Die Gelehrtentragödie. Vorspiel auf dem Theater
11 ff).
Kittlers Arbeit hebt an mit der Feststellung, daß
die "Deutsche Dichtung" mit einem Seufzer anhebe. Es handelt sich
um das »ach« des »Vorspiel auf dem Theater« des Faust: »Habe
nun, ach! Philosophie ...«. Aus diesem Seufzer entwickelt Kittler
diskursanalytisch einen "epistemologischen Schnitt"(16), die
Etablierung eines "Tranzendentalsignifikats" und die Markierung
eines "Nullpunktes"(20), den Beginn eben von "Deutscher Dichtung"
und von - Hermeneutik. Den epistemologischen Schnitt führt eine
neue Art von Übersetzung der Bibel, zu der Faust nach zwei
vergeblichen Versuchen, aus dem alteuropäischen
Diskursnetz(39) auszuscheren, endlich
greift.
Faust also schlägt die Bibel auf, "um einen Mangel
zu beheben, der immer schon »ach! nach des Lebens Quelle« hin
trieb"(14). Und er übersetzt sie, aber anders als es die
Gelehrtenrepublik schätzt. Er kann nämlich das Wort, das am Anfang
war »so hoch unmöglich schätzen/ Ich muß es anders übersetzen«
(zit. 15).
Mit dem Wort, daß er das Wort unmöglich schätzen
kann [...], schert Faust aus der Gelehrtenrepublik aus. Von
Humanismus und Reformation erlassen Bücherumgangsregeln werden
obsolet. Der Humanismus verfuhr als philologische Tätigkeit und
Philologie heißt Liebe zum Wort.(15)
»Sola scripura« ist die Regel Luthers, und für die
Schüler von Katechismusschulen heißt das, "daß sie heilige Texte
auswendig lernen und »von wort zu wort verzelen« können mußten".
"Unumstößliche Wortlaute als Reduplikation eines unumstößlichen
Wortlauts - das war Bibelfestigkeit."(15) Daß Faust "Übersetzen zur
Hermeneutik" gerät, macht ihn "zum Gründerhelden eines künftigen,
des transzendentalen Wissens". "Fausts Verdeutschung eines heiligen
Originals allein mit redlichem Gefühl ist ein epistemologischer
Schnitt."(16) Die "frühneuzeitliche Ordnung der Worte" wird
revolutioniert, wenn der Wortlaut ausgetauscht wird "gegen
Einsichten darüber, was geschrieben werden sollte, wenn es nach dem
Übersetzer ginge."
Das "Übersetzen aus eigener Seele und redlichem
Gefühl" zielt aber auf das Wort am Anfang.(40) Dessen
Paraphrasierungen "heißen nicht mehr aus einem Schatz der Tropen
und Figuren geschöpft; sie erhalten die umgekehrte Funktion
zugesprochen, die wahre und eigentliche Bedeutung eines Wortes zu
bedeuten. Und dieses Wort ist ausgerechnet das Wort
»Wort«".(17)
Es geht nicht um ein Wort oder Signifikat unter
anderen; es geht darum, das Wort überhaupt als Signifikanten dem
Primat von Signifikaten unterstellen. Aus rhetorischen Variationen
macht Faust eine semantische Queste nach dem transzendentalen
Signifikat.(17)
Fausts Übersetzungen besteht in einer Reihe von
Durchstreichungen. Im Anfang war die Tat, die Kraft, der Sinn, das
Wort. "Es sind diese Durchstreichungen, die hermeneutisches
Übersetzen von rhetorischem Umschreiben unterscheiden."(18) Denn
die "Logik der Signifikanten ist eine Logik der Ersetzungen, die
Logik der Signifikate eine Phantastik, bei der ein unersetzliches
Signifikat alles ersetzbaren Signifikanten ersetzt." Ohne
Durchstreichungen würden die Wörter ein "Paradigma von Signifkanten
im Sinn Saussures" bilden. Aber "der Übersetzer in seiner Freiheit
nimmt ihren Zusammenstand (und das heißt ja System) gar nicht war",
weil er "eine Bedeutung außer aller Differentialität
sucht."(18)
"Faust bezeichnet in der »Geschichte des Zeichens«
den Augenblick ohne »Paradigmenbewußtsein«" Dieser
"diskursanalytische" Befund - in der Terminologie R. Barthes
formuliert - schreibt Faust syntagmatische und paradigmatische
Blindheit zu, so daß "nur noch der innere oder imaginäre Bezug
zwischen Signifikant und Signifikat"(19) bleibt. Dieser "ist es,
den man »gewöhnlich« und vorab seit Goethes Kunsttheorie »ein
Symbol nennt«". Das aber ist das Ergebnis eines "faustische[n]
Handstreich[s]". Er supendierte für
die Dauer eines Jahrhunderts [...] die Zurechnung
des Zeichens zu den Mengen, deren Element es ist. Dieser Ausfall
hat sehr pragmatische Gründe. Denn der Bezug aufs Signifikat ist
der einzige, der nicht dem Diskurs des Anderen gehorcht.(19)
Faust schreibt allein und "ohne zugezogene Bücher
und in keinem Diskursnetz"(19). Solcherart "freies Schreiben"(20)
"findet keinen Platz im Aufschreibesystem, aus dem Faust herkommt,
weil es selber ein neues Aufschreibesystem beginnt". Es handelt
sich um einen "Nullpunkt".
Das an diesem Nullpunkt angesetzte moderne
Schreiben ist das eines Schreibers, "der um den Satz ich
schreibe herumschreibt"(21) und erfüllt so "den modernen
Begriff von Autorschaft". Das Handschreiben des Autors Faust ist
"die Tat seiner eigenen Selbstgegenwart".
Aber es gibt die Kultur nicht, "wo das Würfelspiel
der Reden nicht gesteuert und beschnitten, nicht kontrolliert und
organisiert würde"(22). Eine interne Verpflichtung löst für Faust
die alteuropäische ständische ab. "Am Faktum der Diskursregelung
ändert das nichts."(23) Es tritt also auf die Bühne Mephisto und
wird von Kittler mithilfe von Nietzsches Darlegung des Staates als
Bedingungen der Möglichkeit freien akademischen Schreibens und
Hörens (Über die Zukunft der Bildungsanstalten, zit 24) als
der Geist identifiziert, der "akademische Freiheit und dichterische
Freiheit (nicht zu verwechseln mit poetischer Lizenz)"(25)
garantiert: der Staat.
Anstatt des Wortes die Tat zu setzen, ist allemal
eine politische Tat. 1794 gewährte im aufgeklärten Preußen ein und
derselbe Code, das Allgemeine Landrecht, Büchern ein
Verlagsrecht, das die Tat ihrer Autoren unentfremdbar macht, und
den Bildungsanstalten ein neues Statut, das sie »von den am
Hergebrachten hängenden Organen der kirchlichen Verwaltung
löst«(41): »Schulen und
Universitäten sind Veranstaltungen des Staates«(42).(25)
Eine Selektion und Diskurskontrolle wie alle
anderen etabliert sich, "auch wenn Hermeneutik ihren Sieg gerade
der Maskerade verdankt, als Gegenteil jeder Kontrolle
aufzutreten"(26). Diese Kontrollinstanz ist "der einzigartige
Knoten, der selber nicht verstanden wird und verstanden werden
kann"(27). Das wird sozusagen typentheoretisch festgestellt:
Der Staat bleibt jeder Hermeneutik verschlossen.
Weil Verstehen seinem Universalitätsanspruch zum Trotz eine
Sprechhandlung unter anderen ist, kann es die Sprechhandlung, die
es selber eingesetzt hat, nicht hintergehen.(27)
Kittler nennt diesen "Nebel" den "Schein, Texte
seien hermeneutisch verstehbar und nicht
programmiert-programmierend".(28) Er ermöglicht also das
Unmögliche: "eine Natur des Diskurses". Wer wie Kittler "diese
Kunst des Betrugs leid ist", muß hinter Schreiben und Lesen
zurückgehen und nach den programmierenden Instanzen fragen, die vom
universitären Diskurs grundsätzlich ausgeschlossen sind.
1. Der Muttermund (31 ff).
"Jene Andere, die im Aufschreibesystem von 1800
Dichtung hervorruft"(30), ist "Die Frau"(43).
Das ist die Definition einer unendlichen
Geliebten. Unendlich, weil die Natur mit aller List sicherstellt,
daß das Verlangen nach ihr nicht ausgeht. Unendlich auch, weil
dieses Begehren allein in Sprache und Rede ihrer Liebhaber
statthat, während sie selber stumm und rätselvoll bleibt. Die Natur
vollbringt also eine buchstäbliche Produktion von
Diskursen.(31)
Der Autor Faust wird diskursanalytisch zum
"Hermeneuten der Frauenseele"(32), indem "die überlieferte
Schriftexegese zur Exegese Der Frau" schwenkt. Hier werden zwei
Phasen unterschieden. 1. Phase bis zur Lessingzeit: die Bevölkerung
Mitteleuropas wird zur modernen Kernfamilie umgemodelt. Das Wort
des Vaters ist maßgeblich als artikulierte Rede. 2. Phase, "die die
Goethezeit ausfüllt": "An Vaters Statt treten Mütter"(32). Das
Mutterwort aber spricht nicht, es »säuselt«.
Die mütterliche Zuwendung ist eine Sprache in
statu nascendi, als Grenzwert ein reiner Hauch, von dem her
artikulierte Rede der anderen anhebt.(33)
Eingehend werden Techniken des Lesenlernen[s] um
1800 (33 ff) anhand einer damals auftretenden Büchersorte -
Pädagogiken und Fibeln - verfolgt, "die den Müttern zunächst die
physische und psychische Erziehung der Kinder und alsbald auch
deren Alphabetisierung anbefielt". Deren Liste findet sich auf S.
