VORWORT

Der Begriff clavis universalis wurde zwischen dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert benutzt, um jene Methode und jene hochallgemeine Wissenschaft anzuzeigen, die den Menschen in die Lage versetzen, jenseits der phänomenalen Erscheinungen oder der "Schatten der Ideen" die Struktur oder ideale Textur zu erfassen, die die Essenz der Realität bildet. Das Alphabet der Welt zu entziffern; in dem großen Buch der Natur die von dem göttlichen Geist eingeprägten Zeichen lesen zu können; die völlige Korrespondenz zwischen den originären Formen und der Kette der menschlichen Vernunftgründe zu enthüllen; eine perfekte Sprache zu konstruieren, die alle Mißverständnisse ausmerzen und die Essenzen enthüllen könnte, indem sie den Menschen in Kontakt nicht mit den Zeichen, sondern mit den Dingen brächte; totale Enzyklopädien und geordnete Klassifikationen zu entwickeln, die der getreue Spiegel der im Kosmos wesenden Harmonie wären: mit dem Versuch, Ergebnisse dieser Art zu erreichen und diese Positionen und die mit ihnen verbundene Weltsicht zu untersuchen, zu verteidigen und zu propagieren, waren von der Mitte des vierzehnten bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts all jene befaßt, die sich anschickten, die Themen des Lullismus zu debattieren, die Regeln der künstlichen Memoria festzuschreiben, grandiose Enzyklopädien und komplizierten Welttheater zu kompilieren, das Alphabet der Gedanken zu erforschen und sich zu Anhängern der Aspirationen der Pansophie und der Hoffnungen auf eine totale Erlösung und Pazifizierung des menschlichen Geschlechts zu machen.
Es handelt sich um Einstellungen, Projekte und Themen, die äußerst weit verbreitet waren, eine entscheidende Bedeutung für die Erforschung von Logik und Rhetorik hatten und dazu anspornten, von einem ganz bestimmten Gesichtspunkt aus das Problem der Sprache, das der Memoria und die für die "Topiken" und Klassifikationen, für die Zeichen und Hieroglyphen und für die Symbole und Bilder einschlägigen Fragen zu studieren und zu vertiefen. Es ist für einen modernen Menschen zweifelsohne schwierig, sich von dem Einfluß eine Vorstellung zu machen, den eine dieser Art von Problemen gewidmete Bücherproduktion auf die Kultur, auch auf die philosophische, ausüben konnte. Bleibt das Faktum, daß ganze Generationen von gebildeten Menschen vom Beginn der Renaissance an bis zur Zeit von Leibniz sich damit beschäftigten, die Regeln des Diskurses, also jene der Argumentation und der Persuasion auszuarbeiten, die Regeln der Kunst der Memoria zu stabilisieren, die Art von Verbindung zu lehren, die zwischen den Orten der Mnemotechnik und den in ihnen zu plazierenden Bildern bestehen soll, die Figuren der Großen Kunst von Lull zu studieren und die komplizierten Regeln der Kombinatorik auszuarbeiten. Daß die Techniken der künstlichen Memoria und der kombinatorischen Logik aus der europäischen Kultur verschwunden sind, ist wahrscheinlich kein Übel; schlimm ist dagegen, daß viele Historiker geglaubt haben oder noch immer glauben, Polemiken, Diskussionen und Bedeutungen von Theorien deuten zu können, indem sie diese gewaltsam aus einem historischen Kontext herausreißen, in dem jene heute toten Techniken indes doch lebendig und vital waren. Wer bei der Beschäftigung mit der Kultur des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts zum Beispiel nicht die Bedeutung der Verbindung von Logik und Rhetorik verstanden hat und glaubte, eine Geschichte der ersteren entwerfen zu können, ohne sich im geringsten mit der Geschichte der letzteren zu beschäftigen, ist im allgemeinen zu enttäuschenden Ergebnissen gelangt. Zu behaupten, wie viele es getan haben, daß "unbedeutende Werke" große Verbreitung in ganz Europa hatten, heißt letztlich mit einer sprachlichen Floskel einem ganz bestimmten historischen Problem auszuweichen: Was bestimmte und bewegte dann auf so einzigartige Weise Philosophen wie Agrippa, Bruno, Bacon, Cartesius und Leibniz, Männer wie Alsted und Comenius und Wissenschaftler wie Boyle oder Ray, diese Diskussionen ernst zu nehmen, sich der Einschätzung ihrer Funktion und ihrer Bedeutung zu widmen und sie an verschiedene und hochkomplexe gedankliche Positionen anzupassen.
