THE DAY AFTER the American presidential
election in November 1972: "Bloody Nixon victory",
notierte er in seinem Tagebuch. Einen Monat zuvor hatte sein
Staatsmann des TV-Zeitalters, Pierre Trudeau, die Majorität im
House of Commons verloren. Obwohl Nixon später durch Watergate
gestürzt und Trudeau 1974 wieder die Majorität gewann,(237)
schienen die Wahlen im Herbst 1972 ein für allemal die
exhilariation of the sixties planiert zu haben. Apokalypse
lauerte nicht mehr hinter jeder Ecke, die langhaarige, Day-Glo,
ultimative Revolution der Jugend war für immer aufgeschoben.
McLuhan aber hatte noch immer die Ohren auf
apokalyptische Signale gespitzt, nur war die Apokalypse, die er
jetzt antizipierte, eine ausgesprochen unerfreuliche. Trotz der
neuen geschäftig-geschäftlichen Alltäglichkeit auf dem Campus -
eine spektakuläre Falsifizierung seiner Voraussage zunehmender
studentischer Gewaltakte - glaubte er dennoch, wie er 1976 einem
Auditorium sagte, unsere Gesellschaft befände sich am Beginn of
"another binge of slaughter, das sogar Dachau und Buchenwald in
den Schatten stellen würde. Bis an das Ende seines Lebens stand er
in Erwartung von Ausbrüchen epidemischer Massenmorde.
Auch antizipierte er Apokalypse im mehr
buchstäblichen Sinne der Offenbarung der zweiten Ankunft Christi.
Wenn er gefragt wurde, ob er optimistisch oder pessimistisch sei,
antwortete er 1974: keines von beiden, sondern apokalyptisch (238)
Schon 1968 hatte er einem Priester davon abgeraten, sein Amt
aufzugeben, denn die Welt würde sehr bald zu ihrem Ende kommen. Wie
viele protestantischen Fundamentalisten sah er in Israels Rolle im
mittleren Osten und vor allem in der Wiedereroberung von Jerusalems
(1967) ein unmißverständliches Zeichen für die Letzten Tage. Den
Yom Kippur Krieg von 1973 bezeichnete er in seinem Tagebuch als
"obvious apocalyptic".
Dieses Verlangen nach Apokalypse und die davon
untrennbare Düsternis in der Wahrnehmung der Gegenwart wurden
verstärkt durch eine Entwicklung seines Denkens der neuen
'akustischen' Welt, die jetzt zu der Vorstellung dessen führte, was
er "discarnate man" nannte. [KM-»] Diese Wendung von
optimistischer Begrüßung der elektronischen 'Inkarnation' zu
pessimistischer Abwehr der 'Desinkarnation' war aber eine Drehung
um eine unveränderliche Symmetrieachse. [«-KM] Der in- und zugleich
jetzt 'dekarnierte' Mensch war jetzt also electronic man,
der über hunderte von Meilen mit Phantomen am Telephon sprach oder
deren Invasion in seine Wohnung und sein Nervensystem über das
Fernsehen erdulden mußte. Simultane körperlose Präsenz an vielen
Orten verlegte das Selbst aus dem Körper in dessen Bild oder
Informationsmuster, wo es eine Welt von anderen Bildern und
Informationsmustern bewohnte.
Der Effekt war, daß discarnate man in einem
Zustand völliger Hypnose in eine Welt "between fantasy und
dream" einrückte. Die Involviertheit, die die Partizipanten des
globalen Mediendorfes auszeichnete, war zur Partizipation an einem
Spiel von Bildern und Informationen geworden: die totale
Faszination eines Kindes vor einem Kaleidoskop. Da für McL das
Unbewußte schlicht der Bereich der Koexistenz aller Gedanken und
Wahrnehmungen in völliger Zerstreuung und 'Unverbindlichkeit' war,
erlitt discarnate man den Zusammenbruch seines Bewußtsein
oder der Grenze zwischen Bewußtem und Unbewußtem. Unter diesem
Umständen wurden beklagt-begrüßt/begrüßt-beklagt und jetzt beklagt,
daß Selbst und Identität unter dem Sperrfeuer von Bildern und
Informationen in einer phantomatischen elektronischen Welt
zusammensackten.