33. Ihre Titel sind "selbstredend" und unterstreichen, "daß erst
mit der Zuschreibung elementarer Kulturisationstechniken an Mütter
deren Selbst gefunden ist"(33).(44)
Es wird also darum gehen, "die Einsetzung von
Müttern an den Diskursursprung als Produktionbedingung der
klassisch-romantischen Dichtung und Die Mutter als jene erste
Andere zu analysieren, die von poetischer Hermeneutik verstanden
wird."(34) Wenn Auswendiglernen dem Verstehen zu weichen hat, ist
der "schlichte Buchstabe [...], dem im vorderasiatisch-europäischen
Raum Lesen und Schreiben seit Jahrtausenden aufruhen, [...] der
Fels, an dem Hereneutik zu scheitern droht."
Buchstaben haben keine Bedeutung. Buchstaben sind
nicht wie Laute über die Stimme der Körper und der Natur
anverwandt.(34)
Dagegen zielt der gesamte Elementarunterricht von
1800 auf den Carl Philipp Moritz von Goethe "nachgerühmten und
unmöglichen Beweis, »daß die Buchstaben nicht willkürlich, sondern
in der menschlichen Natur gegründet sind und alle gewissen Regionen
des innern Sinnes angehören«"(35).
Diese Willkür verschwindet, so Kittler, "in einem
inneren Sinn namens Mutterstimme". Der Prozeß dieses Verschwindens
wird herausgearbeitet an Schriften von Basedow (36 f), Niemeyer(36
f), Schleiermacher (37 f) und Stephani (37 ff). Die vom letzeren
eingeführte "reine Lautiermethode"(37) revolutioniert die
materielle Basis der Buchstaben. Diese "Revolution des europäischen
Alphabets ist seine Oralisierung"(38), und so wirken "unscheinbare
Fibeln" mit an dem "epistemologischen Schwenk von allgemeiner
Grammatik zu Sprachwissenschaft", den Michel Foucault in Les
Mots et les Choses an den Namen Rask, Grimm und Bopp
festgemacht hat.(45)
Für Kittler heißt das: "Der Muttermund erlöst also
die Kinder vom Buch. Eine Stimme ersetzt ihnen Buchstaben durch
Laute [...]."(40) Wenn Kinder später im Leben Bücher zur Hand
nehmen, "werden sie keine Buchstaben sehen, sondern mit
unstillbarer Sehnsucht eine Stimme zwischen den Zeilen
hören."(40)
Eine Stimme, die nicht spricht, sondern sprechen
macht, und zwar in reiner Ausprache. Lesenlernen nach der reinen
Lautiermethode unter mütterlicher Leitung garantiert die
methodische Reinigung der Laute von allen dialektalen Eigenarten.
"Ein vollendeter Muttermund am Ziel seiner Selbstausbildung
arbeitet nicht mehr empirisch-dialektal, sondern als Sprachrohr
eines »Urstimmlauts«, der alle anderen generiert. Dem
tranzendentalen Signifikat bei Faust entspricht die transzendentale
Stimme bei Stephani."(41)
Die im transzendentalen Wissen tragende
Unterscheidung von Kopie und Bildung, Nachahmung des bloß
Nachgeahmten und methodisch gereinigter Produktion schlägt auch
beim Reden zu. Wie auf anderen Wissensfeldern erscheint eine Norm,
die die vielen regionalen Bräuche in Pathologien umschreibt und
unter Titel Hochsprache eine Parousie reiner Signifikate oder
»Gedanken« fordert.(41)
"Bis in die Tage Bodmers und Breitinger hinein
[...] war der hochsprachliche Standard des Deutschen empirisch und
nicht transzendental: die Meißner Mundart fungiert als eine unter
anderen, die nur Brauch und Ansehen ausgezeichnet hatten."(42) Der
Muttermund dagegen "stellt sicher, daß Hoch- oder Literatursprache
zur Absenz selber von Mundart wird". 1799 setzte die Petersburger
Akademie der Wissenschaften einen Preis für einen Automaten aus,
der die fünf Vokale rein erzeugen konnte und so Mundarten und ihre
Überlieferung der Denaturierung überführte.
Denaturierend ist also der überlieferte
Spracherwerb selber, sofern er bloßes Überliefern war. Tradition
produziert Kopien von Kopien von Kopien usw. ins Unendliche, bis
noch der Begriff von Original verloren geht. Eine transzendentale
Mutterstimme dagegen ist unentfremdbare Identität ihrer
Munderfahrung, so wie der Automat störungsfreie Gleichheit seines
Mechanismus ist.(42)
"Unter den technischen Bedingungen von 1800, wo
die Automaten mechanisch, nicht elektrisch oder elektronisch sind"
tritt die Mutterstimme an die Stelle des Automaten.(46)
Weil aber die Lautiermethode "die Regel selber von
Überlieferung abschafft, ist sie nicht bloß Sprechsystem, sondern
ein veritables Aufschreibesystem. Sie verbürgt auf pädagogischem
(nicht technischem) Weg die Iterierbarkeit, also eine strukturelle
Schriftlichkeit der Laute."(42) Lautierender Leseunterricht ist "im
Klartext" der pädagogischen Texte ein "Aufschreibe- und kein bloßes
Sprachsystem".(43) Deshalb kommt ihm der einzigartige Platz zu,
"revolutionär wie nur noch die Erfindung von Schrift und d.h.
Hochkultur überhaupt" zu sein.
Während also, wie an den ersten deutschsprachigen
Fibeln der Reformationzeit nachgewiesen wird (44 f), das
Sprachkonzept des 16. Jahrhunderts Kinder "anschaulich auf die
vielen Sprachen der Kreatur, auf Materialität und Opazität der
Zeichen" verwies und Sprache "den Mundarten und Mundarten den
Kreaturen der Erde angepaßt waren"(45), tritt an die Stelle der
vielen Tiere, die die älteren Filben lautbildend bevölkern - Hunde,
Katzen, Ochsen, Kühe, Tauben, Schlangen - Die Frau.
Herder(46 ff) wie Hippel, Kleist wie E.T.A
Hoffmann (47 f), Dichter, Sprachprachreformer und Reformpädagogen
belegen: Die Frau ist ein "maschinelle[r] Effekt des
Diskurses"(48). Ihr »ach« ist das sprachliche "Minimalelement, das
Lauten und Bedeuten, Natur und Geist vereint".(49) Gewonnen wird es
von Kittler über eine zentrale diskursanalytische
Handgreiflichkeit: die Gleichsetzung von »Lamm« bzw.
»Schaf«(47) (Kittler: "Schäfin")
und "Der Frau" in Herders Abhandlung vom Ursprung der
Sprache, der "Stifungsurkunde der Sprachanthropologie"(45). Das
"Maschinenprogramm" von 1800 gewinnt das Minimalsignifikat durch
Zerlegung der Diskurse bis auf kleinste Elemente, die sowohl als
natürliches wie willkürliches Zeichen fungieren. Dabei stellt "die
Zerlegung Spr/ach/e die basale Maschinenoperation im
Aufschreibesystem von 1800 dar. Sie defininiert es, gerade weil sie
nirgends als maschinelle Zerlegung auftritt, aber von Frauen und
Texten immer wieder umschrieben oder reproduziert wird."(48) Die
basale Maschinenoperation Kittlers seinerseits ist die Zerlegung
Sch/ä/fin mit dem ä aus dem Herder und seinem Schaf
unterlegtem "hypothetischem Bäh"(46).(48)
Die Gleichsetzung von Minimalsignifikat und
Schriftzeichen wird verboten. Wäre der Seufzer ach ein
Signifikant unter anderen, blieben von der Stimme der Natur nach
Herder nur noch »Ziffern« oder »gemahlter, verwillkührter
Buchstabe«.(zit 49/50) Für die wissenschaftliche Sprachanalyse sind
um 1800 mithin "Wort und Buchstabe [...] die zwei untersagten
Grenzen, die keine Sprachanalyse berühren darf. Den verbleibenden
Zerlegungsraum füllt sehr genau das Konzept Wurzel aus, wie eine
neue Sprachwissenschaft instituiert."(50) Er ist ein anderer als
der des "Zeitalter[s] der Repräsentation"(51) und seiner
Kombinatorik, wie sie "als Swifts Lagado-Akademie [...] verwewigt"
ist. Der Implikation als neuer Zerlegungsregel entspricht die
Augmentation als Verbindungsregel.(im Einzelnen 51 ff) Wie
ach in Sprache enthalten ist, so geht Sprache,
theoretisch wie buchstäblich aus ach hervor.
Montage und Augmentation als historisch
verschieden Sprachhandgreiflichkeiten stehen zueinander wie Fuge
und Sonate.(50)
So werden Fuge und Sonate abgehandelt um dann an
Pestalozzis und Herders Leseübungen an Minimalsignifikaten (54 ff)
diese als "Autonyme der Ersterziehung" im Rahmen einer "Benediktion
der Kernfamilie" ebenso freizulegen wie die Pädagik "wahre[r]
Programmierung"(55) und in einen "funktionierenden Regelkreis"(56)
zu überführen.
