Mit der Rückkehr an die St.Louis Universität 1940
begann für McL die in gewisser Hinsicht trübste Periode seines
akademischen Lebens. Je mehr er in die Welt der alten Rhetorik und
Grammatik eintauchte, desto allumfassender wurden seine
Perspektiven, denn er hatte keinen speziellen Sinn für
Spezialisierung und ein Descent into the Maelstrom war nicht
eingrenzbar.(57). Statt dessen begann er, auf Studenten als
Mitarbeiter zurückzugreifen, eine Praxis, die er sein Leben lang
fortsetzten sollte.
Also arbeitete Maurice McNamee S.J. an einer
Dissertation über Francis Bacon, denn Bacons Texte waren durch und
durch rhetorisch und aphoristisch geprägt. Als prägnante und
schlaglichtartige Formulierungen aber, die sich nicht selbst
explizierten, sondern, unabgeschlossen, diskontinuierlich und
suggestiv wie sie waren, den Leser zu eigener Vervollständigung und
Schließung oder im Sinne Richards zu einer Restrukturierung von
aufgestörten Nervenimpulsen herausforderten, glichen Bacons
Aphorismen in ihren Effekten den McLuhanschen "percepts". So
war McLuhan seinen Doktoranden kein Vater sondern, indem er sie als
gleichberechtigt ansah, ein Bruder, der sie bei ihrer Arbeit
anleitete, indem in ihr Zimmer trat, sich auf ihr Bett warf und
über seine eigene Dissertation sprach - so McNamee im Interview mit
Marchand. Und Reden war ihn McL Forschungsarbeit. "I'm feeling
around, not making pronouncement. Most people use speech as a
result of thought, but I use it as the process" erklärte er
1966 einem Interviewer von Life. (58)
Wer McLuhans Interesse gewinnen wollte, mußte ihn
anmachen können, und das war leichter mit einer interessanten
Beobachtung über die Verkaufstechnik von Gebrauchtwagenhändlern
than by trying to make some important intellectual point
(58), vor allem wenn dieser Punkt McLs eigenen Ideen glich. So
hatte gewöhnlich ein Gesprächspartner dreißig Sekunden Zeit, bis
sich entschied, ob ihm entweder das Wort abgeschnitten wurde oder
ob er zuende reden konnte. Das jedoch hing sehr von dem level of
energy des Redners ab.
Auch die Dissertation von Walter Ong über Gerald
Manley Hopkins förderte McLuhan, indem er mit ihm über seine
eigenen Ideen sprach. So bestand sein Beitrag in nicht mehr als in
seiner Unterschrift unter das Abschlußdokument. Gleichzeitig aber
hatte er Ongs Interesse an eine Thematik gefesselt, die diesem das
Material für den Beginn seiner langen und ausgezeichneten
Gelehrtenlaufbahn lieferte. [KM-»] McL selbst hatte sie in Perry
Millers großem Werk über den Puritanismus gefunden.[«-KM] Es
handelte sich um einen obskuren Renaissance-Theologen namens Peter
Ramus. Dieser war ein großer Förderer der Dialektik und Logik gegen
die rhetorische Tradition von Nashe, Bacon und Cicero gewesen. Ihm
widmete Ong eine jahrelange Forschungsarbeit, die 1958 in seine
klassische, in McLs Gutenberg Galaxy von 1962 reichlich
zitierte Arbeit Ramus, Method, and the Decay of Dialogue
mündete. Während seiner Arbeit hatte Ong die für die Gutenberg
Galaxy entscheidende These entwickelt, daß die abendländische
Kultur während der Renaissance von einem primär auditiven Modus der
Realitätswahrnehmung zu einem primär visuellen übergegangen sei,
und daß die Erfindung des Buchdrucks diesen Übergang ausgelöst
habe.(59)
Neben Kursen zur Literatur der Renaissance lehrte
McLuhan Leavis-style Culture and Environment studies and
Richards-style Practical Criticism. Praktische Literaturkritik
bedeutete, daß die Studenten Gedichte ohne Autorangabe erhielten
und sie anonym auswerten mußten. Die darauf folgende Besprechung
der Ergebnisse gab Material für die Untersuchung der Methode, mit
der Gedichte ihre Effekte bei Lesern durchsetzen konnten, denn die
Studenten waren den Gedichten ausgesetzt, ohne in ihr Wissen um die
Biographie des Dichters oder in eine Ahnung dessen, was der Dichter
uns sagen will, ausweichen zu können.(59) McLuhan sah sich dabei
als Pionier in der Einführung der Techniken literarischer Analyse
von Richards, Empson und Leavis in den USA.
