Mit dieser Folge des Referateservice wird der in
der ersten Folge vom Februar 1990 angekündigte Referatekomplex zur
Theorie technischer Medien von Friedrich A. Kittler vorgelegt.
Zusätzlich wurden einige Arbeiten aus der rein diskursanalytischen
Phase referiert, um dadurch die große Arbeit Aufschreibesysteme
1800/1900 als eine Epochenschwelle auch in der Entwicklung der
Theorie Kittlers kenntlich zu machen, an der Diskursanalyse und
Medientheorie an dem Schrägstrich 1800/1900 die neuen Kräfte
aus ihrer Verschweißung erproben.
Wurden mit dem Referateservice bis jetzt
vornehmlich "Materialien aus der Grauzone zwischen
Literaturwissenschaft und Informationstechnologien" vorgelegt, so
hat diese Folge von Referaten zum Gegenstand einen radikalen
Versuch, diesem Zwischenbereich jede Spur von Grau durch hellste
Ausleuchtung auszutreiben. Den früheren poststrukturalistischen
Programmen wurde von Kittler "Effekte einer Streuung"
zugeschrieben. Sie seien "nicht geschrieben, um referierbar zu
werden", sondern um die "Un-Möglichkeit eines unifizerten
Diskurses"(1) aller Diskurse zu
belegen. Gegenüber einer Theorie aber, die an technischen Medien
und Waffensystemen die historischen "Apriori" des Zeitalters
entdeckt hat, hieße der Versuch, einen Über- oder Durchblick der
dergestalt den technischen Systemen übertragenen Unifizierung der
'Diskurse' den Referaten beifügen zu wollen, die Unifizierung einer
schon automatisierten Unifizierung zu betreiben.
Die Übergabe dieser Sammlung von Referaten hat
deshalb bei der noch fehlenden Distanz ihnen gegenüber auch den
Charakter der Weitergabe eines Knäuels von Fragen(2), die sich
schließlich am Begriff 'Medientheorie' selbst verfilzten und in den
Referaten nicht auseinandergeflochten wurden. Weitergegeben werden
dabei auch die mit der "historische[n] Positivität und [...]
Durschlagskraft der Kommunikationsmedien" potenzierten
"Strahlkräfte oder Schrecken innerhalb der neueren Philosophien und
Geschichtswissenschaften [...], die unter dem Namen
Poststrukturalismus firmieren"(3). Strahlkräfte, die
nicht nur von der Theorie ausgehen, sondern auch von den
blitzartigen "Verschaltungen" der aus ihren Kontexten
herausgesprengten Zitate, die den Leser bis an die Schmerzgrenze
unter ein Trommelfeuer von Erleuchtungen setzen.
So werden Fallen, Effekte und an sie geheftete
Fragen weitergegeben. Die Fragen sind zunächst in der Zone
angesiedelt, wo unter dem Schock der Lektüreeffekte die Grenze
verschwimmt zwischen der Durchschlagskraft der Kommunikationsmedien
und der ihrer Theorie selbst, die gezielt jede politische und
kulturelle Vermittlung zwischen den "Leuten" und den technischen
Medien ausschaltet, um ersteren in einer Art Trepanation den Effekt
technischer Medien unmittelbar zu "implementieren". "Nur wer durchs
Nadelöhr der Destruktionspraxis geht, gewinnt Zugang zu den
kopernikanischen Begriffen des 20. Jahrhunderts. Dabei kann die
politische Dialektik der Gewalt durch ethische Raisonnements nur
verschliffen werden. Denn wer seine Hände um jeden Preis rein von
Blut halten will, verstellt sich die Möglichkeit einer Reinigung
kraft der Revolte, d.h. des Aufrufs der Gewalt durch die Vernunft
in geschichtlicher Krisis." So schreibt Norbert Bolz in dem
Sammelband, aus dem der Aufsatz Kittlers über Wagners Medientheorie
referiert wurde."(4) Die Theorie der
absoluten Gewalt der technischen Medien als absolute Gewalt?