Die Kupferstiche "bei Stephani und Chodowiecki"
nun, die "einer Mutter-mit-Kind eine Mutter-mit-Kind beim
Bildungswerk zeigen", bewirken eine Verdopplung der
Alphabetisierungsszene und zeigen noch einmal "den gleitenden
Übergang von ma zu Mama, Natur zu Kultur, Laut zu
Sprache".(57) "Bilder und Mündlichkeit betten Schrift in jene
»Liebe« ein, die eine Urbildnerin erweist und verdient." Die
Liebesgabe, die das Lesenlehren der Mutter zugleich ist, wird
besprechbar, erinnerbar und unvergeßlich. Eine
Alphabetisierung, deren ganze Mühe die Mutter
»über sich nimmt«, hört auf, Einschnitt oder Schmerz zu sein, der
eben als die unverwindliche Gewalt, den Leuten ein Gedächtnis- und
Speichertechnik einzufleischen, ihren Gedächtnissen immer schon
entfallen ist. Das Aufschreibesystem von 1800 macht gerade
umgekehrt Erinnerungen möglich, die bis zur mütterlich liebevollen
Alphabetisierung zurückreichen.(57)
Und eine "Fibel-Nostalgie" wird möglich, die noch
Benjamin ansteckte.(58) So wird das "Schreiben über die Erlernung
von Lesen und Schreiben [...] eine große Rückkopplungsschleife. Es
kehrt zurück an den Ort, von dem alle Kulturisation ausgegangen
ist, um ihn jedem Vergessen zu entziehen."(59)
Als Natur und Ideal orientiert Die Mutter das
gesamte Aufschreibesystem von 1800.(59)
Das ist "ein Kurzschluß". Die pädagogischen Männer
schreiben ausdrücklich für Mütter und "löschen dieser Adresse zu
Liebe ihre eigene Schriftlichkeit. Bücher verschwinden im
Muttermund." Stephanis Lautiermethode "oder die Prätention, das
Lesenlernen vom Diskurs des Anderen abzukoppeln, ersetzt die
Schriftlichkeit von Buch und Buchstaben durch eine Stimme [...]",
und Pestalozzi schreibt im Vorwort zum Buch der Mutter
dieser die Funktion zu, die Bücher seiner Methode überflüssig zu
machen. "Das Buch eines Mannes taugt nur unter der Bedingung, als
Buch zu verschwinden."(60) "Die Mutter oder Quelle von Diskursen
ist also zugleich der Abgrund, wo Geschriebenes untergeht, um
reiner Geist und reine Stimme zu werden."
Dem pädagogischen Diskurs steht die Abschaffung
der Bücher auf Stirn und Titel geschrieben. Er macht Fausts Wendung
vom Bücherkram zu Lebensquellen buchstäblich wahr: Die
phylogenetische Quelle der Diskurse saugt die zu Büchern erstarrten
wieder ein.(60)
Wie es nun funktioniert, ist (mir) nicht sehr
klar, aber Kittler sieht es mithilfe von Nietzsche funktionieren:
Nietzsche sieht den Staat in seinen Bildungsanstalten als »Mutter,
böse oder falsche«, die »der Lehrer als Staatsbeamter zu simulieren
nicht umhin kann«, als »Körper des Vaters [...], der die Alma Mater
figuriert«.(zit 60/61) Die Konsequenz: "An der Stelle eines
verschwindenen und nie erschienenen Buches erscheint [...] der
Staat"(60). So lautet die Überschrift des neuen Abschnitts
Mütterlichkeit und Beamtenschaft (59 ff). "Die Alma Mater oder
Mutter [...] erlangt Positivität in einem bürokratischen und damit
schriftlichen Apparat, der ihre Karikatur und Fortschreibung
zugleich ist. Die pädagogischen Diskurse verschwinden im
Muttermund, um in der Verwaltung vervielfacht
wiederzuerstehen."(61) Fausts »Lebensquellen« werden
institutionalisiert, die "Produktion von
Diskursproduktionsinstanzen" wird angegangen.
Der Bildungsstaat macht aus der biologischen
Reproduktion eine kulturelle und setzt damit "eine neue »Bestimmung
des Weibes«".(62) Es handelt sich um eine "Recodierung der Frauen",
die aus ihnen "Die Wahrheit" macht und ihnen eine "wahrhaft
transzendentale Macht" zuschreibt. Das bedeutet zugleich die
"Ausschließung der Frauen von der Staatsmacht und deren
bürokratischen Diskursen".(63) Diese Exklusion sei aber "keine
Exkommunikation; sie stiftet zwischen der neuen Bestimmung des
Weibes und einem neuen staatstragenden Beamtentum Verhältnisse
produktiver Ergänzung".
An Der Mutter hat der Staat sein Anderes, ohne das
er nicht wäre [...].(64)
Damit tritt das Amt oder Beamtentum der Männer um
1800 in eine neue Phase. Der Fürstendiener wird durch den
Staatsbeamten ersetzt und aus der ständischen Ordnung wird eine
universale.(65) "Erst seit 1800 werden universale Beamte erzeugt,
denen Menschheit und Menschlichkeit selber unterstehen." Und es
tritt ein in das Beamtentum der "Erziehungsbeamte".(65, Begriff
Stephanis) Das Allgemeine Landrecht erklärt 1794 Professoren
und Gymnasiallehrer zu königlichen Beamten, und "wenn 1817 das
preußische Kultusministerium den Staat selber und offiziell zur
»Erziehungsanstalt im Großen« erklärt, ist der Kreis
geschlossen"(65) "Ein Staat, der über seine Rechte und Strafen
hinaus die moderne Möglichkeit universaler Disziplinierung
ergreift, schließt notwendig einen Pakt mit der universalsten und
»unentbehrlichsten Klasse von Staatsbeamten« die da Lehrerschaft
heißt."(65)
Aber da fehlt eine zentrale Instanz, die die
Erziehungsbeamten selber erzieht. Ohne sie würde das System "eine
zentrale Leerstelle" aufweisen.
Diese elementare Voraussetzung der
Disziplinarmacht bleibt so notwendig wie unbeschrieben, weil sie
die Mitte des Systems ausmacht. Staatsrecht und
Verwaltungswissenschaft stellen nur den Nexus zwischen Staat und
Beamtentum her, Pädagogiken nur den zwischen Mutter und Kind.
Einzig zwischen den Zeilen der Dichtung schließen beide Fäden
zusammen.(66)
Kittler erkennt, daß "die verschiedenen Diskurse
wie zerstückelte Glieder eines Phantasma auf ihren leeren
Kreuzungspunkt [verweisen]: den Nexus zwischen Mutterschaft und
Erziehungsbeamtentum. Er ist ungeschrieben und unumgänglich"(66)
und reiner Sozialgeschichte unzugänglich, denn er funktioniert über
verkoppelte oder "mitgekoppelte Schaltkreise" und nicht über
soziale Kausalitäten:
Um universale Beamte zu generieren, wird Die
Mutter generiert, die die universalen Beamten generiert, die
ihrerseits usw. usw."(67)
Diese "polare Zuordnung der Geschlechter"(67) läßt
dem System den Schein "eines fortbestehenden Patriarchats" aus
einem einfachen Grund: "Die Frau existiert nicht." "Mit anderen
Worten: der Bildungsstaat als Tanz zahlloser Beamter um die Alma
Mater schließt Frauen, so es sie im Plural gibt, notwendig aus."
Zugänglich sind ihnen Mädchenschulen, die "zur Stifung von Müttern
gestiftet werden"(68), denn "Staatsexamen der Innerlichkeit wären
undenkbar".(69) "Im staatstragend gewordenen höheren Bildungswesen
sind Frauen dasjenige, was nicht aufhört, sich nicht zu schreiben -
Lacans Definiton von Unmöglichkeit."(69)
Die strikte Trennung ist zugleich "engstes
Korrelat", das ungesagt bleibt. "in einem System der polaren
Geschlechterdifferenz gibt es keinen Ort, wo ihre zwei Seiten
zugleich aufgeschrieben werden könnten. Sie bleiben getrennt durch
den Abgrund, der Schrift und Stimme trennt. Beamte schreiben (nicht
irgendetwas, sondern die Bestimmung des Menschen), die Mutter
schreibt nicht, sondern macht sprechen." Kommt diese
"Doppelbestimmung des Menschen" zu Papier, so "nur um den Preis
einer Universalisierung, also in der Philosophie. Sie formuliert
das Diskursnetz der zwei Geschlechter, aber indem sie die Mutter
zur Frau überhaupt und den Beamten zum Menschen überhaupt
ernennt."(70)
An Friedrich Schlegels Abhandlung Über die
Philosophie und ihrer doppelten Adressierung - als Brief an
seine Geliebte und als Abhandlung an die Öffentlichkeit - wird im
Vorgriff auf das dritte Kapitel dieses ersten Teils die Funktion
der Philosophie im Aufschreibesystem von 1800 abgeleitet(70
ff).(49)
2. Sprachkanäle (76 ff).
"Das Schreiben der Dichter im Aufschreibesystem
von 1800 ist DISTRIBUTION VON DISKURSEN. Es stellt Reden einer
maximalen Anzahl von Adressen zu" mithilfe einer geistigen
Ökonomie, die zur Voraussetzung hat, daß den Diskursen ein
allgemeines Äquivalent entspricht. "Sonst könnte Tauschandel gar
nicht stattfinden."(76) Dieses Äquivalent ist "das Signifikat als
den Buchstaben oder Signifikanten zunächst entnommenes und sodann
übergeordnetes Element". Einen Diskurs auf Singifikate bringen
heißt: "ihn übersetzbar machen". Die Existenz von Unübersetzlichem,
"wie es in den Signifikanten einer jeden Sprache haust, wird nicht
geleugnet, aber subtrahiert. Das allgemeine Äquivalent entsteht
durch Ausfällen eines »Übrigbleibenden«: »des reinen vollkommenen
Gehaltes«"(zit 77) - so wird Goethes Auffassung von Übersetzbarkeit
zitiert und paraphrasiert, nach der "ein Primat von Gehalten über
Signifikanteneffekte die Übersetzbarkeit aller Diskurse, auch der
heiligsten und der formvollsten" verbürge. »Am Ende ist alle Poesie
Übersetzung« schreibt Novalis und Kittler liest dessen
Allgemeines Brouillon und den Heinrich von
Ofterdingen als Dokumente der Etablierung dieses allgemeinen
Äquivalents Poesie als "diskursive[r] Ureinheit".(78 f)
Allgemeiner Übersetzbarkeit muß eine - "den
Leuten" entfallene - Urübersetzung aus einem unübersetzbaren
Diskurs vorausliegen: dem erotischen. "Natur, Liebe, Frau - im
Aufschreibesystem von 1800 sind sie synonym. Sie produzieren einen
Urdiskurs, den dann Dichter aus seiner Stummheit heraus-und
übersetzen."(79) Daß für Herder die Sprache »nur Kanal« ist, durch
den der wahre Dichter als »Dollmetscher« Natur »in die Seele und in
das Herz seiner Brüder« (zit 79) leitet, ist dann für Kittler
"nachgrade technisch exakt". Denn hätte sie "ihre eigene Dichte und
Materialität, Totzeiten und Übertragungsverluste, wäre die
allumfassende Übersetzbarkeit dahin".(79) So aber durchkreuzt
die
Diskursproduktionsinstanz [...] Übersetzungen und
Diskurszirkulationen auf eine Weise, die gelehrtenrepublikanische
und poetische Distribution historisch wie technisch scheidet. Ohne
Erfindung eines stummen und entzogenen Ursprungs bliebe das
universale Übersetzen auf der Oberfläche der Repräsentationen. Nur
wenn auch und gerade Unübersetzbares zur Aufgabe poetischer
Übersetzer wird, hört das Zirkulieren ohne Autoren und Konsumenten
auf.
