Karl Moormann: Vorwort

Da dieses neue gewaltige Glied tief hineinreicht in die Gemeinschaft,
ist es unausweichlich, daß es für einige Zeit verkrampftes Verhalten
hervorrufen wird.

Dieses Referat referiert in komprimierender Übersetzung mit eingestreuten Zwischenbemerkungen. Eine zitierfähige Übersetzung durch ein dreiköpfiges Übersetzerteam ist seit 1999 verfügbar: Philip Marchand, Marshall McLuhan, Botschafter der Medien. Biographie. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, ISBN 3421053065 gebunden, 430 Seiten, 29,65 EUR.
Ausschnitte aus Rezensionen u.a. unter http://www.perlen­taucher.de/buch/337.html

Lange Lektüre und Suche in allem ,was Hamburger Bibliotheken und Fernleihe an McLuhan hergaben, einem McLuhan-Code zwischen Joyce und Slang der sechziger Jahre gegenüber bewaffnet mit Diktionärs vom OED bis zu Slang and Euphemisms, A Dictionary of Oaths, Curses, Insults, Racial Slurs, Sexual Slang and Metaphor, Drug Talk, Homosexual Lingo and related Matters - blockbusters z.B., das, hoffte McLuhan, seien seine Bücher, Amphetaminpillen oder Weckamine, erweckend aus dreitausendjähriger Narkose in der Schrift- und Buchkultur durch ihr Zerschlagen und Zerbomben mit blockbusters: einen ganzen Wohnblock zerstörte jede der mit diesem nickname belegten Bomben des zweiten Weltkrieges; dazu verschiedene Proben an den Materialien, die diese ungeheurliche McLuhan-Pattern-Recognition-Maschine verarbeitet oder verdampft hatte, und schließlich, soweit nötig - und das war es -, Einstiegsversuche in alexandrinische, mittelalterliche und neuere Formen von Allegorese und Typologie, analogische Kosmologie der Renaissance, jüdischer und puritanischer Messianismus in orthodoxer und 'gnostischer' Form, europäischer Avantgardismus in Kunst und Literatur und die politischen Theologien von Donoso Cortés und Carl Schmitt, also Kostproben an einem scheinbar verwirrendem Gebräu aus einer Art Hexenküche - um begreifen zu können, um was es sich bei diesem Phänomen 'McLuhan' überhaupt gehandelt hatte und handelt, damit dann schließlich ein roter Faden in dieser pulsierende[n] Montage aus kommunizierenden Gegenständen - wie ein Kritiker McLuhans Werk bezeichnet hatte - erschiene und ein Sammelreferat daran abgewickelt werden konnte.
Der rote Faden also spann sich woanders (und zum Gewebe) als dort, wo referiert werden konnte, und ebensogut wären die täglichen Nummern von fünf Tageszeiten über ein Jahr hin als Entwicklung von Fragen, Formulierungen und Thesen eines Autors zu einem Thema referierbar gewesen - undenkbar schon allein angesichts der McLuhanschen Vorstellung eines Zeitungslesers, der immer der Mensch von gestern ist, den die tägliche Zeitungslektüre in eine Diskontinuität von bloßem Nebeneinander der Nachrichten aus aller Welt hineinreißt, aus der er sich nur im Zusammenhalt der dateline als der Neue Mensch vom heutigen Tage retten kann.
'Pulsierende Montage': als die Herausgeber der Briefe McLuhans nach dessen Tod zu seiner Exzerptsammlung in in seinem Wohnsitz im Wychwood-Park vordrangen, fanden sie das zu achthunderttausend Papierstücken (incl. Briefe) exzerpierte Abendland, aus denen sich seine Bücher konfiguriert hatten. Da drängen sich Vergleiche auf: so mit dem denkenden Ozean in Solaris von Stanislav Lem: eine ungeheure Masse an intelligenter Gallerte, die in der Lage ist, den genetischen Code - Baupläne und Erninnerungsspuren - der auf dem Planeten diensttuenden Astronauten zu knacken oder zu exzerpieren - der erfolgreichsten Fall ist ein tödliche Ganzkörperexzerpt -und daran spielerisch die Schöpfung Neuer Welten zu erproben; oder mit einem System, das ohne raumgebundene Existenz wie ein ständiges Pulsieren vorzustellen sei: mit jeder Themenwahl expandiert und retrahiert das System, nimmt Sinngehalte auf und läßt andere fallen . In diesem Fall war von Niklas Luhmann freilich Gesellschaft als System gemeint, das seine Selbsterhaltung autopoietisch nur in einem permanenten Zustand von Unterscheidung oder 'dezisionistischem Exzerpieren' - Annnehmen/Verwerfen - reprozessieren kann, aber das Pulsieren ist der gemeinsame Herzschlag von System und Theorie, denn diese ist, in der Tendenz ähnlich wie bei McLuhan, bei Luhmann eine in den systemischen Ausnahmezustand erhobene Kommunikation mit Zettelkästen geworden: jede gezogene Karte ein folgenreicher Pulsschlag auch für die anderen, die danach irreversibel unziebhar geworden sein könnten.