Mit der Zeit und nachdem der Reiz innovativer
Lehre etwas abgestumpft war, bekam McL doch den niedrigen Status
seiner Arbeit zu spüren, gerade weil er trotz seiner frühen
giftigen Ausfälle about the professoriate (60) sich niemals
zu etwas anderem als zu Unterricht und Lehre berufen fühlte. Also
low pay and lack of prestige (60), [KM-»] oder wie Tom Wolfe
1968 in What If He Is Right über den amerikanischen
Literaturprofessor überhaupt schreibt, ein Volkswagen, eine zu
kleine Wohnung, und holzverdübelte dänische Möbel aus dem Kaufhaus
. [«-KM]

1942 wurde Eric als erstes Kind geboren. Sein
Heranwachsen wurde eine unerschöpfliche Quelle von Rätseln, Ärger
und Ratlosigkeit: wie mit dem hyperaktiven Kind fertigwerden? Ein
Fliegengitter auf das Kinderbett schrauben? Und dann kam Eric ins
Medienalter. McLuhans Hauptsorge war, seine Kinder von dem Einfluß
der Medien abzuschotten. Als er entdeckte, daß die Muller-Thym
Kinder freitagsabends aufblieben, um The Inner Sanctum zu
hören (eine Radioserie mit Schauerdramen), bot er ihnen einen
Nickel für jede Woche, die sie sich der Sendung enthielten. Als
Großvater riet er seinem Sohn Eric, die TV-Zeit seiner Tochter
einzuschränken, denn, so schrieb er ihm, TV was a "vile drug
which permeates the nervous system, especially in the young."
Eine Stunde pro Woche wäre mehr als genug.(61)
Als die Kinder älter wurden, setzte er als
Gegenmittel gegen den Medieneinfluß auf mehr oder weniger
erbauliche Gespräche am Mittagstisch, oder er versuchte, die Kinder
in seine Arbeit einzubeziehen, indem er sie um drei oder vier Uhr
morgens aufweckte, daß sie einen seiner gerade erfolgten
"Durchbrüche" zu Papier brächten. Ein weiteres Heilmittel bestand
darin, sie zu dieser frühen Stünde aus den Betten zu holen, um sie
an seiner Bibellektüre in vier Sprachen teilnehmen zu lassen.
Zu dieser Zeit stieß er auf eines jener Themen,
die ihn bis zur Erschöpfung Monate und Jahre besetzen konnten. Das
Thema bezog sich auf den Cartoon-Charakter Dagwood Bumstead. In
McLuhans Sicht war Dagwood das Vorbild einer ganzen Generation
amerikanischer Männchen und hoffnungloser Trauersäcke, die von
ihren viel lebentüchtigeren und härteren Frauen beherrscht wurden.
Er studierte diesen Comic im Rahmen seiner Kultur- und
Environment-Forschungen, um Beweise für seine zentrale Überzeugung
zu finden, daß die moderne kommerzielle Zivilisation das
traditionelle Familienleben und den traditionellen Männerstolz
zerstört habe. In voller Entfaltung und Brillianz präsentierte er
dies Thema später in der Mechanical Bride. 1974 noch
erzählte er einem Interviewer, eine Frau könne allen Einfluß
erreichen, den sie wolle, ohne jemals ihren Lehnstuhl zu
verlassen.(62) Darin lag auch ein guter Teil Selbstanalyse. Denn in
Abwesenheit von seiner Frau lief er manchmal, so Marchand, ohne
Socken herum, aß von anderer Leute Teller oder bewahrte ein altes
Stück Käse in seiner Aktentasche auf. Es war als ob er den alten
Verdacht von Frauen bestätigen wollte, daß ihre Männer in ihrer
Abwesenheit zu Schweinen degenerieren. Karriereprobleme ergaben
sich auch daraus, daß der cambridgestolze Chairman des
Englisch-Departments McCabe S.J. durch einen in der Oxforder
philologischen Tradition aufgewachsenen Wissenschaftler ersetzt
wurde. Norman J. Dreyfus legte viel Wert auf wissenschaftliche
Korrektheit und konnte wenig mit McLuhan anfangen, der manchmal
schrieb und redete, als ob für ihn Faulkers Dictum gelte, daß
Fakten und Wahrheit nicht viel miteinander zu tun hätten. Als
Dreyfus McL die Erlaubnis verweigerte, in seinen Seminaren ein
Literaturtextbuch zu benutzen, das er aus einer Kombination von
Leavis, Richards und seinen Trivium-Studien zusammengestellt hatte,
verfestigte sich die Feindschaft. Auch hatte der Eintritt der USA
in den Zweiten Weltkrieg in den Vierzigern Auswirkungen auf das
akademische Leben in St.Louis. Nach dem Angriff der Japaner auf
Pearl Harbor mußten die Mitglieder den English-Departments in
Quonset-Hütten Krankenschwesteranwärterinnen im Verfassen von
Reports unterrichten. Die Lehrverpflichtung stieg von elf bis zwölf
Stunden pro Woche auf sechzehn.