Karl Phillip Moritz' Anton Reiser(80 ff)
und E.T.A Hoffmanns Der goldene Topf" (83 ff) sind nun
"Klartext[e]", an denen die Effekte "einer Sprachentkörperung"(81)
abgelesen werden können. E.T.A. Hoffmann, der "selber ohne Vater
und bei einer nachgerade psychotischen Mutter aufwuchs"(83), findet
als Effekt "größenwahnsinnige[r] Mutterliebe" zu einem "poetischen
Diskurs, der das ganze Feld zwischen Muttermund und
Erziehungsbeamtentum, unübersetzbarem Anfang und universaler
Zirkulation der Reden durchmessen kann." Der Student Anselmus im
Goldenen Topf wird, Geklingel, Gezische und halbverwehte
Worte im Holunderbusch hörend, durch eine "halluzinatorische
Audition des Muttermundes"(84) in die Poesie initiiert und "das
Lernziel aller Fibeln wird Ereignis"(85). Das geschieht fernab von
jenem "technologisch Reale[n]", in das erst Richard Wagner "alle
halluzinatorischen Effekte romantischer Poesie" transponieren
wird.(85)
An den schriftlichen Kopierarbeiten des Anselmus
im Archiv des Beamten Lindhorst - die zentrale Schreib- und
Initiationsszene - werden im Kontext zeitgenössischer Schreiblehren
(88 ff) die die Handschrift selbst erfassenden Effekte der
Signifikatenlogik ablesbar. Noch nicht zum Dichter gereift, muß der
Kopist Anselmus seine Handschrift selbst so sehen: »Da war keine
Ründe in den Zügen, kein Druck richtig, kein Verhältnis der großen
und kleinen Buchstaben, ja schülermäßig schnöde Hahnenfüße
verdarben die sonst ziemlich geratene Zeile.«(zit 87) Die
Schreiblehren aber machen Schluß "mit den alten absetzenden
Frakturhandschriften" und zielen auf "eine Ästhetik der »schönen
und accuraten« Verbindung.
Wer Blockschrift schriebe, wäre kein In-dividuum
(Weshalb dieses unteilbare Wesen an den Schreibmaschinentypen und
Akzidenzschriften von 1900 auch zugrundegehen wird). Die großen
metaphysischen Einheiten, die die Goethezeit erfindet -
Bildungsweg, Autobiographie, Weltgeschichte -, sind
kontinuierlich-organischer Fluß, einfach weil ein kontinuierlicher
Schreibfluß sie trägt [...].(89)
Das neue Lernziel ist somit "eine genetische
Schreibmethode"(90). Ihre Voraussetzung wieder nicht das
(alteuropäische) Kopieren von Kopien, sondern ein
Lindhorst(50), der nicht schreibt,
sondern "einen anderen schreibem [macht] - ganz wie Die Mutter
sprechen macht." Schriftzüge werden so genetisch aus einem Ursprung
hervorgebracht, einer "Urschrift, mythischer Anfang von Schrift
überhaupt".(91) Diese Urschrift "als Genesis von Schrift aus Natur
erfüllt, wie es perfekter nicht geht, das Programm genetischer
Schreiblehrmethoden. Unmögliches, daß nämlich Buchstaben in freier
Natur vorkommen, wird Ereignis. So hat die Urschrift im Schreibfeld
exakt denselben Platz wie die Mutterstimme als Naturanfang im Feld
von Lesen und Sprechen."(51) Darüberhinaus muß
"das Konstrukt Urschrift [...] am Muttermund parasitieren". So
entsteht die "Konstruktion der Urschrift" aus der mit der
Mutterstimme unterfütterten Verbindung von verstehbaren Zeichen mit
natürlicher Bildlichkeit. Sie ermöglicht, sollte man meinen, die
halluzinatorische Vorwegnahme späterer technischer Medien.
Zeichen verstehbar und nicht bloß lesbar heißen
können, ist ihnen erstens die Bildqualität von Naturwesen und
dieser Bildlichkeit zweitens die Mutterstimme unterlegt. Wie beim
Lautieren werden optische Zeichen vom imaginären Nachhall des
Muttermundes derart umwoben, daß statt der Signifikanten deren
Signifikate zu »sehen« sind. Als wäre der Text ein Film.(92)
Die "Schreibszene" des Anselmus untersteht aber
der Regie des Staatsbeamten Lindhorst, der "durch erotische
Verheißung"(93) für die Inspiration sorgt, die den Studenten über
die Mechanik des Abschreibens hinwegträgt. Serpentina, deren Stimme
dem Studenten reine Signifikanten lesbar und verständlich macht,
ist "nur Botschaftsangestellte eines Staats oder
Staatsbeamten".
Vor und über der imaginären Stimme-Gegenwart steht
der Diskurs eines Anderen, der keine Bürgschaft mehr hat als sein
Ergehen selber. Das innerste Gemüt, wie immer, spricht dessen
Diskurs einfach nach.(93)
Dazu ist die Voraussetzung die Tilgung der
"Binäropposition zwischen Weiß und Schwarz, Papier-Hintergrund und
Buchstaben-Figur, die immer Stoß oder Choc eines Ereignisses
ist"(94), zugunsten von "Übergängigkeit". Der Signifikant wird
sozusagen geschleift. Man schreibt mit grauer Tinte, die nicht so
absticht. Weiterhin muß die Opposition von Original und Kopie
eingeebnet werden. "Anselmus kopiert [...] und kopiert doch nicht",
er kopiert, aber vom Muster befreit, selbständig und
schöpferisch.
Solche Freisetzung räumt den Spielraum ein, wo
Diskurs des Lehrers und Stimme des innersten Gemüts verwechselbar
werden. Das Unbewußte, dessen Dichter Hoffman sein soll, ist ein
pädagogischer Nebeneffekt. Wenn Väter und Lehrer ihren »Posten als
Herren der Schöfung« räumen, ensteigt dem Abgrund des Innneren mit
Notwendigkeit die staatlich instituierte Mutter. [...] Aus der
kultischen Verschmelzung von Lehrer und Schüler, dem offenbaren
Geheimnis des Beamtensystems, entspringt eine
Muttergottheit.(94)
Folgt die mythische Genealogie der dritten Vigilie
des Goldenen Topfs. Genealogie ist sie "in dem genauen
Doppelsinn", Familiengeschichte und Historik des Beamten zu sein,
und wird so entziffert:
Gut verwaltungswissenschaftlich ist die Bestimmung
des Weibes eine endlose Reproduktion der einen Mutter und die
Bestimmung der Männer deren endlose Wieder(er)findung.(95)
Zweck dieser Genealogie ist die "Miniaturisierung"
einer "dämonische[n] Schlange" oder "Riesenschlange, die wahnsinnig
ist oder macht" zu einem Diminutiv: Serpentina, das Schlänglein,
gegen der alten Rauerin. Serpentina
steht, jungfräuliche Wiedergeburt Der Mutter, als
Deckbild und Apotropaion vor dem Alp eines Weibes, das nicht Die,
sondern eine Mutter oder überhaupt keine Mutter, sondern eine der
Geburtshelferinnen Alteuropas ist.(96)
Im Klartext: "Als Ammen brechen, realer und
bedrohlicher, im Plural existierende Frauen in einen Diskurs ein,
der nur die eine Mutter statuiert. Mit der systematischen
Verdrängung von Geburtshelferinnen, Kindermägden, weisen Frauen
durch Beamte einserseits, bürgerlich gebildete Mütter andererseits
hat die europäische Kinderstubenreform ja begonnen."(96)
Sodann wird an der Schreibszene "in Hoffmanns
bewundernswerten Klartext"(97) "die von Interpreten überlesene
Stifungsurkunde einer neuen Phantastik" entwickelt: "»Un
phantastique de bibliothèque« hat Foucault sie genannt." Sie ist
"endloser Übergang zwischen Naturen und Büchern und Naturen" und
fällt mit einer Technologie zusammen, denn damit Studenten wie
Anselmus Frauenbilder in Blättern und Zeilen eines Textes
erscheinen, müssen sie einen neuen Studiengang wählen:
Philologie.(98 f) Mit ihr "zieht die akademische Freiheit auf ins
Lesen ein".(98) Das beweist ein Zitat von Friedrich August Wolf
(zit 98), "der als Student die Freiheit aufbringt, sich 1777 im
unerhörten Fach Philologie zu immatrikulieren, und demgemäß als
Professor das erste philologische Seminar gründen darf".