Unconditional Surrender(5) heißt der wohl neuestes
Aufsatz Kittlers. Aber wem dann ohne wenn und aber unterworfen
sein? Der Theorie? Dem Medienapparat? Dem selbst theoretisch oder
theologisch gewordenen Medienapparat oder der Medienapparat
gewordenen Theorie oder Theologie?
In einem erstern offizielleren Teil umgeht also
dieses Geleitwort die Fragen und beschränkt sich auf Hinweise zu
Thema, Umfang und Grenzen dieser Folge des Referateservice. In
einem zweiten Teil versucht der Referent dann, aus den Auswirkungen
der referierenden Lektüre auf das 'Subjekt des Referierens' selbst
die Frage nach eben dem Effekt einer Theorie der Effekte der
Medien - und nicht nach ihrer "unifizierten" Aussage - zu
entwickeln. Dieser Teil wäre also eher als zunächst reflektiert
idiosynkratisches Nachwort zu den Referaten lesen. Er endet dann
mit der Frage nach der Beziehung zwischen der Unhintergehbarkeit
der "Positivität" der technischen Medien und einer unbeendbaren
Hintergehbarkeit des an ihnen dekonstruierten Subjekts.
I
Die Referate legen nicht nur, wie ursprünglich dem
Themenbereich entsprechend beabsichtigt, die späteren Arbeiten
Kittlers zu den technischen und vor allem digitalen Medien(6) vor,
sondern bieten zugleich einen Überblick über eine Entwicklung, die
mit dem Titel "Von der Diskursanalyse zum informationstheoretischen
Materialismus" umrissen ist.
Die Notwendigkeit dieser Ausweitung lag
erstens(7) und - unter
Voraussetzung der Begriffsstutzigkeit wenigstens des Referenten -
am dringendsten in dem Verhältnis von Vorwegnahme und Rückbezug wie
-wirkung der verschiedenen Arbeiten untereinander, von dem die
Zugänglichkeit der einzelnen Arbeiten abhängt. Das
"Aufschreibesystems 1800" erschließt sich, wenn sein schon vorher
ausgearbeiter 'genetischer Code' bzw. das von Jacques Lacan
übernommene generative Schema der kernfamilialen Intersubjektivität
mit der Zirkulation des imaginären mütterlichen Phallus auch dort
im Kopf des Lesers präsent ist, wo diese Zirkulation das gesamte
System steuert, ohne als solche noch explizit ausgesprochen zu
werden. Dieses generative Schema ist in dem Referat Nr.1 aus dem
ihm vorliegenden Text möglichst rein herausgeschält worden, im
Referat Nr. 2 kann es in einem weiteren systematischen und
textuellen Zusammenhang noch ohne Entschlüsselung bei der Arbeit
beobachtet werden. Auf der anderen Seite wird die 'Schließung'
dieses Systems zu einer Art autopoietischem Medienverbund über den
Begriff "Diskursverkabelung" in ihrer radikalen Konsequenz erst von
den späteren technischen Verbundsystemen her greifbar: das
Aufschreibesystem 1800 enthält fast komplett das von 1900, jedoch
als halluziniertes "avant la lettre".
Zweitens stehen die verschiedenen Phasen der
Ausarbeitung der Aufschreibe- und Medientheorien insofern im
Verhältnis der Überbietung zueinander, als die späteren die
theoretischen Stützen der vorangehenden dekonstruieren, um an ihnen
ihre technologischen Apriori bloßlegen. Das gilt für die
Psychoanalyse Freuds und dann auch für die Lacans genauso wie für
die Diskursanalyse Foucaults(8). Das gilt damit
schließlich auch für Kittlers eigene diskursananlytische Arbeiten,
die in Grammophon, Film, Typewriter - dem Referat Nr. 5
zugrundeliegenden Text - implizit der National Security Agency als
ihrem eigenem technischem Apriori überschrieben werden.(9)
Schließlich wird im zuletzt referierten Aufsatz (Nr. 10) der
"Begriff Medium selber" von einem "totaler[n] Medienverbund auf
Digitalbasis [...] kassiert", um mit der These "nur was schaltbar
ist, ist überhaupt" einem "informationstheoretischen
Materialismus"(10) freien Raum zu
geben.