Keinen Augenblick empfand McLuhan irgendeine
Begeisterung für die Kriegsziele der Alliierten. Nicht nur waren
diese durch die Kriegsteilnahme der Sowjetunion kompromittiert,
sondern der Krieg würde unausweichlich die mechanische Organisation
der Gesellschaft und die unheilige Allianz von Industrie und
Wissenschaft zur weiteren Versklavung der Menschheit fördern. Der
Krieg hatte für McL nichts zu tun mit den vier Freiheiten
Roosevelts oder Churchills. Es war für ihn einfach, wie ein Freund
sagte, "a joy ride to inferno."
So begann er, auch um nicht eingezogen zu werden,
nach einem Ausweg zu suchen. Schließlich erhielt er Dezember 1943
seinen Cambridge Ph.D. und konnte eher nach einem Job in Kanada
Ausschau halten. Seine Dissertation hatte er schließlich in aller
Eile beendet und die letzten siebzig seiten handschriftlich an
F.P.Wilson geschickt. The Place of Thomas Nashe in the Learning
of His Time umfaßte 456 Seiten und bestand hauptsächlich in
einer Darstellung des Trivium und seiner Funktion in der Literatur
vom antiken Griechenland bis zur Zeit von Nashe. Wilson war
beeindruckt und schrieb McLuhan, daß er von der Arbeit mehr gelernt
habe, als von jeder anderen, die er gelesen hatte. Sie befasse sich
auf hochoriginelle Weise sich mit Fragen, die bis dahin noch nie
untersucht worden waren.
Es war nun nötig, durch Veröffentlichungen in
renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften seine Jobsuche zu
fördern. Francis Bacon's Patristic Inheritance basierte
weitgehend auf seiner Dissertation. Eine Veröffentlichung im
Journal of the History of Ideas wäre ein Coup gewesen, wurde
aber abgelehnt. Man wahr deutlich unbeeindruckt von der Bedeutung
des Triviums und empfahl McLuhan nicht nur, sich mehr auf Bacon zu
konzentrieren, sondern die konfuse Struktur seines Aufsatzes zu
verbessern. Der Ratschlag kam zu spät. McLuhan war schon in ein
weitaus größeres Spiel eingestiegen als es die Entwicklung einiger
origineller Einsichten zu Francis Bacon darstellte. Er wollte eine
umfassende Vision der abendländischen Kultur entwickeln. Auch
steuerte sein Stil, nachdem Leavis ihn von den letzten Spuren
Chestertons gereinigt hatte, irreversibel in die Zonen starker
Kompression und elliptischer Referenzen, die charakteristisch für
sein späteres Werk waren.
Im Laufe der Vierziger interessierte er sich
zunehmend für Ezra Pounds kritische Prosa und fand in ihr ein
Muster an Luzidität. Er glaubte, daß ihre Kraft und Intensität den
Mangel an dem, was er "dialectic and persuasive charm"
nannte, also an klarer, linear verketteter Struktur und glatter
Prosa des traditionellen geschliffenen Essays, voll wettmachen
würde. Seine Gedanken sorgfältig in klaren Linien zu entfalten und
die Bedeutung sämtlicher Anspielungen und Bezugnahmen explizit zu
machen nannte er verächtlich "tatting" oder
Frivolitätenarbeit, als ob das eine Art von pingeliger
Spitzenklöppelei und eines robusten Geistes nicht würdig
sei.(65)
So wurde Dagwood's America 1944 in
Columbia veröffentlicht. Das war eine Zeitschrift der
Columbusritter und die waren eine katholische
Bruderorganisation(65). Darin verwies McLuhan auf Dagwoods
kindische und ineffektive Nullität und Blondies lebenstüchtige
Überlegenheit als Beweis dafür, wie weit Amerika in den letzten
Jahren feminisiert worden sei. "Blondi and her chidren own
America, control American business and entertainment, run hog-wild
in spreading maternalism into education and
politics."(65)
Wie dem auch sei, jedenfalls war McLuhan der
Ansicht, daß die traditionelle Ordnung, in der der Mann eine
rationale Form von Autorität innehat und darin von der Frau
emotional unterstützt wird, in der Moderne umgeworfen worden sei.