Wenn wir die lateinischen Schriften von Bruno, verschiedene Kapitel von De Augmentis, die jugendlichen Fragmente von Cartesius und die Hälfte der Opuscula von Leibniz nicht aus der Geschichte als Früchte von Irrtümern und Illusionen ausmerzen wollen, wenn wir nicht Männer wie Alsted und Comenius an den Rand der Kultur abdrängen wollen, werden wir begreifen müssen, daß auch die Kultur des siebzehnten Jahrhunderts (nicht nur die der vorangehenden Ära) gerade in ihren Grundzügen weit entfernt von einer nach-aufklärerischen Mentalität ist. Erst der aufklärerische Rationalismus bedeutet in dieser Hinsicht eine entscheidende Wende: eine Reihe von Problemen, die Jahrhunderte lang die Verehrer von Logik und Rhetorik, die Theoretiker des Diskurses und die Sprachforscher begeistert hatten, wurden für immer von der Szene der europäischen Kultur verdrängt, verloren Sinn und Bedeutung, erschienen als Manifestation jahrhundertealter verrückter und unter dem Zeichen der gottlosen astrologischen, magischen und alchemistischen Forschungen versammelter Aspirationen oder wurden als im Zeitalter der Neuen Wissenschaft immer noch übriggebliebene Relikte aus den mittelalterlichen Finsternissen angesehen. Indem sie das von den Aufklärern im Verlaufe eines scharfen ideologischen Kampfes sehr parteiisch ausgearbeitete historiographische Bild als gültig annahm, hat ein nicht geringer Teil der Geschichtsschreibung der folgenden Jahrhunderte es vorgezogen, einige in Wirklichkeit entscheidende Aspekte der Kultur des barocken Zeitalters zu übergehen. Die Interessen Brunos für die Kombinatorik und die Mnemotechnik wurden als "Kuriosität und Bizarrerie" angesehen; man zog es vor, die Tatsache zu übergehen, daß Ramus und Bacon und selbst Leibniz in der "memoria" einen der Bereiche gesehen hatten, in denen sich die neue Logik der Modernen artikulierte; man machte sich keine Gedanken darüber, daß die baconianische Doktrin der Tafeln und der Induktion und die cartesianische der Enumeration in einem ganz bestimmten historischen Feld mit Bezug auf sehr weit verbreitete Werke und bereits jahrhundertealte Diskussionen ausgearbeitet worden waren; man sah in Comenius nur den modernen Pädagogen und in Leibniz nur den Theoretiker der formalen Logik. Aus was für einem komplizierten Durcheinander von Themen, die mit der Kabbala und mit den ideographischen Schriften, mit der Entdeckung der sogenannten "Realcharaktere", mit der Kunst der Memoria, mit den Bildern des Baums der Wissenschaften, mit der mathesis und mit der Universalcharakteristik, mit der als wunderbarer Schlüssel des Universums verstandenen Methode und schließlich mit der "scienza generalissima" verbunden waren, zog man es vor sich zu befreien, indem man auf eine unverbindliche und mysteriöse Entität namens "Platonismus" zurückgriff, die immer wie ein trüber Hintergrund und ein indistinktes Panorama hinter den Werken der großen und kleinen Denker weste.
Dieses Buch ist aus dem Versuch entstanden, ein gewisses Licht auf diesen "Hintergrund" zu werfen und die generellen und partiellen Aspekte dieses "Panoramas" zu bestimmen: durch die direkte Analyse einer Reihe von veröffentlichen und nicht veröffentlichten Werken, durch eine Untersuchung der Verbreitung der Bücher und Ideen und durch die Erforschung der von diesen Büchern und Ideen auf die "Philosophie" (insbesondere auf die Logik) einiger großer moderner Denker ausgeübten Wirkung.