Drittens beansprucht diese Medientheorie auch in
ihren letzten Formen immer noch den dekonstruktiven Effekt gegen
ein Ziel, das sie wieder und wieder zu allen möglichen Variationen
seiner Liquidation von bloßen Verschwindenmachen bis zum
Ausräuchern(11) ansteuert: Das
Subjekt, Der Mensch, Die Geschichte, also das, was die frühere
Diskursanalyse als Effekt programmierend programmierter diskursiver
"Positivität", und vor Auf-schreibesysteme als Signatur auch
noch "unserer" Zeit freigelegt hatte. Dieses Ziel liegt in seiner
ursprünglichen und ausgearbeitetsten Form sozusagen neben dem
Startpunkt der früheren theoretischen Missionen seiner
Dekonstruktion, und die Bahnen der späteren Unternehmen müssen über
den Querschnitt immer wieder auf diesen Punkt zurückbezogen werden.
Die Medientheorie ist ohne die Diskursanalyse undenkbar.
Deshalb und schließlich sollte die Arbeit der
Dekonstruktion am Aufschreibesystem 1800 nicht nur in ihrer
zunehmenden Verkürzung als immer weiter entfernter, aber weiterhin
notwendiger Bezugspunkt der Medientheorie, sondern auch in ihrer
unerbitterlichen Höchstform vorgelegt werden.
Die einzelnen Referate tasten sich mit penetranter
Gründlichkeit an den Stellen der Texte entlang, an denen eine
Freilegung der Verstrebungen des theoretischen Gerüstes sowie des
"Schaltplans" des jeweiligen Medienverbundes zu winken scheint,
ohne generell auf einer Metaebene sich bewegen zu können und zu
wollen. Die Grund dafür ist oben angesprochen worden. Die
theoretischen Einsätze Kittlers greifen so weit und hoch, daß das
Referieren die Mitte zu halten sucht zwischen seinen beiden
Unmöglichkeiten, nämlich bloßem Abschreiben und einer eingängigen
Erklärung der Theorie, ihrer Grundlagen und der Phasen ihrer
Entwicklung. Das läßt den Benutzerinnen und Benutzern, wie schon in
den anderen Folgen, die Freiheit, von durchgängiger Lektüre bis hin
zum Ausschlachten die ihnen genehme Nutzungsart zu bestimmen, gibt
an sie aber auch einen Teil des Mangels an erklärenden
Hilfestellungen weiter, der Texte auszeichnet, die zu ihrem
Verstehen ihr Verständnis schon voraussetzten oder jenseits von
ihnen zu erarbeiten erst aufgeben.
II
Die Frage nach dem Effekt der Theorie der Effekte
der technischen Medien läßt sich in Form einer Befragung des
Effektes ihres Lektüre vornehmen. Am Aufschreibesystem 1800 wurden
die Effekte der positiven diskursiven Gegebenheiten des Systems der
Untersuchung Kittlers zufolge von diesem System selbst an seinem
"Autoreferenzpunkt" inszeniert, um seine Reproduktion durch
Verdopplung seiner Wirkungen zu sichern. Genau das bewirkten die
Kupferstiche der pädagogischen Alphabetisierungswerke, indem sie
einer Mutter mit Kind eine Mutter mit Kind beim
Alphabetisierungswerk zeigten. Genau das geschah den Lesern der
Romane, wenn sie als Romanhelden einen angehenden Dichter
vorfanden, der in einer Schreibszene im Roman selbst einen Text
hermeneutisch als seine Initiation in die Autorschaft las.(12) Das
hermeneutische Lesen des Lesers als semiotechnischer Effekt wird,
so die These Kittlers, über seine Identifikation mit seiner
Spiegelung im Roman verstärkt.