Die einzige Heilung für Dagwood war die Forderung nach dem
"detached use of autonomous reason for the critical appraisal of
life", das hieß in anderen Worten, die vereinigten Geister von
St.Thomas und F.R.Leavis anrufen and to engage in "hearthy and
fructifying work," that is, to give Mr. Dithers his notice and sign
up in the wheelwright's shop that Leavis so admired in "Culture and
Environment". (65)
In einem römisch-katholischem Magazin zu
veröffentlichen, war riskant für einen katholischen
Intellektuellen, der noch keinen Namen hatte und so die Ausweitung
seines Wirkungskreises schon am Beginn seiner Mission zunichte
machen konnte. Besser war es, wie der kommunistische Gegner als
eine Art Maulwurf die akademische Welt zu unterwühlen, swaying
minds that might be repulsed if one's affilation were made
obvious.(66) Und McLuhan wollte die Geister aufrütteln. Er
hatte die Vision, Dagwood's America zu einem Buch
auszuweiten, das er versuchsweise Sixty Million Mama's Boys
nannte. Das wäre ein Hit im Genre einer "impudent" pop
sociolgy gewesem nach dem Vorbild der Bestseller-Attacke auf
den 'Momismus'von Philip Wylie, Generations of Vipers, 1942,
wenn auch tiefgreifender. Ein alternativer Titel war Typhon in
America und beschwor das aus der Erdmutter geborene Ungeheuer,
das von Vater Zeus vernichtet wurde.
So wie McLuhan in Sixty Million Mama's Boys
und mit dem Dagwood-Thema die alles durchdringende und zersetzende
Feminisierung Amerikas aufspürte, so hatte er damals offen und
versteckt eine chronische Witterung für Homosexualität aufgenommen
und dazu ein Rudel von "sleuths" um sich versammelt:
McLuhans Mitstreiter Felix Gionavelli schrieb ihm über Gershon
Legman, der (wie Giovanelli) selbst in allen Bereichen von
kultureller Bedeutung Homosexualität am zersetzenden Werk sehe, und
empfahl ihn als Verbündeten für eine notwendige Kampagne zur
Aufklärung der Öffentlichkeit. Auch hatte der Maler, Schriftsteller
und spätere Freund McLuhans Wyndham Lewis in The Diabolical
Principle von 1931 den "Homosexuellenkult" direkt auf eine
feministische Revolte zurückgeführt. McL kannte das Buch. [KM-»] Im
gleichen Jahr war Lewis' Buch Hitler erschienen, wo Berlin
im "high-volted light-bombardment from all sides" als die
"Hauptstadt of Vice, the excelsior Eldorado of a sexish
bottom-wagging most arch Old Nick sunk in a costly and succulent
rut"
apostrophiert
wurde. "BERLIN - its western Babylon - is as everybody
knows the quartier-général of dogmatic Perversity - the Perverts'
Paradise, the Mecca of both Lesb and So." Die
Nationalsozialisten würden sich nicht direkt davon provozieren
lassen. "Pink-clothed back-sides are not their political
quarry" , denn sie wußten:
"T h e B a n k
i s m o r e
i m p o r t a n t
t h a n
t h e
B a c ks i d e". Aber der junge
germanische Politiker von heidnischer Gesundheit und "natural
teutonic coarseness and realism" wird früher oder später an der
Spitze oder inmitten seiner Sturmabteilung stehen, "to roll this
nigger-dance luxury spot up like a verminous carpet, and drop it
into the Spree -with a heartfelt 'Pfui!' at its big sodden
splash"
[«-KM]


Schon in Cambridge hatte McLuhan der
"Homosexuellenkult" entsetzt, und sein Leben lang bewahrte er den
Abscheu des stright-laced Methodist child gegenüber
homosexuellen Tendenzen. Später behielt er seine Meinung sorgfältig
für sich selbst, aber in den Vierzigern wurde dieser Abscheu zu
einem bedeutsamen Motiv seiner Sozialkritik. Er fürchtete, daß
Homosexualität sich wie eine Infektion ausbreiten würde angesichts
solcher Entmannung, wie sie Blondie an Dagwood vor den Augen ihrer
Kinder Cookie und Alexander verübte. So war Homosexualität laut
einer Notiz McLs aus jener Zeit die Hauptbedrohung der
zeitgenössischen Moral.