Die Funktion, die Bedeutung und die Ziele der Künste der Memoria und der kombinatorischen Logik entwickelten sich vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in von Mal zu Mal unterschiedlichen Konfigurationen. Die seit Jahrhunderten wiederholten Regelsysteme einer verehrungswürdigen Kunst gewannen in anderen als den ursprünglichen Kontexten neue Bedeutungen: was für viele zwischen dem vierzehnten und dem fünfzehnten Jahrhundert eine neutrale, in den rhetorischen Diskursen unabhängig von den Umständen des Ortes und der Zeit anwendbare Technik gewesen war, entpuppte sich schließlich als Instrument ehrgeiziger Reformprojekte, lud sich sich mit metaphysischen Bedeutungen auf und verband sich mit den Themen der Kabbala, des mystischen "Exemplarismus" und der Pansophie. In dieser Hinsicht existiert zwischen den Werken der ars praedicandi oder der ars memoriae des vierzehnten und des fünfzehnten Jahrhunderts und den Werken von Bruno und Giulio Camillo eine unüberbrückbare Differenz: an die Stelle eines Instruments, das zu praktischen Zwecken im Bereich der Rhetorik entwickelt worden war, trat nach der Zusammentreffen mit dem Lullismus die Suche nach einer Chiffre, die die Geheimnisse der Realität zu durchdringen ermöglichte und die Potentiale des Menschen unermeßlich zu erweitern erlaubte. In ganz ähnlicher Weise sollten Ramus, Bacon und Cartesius tiefgreifend die Bedeutung der traditionellen Probleme verändern, indem sie die Lehre von den Hilfsmitteln der Memoria in den Rahmen einer Doktrin der Methode oder der Logik einfügten oder sich auf die catena und den arbor scientiarum beriefen. Neuen Ansprüchen angepaßt und tiefgreifend umgeformt, zog das alte Problem der künstlichen Memoria in die moderne Logik ein und verband sich mit den Themen der Universalsprache und der Ersten oder Allgemeinen Wissenschaft. Aber jenseits dieser "Mutationen" und "Transfigurationen" gab es vom Ende des vierzehnten bis zu den letzten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts eine starke und wirksame Kontinuität von Ideen und Diskussionen: eine Kontinuität europäischen Charakters, die durch die Dokumentation der Verbreitung einer äußerst großen Anzahl von Werken und vieler Ideen bei ganz bestimmten Gruppierungen von Menschen nachprüfbar ist. Die Werke von Pietro da Ravenna und Cornelius Gemma, von Alsted und Pierre Gregoire, von Schenkelius und Rosselli, von Bisterfield und Wilkins, die von Bruno und von Bacon, von Comenius, von Cartesius und von Leibniz studiert, gelesen und kommentiert worden waren, wurden im Verlaufe des 17. Jahrhunderts aus der europäischen Kultur eliminiert. Auch der Lullismus, der in Frankreich, in Deutschland und Italien eine der fundamentalen kulturellen Komponenten und eine der erfolgreichsten und akademisch stärksten philosophischen "Schulen" gewesen war, beschränkt sich nun auf die Stadt Mangonza und die Insel Mallorca, nimmt ausschließlich gelehrten Charakter an, ist in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur noch Anlaß zu melancholischen Übungskursen einiger Professoren und reduziert sich auf Manifestationen einer unheilbar archaischen und provinziellen Mentalität. Nicht anders werden die Künste der artifiziellen Memoria, die mit Cicero und Quintilian geboren, von Albertus und Thomas wiederaufgenommen, zur Ausübung der christlichen Tugend der Prudentia als wesentlich angesehen und von Lullus, Bacon und Leibniz gepflegt worden waren, an die Ränder der Kultur gedrängt und leisten schließlich in den Sammlungen okkulter Bücher den Werken der Anthroposophie und des Spiritismus Gesellschaft.
Indem er einen logischen "Calculus" und vor allem einen "Symbolismus" mathematischen Typs beschwor, hatte Leibniz in Wirklichkeit den als "von der Einbildungskraft erzeugte animierte Bilder" verstandenen "Symbolen", die über drei Jahrhunderte nicht wenige Werke der Rhetorik, der Pädagogik und der Philosophie bevölkert hatten, den Todesstoß versetzt. Mit und auch durch Leibniz wurde eine ganze Welt zum Verschwinden gebracht; nicht nur eine bestimmte Art, die Funktion der Bilder und Symbole, sondern auch die Aufgabe der Logik und ihre Beziehungen zur Metaphysik zu verstehen. 1713, als Collier seine Clavis universalis publizierte, hatte dieser schon mit so vielen Bedeutungen beladene Begriff jeden Sinn verloren, und war nur noch ein dem Inhalt des Werkes fremdes Etikett. Der Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts verwarf dann aber nicht nur die archaischen Aspekte des leibnizianischen Denkens und verdrängte nicht nur den Exemplarismus lullistischer Provenienz, die Extravaganzen der Kabbala, die Träume der Pansophie und die ganze - ziemlich trübe - Atmosphäre des Enzyklopädismus der zwei vorangehenden Jahrhunderte, sondern zog dabei - mit ziemlich wichtigen historischen Konsequenzen - auch die von Dalgarno und Wilkins auf den Weg gebrachten und von Leibniz weitergeführten Projekte der Universalcharakteristik und des logischen Symbolismus mit in die Verdammung hinein. Nicht umsonst schloß Immanuel Kant etwa ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung der Dissertatio de arte combinatoria radikal aus, daß die zusammengesetzten Ideen durch Zeichenkombinationen dargestellt werden können, und verglich die Charakteristik von Leibniz mit den unnützen Träume der Alchemie.