Diese Autoreferenzszenen verschwinden
notwendigerweise in der Theorie der technischen Medien, um - so die
hinsichtlich der einzelnen Phasen der Medienentwicklung noch etwas
undifferenzierte Vermutung - in ihr selbst aufgehoben zu werden.
Die Erleuchtung oder blitzartige Erhellung als Effekt der Montage
oder "Verschaltung" von Textfragmenten, Apparatebildern und
Prinzipschaltungen hätte ihre sie verdoppelnde Spiegelung in einer
Form von Theorie, die die traditionellen Möglichkeiten der Lektüre,
des Nachvollzugs und des Verstehens dem lesenden Subjekt nicht nur
entzieht, sondern diesen Entzug in einer Inszenierung des
Verschwinden des Subjekts vom Schauplatz der Ankunft der
technischen Medien noch verdoppelt.
Diese Struktur findet sich an einem besonders
ingeniösem Beispiel der "Verschaltung" von Texten und Apparaten in
Grammophon, Film, Typewriter(13), dessen vollständige
Rekonstruktion allein schon den Rahmen dieses Geleitwortes
überschreitet.(14) Es werden dort die
optischen Apparate nach der Optique et photométrie dites
géométriques von Bouasse(15), mit deren Hilfe
Lacan seine Lehre vom Imaginären unterstützt, auf ihr mediales
"Apriori" zurückgeführt. Es sind drei Varianten davon im Spiel.
Hinzu kommt ein vierter Apparat aus einem anderen Kontext als
Autoreferenzapparat.
1. Der in Le Séminare, Livre I von Lacan
auf S. 92 abgebildete und erklärte Apparat.(16)
2. Der ebendort auf S.143 abgebildete
modifizierte und durch einen Planspiegel erweiterte Apparat.
Er erscheint in dieser Form noch in den Écrits S. 674.
3. Dergleiche Apparat in Écrits auf S. 680
abgebildet, aber wiederum modifiziert: der Planspiegel wird um 900
gedreht.
4. Der Aufriß des »Alabaster Theaters« von Oskar
Messter nach dem ersten Band von Friedrich von Zglinckis Der Weg
des Films. Die Geschichte der Kinematographie und ihrer
Vorläufer.(17)
Die Funktionsweise der Apparate sowie die
Argumentation, die sie illustrieren, kann hier nicht wiedergegeben
werden. Einzelheiten werden nur erwähnt, soweit sie das
Verschaltungsprinzip verdeutlichen.
Die Abbildung auf S. 249 von GFT ist die von
Apparat 1. Der Text, den diese Abbildung illustrieren soll, bezieht
sich auf Apparat 2 und ist nur auf diesen bezogen
unmißverständlich. Danach folgt die Einführung oder -schaltung
eines weiteren optischen Apparates, des »Alabaster Theaters« von
Oskar Messter, also von Apparat 4.(GFT 250) Dessen Beschreibung
wird nur zugänglich, wenn man nach der oben angeführten Quelle
(S.43 f.) den "Planspiegel B" (GFT 250) in "Planspiegel D"
korrigiert und sich ebenfalls von der Quelle informieren läßt, daß
es sich dabei um eine "durchsichtige Spiegelscheibe D" (Zglincki
a.a.O. S.43) handelt, auf die von einem Filmprojektor Schauspieler
so projiziert werden, daß sie auf der hinter dem durchsichtigen
Spiegel aufgebauten realen Bühnendekoration zu agieren
scheinen.