Die Öffentlichkeit mußte von dem großen
Sittenverfall erfahren und sein Essay Is Postwar Polygamy
Inevitable wurde Esquire angeboten: die steigende
Scheidungsrate, sexuelle Promiskuität, Kinderadoption und
künstliche Befruchtung hätten die Monogamie der Aura der Heiligkeit
entkleidet. Auch würden durch die Dynamik des industriellen und
kommerziellen Lebens Frauen und Männer auf den Status von
Lohnsklaven und Verbrauchern reduziert, woduch die traditionelle
monogame Familie ein ökonomischer Luxus wurde. Die Männer konnten
nicht länger in stolzer Unabhängigkeit ihre Familien unterhalten;
die konstitutionell folgsamen, unkritischen und
routine-loving Frauen würden die Führung in Handel,
Industrie und Regierung übernehmen und nach Art primitiver Stämme
kollektiv eine Klasse von männlichen Faullenzern und Kriegern
ernähren.(66/67)
Esquire
lehnte ab.

McLuhans erfolgreichste Essays jener Zeit waren
die, in denen er die Kultur-und-Environment-Linie seiner
Sozialkritik mit dem Trivium-Thema verband. Edgar Poe's
Tradition, 1944 in der Sewanee Review veröffentlicht,
stellte Poe in die Rhetoriktradition Ciceros und der
Renaissance-Humanisten, die McLs Ansicht nach im amerikanischen
Süden Wurzeln geschlagen hätten. Aus dieser "Southern
Quality" habe Poes kosmopolitische und aristokratische
Gesinnung, der hohe Standard seiner Literatur und sein Ideal einer
von Männern mit umfassendem Wissen, politischem Können und
tiefwirksamer Beredsamkeit geführten Gesellschaft Nahrung
erhalten.
Diese Position baute McLuhan in einer Reihe von
Artikeln für die Sewanee Review über die nächsten Jahre aus.
In The Southern Quality trat zum Renaissancehumanismus und
der Rhetoriktradition ein auf Landwirtschaft beruhendes communal
living nach aristokratischen Maßstäben und bildete einen
Brückenkopf gegen die nordamerikanische Zivilisation und vor allem
gegen die Tradition Neuenglands, die sich auf Dialektik,
utilitaristische Logik und eine kommerzialisierte,
industrialisierte und von einen agressiven Idividualismus
durchsetze Lebenform stützte. Der mit dem Namen Jefferson
assoziierte 'Wert des Südens' umfaßte viele der Qualitäten, die McL
später als 'akustisch' bezeichnete, die Tradition des Nordens
dagegem solche, die demgegenüber 'visuell' genannt wurden.
In Footprints in the Sand of Crime zitierte
er Edgar Allan Poe's Dupin, Sherlock Holmes, Lord Peter Wimsey und
andere berühmte Spürhunde als Prototypen der gelehrten
Gentlemen-Tradition Ciceros und der Renaissance-Rhetoriker und
-Humanisten. Die Genealogie des Spürhundes führte auf
aristokratische Dandies vom Schlage Byrons und Baudelaires
zurück.
In diesem Artikel wurde auch aus E.A.Poes A
Descent into the Maelstrom die - in gewisser Hinsicht
messianische - Technik des 'Abstiegs' entwickelt, in der McLuhan
bis zum Ende seiner Karriere ein Meister blieb. Die
(Selbst)Errettung des von einem riesigen Meeresstrudel erfaßten
Seemanns durch kühle Beobachtung und Berechnung der
Strömungsverhältnisse wurde für ihn neben dem sleuth zum
Symbol seines eigenen Werkes als einer Befreiung aus dem Vortex der
industriellen Revolution durch "detached observation" und
"inclusive awareness" - so einige seiner Schlüsselbegriffe.