Der pulsierende Komplex 'McLuhan' war also durchaus theoretischer Art, aber im Sinne eines herrschenden Zustands: eine permanente theoretische Mobilmachung, die ohne langes Fackeln annihiliert und neu fügt, indem sie verfügt. Technologietheorie und Medienästhetik im und als Ausnahmezustand? Da konnte es im Falle McLuhans nur um eine revolutionär erhaltende Rettung des Abendlandes gehen, die, um sie überhaupt fassen und einem Widerpart zuordnen zu können, die Vorstellung eines 'real existierendem Neoplatonismus' aus in 'rasendem Stillstand' ständig erneuerten Seinsmustern hilfsweise angemessen erscheinen ließ und, wofern bestimmte ebenso undeutlich mit 'gnostisch' zu bezeichnende Eigenarten dieses Zustandes mit in Anschlag kämen, die Rede von einer merkwürdig technologisch-medial-ästhetisch aktualisierten 'politischen Theologie' der globalen Dorf- oder lokalen Weltmediengemeinde oder - in der nüchternen, aber auf McLuhans berühmte Formulierung bezogenen Sprache seines Freundes Peter Drucker -eines globalen Supermarktes denkbar erscheinen ließ.
Wenn also etwas an 'McLuhan' referierbar wäre, dann wohl nur die 'Entwicklung' dieses Ausnahmezustandes, etwa als die sich verstärkende Folge seiner immer wiederholten Durchbrüche und Ausrufungen. So erschien es schließlich plausibel, sich einem Biographen McLuhans anzuvertrauen, dem es gelungen war, dessen Leben in einer Art von Verkettungen biographischer, religiöser, sozialer, wissenschaftlicher und politischer Ausnahmezustände darzustellen. Es handelt sich um die Arbeit von Philip Marchand: Marshall McLuhan. The Medium and the Messenger. (New York 1989). Sie entwickelt anhand des biographischen Fadens ein umfassendes Panorama des weitverzweigten Phänomens 'McLuhan' und dient damit als eine Art nur scheinbar anspruchsloses narratives Inventorium für fast alle in Bezug auf dieses Phänomen relevanten Themen.
Der oben angedeutete lange Umweg ist in der Übersetzung enthalten, die gezielt raffend verfährt und in vielen nichtbiographischen Bereichen und Stellen frei profilierend, akzentuierend und konturierend vorgenommen wurde; die ursprünglich nicht verkneifbaren längeren Kommentare, mit [KM-»] .....[«-KM] umgrenzt, wurden auf ein Minimum beschränkt und sind wie die freieren Übersetzungsversuche eine Art von eher gymnastischen oder pantomimischen Denk-, Formulierungs-, Lockerungs- und Notstandsübungen vor diesem pulsierenden Komplex, der als Ganzes nicht sich erfassen läßt, ohne daß er selbst restlos zu erfassen beansprucht.
Philip Marchands Arbeit habe ich erst spät als Versuch verstanden, dieses ausnehmende Etwas, das in den sechziger Jahren unter dem Namen McLuhan in voller Größe den USA aufgetaucht ist und nicht nur Marchand eine Zeitlang in Furcht und Begeisterung erfaßt hatte - und immer noch unter anderen Namen das Erfassen weiter verfügt -, in geduldiger Recherche an veröffentlichtem und unveröffentlichtem Material und durch umfassende und genaue Befragung von Zeitgenossen McLuhans in allen Facetten von Faszination, Bewunderung, Sympathie, Distanzierung, Aufklärung und Ablösung besprechbar zu machen. Ich hoffe, daß dies in der vorliegenden referierenden An- und Übereignung erhalten worden ist und daß die Lektüre eine Antwort auf die Frage ergibt, ob McLuhan als Erscheinung in der Grauzone zwischen zwischen Literaturwissenschaft und Informationstechnologien unübergehbar ist.