Nach der Einführung dieser Apparatur erfolgt eine
nächste Verschaltung: ihr (durchsichtiger) Planspiegel wird um 900
gedreht (GFT 251). Damit wird diese Apparatur, ohne daß das
explizit gemacht wird, mit dem an dieser Stelle nicht erwähnten
Apparat 3 'verschaltet', an dem Lacan unter anderem den dort
eingebauten Planspiegel eben um 900 dreht, um dessen imaginären
Effekt auszuschalten.
Die "Handgreiflichkeit" besteht darin, über den
Einbau der apparativen Analogien Lacans in eine Apparatur, in der
selbst schon Theater und technisches Medium (Kino) 'verschaltet'
sind, das Abtreten des Analytikers als Spiegelfläche der
wiederbelebten imaginären Identifikationen des Subjektes in der
psychoanalytischen Situation in das Abtreten von Psychoanalyse
überhaupt im theatralischen Rahmen einer medientechnischen
Initiationapparatur zu transponieren.
Das Abtreten des Analytikers oder das Verschwinden
des Spiegels imaginärer Projektionen heißt für das Subjekt in der
analytischen Situation die Auflösung imaginärer Verstrickung und
Entfremdung, bei der zugleich die drei Register des Imaginären,
Symbolischen und Realen voneinander geschieden werden. In der
theatralisch-medientechnischen Transposition hingegen findet das
"Ende von Psychoanalyse" überhaupt statt, die hermeneutischen
Verstrickungen des bürgerlichen Subjekts als solchem zerfallen, und
die "drei Dimensionen oder Medien - das Nichts namens Rose, die
Illusion Kino und der Diskurs - [sind] technisch rein geschieden".
(GFT 251)
Die Medientheorie zeigt so an ihrem
Autoreferenzpunkt einem unter dem Effekt der Textverschaltung, d.h.
des Entzugs der traditionellen Verstehens- und
Nachvollzugsmöglichkeiten blitzartig erhellten Leser seine eigene
Initiation - oder deren Scheitern - in die Theorie als
theatralisch-medientechnische gespiegelte Erlösung des Subjekts vom
Zwang imaginärer Identifikationen. In Verbindung mit diesem Entzug
können die drei Register Lacans auseinandertreten und schließlich,
ins Technische transponiert und aus ihrer Verhakung im Subjekt
herausgerissen, vor dessen geblendetem oder erleuchtetem Blick zum
Medienverbund im Mikroprozessor sich zusammenschließen (GFT 353
f).
Die Verschaltung der aus der Textmasse
herausgesprengten Zitate ist in ihrem Effekt also eben das, was
schon die Diskursanalyse an den von ihr dekonstruierten Diskursen
freigelegt hatte, nämlich "diskursive Handgreiflichkeit". Schon
diese Lehre sagte, daß das, was sie untersucht, der "Diskurs" also,
das tut, was er sagt. Spätestens als Medientheorie aber tut sie
selbst, was sie als Effekt aufdeckt, indem sie die "Positivitäten"
des Diskurses den technischen Medien überschreibt. So kann auf der
Ebene der Medientheorie die Ausarbeitung der Verschaltung der
verschiedenen Medien zugleich als Beschreibung der Methode ihrer
Ausarbeitung gelesen werden: "Medientechnische Ausdifferenzierung
öffnet zugleich die Möglichkeit von Verbundschaltungen" sagt die
Lehre von den Medien und öffnet über die Ausdifferenzierung ihrer
Textbasis auf Texte zu verschiedenen Medientechniken die
Möglichkeit textueller Verbundschaltungen. "Nachdem die Speicher
für Optik, Akustik, Schrift getrennt," - die einschlägigen
Textsorten also ausdifferenziert - "mechanisiert und durchgemessen
waren," - also die 'Lötstellen' an den Texten ausfindig gemacht -
"konnten ihre diversen Datenflüsse auch wieder zusammenfließen":
die textuelle Verbundschaltung kann zusammengelötet und aktiviert
werden. "Das physiologisch zerlegte und physikalisch nachgebaute
Zentralnervensystem feierte Auferstehung, aber als Golem aus lauter
Golems"(18): Die Verschaltungen
aus Verschaltungen wird als neuronal-assoziatives Konstrukt oder
Buch aus Büchern dem Leser als einer Art biblio-neuronalem
Empfangsapparat gesendet. Das Subjekt wird in den Metaphern
Kittlers von seiner eigenen Lektüre durchgemessen und
-geschaltet.