Daß bei Poe der Absteiger nach seiner Rettung an Geist und Körper
gebrochen war, wurde dabei übergangen.(68)
Diese brillianten und stimulierenden Übungen in
social and cultural criticism erschienen alle in der
Sewanee Review. Hier hatte McLuhan ein anerkanntes und
wohletabliertes Publikationsorgan gefunden und in dem Herausgeber
Allen Tate das erste offene Ohr außerhalb seines unmittelbaren
Umkreises. Unter Tate vertrat das Blatt viele von seinen eigenen
Interessen: New Criticism, Respekt vor der schwindenden agrarischen
Tradition des Südens und Widerstand gegen das abstrakte und
utilitaristische Ethos der modernen Zivilisation.
Je mehr Artikel er in der Sewanee Review
und in der geistesverwandten Kenyon Review veröffentlichte,
desto bekannter wurde er als ein Junior-Mitglied der Southern
Agrarian/New Criticism axis der Tate, Ransom, Cleanth Brooks,
Robert Penn Warren und anderer. Als Tate von seinem
Herausgeberposten zurücktrat, wurde McLuhan neben einem anderen
Kandidaten als Nachfolger genannt und als "einer von uns"
empfohlen.(68)
Bis dahin hatte McLuhan außer Klagen über die
Auswirkungen der Mechanisierung des modernen Lebens wenig über
Medien und Technologien geschrieben. In St. Louis jedoch stieß er
auf Technics and Civilization (1934) von Lewis Mumford. Dort
hatte Mumford radikal ein erstes hochmechanisiertes Stadium der
Industrialisierung auf Dampfkraftbasis von einem zweiten
organischen auf Elektrizitätsbasis unterschieden. In diesem zweiten
Stadium wurde durch Telegraph und Telephon eine unmittelbare
weltweite Kommunikation möglich. Mumfords Vision einer von einem
Kommunikationsnetzwerk zusammengehaltenen Welt lag nicht weit
entfernt von McLuhans späterer des 'Globalen Dorfes'. Mumford sah
in der Verbreitung der Elektrizität die Hoffnung auf Umkehr. Die
Gesellschaft würde wieder dezentralisiert werden, die großen Städte
und Fabriken würden zergehen und die elektrische Restauration würde
wieder eine Art ländlichen, gemeinschaftsorientierten und
handwerklichen Lebens ermöglichen.
Trotz seiner Sympathien mit der agrarischen und
artisanalen Mentalität verdächtigte McLuhan Mumford der Vision
einer pastoralen Utopie im Stile Rousseaus mit kleinen verkabelten
Dörfern, die in glücklicher Anarchie lebten. [KM-»] Mumford
seinerseits sah später in Der Mythos der Maschine in McLuhan
den Vertreter einer zynischen Übermechanisierung der Menschheit
durch elektronische Medien. [«-KM] Dennoch konnte McL Mumford
nützliche Hinweise entnehmen. So sah Mumford in Technics and
Civilisation in der Druckerpresse den Prototyp für die
"vollständig standardisierten und austauschbaren Teile"
eines mechanischen Artefakts und in ihrer Ausbreitung die
Zerstörung des "Gleichgewichts zwischen dem Sinnenhaften und dem
Geistigen, zwischen Bild und Ton, zwischen dem Konkreten und dem
Abstrakten, das in gewissem Ausmaß in der mittelalterlichen
Zivilisation erreicht worden war". (zit 69)
Zugleich war McLuhan zu Kriegsbeginn in St.Louis
dem schweizer Architekten Sigfried Giedion begegnet. Giedion
bestätigte McLs Verdacht, daß Reklame ein weitaus größeres
Interesse verdiene als der größte Teil der 'ernsten'
Gegenwartsliteratur. Giedion konnte, so McL in einem Brief von
1971, aus einer einzigen Reklame oder einem einzigen Artikel eines
Kaufhauses die Geheimnisse einer ganzen Gesellschaft
entziffern.
