Seine lange geistige Vorbereitung, seine radikalen
und nun voll entwickelten Vorstellungen von den Medien, sein
wachsender Ruf innerhalb und außerhalb des akademischen Bereichs
als ein seltsamer aber stimulierender Denker und noch etwas anderes
- eine gewisse Ruhelosigkeit und die beginnende Wirkung eines
tiefsitzenden Fermentes in der Gesellschaft - all das kam um 1950
zusammen zu einer Art von kritischer Masse, bereit zur plötzlichen
Explosion des Interesses an McLuhans Arbeit.
Erstes Zeichen seiner wachsenden Bedeutung war
sein Auftreten auf dem ersten Congress of Cultural Leaders, den das
Institute of Contemporary Arts in Washington, D.C., als
Gipfeltreffen ausländischer und amerikanischer Kulturführer
sponsorte. Ein weiterer wichtiger Katalysator für den
bevorstehenden Ausbruch war seine Bekanntschaft mit Harry J.Skornia
von der Univerität von Illinois. Skornia war Präsident der National
Association of Educational Broadcasters (NAEB), einer Organisation,
die in den vierziger und fünfziger Jahren an der Front einer
lebendigen mittelwestlichen Erziehungsavantgarde stand. Skornia bat
McL 1958 als keynote speaker auf das Jahrestreffen der NAEB
in Omaha. Dort lancierte er zum erstenmal vor einem wirklich
einflußreichen Formum seine Botschaft, daß das Medium die Botschaft
sei. (137)
Danach heuerte Skornia McLuhan für ein NAEB
Projekt zur Entwicklung eines Studienplans für Medienstudien an der
Schule an. McL machte von Anfang an klar, daß sein Fokus die
mutierende Macht der Medien und nicht ihr Inhalt sein werde. Er
wollte die Grammatik der neuen Sprachen des Fernsehens, Radios und
anderer Medien lehren. Zur Entwicklung des Lehrplanes wurde von ihm
erwartet, Erzieher, Kommunikationspsezialisten, Managementberater,
Psychologen und Soziologen zu befragen. Für die aber war sein
Medienuniversum noch terra incognita, während es in seinem Kopf
schon voll implantiert war. So fühlte er sich von einem Meer an
Ignoranz umgeben oder wie jemand, der gerade einige subatomare
Partikel entdeckt hatte: nun konnte er nichts anderes tun, als die
Leute zwingen, durch sein Mikroskop zu gucken und dazu einige erste
Hypothesen zu entwerfen. Dazu zitierte er Coleridges The Ancient
Mariner: "We were the first that ever burst/ into that
silent sea." Die ruhige See aber war der brüllende Maelstrom.
(138)
Auch testen sollte er seinen Syllabus. Darin sah
er eine Gelegenheit, seine Vorstellung von Erziehung durch Dialog
statt durch Instruktion zu fördern; er wollte die Revolution
revolutionieren, die Peter Ramus vier Jahrhuderte zuvor
durchgesetzt hatte, um aus dem Klassenzimmer eine Wissenfabrik mit
Büchern als Dampfmaschinen zu machen. Auch würden ihm die
Studenten, da sie in dem elektronischen Environment heimischer als
ihre Eltern und nicht mehr wie sie von der Schriftkultur geprägt
waren, als Filter oder Sensoren oder Sonden neues Matieral liefern.
Im Dialog sah er ein Mittel des Durchbruchs zu Einsichten durch die
Ausrottung jedes individuellen fixierten Gesichts- oder
Standpunktes, das Produkt von Schriftkultur und
Druckindustrie.(139) Hing es damit zusammen, daß seine eigenen
Kinder, als sie größer wurden, nicht nur gegen den abendlichen
Rosenkranz rebellierten sondern in einer Art Dauerprotest ihm
gegenüber lebten? Es sollten doch die Kinder und Jugendlichen zu
ihm kommen in ihrer Unverdorbenheit durch die Schrift; und aus dem
gleichen Grunde auch die - Manager.
In den Spätfünfzigern verdickten sich die Kontakte
mit der corporate executive über das General Electric
Management Center in Croton-on-Hudson, New York. Erfolgreiche
Männer mit "august" stature und einer Art von cowboy
approach to things erfreuten sich seiner Bewunderung, im
Gegensatz etwa zu den unendlichen Pingeligkeiten englischer und
europäischer Intellektueller. Hier sah er auch die Möglichkeit, das
seiner medientheoretischen Universalmaschine inhärente Laufen zum
Laufen zu bringen. [KM-»] Denn da ihr zufolge nur die Form des
Mediums die Botschaft sei, konnte diese Botschaft von Medien als
Botschaft nur von Medien als Botschaft verkündet werden. [«-KM] Daß
das zu funktioneren begann, erfüllte ihn mit wachsender
exhilaration als die Fünziger ihrem Ende entgegengingen. An
Skornia schrieb er Oktober 1959, daß die Kühnheit und historische
Bedeutung Seiner Gedanken Ihn erschaudern ließen.(140)
Januar 1960 stieß er mitten im NAEB-Projekt auf
einen zentralen Punkt im Hinblick auf seine Vorstellung des
menschlichen Sensorium und des von Francis Bacon übernommenen
Begriffs der vestigia communis, der Latenz jeden Sinnes in
jedem anderen. Jeder Teil des Sensoriums reagierte auf jeden
anderen und übersetzte diese anderen in seine eigene
Funktionsweise. [KM-»] Das Sensorium als Ganzes garantierte sein
Funktionieren durch die Reproduktion seines Funktionierens durch
seine Teile. [«-KM] Wenn ein Medium zur Extension eines bestimmten
Sinnes wurde, reagierten die anderen mehr oder weniger
subliminal.