Die Theorie wirkt so selbst als "Implementierung".
Sie tut mit den "Leuten", was ihr zufolge ihnen die Medien antun.
Nach dem auf Seite 246 von GFT 'aktivierten' Zitat von Béla Balázs
kann »Geist an sich« durch »'Technik an sich'« dargestellt werden.
Das Zitat wirkt als 'Verstärker' der Bestimmung des technischen
Mediums Films durch Kittler, derzufolge der Film die "Leute" in
"neurologisch reine Datenflüsse" einschaltet. Der Film sendet
"seinen Zuschauern deren eigenen Wahrnehmungsprozeß" (GFT 240).
Ebenso sendet das Buch seinen Lesern deren Leseprozeß: die Zustände
eines unter dem Effekt der Verschaltung von Zitaten, Apparaten,
Prinzipschaltungen und schließlich mathematischen Formeln auf
Höchstschaltgeschwindigkeit gebrachten Gehirns.
Theorie eines Traumas? Trauma einer Theorie?
Auflösung eines Traumas durch theoretische Mimikry? Die Befragung
des Lektüreeffekts kann nur den neuralgischen Punkt bloßlegen, an
dem Medientheorie selbst zum Medium wird. Unter der Gewalt der von
ihrer Dekonstruktion ermöglichten Implosion und Verdichtung des von
ihr entwickelten technischen Mediensystems rückt sie dem Punkt
nahe, der vorher die Stelle war, auf den die Diskursanalyse als den
Ort zeigte, an dem das System über die Besprechung und Inszenierung
der Szene seiner eigenen Reproduktion seine Reproduktion erreichte.
"Eine automatisierte Diskursanalyse übernimmt das Kommando", heißt
es schließlich in GFT (S. 379). Am Autoreferenzpunkt der
Medientheorie, wo diese schon den Begriff Medium kassieren ließ,
rücken bis zu fast völliger Ununterscheidbarkeit sie selbst und das
inzwischen auf Digitalbasis totalisierte und nicht mehr nennbare
Kommunikations- oder Nachrichtensystem der NSA - National
Security Agency oder No Such Agency(19) - zusammen, und
die Gewalt der Theorie überlappt sich mit der ihres ihr selbst
offenbarten anonymen Apriori. Dann aber ist das apokalyptische
Erlösungssversprechen, das die Theorie verkündet, zugleich
endzeitliche Heilung durch das totalisierte Mediensystem und
umgekehrt.
Gerade weil nun Theorie wie System
Depersonalisation versprechen, können sie voraussetzen, daß
Personen als Adressaten der Theorie oder des Systems für sie oder
es ansprechbar und erreichbar sind. So fällt in gleicher
Überlappung an den Subjekten ihre zusammengestauchte Subjektivität
mit ihrem letztmöglichen Identifizierungmerkmal zusammen. Subjekte
sind, so Kittler im Schulterschluß mit Luhmann, Adressen des
Kommunikationssystems Gesellschaft.(20) Subjektivität bleibt
nach Abzug aller speicherbaren Spuren durch die frühen technischen
Medien für das letzte und späteste die letztmögliche postalische
Beschriftung mit einer Adresse. So wird den Subjekten Erlösung von
sich selbst versprochen, um sie als Unerlösbare mit ihrem
unabstoßbaren Subjektsein zu markieren und darüber zu adressieren.
Als unerlösbar Erlöste sind sie an die Medientheorie angeschlossen,
als kommunizierend Exkommunizierte an das um sie geschlossene und
durch sie durchgeschaltete Netz der Kommunikationsmedien.