Die Destruktion der privaten, personalen
Identität, sagt Marchand, war eben der Wurm im Apfel des
integrierten Sinnenlebens, das McL glücklich in den frühen
Sechzigern proklamiert hatte. Nun sah er mehrere
angenehme-unangenehme/unangenehme-angenehme jetzt aber unangnehme
Konsequenzen. Kinder, so sagte er 1974 einem Interviewer von
Miss Chatelaine, würden in eine Welt pathetisch brutaler und
zugleich kläglicher Befriedigungen eintauchen - vergleichen mit
denen "we took for granted thirty years ago". "Their kicks are
on a seven- or eight-year-old level." (238)
Die identitätslosen Bewohner der 'akustischen'
Welt würden auf ihren Zustand mit physischen und psychischen
Gewaltausbrüchen reagieren. Gewalt, so hatte McL schon früher
erklärt, war ein unerschöpfliches, also uneindämmbares Heilmittel
für die ihrer Identität Beraubten, ein Mittel, often futile but
always available, um nach Bedeutung oder Sinn zu greifen
-[KM-»] um die Symmetrieachse gedreht: der souverän verfügte
technologisch-mediale Ausnahmezustand war ein Mittel, jede Form von
bürgerliche Identität aufzuheben. [«-KM]. Kein Wunder, sagt
Marchand, daß er Ströme von Blut erwartete. (239/40)
1977 arbeitete McLuhan seine Wahrnehmung von
discarnate man weiter aus, indem er den Begriff des
Naturgesetztes/natural law ins Spiel brachte. Für die
katholische Theologie war das Naturgesetz ein Abdruck des
Göttlichen. Als mit Ratio begabtes Wesen war der Mensch zu seiner
Erkenntis fähig. Es lehrte ihn, Gesundheit zu suchen und Verletzung
zu vermeiden, die Bindungen der Familie und des gesellschaftlichen
Lebens hochzuachten and so on. Dieses Naturgesetz oder
göttlich sanktionierte natürliche Gesetz war für/durch
disincarnate man völlig ausgelöscht worden.
Wo war dann noch eine Basis für Moral? Für den
Rest seines Lebens war McLuhan offensichtlich nicht (mehr) in der
Lage zu entscheiden, ob die Aufhebung des natürlichen Gesetzes
bedeute, daß disincarnate man direkt ins übernatürliche
Gesetz hineintappen oder ob er sich an schreckliche Substitute
dieses Gesetzes klammern würde - an Okkultismus zum Beispiel oder
an einen Superstaat. Eines aber war ganz sicher: this discarnate
activity meant we were in for a great religios age. It might well
be a destructive or diabolically religios age, but religious it
would be - so Marchand unter Angabe einer Tagebuch- und dreier
Briefstellen.(239)
Eine weitere Windung in diesem Gedankengang war
der Zusammenhang zwischen einer Über- oder Umsetzung der Menschen
in Bilder und Informationen - [KM-»] Medien hat McL ja schon in
Understanding Media aktive Metaphern, also
rhetorisch-technologisch buchstäbliche Übertrager oder Übersetzer
genannt [«-KM] - und einer Hochblüte von Überwachung und Spionage.
Everything from spy sattelites to Nielsen ratings to marketing
surveys to credit bureau investigations was part of this
intelligence-gathering, manhunting syndrome.(239) Dieses
Syndrom war so allesduchdringend, daß discarnate man nicht
mehr wußte, ober er überhaupt mehr sei als ein Eintrag in eine
Datenbank.
Das sah McLuhan nach Stimmung entweder als Komödie
oder Tragödie. Ein Mitarbeiter erinnert sich, ihn 1977 in Tränen
gesehen zu haben im Anblick der Zukunft einer Menschheit, die in
einem Überwachungsnetz von Satelliten und Computern gefangen läge.