Es ergibt sich eine neue Art von Student. "Wenn es
die neue Freiheit akademischer Beamter ausmacht, ungefähr zu reden,
was sie wollen, so entstehen auch Lieblingsstudenten, die durch
freies Übersetzen in beliebigen Texten genau das wiederhören, was
ihre Lehre haben sagen wollen."(99) Und so einer ist Anselmus: "mit
seinem innersten Gefühl reproduziert [er] einmal mehr den Diskurs
des Anderen". Zur Besiegelung dieser Verbindung erscheint, sich
herabschlängelnd, Serpentina. Im Kontext der Schreibszene als
Dichterinitiation vertritt das Schlänglein aber "einfach das
Schlängeln einer schön gerundeten und zusammenhängenden
Idealhandschrift von 1800. Sie geistert durch die Zeilen wie das
erotische und d.h. sprechen machende Phantom der Bibliothek". Was
sie mit Anselmus bespricht, ist eben die erotische Sprechsituation,
in der sie sprechen. Das treibt ihn in den Schwur ewiger Liebe. Die
aber, so Kittler, "heißt Hermeneutik"(100).
Anselmus zählt zu jenen wundervollen Wesen, die,
was nicht deutbar, dennoch deuten, und was nie geschrieben wurde,
lesen. Zur Welt gekommen sind sie Anfang des 19.Jahrhunderts. Da
ist eine Bibliothek, in ihr ein unleserliches Pergament, in ihm
eine Schrift wie Schlangenlinien; da ist vor der Schrift ein
einsamer Student, der sie in einer Schrift wie Schlangenlinien
kopieren soll.(100)
Der kopierende Student aber kopiert nicht, "er
versteht". Die Medienverschiebung von Schrift zu Stimme ist es, die
hermeneutisches Lesen ermöglicht. "Statt Rätselbuchstaben
entziffern zu müssen, lauscht Anselmus einem Sinn zwischen den
Zeilen; statt Zeichen zu sehen, erscheint ihm eine in Gestalt der
Mutter erscheinende Geliebte."(101)
"Die Kopplung von Alphabetisierung und erotischer
Oralität hat Folgen", und der "Effekt einer Kinderstube, die vor
Ammen, Mägden, Nachbarschaften abgeschottet und in Mutterliebe und
Bildung eingeschlossen wurde" ist die "Kopplung von
Selbstleserschaft und Selbstbefriedigung"(102) So liest Kittler die
zeitgenössische Onaniediskussion (101 f) im "Klartext" einmal ihrer
paradoxen Absicht, die Gefahren zu frühen Lesens mit "Waffen" zu
bekämpfen, "die selber gelesen werden müssen"(102), dann ihres
paradoxen Ursprungs in einer erotisierten Kulturisation, die "jene
Übertretungen provoziert, gegen die sie so viele Wörter
erfindet".
Vordem war "Erotik [...] schlicht genital". Die
zwischen Anselmus und Serpentina läuft dagegen auf "gegenseitiges
Aufschaukeln" hinaus, also auf "eine einzige Verstärkung der
Leselernsitutation: Empfinden und Preisen der Einen, die Männer
sprechen macht". Technisch beschrieben: "Oszillatoren schwingen
unter der Amplitudenbedingungen, daß das Ausgangssignal mindestens
Einsverstärkung hat, und unter der Phasenbedingung, daß es ohne
Verzögerung oder Totzeit auf den Eingang zurückkommt."
Resonante Systeme kappen ihren Bezug auf andere.
Zwischen Mutter und Kind kommt eine Erotik »höchster Nähe« auf, die
nicht mehr aus vorangegangenen Geschlechtern gespeist und nicht
mehr auf kommende ausgerichtet ist. Anselmus, statt wie sein
geistiger Vater Kinder zu zeugen, bleibt Kind. Andere als orale und
könästhetische Lüste würden die Funktion Mütterlichkeit nur um ihre
bildenden Effekte bringen. Um Sprache zu erfinden, darf Herders
Mensch die Natur nicht bespringen.(102)
So wird "Kindersexualität [...]
funktionalisiert"(103) zur Rekrutierung poetischer Schreiber über
hermeneutisches Lesen, das die "Erscheinung einer Traumgeliebten"
ermögliche und das über diese "Masturbationphantasie" "zu einer
neuen Fingerfertigkeit" führe.
Die hocherotische Schreibszene war aber zugleich
"Beamtenprüfung" mit dem Vorteil "nicht danach auszusehen". Das
zwischen Serpentinas vorsprachlichem Hauchen und dem faktischen
Schreiben zustandegekommene "Kontinuum" macht solche unmerklichen
Übergänge möglich. "Augmentationtechnik und Sprach-Anthropologie
sind am Ziel."
"Wenn [...] Schreiben aus Lesen und Lesen aus
Hören hervorgeht, ist alles Schreiben Übersetzung"(104), heißt
dieses "Aufgeschriebensein des Muttermundes im Aufschreibesystem
von 1800 [...] Dichtung", und ist das "Erschaffen in und aus dem
Muttermund übersetzter Texte [...] zugleich Selbsterschaffung eines
Autors. Am Schopf seiner Hermeneutik gelangt Anselmus aus dem Sumpf
des Kopistenamtes."
Anselmus wird aber nach bestandender
"Beamtenprüfung" Dichter. Beamter und Dichter, dichterisches und
bürokratische Schreiben sind jedoch "die zwei entgegengesetzten und
komplementären Seiten eins Selben. Sie trennt nur ein kleiner und
entscheidender Unterschied."(105) Den "Beamten als Affen des
Dichters", in diesem Fall den Registrator Heerbrand, weisen
Schriftphantasmen oder Delirien von toten Buchstaben aus, "die
keine Stimme belebt".(106)
Foucault hat das Bibliotheksphantastische, diese
Erfindung des 19. Jahrhunderts, für die Tentation des
Saint-Antoine als Tanz schwarzer Lettern auf weißem Papier
beschrieben. Aber in solcher Technizität kann es erst am
Jahrhundertende auftreten. Um 1800 ist der Schatten technischer
Medien noch nicht auf die Dichtung gefallen, jener Schatten, der
sie begrenzen und definieren wird.(106)
Die Opposition von Fraktur und gerundeter Schrift
gibt es aber "nur innerhalb des einen Mediums Schrift". Wo
delirierende Beamte tanzende Fraktur halluzinieren, "hört der
Dichter Anselmus einzig und allein eine Stimme, deren Fluß seine
Antiqua ründet, individualisiert und - das ist seine Auszeichnung -
unbewußt macht." Beides läuft also "über denselben Kanal"(107). Das
"Ideal des Dichters aber erreicht über diesen seine Adressaten,
"ohne sie mit Schrifttypen zu behelligen. Mit reinem stimmlichen
Signifikat, vor dem alle Signifikanten zu Übersetzung herabsinken,
spricht der Dichter ihre Seelen an, ganz wie ihn selber die
imaginäre Geliebte angesprochen hat."
Dichtung im Aufschreibesystem von 1800 hat die
fundamentale und notwendige Funktion, Anschlußleitungen zwischen
System und Bevölkerung zu sein.(107)
Folgt noch ein "Gegentest auf inspiriertes
Schreiben", der die "Absetzung des poetischen Schreibens vom
bürokratischen" sicherstellt. Anselmus gerät in Versuchung und muß
ständig an Veronika denken. Er reduziert damit "Die Frau auf eine
Frau, Serpentina auf Veronika". Das aber heißt "Schreiben auf
bloßes Schreiben zu reduzieren"(107) und ergibt einen Tintenfleck
statt gerundeter Schrift.Tintenflecke sind konsequent "notwendiger
Ausfluß eines Lesens, das Idealfrauen materialisiert" und
verknüpfen "das Leben und die »Selbstbefleckung«".(108) So setzt
der Fleck der "schön gerundeten, kontinuierlichen und daher
individuellen Handschrift" gegenüber "die Metapher eine Pollution".
"Er verzeichnet die Spur eines Begehrens, das, statt über die
vielen Kanäle, Leitungen, Umwege von Sprache und Bücherwelt zu
laufen, sie wie ein Kurzschluß durchschlägt."(108)
So verkoppelt sind die blanke Faktizität von
Erotik und die blanke Materialität von Schrift um 1800. Nach dem
Gesetz, daß alles, was nicht ans Tageslicht der Symbolisierung
gedrungen ist, im Realen und d.h. Unmöglichen erscheint, gibt es
sie nur in Delirien und Halluzinationen. Nichts geringeres als
Wahnsinn besagt ja ein Tintenklecks.(109)
Die "heikle", nämlich zwischen Wahnsinn und
Selbstbefleckung eingenistete "Beziehung zwischen Dichtung und
Beamtenstand" wird am "Herrn und Meister" des Märchens selbst
entwickelt. "Lindhorst, zugleich Königl. geh. Archivarius und
Dichterfürst von Atlantis steht für Unvereinbarkeit und
Vereinbarkeit beider Funktionen. Mögen jene subalternen Beamten dem
Dichter-Studenten gegenüberdie bloße Unvereinbarkeit vertreten, der
höchste und pädagogischte Beamte im Text weiß es besser. Er führt
ein Doppelleben"(109) unter der Bedingung, diese Vereinbarkeit in
Beamtenkreisen nicht auszuplaudern. In der Dichtung aber darf sie
an den Tag kommen. In ihr "sind Dichtung und Bürokratie vereinbar,
weil schon ihre Beschreibung dieser Vereinbarkeit weitere
Dichterbeamte rekrutiert."(111) Der "die technologische Basis des
Aufschreibesystems"(105) verwaltende Staatsbeamte als "der höchste
und pädagogischtes Beamte im Text" legitimiert zum Schluß den sich
als Autor meldenden Dichter Hoffmann und weist "der Dichtung,
bislang scheiterndem Ausdruck einer Innerlichkeit, eine Funktion in
Diskursnetzen" zu.
