie entsteht, das Wesen jeder Literatur zu erfassen, und so konvergieren all ihre Fäden zu der feinsten - besonderen, augenblicklichen und dennoch ABSOLUT UNIVERSALEN - Spitze, ZUM EINFACHEN AKT DES SCHREIBENS. In dem Augebnlick, in dem die Sprache als ausgebreitetes Sprachen Gegenstand der Erkenntnis wird, erscheint sie wieder in einer streng entgegengesetzten Modalität: schweigsame, vorsichtige Niededrlegung eines Wortes auf das WEISSE EINES PAPIERS, WO ES WEDER LAUT NOCH SPRECHER gegen kann, wo sie NICHTS ANDERES MEHR ZU SAGEN HAT, ALS SICH SELBST, nichts anderes zu tun hat, als im Glanz ihres Seins zu glitzern." (365/66)

@LIT1 Michel Foucault. Archeologie der Dinge.

Derrida, Jaques. Die Schrift und die Differenz. Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken Emmanuel Levinas.

"Wie könnte der Hebraismus übrigens, auf den Levinas eine so gelungene Lobrede schreibt, das Schriftzeichen erniedrigen? Beispielsweise: "Die Wirkung der Literatur auf die Menschen zuzulassen, das ist vielleicht die höchtste Weisheit des Abendlandes, in der sich das Volk der Bibel wiedererkennt" (DL=Difficile Libert‚). Und: "Der Geist ist im Schriftzeichen frei, wogegen er in der Wurzel gekekttet ist"; weiter: "Die Thora mehr als Gott zu lieben", ist "ein Schutz avor dem Wahnsinn eines direkten Kontakes mit dem Heiligen ..." (DL). Es ist offenkundig, was Levinas von der lebenidgen und ursprünglichen Sprache selbst retten will. Ohne ihre Möglichkeit, ausser ihres Horinzonts, ist die Schrift nichts. In diesem Sinn wird sie immer zweitrangig bleiben. Sie von dieser Möglichkeit und diesem Horinzont, von dieser wesenhaften Zweitrangigkeit zu befreien, heisst sie als Schrift zu negieren, und das Haus für die SPRACHLOSE GRAMMATIK oder LEXIK, für die KYBERNETIK oder ELEKTRONIK zu räumen. Nur in Gott aber kommt die Sprache als Präsenz, als Ursprung und Horinzont der Schrift fehlerlos zur Vollendung. Man müsste zeigen können, dass das Einzige, wodurch sich das Anliegen Levinas' von dem Sokrates' im 'Phaidros' unterscheidet, diese Bezugnahme auf die Sprache Gottes ist; und dass diese Unterscheidung für ein Denken der uranfänglichen Endlichkeit nicht mehr möglich ist. Und dass, wenn die Schrift infolgedessen zweitrangig ist, ihr dennoch nichts vorangeht.