Der apokalyptische Rahmen seines Denkens machte ihn empfänglich für
den Spear of Destiny, ein Buch, daß behauptete, Hitler sei
dem Okkultismus ergeben gewesen. Natürlich war er sich bewußt, daß
es eine jener pseudogelehrten Produktionen wie z.B. Chariots of
the Gods war. Dennoch war er fasziniert. Es gab da eine
Resonanz mit seinen dunkleren Kontemplationen der Welt, die seinen
alten Verdacht von gnostischen und rosenkreuzerischen Geheimnissen
nährte. (239)
Trotz dieser Düsternisse ließ sein Tempo nie nach.
Es war, als könne er nicht leben, ohne ein halbes Dutzend Projekte
am Laufen zu haben - meistens solche, die er wee-books oder
Pipifaxbücher nannte. Eines davon nannte er einen
"twentieth-century Baedeker", der einen Überblick über die
großen künstlerischen und wissenschaftlichen Errungenschaften des
zwanzigsten Jahrhunderts geben und zugleich deren strukturelle
Analogien aufzeigen sollte. Diesen Ansatz kannte er schon von
Wyndham Lewis' Time and Western Man, wo Lewis - polemisch -
auf die Analogien zwischen Einsteins Relativitätstheorie und dem
Werk von Joyce verwiesen hatte. McLuhans Hauptbeispiel war nun
Plancks quantentheoretische Physik und Freuds Traumdeutung, beide
1900 veröffentlicht. Es ging dabei einfach um die Entdeckung von
analogen Durchbrüchen von Diskontinuitäten in jeweiligen Bereichen,
bezogen auf sein Paradebeispiel für das Zerbrechen der Kontinuität
des visuellen Raumes: den Kubismus.
Erst plante er eine Serie von Essays von tausend
Worten, dann sollten es eine Reihe von hochaphoristischen
hundertwortigen "groupings" werden. Dabei verfolgte er zwei
Linien. Die eine verlief entlang seinem uralten Glauben daran, daß
es keine eigentliche Kluft zwischen künstlicherischen und
wissenschaftlichen Unternehmungen gäbe, vor allem nicht im
zwanzigsten Jahrhundert. Die andere ging in die Richtung, daß
Künstler, anstatt von wissenschaftlichen Entdeckungen beeinflußt zu
werden, sie um mehrere Dekaden in den Mustern und Ansätzen ihrer
Werke vorwegnähmen. (240)
Zugleich begann er 1973 nach der Publikation von
Take Tody die Exemplare des Scientfic American bis
1900 durchzuwühlen, um unter dem Ansporn der Lektüre von Thomas
Kuhns The Structure of Scientific Revolutions diesmal nur
die wissenschaftlichen Durchbrüche aus dem zwanzigsten Jahrhundert
auszubeinen, nicht ohne dabei seine Freunde aus den Hard-Sciences
Arthur Porter und Hans Selye begehrlich anzuschauen. Kurz nachdem
der Canada Coucil einen Zuschuß von $50,000 abgelehnt hatte - McL
konnte sich die akademische Musterung seiner schwungvollen
Behauptungen und unsauberen Methodik gut als Manövertag vorstellen
- wurde das Projekt auf die lange Bank geschoben. (240)
Ein anderes Projekt stand unter dem Einfluß der
Formulierung des Falsifizierbarkeitsanspruches an wissenschaftliche
Theorien von Karl Popper und führte seit 1973 zu dem Versuch, das
zu formulieren, was er "laws of media" nannte. MacLuhan,
who had long been somewhat jealous of the prestige of science,
seized on the notion. He determined to cast his insights into a
form that would rise to the challenge of the falsifiable hypotheses
supposedly characteristic of the scientific world. He would
formulate scientific laws about the recurring dynamic of the
principal human artifacts . (241, nach
einer unpublished note)
Die Gesetze wurde zuerst während der
Zusammenarbeit mit Nevitt an Take Today formuliert und
sollten ursprünglich Teil dieses amorphen Werkes sein. Die ersten
beiden Gesetze waren ziemlich deutlich. Jedes bedeutendere Artefakt
verbesserte oder beschleunigte ein bestimmtes Produkt oder einen
bestimmten Prozess. Zugleich trat das zweite Gesetz in Kraft, nach
dem ein anderer Produkt oder ein anderer Prozess dabei hinfällig
wurde. Geld zum Beispiel beschleunigte den Warenverkehr und
entwertete zugleich den geldlosen Tauschverkehr. Aber erst die
folgenden Gesetze gaben McLuhans neuen Mediengesetzen ihre wahre
Originalität.