Die Intitiationsfunktion, beim Märchenhelden von
Lindhorst wahrgenommen, springt also bei künftigen Lesern auf den
Märchenschreiber über. Seine Dichtung ist Publizistik und er im
technischen Wortsinn ein Multiplikator, der Wünsche seines Herrn
und Meisters Lindhorst weitergibt.(111)
Also muß das Märchen gedruckt werden. "Wie
Lindhorst zugleich Dichterfürst und staatlich vereidigter
Schriftenarchivar, so ist sein Botschafter Hoffmann zugleich
Träumer und Medientechniker. [...] Weil Lindhorst Hoffmann dazu
bringt, sein bürokratisches Archiv durch ein poetisches zu
ersetzen, löst sich alle Speichertechnik in Psychologie auf. Die
Leser können die umschriebene Schriftlichkeit von Dichtung zu
Herzen nehmen und wieder in Mündlichkeit oder Kindersexualität
einer Phantomgeliebten rückübersetzen."(112)
"Auf solche Rückübersetzung sind poetische Texte
von 1800 berechnet." Es genügt, "das eine Signifikat Sepentina zu
errichten. Seine Referenzialisierung kann Lesern überlassen
bleiben, deren Sehnsucht nach der grünen Schlange oder Mutter ihren
Erfolg schon garantiert".
So elegant läuft in einer Signifkatenlogik der
wirkungspoetische Effekt Multiplikation. Das Wort der Dichtung
braucht keine Referenz zu haben, nur einen Sinn. Es braucht keine
Verbindlichkeit zu haben, [...] nureine Schriftlichkeit, die beim
Lesen oder Schreiben wieder in Bild und Geflüster grüner Schlangen
rückübersetzbar wird.(113)
So wird möglich die "bürokratischen Taufe", die
das "innerliche Wissen namens Dichtung" empfangen muß, um
"diskursive Positivität" zu werden.(113) Zu ihrer Multiplikation
als wirkungspoetischem Effekt der Signifikatenlogik braucht die
bürokratisch getaufte Dichtung, um weitere "Dichtungsbeamte" (111)
zu rekrutieren, bloße Kanäle zu ihrer Durchsetzung:
Der Dichter ist Überbringer der Natur oder Mutter
in Seele und Herz seiner Brüder. Die Adressaten sind lesend Männer,
die Brüder mit eben dem Recht heißen, das ihrer aller Liebe zur
Alma Mater gibt. Sprache und Schrift sind bloße Kanäle, durch die
Kindersexualität zu Kindersexualität fließt. Und vor oder hinter
der ganzen Kanalisierung steht ein geheimer Beamter, der von ihr
seine Erlösung hofft.(113)
Das nennt sich "Diskursverkabelung"(147), "von
Stifterfiguren wie Klopstock und Goethe" experimentell vorbereitet,
um 1800 "in Massenanwendung" zu gehen.
Im Folgenden geht es um die Automatisierung der
Produktion und ihre Verkopplung mit einer Distribution, die in
einer Art Kettenreaktion zur Mobiliserung weiterer Produktion
führt. Das läuft über die Verkettung Autoren, Leser, Autoren (115
ff). Das europäische Mittelalter kannte den Extremfall von bloßen
Kopisten, die nicht lesen konnten und den von bloßen Lesern, "die
ihre eigenen Kommentare oder Fortsetzungen von Texten einem
Schreiber diktieren mußten.
Das Aufschreibesystem von 1800 ist das gerade
Gegenteil: eine Kultur, die Lesen und Schreiben automatisiert und
koppelt. Zweck dieser Kopplung ist die allgemein Bildung,
Voraussetzung eine Alphabetisierung, die Lesen und Schreiben durch
beider Rückbindung an ein einzigartiges Hören
verschaltet.(115)
Es handelt sich dabei um "eine Zäsur im
Alphabetisierungsprozeß"(115). Erst "unter der Bedingung, ein
reines und nicht entfremdetes Hören zu simulieren, werden Lesen und
Schreiben um 1800 Allgemeingut." Das geschieht durch den
"kontinuierliche[n] Übergang von Autoren zu Lesern zu Autoren". Für
Kittler ist deshalb evident, daß diese "Mobilmachung" nicht allein
durch technische Innovationen und soziale Wandlungen wie den
"vielbemühte[n] Aufstieg des Bürgertums", zu erklären ist. Vielmehr
haben "Mutationen der Diskurspraxis selber [...] zur ungeheuren
Proliferation des Buchwesens um 1800" geführt.(115/16) Daß dabei
"ausgerechnet die Belletristik an die statistische Spitze der
Verlagsproduktion rückte", ist "ein einzigartiges Ereignis, dessen
Geschichte die belletristischen Texte selber geschrieben
haben"(116). Was Dichtung, Autorschaft und Werk - die drei
Schlüsselkonzepte des Aufschreibesystems von 1800 - sind, bestimmen
die Texte selber. So das Ende des Goldenen Topf im
"Klartext": "Dichtung als »Besitz des innern Sinns« entsteht in
erotischen und alkoholischen Räuschen; Autorschaft im Wiederlesen
dessen, was das Delirium unbewußt zu Papier brachte; Werke
schließlich sind Medien zur halluzinatorischen Substitution von
Sinnesfeldern." Selbstvergessenes Schreiben, Spiegelstadium und
Autorschaft sind "die drei technologischen Schritte zum Dichteramt"
(118, im Einzelnen 116 ff ).
Dichtung hat also ihre Sonderstellung in den
Ästhetiksystemen um 1800 aufgrund eines Kurzschlusses, den sie
"zwischen »Bedeutungen des Geistes« (Signifikaten) und Welt
(Inbegriff aller Referenz)"(120) schaltet und der "das allgemeine
Äquivalent und die universate Übersetzbarkeit von Sinnesmedien dar-
und sicherstellt."(120) Wirken tut sie unter den Voraussetzungen
ihrer Produktion: dem "Lesenkönnen reiner Signifikate".(121) So
kehrt Hermeneutik "ihre phantasmagorische Medialität" hervor.
Nachdem die Alphabetisierung Anschauungsunterricht und
Muttermündlichkeit geworden ist, "supplementiert sie alle anderen
Medien".(122) "Lesen wird zu einer Bedürfnis, das sich selber
voraussetzt und steigert - die klinische Definition von Sucht.(122)
Dabei handelt es sich nicht um »Sublimation« oder
»Verinnerlichung«. Eine psychologisierende Erklärung verschleiert
hinter "larmoyante[m] Mitleid mit Bürgern, die ihren sogenannten
Trieben entfremdet sind" "positive technische Effekte".
Alles andere als Sublimation hat stattgehabt. Im
Aufschreibesystem von 1800 wird das Buch der Dichtung zum ersten
Medium im modernen Sinn. Nach McLuhans Gesetzt, daß der Inhalt
eines Mediums stets ein anderes Medium ist, supplementiert Dichtung
auf reproduzierbare und multiplikatorische Weise sinnliche Daten.
Atlantis, das Geheimnis des Goldnen Topfs, ist einfach
Aufgeschriebenheit einer Augen und Ohrenlust.(122)
Diese Aufgeschriebenheit ist notwendig. Das
Aufschreibesystem um 1800 kennt "schlechterdings keine Techniken,
um Folgen von Geräuschen oder Gesichten in ihrer Singularität und
Serialität festzuhalten", es "arbeitet ohne Phonographen,
Grammophone und Kinematographen."
Zur seriellen Speicherung/Reproduktion serieller
Daten hat es nur Bücher, reproduzierbar schon sein Gutenberg, aber
verstehbar und phantasierbar gemacht erst durch die
fleischgewordene Alphabetisierung. Die Bücher, vordem nur
reproduzierbare Buchstabenmengen, reproduzieren fortan selber. Aus
dem gelehrtenrepublikanischen Kram in Faust Studierzimmer ist eine
psychedelische Droge für alle geworden.(123)
Sie Droge bietet für "automatisiertes Lesen"(123)
"eine multimediale Show". "So technisch (und nicht
theologisch(52)) sind idée fixe und
Poesie, parallele Eingabe und serielle Ausgabe verschaltet.
In diese multimediale Show können problemlos auch
Texte, "die ehedem zur Gutenberggalaxis und Gelehrtenrepublik"
zählten, hermeneutisch umgeschaffen werden, bis sie "Sinnlichkeit
selber reproduzieren". Die "Alphabetisiertheit [kann] Gutenbergiana
[...] in Phantasmagorien übersetzen"(124). Am Beispiel einer alten
Chronik in Die Serapions-Brüder: "der Schreiber eines alten
Buchs wird zur inneren Stimme, das Frontispiz zum inneren Bild, das
Personeninventar zur Szene, die Kälte des Mediums Chronik also zum
Zeitfluß von Geräuschen und Gesichten -: Tonfilm avant la
lettre."(124)
Soviel Sinnlichkeit (in beiden Wortsinnen)
speichert die Dichtung einer Zeit, da das Medium Buch erstens
universal - für alle Sinnesdaten und Leute - und zweitens ohne
Konkurrenz anderer Ton- und Bildträger ist.(124)
Erst der "Einbruch technischer Speicher, wie er
das Aufschreibesystem von 1900 prägt, wird die halluzinatorischen
Sinnlichkeiten der Unterhaltungsindustrie preisgeben und ernste
Literatur auf jene Askese verpflichten, die nur weißes Papier und
schwarze Lettern kennt".(124) Genau dieses "halluzinatorische
Inszenieren" aber, "weil es Stimmen und Gesichte zwischen die
gelesenen Zeilen trägt, ist die Transmissionstechnik, die aus
Lesern neue Autoren macht."
Poetische Textes sind eben darin auf dem
technologischen Epochenstand, daß sie wie keine sonst die
alphabetisierten Körper »ansprechen« und ausnutzen. Sie operieren
auf der Ansprechschwelle selber, wo Diskursmächte als Unschuld von
Leibern und Naturen paradieren. Darum und nur darum wachsen immer
mehr Autoren.(124)
Rechtes Lesen entfaltet innere Welten, und wenn
sie "den Möglichkeitsgrund einer Autorschaft legen, ist es
hinreichend und notwendig, Texte wie Filme abzuspulen, um Leser zu
Schreibern zu machen." Beleg: "einer der kanonischen Künstlerromane
von 1800", Heinrich von Ofterdingen.