Funktionieren tut daran aber die "Verschaltung" von Theorie und
System.
Das wäre das Ergebnis einer Lektüre der
Medientheorie Kittlers gegen ihren Strich. Einer Lektüre nämlich,
die in dieser Theorie eine 'Summa Technologica' der
Exkommunikationsmedien liest, und damit die Ausarbeitung der großen
Techniken medialer Spurensicherung an speicherbaren Resten oder
Abfällen der Subjekte im Aufschreibesystem 1900 durch den Autor
Kittler bis dorthin weiterdenkt, wo nach der nicht abzuschaffenden
Abschaffung Des Menschen und Subjekts diese noch die letzte Adresse
der Botschaft der Medien sind, die nach Kittler mit McLuhan sie
selbst sind.
Als ihre eigene Botschaft aber sind diese ihre
Technologie. In der vermutlich neuesten Arbeit Kittlers fallen
Medien und Technologietransfer zusammen und sind Transfer von
Weltreichen. Ein Reich, "und d.h. Medienssystem"(21), nämlich das
dritte, wird durch eine Mutation seiner medientechnischen
Strukturen zur medialen translatio imperii(22) an die
Siegermächte gezwungen. "Wenn Reiche Medien sind und Medien Post,
kann ihr Schicksal nur Verschickung heißen"(23). Der Titel der Arbeit
aber, Unconditional Surrender, meint mit der Siegerforderung
Roosevelts die Botschaft des 'Mediums Reich' oder die Bahnung der
"Befehlsflüsse" selbst, also Technologietransfer ohne wenn und
aber, vom vorletzten ins allervorletzte Reich, als das nicht
endende Ende von Geschichte überhaupt.(24) "Unconditional
Surrender" ist aber auch die imperiale, d.h. mediale, d.h.
technologische Botschaft, die dem Subjekt, immer wieder dem
Subjekt, wo es schon längst nicht mehr und doch noch ist, als
allervorletzte Reichstheoriepost zukommt.(25)
"Das Gesetz macht die Sünde", sagt der
Spiegel-Analytiker Lacan(26) mit Berufung auf den
Apostel Paulus und auf die Schule des kanonischen Rechts von
Bologna, die die Mechanisierung der Sündenproduktion durch die
Technik der peinlichen Befragung entwickelt und damit - in der
emphatischen Formulierung Lacans - ihren "Glauben an den
Menschen"(27) bezeugt hatte. Nach
der Demontage der analytischen Apparatur machen technische Medien
bei Kittler das Subjekt als Rückfälliges und seine Subjektivität
als Makel, an dessen Unausrottbarkeit die Theorie der unbefragbaren
Positivität dieser Medien sich ihrer eigenen Souveränität
versichert.
Es sind also nicht die historiographischen
Ergebnisse der Arbeiten zur Kriegs- und Technologiegeschichte und
zu deren Verzeweigungen in die 'zivilen' modernen Medien, die in
Frage nach Subjekt, Mensch und Geschichte stehen, sondern die an
ihnen offenbarten unhintergehbaren technologischen Apriori, die der
Theorie selbst Unhintergehbarkeit und ihrer Aussprache den
Charakter einer unbefragbaren Lehre zukommen lassen. Als Lehre
spricht die Theorie in die Geschichte als endlose Endzeit und zum
Subjekt als endlos verschwindendem. Geschichte und Subjekt sind der
immerfort zusammenstürzenden Minimalraum und die immerfort
durchgestrichene Minimaladresse ihrer Verkündigung und ihres
Wunsches, sie, Geschichte und Subjekt, möchten doch nicht aufhören
zu enden und zu verschwinden. Sollte die Lehre der unbefragbaren
Positivität der technischen Medien ohne die unabschaffbare
Hintergehbarkeit des Subjekts und das nicht endensollende Ende von
Geschichte selbst hintergehbar sein?