Das dritte Gesetz entsprang seiner Arbeit an
From Cliché to Archetype, wo er versucht hatte, den Vorgang
zu beschreiben, wonach jede größere technische oder
gesellschaftliche Innovation nicht nur gegenwärtige Artefakte und
Prozesse obsolet machte, sondern zugleich schon länger obsolete
Artefakte oder Prozesse zurückholte oder in einem retrieval
barg. In den Begriffen von From Cliché to Archetype
formuliert: Jedes obsolet gewordene cliché konnten vom
scrap heap of the past - also einem riesigen junkyard
oder Schrotthaufen an Vergangenheit - als Archetyp der Gegenwart
wiederbelebt werden. Money, for example, retrieved the potlatch
- that is, revived the spirit of conspicuous consumption.
McLuhans viertes Gesetz entwickelte sich aus einem
Prinzip, das er schon in seinen Artikel in Explorations
formuliert hatte: das Prinzip des Großen Musters des Seins, das,
wie er es in Understanding Media formulierte, "neue und
gegensätzliche Formen entwickelt gerade dann wenn frühere Formen
den Scheitelpunkt ihrer Leistung/performance erreichen."(241)
Das Gesetz besagte, daß jedes bedeutendere Artefakt an die Grenzen
seiner Potentials getrieben in etwa völlig Neues umkippte. Geld zum
Beispiel verwandelte sich in Kredit - thus,
MasterCard.(241)
So konnten nach diesen Mediengesetzen zu jedem
bedeutenderem Artefakt vier Fragen gestellt werden: was verbesserte
es, was machte es obsolet, was holte es zurück und in was kehrte es
sich oder kippte es um? In diesen Tetraden, wie McL das nannte, sah
er eine seiner größten Entdeckungen. Sie waren nicht ungeheuer
schwer zu verstehen und schienen doch endlose und fruchtbare
geistige Anwendungen zu ermöglichen.(241) Später ersetzte er
Archetyp und Klischee durch die Begriffe figure und
ground aus der Gestaltpsychologie.(248)
Auch das numerologische Muster war attraktiv. Die
tetradische Struktur erschien ihm der triadischen von Hegel
überlegen. In Hegels Triade sah er eine verstümmelte Form seiner
Tetrade, verkürzt um das dritte Gesetz, the law of
retrieval. Die Triade war ein Werkzeug für den 'visuellen'
Menschen, dem mehr an Schlußfolgerungen als an Verstehen lag; die
vier 'Prozessoren' der Tetrade ermöglichten eine Art von totaler
Wahrnehmung der Dinge. Sie wirkten nicht sequentiell in der Zeit -
etwa geschichtsphilosophisch -, sondern simultan und waren nur
simultan zu erfassen. Sie waren nicht logisch verkettet, sondern
wie die Teile einer Metapher auf einander bezogen in einer
lebendigen, vibrierenden ratio. Denn in der Tat hatte für
McLuhan jede Metapher eine vierteilige Struktur : A verhält sich zu
B wie C zu D.