Giedions Mechanization Takes Command wurde
noch vor McLs Auszug aus St.Louis publiziert und war ihm während
seiner ganzen Karriere ein ständiger Quell. Giedion untersuchte
dort die breite Palette zerstreuter menschlicher Artefakte des
Industriezeitalters - Badezimmerinstallationen des Neunzehnten
Jahrhunderts, Marcel Duchamps Gemälde Nude Descending a
Staircase und eine Chikagoer Fleischkonservenfabrik -, um an
ihnen das Eindringen der Mechanisierung in die Tiefen des
menschlichen Lebens und des Organischen überhaupt aufzudecken. So
zeigte sich, wie fundamentaler technologischer Wandel alle Aspekte
des menschlichen Lebens ergriff und wie umgekehrt aus jedem
zerstreuten Artefakt der Industriekultur, wie unbedeutend es auch
sein mochte, ein Funke befreit werden konnte zu dem Neuen Muster
des Lebens, das sich ebenso in Philosophie, Reklame und den
exaltiertesten Kunstformen verhieß. (69)
Zwischen 1944 und 1946 arbeitete McLuhan an
mehreren nie vollendenten Projekten: an Sixty Million Mama's
Boys, eine buchlange Arbeit über Poe auf der Basis seiner
Sewanee Review Artikel, an einer Revision seiner
Dissertation für eine mögliche Publikation und an From
Machiavelli to Marx: A Study in the Psychology of Culture.
Inspiriert von Karen Horneys psychoanalytischer Arbeit The
Neurotic Personality of Our Time wollte er in letzterem Essay
dartun, wie ein möglicher umfassender "nervous breakdown"
der abendländischen Kultur ein "breakthrough" zu einer
Erneuerung der Gesellschaft im Lichte der Prinzipien rechter
Vernunft sein könne. Schließlich begann er an dem Buch zu arbeiten,
das schließlich als The Mechanical Bride bekannt werden
sollte - das einzige der Projekte jener Zeit, das er jemals
vollendeten sollte.(70)
In sein letztes akademische Jahre an der St.Lous
Universität, 1943-44, fiel nicht nur der Beginn seiner öffentlichen
Laufbahn als Kulturkritiker, sondern auch eine der
bemerkenswerteren Episoden seines Lebens: der Beginn der seiner
Freundschaft mit dem englischen Maler, Novellisten und Kritiker
Wyndham Lewis. [KM-»] Aus dieser Begegnung wie aus der etwas
späteren mit Ezra Pound entwickelte sich eine neue dramatische
Erweiterung des 'Auf- und Ausnamezustandes McLuhan'. Seine Briefe
der Zeit verdichten sich zu einem atemlosen Stakkato unter dem
Druck dessen, was man rasende Rezeption oder Absorption einer
ganzen kulturellen Sphäre nennen könnte. McLuhan war auf zwei große
Vertreter des englisch-europäischen Avantgardismus (oder
High-Modernism) gestoßen, die sich damals in den USA aufhielten;
Lewis in großer Armut in Windsor, Pound in einem psychiatrischen
Krankenhaus in Verwahrung, nachdem ihm wegen seiner Rundfunkarbeit
für den italienischen Faschismus der Prozeß gemacht worden
war.
Marchands narratives Inventorium, das die
Bedeutung der Begegnung mit Lewis nur andeutet, verzeichnet auch
McLuhans Versuch, Lewis in St.Louis zu einem Durchbruch als
Portraitmaler zu verhelfen, der, verfolgt man ihn in den Briefen,
Züge eines großen Coups und einer Posse zugleich hatte und für
McLuhan zugleich ein Test für einen weitaus größeren Durchbruch
sein sollte, über dessen Bedeutung er sich damals nur in
geheimnisvollen Andeutungen erging.
Das Ergebnis war schließlich die Sättigung der
späteren Technologietheorie und Medienästhetik McLuhans mit den
künstlerischen und kunstheoretischen Errungenschaften der
europäischen Avantgarde zu einer äußerst brisanten und
folgenreichen Legierung und zugleich die Verabschiedung dieser
Avantgarde vor den Toren von Madison Avenue und der großen
Medienkonzerne. Die Künstler sollten von mit allen Wassern des
Avantgardismus (und einiger anderer älterer europäischer Arcana) gewaschenen Marketing-,
Kultur- und Gesellschaftsingenieuren und -programmiererern abgelöst
werden, den Konstrukteuren und Schöpfern eines von neuen
künstlichen technologisch-wissenschaftlichen Archetypen in
permanenter Spannung und gläubiger Erregung gehaltenen
Welt-Gesamt-Kunstwerkes: globales Gesamtkunstwerk in der Vision
McLuhans, weltweiter Super-Markt in der trockeneren Sicht seines
Freundes Peter Drucker, universale Konsumkultur der westlichen
Mediendemokratie für Francis Fukuyama. [«-KM]