In einem Archiv mit vorgutenbergianischen
Handschriften liest der angehende Dichter Heinrich ein »Buch« bzw.
eine »Handschrift« in einer fremden Sprache. "Der Text, einmal mehr
handschriftlich, fremdsprachlich und unlesbar, kommt der
Einbildungskraft wie ein Stummfilm. Abläuft eine große optische
Halluzination [...]."(125) Signifikat des Buches aber ist sein
Betrachter selber. Der Leser liest und erkennt in dem Buch und
seinen Illustrationen sein eigenes Leben und seine eigene Gestalt.
Eine Spiegelung im Doppelgänger, dem notwendig alle steckbriefliche
Identifizierbarkeit, die "über die im eigenen Körperbild
gespeicherten Signifikate hinausgehen würde", fehlen muß.
Es ist das offenbare, ja offenbarte Geheimnis
eines Aufschreibesystems, dem alles am Individuum liegt, jenes
Individuum gar nicht aufzuschreiben. »Es gibt keine Individuen.
Alle Individuen sind auch genera«, dekretiert Goethe.(126)
So wird über Doppelgänger im Buch "der Jetztpunkt
des Buchumgangs vom Buch verdoppelt und rückgemeldet". Wie bei den
Kupferstichen in Stefaninis Fibeln "ist die Identifikation alles
andere als Zufall."
Im Idealbild, obwohl oder weil es gar keine
Portraitzüge tragen kann und darf, soll die ferngesteuerte
Phantasie einklinken. Daß ein leselernendes Kind überhaupt die Ehre
erfahren hat, von einem Aufschreibesaystem erfaßt zu werden, ist
jener einzige Zug, der viele andere Lesekinder zur Selbsteinsetzung
verführt.(127)
Diese "Taktik" dient dazu, die Ansprechschwelle
der schriftlichen Medienmaschine gegen Null zu bringen und über
"Situationen und keine Indizien (wie voreinst die odysseische Narbe
oder seit 1900 anthropometrische Befunde) die Identifikation zum
möglichen und narzißtischen Glück zu machen".(127) Die bildlich
verdoppelte Lesesituation "ist wie keine andere geeignet,
Autorennachwuchs zu züchten. Die darin implizierte Wirkungstheorie
hat aber als Regel "Minimalisierung der
Ansprechschwelle".(127)
Technisch gesprochen: der Ausgangswiderstand der
Werke, durch »sinnliche Verkörperung« der Wörter schon reduziert,
wird durch die doppelgängerischen Sinnensurrogate nahe an Null
gebracht.(127)
"Auf einen minimalen Ausgangswiderstand kann und
muß das nachgeschaltete System maximale Rückwirkungen haben." Das
"Feedback zwischen Buch und Konsumenten [macht] aus dem Buch ein
anderes und aus dem Konsumenten einen Produzenten".
Die Handschrift hat weder Titel noch Autorname.
"Einen Titel bekommt sie erst, indem Heinrich nach ihm fragt; einen
Autor erst, indem Heinrich sein Ebenbild entdeckt. Beide
Modifikationengehören zusammen, weil die zwei Buchränder Titel und
Autorname dieselbe Funktion haben." Sie dienen "im
Aufschreibesystem von 1800 zur strikten Unifizierung von
Papierstößen".
Der Titel bezieht also den Rezipienten selber ins
Buch ein. Mit der Autorschaft steht es nicht anders. Da dies
Heinrich von Ofterdingen nicht beweist, tut es seine
Forschreibung: Guido von von Loeben.(127 ff) Hier wird
Einsicht, was im Ofterdingen Ahnung blieb: "Daß eine Fibel
nämlich allemal den Autor Fibel hat."(128) So kommt es zum
"Paroxysmus von Autorschaft"(128):
der zum Autor aufrückende Leser vergißt, daß es
Tage gab, da er seine Autorschaft vergessen hatte. Im Vergessen
dieses Vergessens hat die Falle Buch zugeschnappt und die
Sprach-Anthropologie, die Wörter auf Menschen zurückführt, einen
Adepten mehr. Wie um die Etymologie von Text zu beweisen,
»verweben« Wörter und Illustrationen ins Medium
Dichtung.(128)
So kommt "die höchste List der
Sprach-Anthropologie" zur Wirkung. Das alte Verhältnis von
Präfiguration zwischen Text (Bibel) und Leserbiographie wird
"umgekehrt". "Im Aufschreibesystem 1800 geht es [...] darum,
Nichtdargestelltes an Rändern und Leerstellen auszufüllen.
Ofterdings Leseabenteuer steht dafür. Daß der hintere Buchrand -
sein Ende - fehlt, stellt sicher, daß »Leben« gut
tranzendentalphilosophisch »kein uns gegebener, sondern ein von uns
gemachter Roman« ist." Der geistige Vater Ofterdingens hat, wie
Lindhorst, das Geheimnis bewahrt und überläßt dem
Dichterinitianden, seine eigene Autorschaft auch in eigener
Reflexion zu entdecken. In endloser Autonymie darf nur der
Betrachter-Held-Autor des Buches zur identitätstrunkenen
Titulierung schreiten."(128)
+-------------------------------+ ¦ Heinrich von Ofterdingen ¦ ¦ ¦
¦ Heinrich von Ofterdingen ¦ +-------------------------------+
Der "medientechnischen" entspricht eine
"juristische Zäsur"(129) mit der Einführung von Autorenrechten. Es
handelt sich also um "eine handgreifliche Handgreiflichkeit". So
gibt Schlegels progressive Universalpoesie "eine Realdefinition der
Dichtung um 1800".
Semantisch übersetzt sie die verschiedensten
Diskurse in den einen Muttermund, pragmatisch versetzt sie ihre
Leser unter die Meister oder Autoren.(129)
Und im Überspringen des Lesens, das unter einer
halluzinatorischen Medialität verschwindet, "feiert die
Universalpoesie" - aber, man sollte es nicht verschweigen, auch die
Diskursanalyse - "ihren Endsieg."(129) Die Funktion Autor, dieses
Phantom universaler Alphabetisierung, hat Gipfel und Beweis an
einer wahrhaft gespenstischen Kunst."(129/30)
3. Der Trinkspruch.(131 ff)
Die Autorfunktion erfordert die komplementäre
"Funktion Leserin".(131) Wenn im Konsumieren immer gleich
produziert wird, gibt es keine Bücher.
Um überhaupt in handgreiflichen Büchern
vorzuliegen, ist Dichtung um 1800 auf andere als männliche Körper
angewiesen. Diese anderen stehen zum kursivierten Ich von
Autorschaft und Transzendentalphilosophie als viele Nicht-Iche. Es
sind Frauen, sofern sie im Plural existieren.(131)
Leserinnen müssen den Autor davor retten, "gar
nichts geschrieben zu haben", "ihre kultische Verehrung und erst
sie verschafft Drucksachen Positivität". Weibliche Lektüre aber muß
eingegrenzt werden auf reine "Konsumtion von Diskursen". So bleibt
die Frau,
sofern sie als Eine insistiert, [...] am
ursprünglichen Grund aller Diskursproduktion und damit
ausgeschlossen von den Distributionskanälen, wie Beamte oder
Autoren sie verwalten. Sie bleibt dieser entzogene Grund, um
Frauen, sofern sie im Plural existieren, zur Häuslichkeit eines
Lesens anzuhalten, das als Andacht vor göttlichen Schriften in der
Tat Religion ist.(132)
Die Logik ist zwingend: "Weil Die Mutter Autoren
als Einheitsprinzip poetischer Werke produziert, können Frauen
nicht selber zu jener Einheit gelangen. Sie sind und bleiben eine
Vielheit von Leserinnen um das Zentralgestirn Autor
herum."(132)
"Vielheit aber ist das Reich der Zufälle. Nichts
hindert Frauen, das eine- oderanderemal zur Feder zu greifen". Mit
den Briefen Bettina Brentanos an ihre Freundin Günderode entsteht
"aus Übermut [...] eine weibliche écriture automatique, die alle
Dichterfreiheiten parodiert".(134) Denn "statt durch Relektüre zu
Bewußtsein und Autorschaft zu kommen", wird die dazu
systemnotwendige Relektüre unterlassen. Ihre Briefe »dahinflattern
lassen wie Töne, die der Wind mitnimmt« (zit 134), bewirkt eine
Störung in der "Rückkopplung zwischen Schreiben und Lesen, die
Poetik und Schreiblesemethode einfordern, um aus wilden
Schwingungen gestaltete Werke zu machen." Norbert Wiener - der bei
dieser Formulierung wohl assoziativ Pate stand - hätte an dem
System seine Freude gehabt.
Ein Brief des Bruder Clemens an seine Schwester
macht deutlich, worüber im System von 1800 'Communication and
Control' laufen. Der Schwester empfiehlt der Bruder »meistens Göthe
und immer Göthe" (zit 135) zu lesen. So ist nicht mehr zu
ignorieren, "wozu Deutschland Klassiker hat".(135)
Der Name Goethe (wie in anderen Kulturen der
Name-des-Vaters) bündelt alle Diskurskontrollen, die das
Aufschreibesystem von 1800 braucht. Wenn Bettina ihrem Bruder nur
Gehör geben wollte, wäre systemgerechte Verteilung der zwei
Geschlechter schon erreicht. Männer rücken im Wiederlesen des
eigenen Schreibens zur Funktion Autorschaft auf. Frauen im
Beschreiben des eigenen Lesens zur komplementären Funktion Leserin.