Mit diesem Werkzeug in der Hand machte er sich nun
an eine endlose Anwendung, als ob es sich bei seinen Tetraden um
ein intellektuelles Allzweckwerkzeug handle. Jeder Besucher mußte
damit rechnen, zum Tetradenspiel aufgefordert zu werden. 1973 hatte
er 63 Anwendungen der Gesetze gesammelt. 1975 veröffentlichte er
McLuhan's Laws of the Media in der Zeitschrift Technology
and Culture. Kein Zweifel, er glaubte, einen unerschütterlichen
Boden gefunden zu haben. Die einzige Reaktion auf den Artikel war
ein Brief aus Pittburgh, Pensylvania, von einem, der sagte, er sei
Ingenieur und praktizierender Staatsanwalt.
Ernest McCulloch jedoch, damals Direktor des
Institute of Medical Science an der Universität von Toronto, war
von den Tetraden fasziniert. Als er die Universität verließ um
einer der führenden kanadischen Krebsforscher zu werden, rühmte er
McLuhans Tetraden als analytisches Werkzeug bei der Formulierung
einiger seiner neuen Erkenntnisse über Leukämie. Er bat McLuhan, an
seinem Krankenhaus ein Seminar zu halten. Dieser jubilierte: es war
auch der Beweis, daß Krebs ein menschliches Artefakt sei, so wie
Häuser oder Flugzeuge (242/43)
In den frühen Siebzigern erwachte auch sein alter
Traum wieder, seine Cambridger Dissertation umzuschreiben. Unter
dem Arbeitstitel From Cicero to Joyce wollte er seine frühen
Erkenntnisse zu Logik, Grammatik und Rhetorik erweitern und auf
alles anwenden, was er an Pound, Eliot, Joyce und anderen modernen
Künstler seit den Tagen seines Schwitzens in der Cambridger
Universitätsbiblithek unter der Anleitung von F.R.Leavis entdeckt
hatte. Dabei entwickelte er eine zweite numerologische Leidenschaft
für die Fünftheit der klassischen Rhetorik und alles, was fünf
Teile hatte, mußte an inventio, dispositio, pronunciatio, elocutio
und memoria glauben. (244)
Obwohl er konstitutionell keiner Depression fähig
war, wurde ihm mit der Zeit die Tatsache bewußt, daß keinens seine
Bücher seit Understanding Media seinen Ruf verbessert oder
Eindruck auf ein intellektuelles Publikum gemacht hatte. Das führte
er auf eine Art Unschärferelation zurück. Seine Bücher waren nicht
zum linearen Lesen und sequentiellen Verarbeiten geschrieben, sie
sollten durch Eintauchen zu einem Rearrangement oder einer
Umstrukturierung des Lesergeistes (oder seiner neuronalen
Bahnungen) führen. Beides schloß sich mehr oder weniger aus und
dessen war er sich bewußt.
So konnten ihm alerte und sympathische Interviewer
die effektivste McLuhanprosa entlocken. Deswegen suchte er immer
nach Mitarbeitern als Stimulatoren. Wenn er solche gefunden hätte,
zugleich mit hervorragenden editorischen Fähigkeiten, und ihnen
hätte vertrauen können, hätten seine späteren Bücher, meint
Marchand, anders sein können. Sollte er das Schicksal von Ezra
Pound und Wyndham Lewis teilen? Aber da sah er einen Ausweg: die
Zwei-Hemisphären-Theorie, linke Hirnhälfte, rechte. (245)
Mit der Zeit folgten die medientechnischen
Innovationsschübe einander in immer kürzeren Abständen. McL schien
nicht daran interessiert, die Implikationen der letzten
wissenschaftlichen und technologischen Vorstöße zu erforschen,
nicht einmal die des größten technologischen Wunders der Siebziger,
des Mikrochipcomputers. Computer waren für ihn interessant als
Speicher- und Retrievalgeräte, also als Teil der glücklichen
Jagdgründe für discarnate man. (253)
In dem ganzen Vortex von realen und hypothetischen
Aktivitäten hatte er sich immer mehr von seinen alten clerical
colleages am St.Michael's College abgehängt. Er fühlte sich
dort eher unter "spoiled priests" in a "rather stale and sick
atmosphere".(254) Am schlimmsten waren die Thomisten. Er war
der Meinung, daß diese mit einer oder zwei Ausnahmen ihren
St.Thomas gezielt falsch verstanden und so ihn, McL, daran
hinderten, den heiligen Thomas in die Reihen seiner Vorläufer
aufzunehmen. Würde Aquinas heute leben, erklärte
er, würde er bestimmt kein Thomist sein. Zur Erhärtung dessen
tauchte er immer wieder in die Summa Theologica ein und
demonstrierte überzeugend, daß McLuhan und St.Thomas auf der
gleichen Wellenlänge lagen. (255)
Seine Kommunikationstheorie, so beharrte er jetzt,
sei "Thomistic to the core". Dabei kam ihm ein Buch seines
nächsten Freundes unter den Thomisten, Pater Joseph Owen zu Hilfe.