So wurde das Werk von Leibniz mit dem eines Theologen und spekulativen Metaphysikers identifiziert und sein Ruhm der Theodizee und den Diskussionen über das Problem des Bösen zugeschrieben. Wie Barber in seiner Untersuchung der Reaktionen eines Jahrhunderts französischer Kultur auf den Leibnizianismus richtig schrieb, brachte die Ankunft des neuen Empirismus "gerade Leibniz in die Kategorie der aus der Mode geratenen Exponenten der apriorischen Systeme". Um die Projekte von Leibniz wiederaufgenommen zu sehen, wird man zwei Jahrhunderte warten müssen: bis Augustus de Morgan und George Boole; als Logiker wird Leibniz zu Beginn unseres Jahrhunderts wieder von Louis Couturat und von Bertrand Russel geschätzt; vom Bischhof Wilkins wird vielleicht das erste Mal seit dem 18. Jahrhundert in dem 1923 in London veröffentlichten Buch The Meaning of Meaning von Ogden und Richards mit einer gewissen Sympathie gesprochen. Die achthundertjährige Entwicklung der formalen Logik und die Ausbildung der symbolischen Logik als Wissenschaft entsprang der "stufenweisen Entwicklung eines immer klareren Bewußtseins ihrer Natur als deduktiver und von Vorannahmen einer allgemeinen Weltsicht unabhängigen Technik" (Barone) sowie der Befreiung "von allen ontologisch-metaphysischen Präokkupationen" (Preti). Wie schon Husserl bemerkt hatte, wurde die moderne formale Logik "nicht aus philosophischer Reflexion über die Bedeutung und Notwendigkeit der mathesis universalis, sondern aus den Bedürfnissen der theoretischen deduktiven Technik der Mathematik" geboren.
Die Würdigungen der "genialen Antizipationen" im Denken von Leibniz nahmen genau auf diesen Terrain ihren Anfang. Aber Leibniz und vor ihm Bacon und Cartesius hatten sich auf einem anderen, radikal verschiedenen Terrain bewegt. Die "Antizipationen" und "Vorwegnahmen", auf die Farrington, Beck oder Russel im Hinblick auf Bacon, Cartesius und Leibniz so scharfsinnig aufmerksam gemacht haben, sind ohne Zweifel von allergrößtem Interesse, und jede Untersuchung zur besseren Bestimmung ihrer Tragweite und Fruchtbarkeit für die Zeitgenossen ist nicht nur legitim, sondern auch wünschenswert. Und dennoch ist es mindestens ebenso wichtig, die Unterschiede zu unterstreichen und die Diversität und Alterität zu betonen: um Mißverständnisse zu zerstreuen und um zu zeigen, was in Wirklichkeit jener undeutliche Hintergrund bedeutet, auf dem sich die Porträts unserer illustren Vorfahren abheben. Wie vor kurzen Augustin Crombie zu der lichtvollen 'Antizipationen' im Werk von Galilei schrieb, "ist die historische Erfahrung nicht einleuchtend, weil sie unsere eigenen Probleme zurückprojiziert, sondern weil sie überraschenderweise deutlich macht, daß die Denker Ansichten und Voraussetzungen gehabt haben können, die sehr verschieden von den unsrigen sind".
Wer mit der Literatur über die Renaissance bekannt ist, wird deutlich sehen, wieviel dieses Buch den Untersuchungen von E. Garin über die Kultur des 15., 16. und 17. Jahrhunderts und, was die "Kontinuität" der "Ideen" zwischen dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert angeht, den Forschungsergebnissen von Delio Cantimori verdankt. Ich möchte außerdem meinen Dank Pater Miguel Batllorri vom Historischen Institut der Gesellschaft Jesu, Professor François Secret, Herrn Bing vom Warburg Institut und den Freunden Paolo Zambelli und Cesare Vasoli aussprechen, die mich verschiedentlich beraten und mir Publikationen und Hinweise auf Artikel und Bücher verschafft haben. Ich danke außerdem Lugi Quattrocchi vom Italienischen Institut Hamburg, der mir die Photographien einiger leibnizianischer Handschriften besorgt hat, sowie der Direktion der "Rivista critica di storia della filosofia", die mir erlaubt hat, die Teile dieses Buches zu wiederabzudrucken, die in dieser Rivista in Form von Aufsätzen erschienen waren.
P.R.
Universität Mailand, Februar 1960.