Auf der einen Seite paradiert der Urautor Goethe, im Sammeln
eigener Schriften die Norm von Dichtung setzend. Auf die
andere Seite treten Frauen, die [...] meistens Göthe und immer
Göthe lesen, bis sie im Lesefruchtsammeln das Ansehen Deutscher
Dichtung sicherstellen. Dort die Buchproduktion, die unleserliche
Urschriften oder unhörbare Mutterstimmen traumdeuten darf, hier
eine Pflicht intensiver Wiederholungslektüre [...].(135)
Eine Relektüre also, die im Gegensatz zu der der
Leser-Autoren, unfruchtbar ist. Statt dessen müssen Leserinnen
Autoren rein konsumtiv lieben. Sie haben die Funktion, die Funktion
Autor mit "einem Realen" zu unterfüttern.
Die Funktion Autor wird wie jede Gottheit von
einem Realen getragen. Es ist die Lust der Frauen. [...] Der Autor
wird Gott, weil die Lust der Frauen ihn trägt. Die Frauenkörper
werden empfunden, weil sie den Gott empfinden [...]. Leserinnen und
Autor umfängt ein hermeneutisch-erotischer Zirkel, der Lektüre und
Liebe gleichermaßen regelt. »Man«, und d.h. frau »kann nicht
lieben, ohne Goethe zu lieben«. Dem dienen alle die Gleichsetzungen
von Held und Autor, von gedichteten und lesenden
Frauen.(136/137)
An Goethes Tasso wird dann die
"systematische Mehrdeutigkeit poetischer Frauennamen und
-bilder"(137) aufgezeigt, die die Frauen rätseln läßt, wer gemeint
sei, und es also Autoren und Leserinnen erlaubt, "ihre zwei
komplementären Rollen zu spielen".
Dichter können ihren Wunsch schreiben, ohne ihn
festzuschreiben; Frauen im Plural können zum Wunsch dieses Wunsches
werden. Die Mehrdeutigkeit ist diskursproduktiv; sie macht Männer
schreiben und Frauen Geschriebenes berätseln. Auch das ist ein
Effekt der Sprach-Anthropologie, die an den Ursprung von Reden
Mensch und Seele setzt.(138)
Da aber, mit Goethe, Weiber alles Ȉ la lettre
oder au pied de la lettre« (zit 141) verstehen, ist Bettina
Brentano "nicht zufrieden mit einem Transzendentalsignifikat" aus
Goethes Hand, wie sie es rätselnd sein sollte. So aber hätte es zu
sein: "weil es ein Rätsel bleibt, ob und wen ein Autor liebt,
entwickeln Leserinnen hermeneutische Liebe zu seinen Werken."(141)
Romantische Dichter konfrontieren umgekehrt Frauen über die
"Spaltung von Liebe und Begehren" (142) statt mit "einem anderen
Begehren" mit dem "wahnsinnige[n] Begehren nach dem Signifikat
Frau."
Das läuft darauf hinaus, daß "die polare
Geschlechterdefinition mit der Errichtung eines
Transzendentalsignifikats zugleich den Signifikanten »Mann«
verstellt hat".(144) Autoren ist ist leicht, Frauenbilder auf Die
Frau zu referenzialisieren "(sie haben alle eine Mutter)".
"Leserinnen dagegen bleibt es unmöglich, die beschriebenen Männer
in den schreibenden wiederzufinden." Mit den Autoren Theweleit und
Langbein zugeschobenem Wort formuliert Kittler: Denn »die Männer,
während sie das weibliche Geschlechtsteil zum Mund und Stoff ihrer
Rede machen«, ziehen vor das eigenen eine Schleier. Ihr Geschlecht
bleibt »das, das schreibt und redet und sich dabei
verschweigt«.(zit 144) In medientechnisch adäquater
Formulierung:
Die Dichter im Aufschreibesystem von 1800
schreiben um ihr Schreiben herum; das System selber schreiben sie
nicht auf. Genau an dieser Leerstelle produziert das System
Anschlußleitungen. Die Leerstelle verweist nicht auf
extradiskursive Fakten wie die famose materielle Basis; sie
programmiert nur technische Weiterungen von Diskursen. [...] Die
Leerstelle poetischer Texte rekrutiert Leserinnen.(146)
Es gilt noch zu entwickeln, wie die
"Diskursverkabelung"(147) "um 1800 in Massenanwendung" geht. Die
automatisierte Dichterproduktion durch Dichtung führt mathematisch
berechenbar zur Abschaffung männlicher Konsumenten. Deshalb ist
eine "Gabelung" notwendig: Um "Massenanwendung" zu erreichen,
generieren die Texte der Dichter "einerseits immer neue
Autor-Jünglinge und andererseits, weil sie für Mädchen geschrieben
sind, immer neue Leserinnen. Die Nachwuchsautoren treten
programmgemäß an die Stelle der beschriebenen Autor-Helden; die
Leserinnen identifizieren Autor-Helden und Autor, doppelzüngig
beschriebenes Frauenbild und sich."
Mit Massenproduktion jedoch droht Massenkonsum,
und damit Verflüchtigung des Autorennamen: "Er wird ebenso flüchtig
wie der Shifter ich."(148) Kittler sieht sein
Aufschreibesystem also von zwei Abgründen an Weiblichkeit umgeben.
Mit dem Massenkonsum kommt eine Verwendung auf, "die für den
Bestand poetischer Diskurse fatal und die exakte Parodie ihrer
Verwendung durch Nachwuchsautoren ist. Werke drohen zu
verschwinden, weil sie nur noch angekostet oder nur noch
verschlungen werden. Zu verschwinden nicht, wie die
Elementarpädagogik im erhabenen Ursprung Muttermund, sondern in
Geschwätzigkeit und Vergeßlichkeit der Vielen. Das und nichts
anderes ist die Nosologie der um 1800 endlos beschriebenen
Lesesucht. [...] Am Ursprung dieser Gefahr stehen mit Notwendigkeit
Frauen."(148) Und die treiben "Hermeneutikparodie".
"Diskursverkabelung" setzt also voraus Hysterie oder einen
"hysterische[n] Zug an der Funktion Leserin"(147), den erst
technische Medien - kann man im Vorgriff sagen - liquidieren
werden.
"Die Hermeneutik muß ihrer philosophischen Regel
[...] noch eine technische zuschalten. Neben die Fixierung des
Leser-Ichs tritt die seiner Lesestoffe."(150) Sprich: Therapie "der
alles verzehrenden Lesesucht" durch Wiederholungslektüre, und d.h.
durch Ausbildung eines Kanons, der "aus der Bücherflut eine offene
Menge klassischer Werke herausliest, um sie und nur sie bis zur
Unvergeßlichkeit zu lesen."(150)
Das "unselige Frauenbegehren, alles à la lettre
oder au pied de la lettre zu nehmen"(144), also "buchstäblich", und
"der gnadenlose Bücherkonsum von Frauen" macht die Therapie
aussichtslos. Was Leserinnen und Frauen angeht, ist "weibliche
Hermeneutikparodie unheilbar, weil prinzipiell nichts
Geschriebenes, nicht einmal Jean Pauls Hermeneutik, ihnen zur Lehre
werden kann. Aufgeschlagen auf dem Bauch einer schlafenden Leserin
- das ist im Aufschreibesystem von 1800 der degré zéro de
l'écriture"(151) und seine Entlarvung. Weitere Gegensteuerung ist
notwendig und wird dargestellt (152 ff). Mit dem Ergebnis: "Durch
Frauenklassenzimmerlektüre löst das Aufschreibesystem von 1800 sein
halting problem."(154)
Folgt in der (Re/De)Konstruktion des
Aufschreibesystems 1800 die Identifizierung der sozusagen
ultimativen Lötstelle seines Schaltplans, der Stelle seiner letzten
Schlüssigkeit und Schließung in seiner Philosophie als
Phänomenologie des Geistes. (154 ff, Phänomenologie
167 ff). Es entsteht "zwischen Dichtung und Philosophie eine
unumgängliche und zweigleisige Vernetzung"(161), in der die
"Unauflöslichkeit poetischer Urphänomene und die vollständige
Auflösung, die da Absolutes heißt [...] verschaltet [werden] wie
Sender und Empfänger"(164). Die Philosophie um 1800 wird
literarisch. Und "weil Lektüre produktive Autorindividuen gar nicht
zureichend würdigen kann"(165), "sehen die Distributionsregeln
einen weiteren Kanal vor, aus dem die Werke zur philosophischen
Auslegung und d.h. zum Zertifikat ihrer Unerschöpflichkeit kommen.
Die literarisch gewordene Philosophie wird um 1800
Interpretation."(53)
In der wechselseitigen Stabilisierung von Dichtung
und Philosophie aber geschieht die Schließung des
Aufschreibesystems 1800 und seiner (Re/De)Konstruktion über dem
Anderen - "und das heißt immer das andere Geschlecht - : vom
poetischen Diskurs wird es verdrängt, von philosophischen
verworfen".(177) Denn "die Freundschaft zwischen Deutschem
Idealismus und Deutscher Dichtung" ist - in der Schreibweise Lacans
- "hommosexuell. Das Geschlecht zählt nicht."(170) Den Beweis
erbringen Friedrich Creuzers Weg in philosphische Höhen und der
seiner Geliebten, Caroline Günderode, ins Wasser.(177 ff). Ihr
verdankt Creuzer die Inspiration zu "zu Abhandlungen wie
Dionysos oder Symbolik und Mythologie der alten
Völker"(178), muß aber im universitären Diskurs nicht nur dies
verdrängen (er ersetzt ihren Namen durch »die Poesie«), sondern
auch noch diese Verdrängung (er ersetzt »die Poesie« durch »ein
neuer Dichter«).(54) "Die Hommosexualität
von Philosophie und Dichtung hat eine Frau mehr zu Grunde
gerichtet."(179) "Nur wenn Frauen, statt Heidelberg zu betreten,
entrückte Quelle allen Philosophierens bleiben, glückt das
Initiationsritual Universität. [...] Dem Aufschreibesystem von 1800
liegen Leichen zugrunde; damit ist es schlüssig und
geschlossen."