"The cognitive agent itself", schrieb Owen dort, "becomes
and is the thing known." Das bestätigte McLs Idee, daß der
"Inhalt" eines jeden Mediums der Benutzer dieses Mediums
sei. (255)
Diese Formulierung hatte seit langem seine alte
Theorie in Understanding Media ersetzt, der Inhalt eines
Mediums sei ein anderes (der des Fernsehens z.B. der Film), [KM-»]
die sich dann ihrerseit zum dritten Mediengesetz, law of
retrieval, weiterentwickelt und schließlich in der
Grund-Figur-Konstellation aufgegangen war. [«-KM] Letztlich
verdankte er diese neue Formulierung weniger dem Thomas von Aquin
als seinen alten Cambridger Mentoren William Empson und I.A.
Richards, die ihn zuerst zu der Vorstellung geführt hatten, daß
Dichtung ihre Bedeutung weniger kommuniziere, sondern eher als
Störung wirke, die den Leser zwang, die Impulsmuster in seinem Kopf
zu rearrangieren. Diese Vorstellung führte auch zu seiner
Behauptung, daß die "Ursache" von Werken der Kunst und Philosophie
nicht so sehr ihr 'Autor' sei, als vielmehr das Auditorium oder
Publikum, das sie durch seine Reaktionen erschuf - auch das
Ergebnis einer weiteren Lektion aus seiner Cambridger Zeit, als er
Q.D.Leavis's Fiction and the Reading Public
las. (255)
Da gewann er 1975 neue Zuhörerschaft auf einem
Treffen der Leiter der interdisziplinären Zentren und Institute der
Universität. Der Abend war so convivial, daß man reguläre
Treffen des "besten Clubs in der Stadt" - so nannte man den Verein
- vereinbarte. McLuhan fehlte dort selten; auf seine Jokes und
prefab interpretations bekam er dort Argumente zu hören und
überhaupt wurden seine Ideen mit einer gewissen solidarischen
Toleranz aufgenommen, da alle diese Institutsleiter im Grunde
Unternehmer waren, die ihre kleinen Enklaven am Laufen halten und
nach Subventionen fischen mußten. (255)
Im Best Club wurde in interen Geprächen
eine uralte Frage debattiert: was McLuhan a phony or was he for
real? DIE FRAGE WAR UNENTSCHEIDBAR. Man einigte
sich darauf, er sei ein Rätsel. Bei seinen außerordentlichen
Erfolgen jenseits der Mauern der Universität und auch seines
Heimatlandes mußten an seinen percepts, seinen ikonischen
Sätzen und seinen vortices von Ideen etwas dran sein. -
What Is If He Is Right? Zum Beispiel Watergate. Da war er in
Höchstform. Der Skandal hatte seine Ursachen in dem Konflikt
zwischen der neuen 'akustischen' und der alten druckorientieren
Technologie. Das war wie immer die Grundmasche. Daraus wurde dann:
Verwanzung und Tonspeicherung verstärkten die orale, arkane oder
secretive Sphäre der Nixonadministration, die nun mit
finsterm Gesicht aus ihrem dämmrigen Dunkel in die Sichtbarkeit von
gedruckten Abschriften (von Tonbändern) übersetzt worden war. Nixon
selbst war mit seiner Anwaltsmentalität und seinen spezifischen
Zielen und Standpunkten angesichts der neuen 'akustischen'
Technologie verloren. Seine verzweifelten Gesten, mit denen er im
Fernsehen auf die Transkripte, wies waren wie die des Bruders des
Seemannes in Poes A Descent into the Maelstrom, der sich an
sein Schiff klammerte, um mit ihm im Studel zerschmettert zu
werden, statt sich durch detachiertes Studium der
Wirbelverhältnisse zu retten. (257)
McLuhan hatte 1973 beobachtet, daß die alte arkane
und konfidentielle Methode des hatching plots unter
verbündeten Politikern unter den Bedingung des elektronischen
Zeitalters unmöglich geworden war, wo Informationen mit
Lichtgeschwindigkeit außerhalb jeder Kontrolle zirkulierten. [KM-»]
Das Ergebnis war paradox. Alles war jetzt geheim und lag zugleich
offen zutage. Informationslecks waren 'systemisch' und Geheimbünde
waren obsolet geworden, indem die Informationsgesellschaft selbst
zum Geheimbund geworden war, wo jeder eingeweiht war, ohne zu
wissen, worin das Geheimnis bestand.[«-KM]
Privat sah Watergate allerdings für McL so aus,
daß CIA und FBI sich möderisch bekämpften und der KGB der lachende
Dritte war. Seit den Vierzigern wußte er, daß Politik ein Zweig des
Showbusiness war. In Watergate sah er eine rituelle Degradierung
von Stammeshäuptlingen, die zum Entzücken der Fernsehzuschauer ins
Programm aufgenommen worden war. Ähnlich sah er die Warnungen des
Club of Rome. Als er 1973 dessen prominentesten Sprecher Aurelio
Peccei traf, erzählt er er ihm, daß die düsteren Voraussagen von
globaler Nahrungs- und Rohstoffverknappung von den Medien mit
Leichtigkeit absorbiert würden, da diese eine Menge schlechter
Nachrichten benötigten, um die guten - Reklame - verkaufen zu
können. Globale Ölverknappung zum Beispiel sollten lediglich die
Ärmeren trösten, daß auch sie, die keinen BMW fahren konnten, ihn
nicht mehr fahren konnten. Nur wirklich Gute Botschaft - also
evangelische - war wirklich erregend. Peccei reagierte ohne
Erregung auf diese Botschaft. (257)
McLs Versuche, an Unternehmungen teilzunehmen, die
der Allgemeinheit dienten, waren nicht glücklicher. Als Berater für
die Pontifical Commission on Communications mußte er mitansehen,
daß diese Kommission nicht einmal Telephonkonferenzen kannten,
sondern mühselig Dokumente und Entwürfe zirkulieren ließ. Schon die
1968 von Lyndon Johnson gegründete Presidential Commission on the
Causes and Prevention of Violences hatte er mit dem Vorwurf
bedacht, ihre ganze Arbeit darauf zu richten, möglichst nichts zu
begreifen.
Und die Projekte sprossen weiter. 1976 hatte er
A Chorus Line gesehen. Nun sollte wieder ein Musical
entstehen, auf dem die Medien als Tänzer aufträten und sich dem
Publikum erklärten. Fernsehen zum Beispiel könnte erklären, wie es
Baseball zerstörte und mittelst dinstant replay
wiederbelebte. Ein anderes Broadway-Ereignis war 1976 sein Auftritt
in Woody Allens Annie
Hall, wo er seine bevorzugten rhetorischen Techniken bei
Erledigung von Zwischenrufern demonstrieren sollte.(258) Der Film
war a good PR move for McLuhan und fixierte sein Bild in
Zuschauerköpfen für lange Zeit. (260)
Einige Wochen später diskutierte er auf NBC-TV die
erste Carter-Ford Debatte. Er hatte sich bei ihrer Beobachtung auf
die Körpersprache konzentriert. Carters Sieg erfüllte ihn mit
Entzücken, denn Carter war ein religiöser Mensch und seine Wurzeln
im Süden hatten einen sentimentalen Reiz für McLuhan und seine
Frau. All die alte Begeistung für den chevalresken und rhetorisch
befähigten Südstaatler kam wieder hervor, obwohl jetzt in
Hemisphären-Terminologie formuliert: Der Süden war rechtshirnig,
der Norden links. Auch sah McL in Carters Wahl einen Schritt in
Richtung auf die Wahl eines schwarzen Präsidenten. (260)
Daß André Malraux ihm ein Exemplar seines neuesten
Buches, La tête obsidienne mit einer schmeichelnden Widmung
schickte, konnte das Schwinden seines Ruhms nicht überdecken. Auch
wenn er behauptete, froh zu sein, daß der Medienrummel um ihn
abflaute, beklagte er doch seine immer schlechtere Presse. Den
Gipfel setzte ein Australisches Blatt zu seiner Ankunft auf dem
Kontinent Juni 1977: "Media mystagogue Marshall McLuhan, wearing
reading glasses to hide a black eye and claiming the clicking
sounds of the press cameras were forcibly punctuating his talking,
said yesterday unemployment did not exist." (260) Neil Postmans
frühere Begeisterung schwand nach einem Vortrag McLuhans bei der
Entgegennahme von NYU's Creative Leadership in Education Award,
1977. McL hatte wie oft seit längerer Zeit sein Gehirndiagramm
aufgehängt und nach einer Stunde noch immer nichts dazu
gesagt.
Die Realität war, daß seine physischen und
vielleicht sogar geistigen Kräfte zermürbt waren. Sein Körper, den
er so gnadenlos durch sein Leben gejagt hatte, begann
zurückzuschlagen. Ein leichterer Schlaganfall schon früher (259),
jetzt eine Herzattacke; aber er haßte es, speed-up zu
bremsen. (261) Immer mehr Buch- und andere Projekte, so Art as
Survival in the Electric Age, ein Buch, an dem er nie
arbeitete, und ein Versuch, den kalifornischen Gouverneur Jerry
Brown nach einem langen Gespräch von der Notwendigkeit einer
Rationierung des Fernsehens zu überzeugen. (262)
1977 lieferte er einen weiteren Beitrag, die
fatalen Auswirkungen der elektronischen Technologie auszugleichen,
indem er ein Textbuch, City as Classroom zusammen mit seinem
Sohn Eric und einer jungen Lehrerin namens Kathryn Hutchon
herausbrachte. Dieses letzte zu seinen Lebzeiten publizierte Buch
führte seine Karriere wieder zu ihren Ursprüngen zurück, zurück zu
dem Buch von F.R.Leavis und Denys Thompson, Culture and
Environment. Dieses Werk, auf das er sich als junger, frisch
aus Cambridge zurückgekehrter College-Lehrer gestürzt hatte, war
ein Versuch gewesen, das Schulsystem zum Prophylacticum gegen die
Effekte von Reklame und Bestseller zu reformieren. City as
Classroom nun sollte die Effekte der elektronischen Medien
lindern indem High-School-Studenten zu schärferer Wahrnehmung ihrer
Umwelt vor allem in den Städten - ihren eigentlichen Klassenräumen
- geführt wurden. McLuhan wollte diese Studenten in Mitspürhunde
verwandeln, die ihre Umgebung sondierten und erforschten, um
Hinweise auf die Natur ihrer Zeit zu finden. In Straßenlampen und
Autos sollten sie Welten von Bedeutungen finden lernen. (263)
Mit diesem Buch hoffte, er radikalen Pädagogen wie
Ivan Illich eine Lektion zu erteilen. Die Schulen sollten nicht
verschrottet werden, sondern in ihnen sollte die wirkliche
Erziehung, die die Kinder durch die Medien erhielten, untersucht
werden. Das Buch verschwand nach seinem Erscheinen im Nirgendwo.
Nur wenige Erzieher hatten auch nur davon gehört, selbst als es
1980 in den USA erschien. Media, Messages & Languages: The
World as Your Classroom. (264)