Anfang 1960 entwickelte McL die Basisdynamik
dieses Prozesses. Er unterschied den "structural impact"
eines Mediums bzw. die gleichwertige Extension, Amplifikation oder
Amputation eines Sinnes durch ein Medium auf der einen und die
veränderte Konfiguration der Sinne im Ganzen als Resultat von
Aufprall, Extension, Amputation. usw auf der anderen Seite. Die
neue Konfiguration ergab sich aus einer "subjective
completion" oder Neustrukturierung oder Herstellung eines neuen
Gleichgewichts oder einer neuen Schließung nach gewaltsamer
Öffnung, Verletzung und Perturbation, oder, um eine letzte
Übersetzungsvariante anzuspielen, sie war der Aus- oder Aufstieg
aus einer mehr oder weniger katastrophalen Störung in eine neue
Fülle oder Vollendung.
Es war für die subjektive Kompletion oder
Erfüllung von entscheidender Bedeutung, ob der strukturelle Impact,
Aufschlag, Einschlag, Treffer oder die Extension, Amputation und
überhaupt die strukturelle Störung "high definiton" oder
"low definiton" war. Das auditive Bild des Radios zum
Beispiel war "high definiton" oder "hot". Der Zuhörer
war nicht überinvolviert und mußte nicht das 'auditive Bild'
geistig ausfüllen oder supplementieren. Seine anderen Sinne, vor
allem der Gesichtssinn, konnten das Bild in einer distanzierten
spielerischen und eigenwilligen Form komplementieren. So konnte man
Fibber McGee oder Amos und Andy leicht visualisieren, wenn sie im
Radio sprachen. Kinder glaubten sogar, diese Charaktere spazierten
im Innern des Radios zwischen den Vakuumröhren herum, während sie
redeten.
Das 'auditive Bild' des Telephons hingegen - ein
Bild, das von einem Sprecher geschaffen wurde, der eine Antwort zum
Zuhörer verlangte und dabei die Auf- oder Erfüllung der
conversational gaps, also eine Art intensiver
Lückenbüßererei forderte - war "low definiton" oder
"cool". Die anderen Sinne konnten nicht frei und lässig
herumspielen, sondern wurden sozusagen einberufen zu einer
intensiven Manöveraktion von Vervollständigung oder Schließung des
'auditiven Bildes'. [KM-»] Statt Komplementierung, könnte man
sagen, wurde eine Art existentieller Supplementierung gefordert.
Wie das Lesen eines Gedichtes dessen Inhalt war, so wurde der
Zuschauer vor dem Bildschirm zu diesem selbst, auf dem die jeden
Tag neu zu erfüllende Füllung der massenhaften gaps zwischen
den Lichtpunkten stattfand. Der Zuschauer mußte, um ein anderes
Bild McLs zu benutzen, die Maschinengewehr- oder Strahlengarbe aus
der Bildröhre selbst durch intensive Partizipation und Lückenbuße
zum Treffer vervollständigen. Und da McL nun einmal das Wort
Xrays als Metapher für den Effekt des Fernsehens so liebte
wie er auch in seinen Briefen an die Mutter Xmas für
Christmas oder Xian für christian schrieb, so
könnte man sich fragen, ob er sich nicht fragte, ob nicht vor dem
Bildschirm der Zuschauer derjenige war, der im Strahlenschauer ans
X oder Kreuz mußte. [«-KM]
Also verlangte ein Medium mit unterdefiniertem
strukturellem Einschlag sowohl emotional wie geistig überaktive
Partizipation des Medienbenutzers. Ein Medium mit überdefiniertem
usw. hingegen unteraktive Partizipation. "Cool" und
"Hot" als Kennzeichnungen für "low-definiton" und
"high-definiton" tauchten allerdings erst einige wenige
Jahre später auf.(141)
Hatten die Mitglieder des NAEB-Forschungskomitees
bis dahin gedacht, McLs Projekt wäre leicht in jeden bekannten
Ansatz zur Medienforschung zu integrieren, so wurden sie durch
diese letzten Hypothesen schnell eines Besseren belehrt. Februar
1960 holte das Komitee tief Luft, um ihn davon zu überzeugen, daß
es wohl wenig sinnvoll sei, seinen Syllabus direkt auf die Schüler
loszulassen und daß er besser seine Ideen weiter ausarbeiten und
nach guten Testmethoden Ausschau halten sollte.
Er konnte einige seiner Freunde von der
Universität Toronto dazu überreden, seine Hypothesen auf Computern
zu testen. In den frühen Sechzigern hatte sich eine kleine Koterie
von science-oriented professors, meistens Ingenieure, um ihn
geschart. Darunter James Ham, Professor für Elektroengineering,
John Abrams, Professor für
industrielles Engineering und die drei Hauptglieder der Koterie,
Arthur Porter, Professor für industrielles Engineering, Daniel
Cappon, Professor für Psychiatrie und E. Llevellyn-Thomas,
Professer für bloßes Engineering. (141)
In seiner ganzen Verwundbarkeit gegenüber dem
Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit übte er eine Art Zauber auf
diese Männer der angewandten Wissenschaften aus, der komlexe
Ursachen hatte und nicht nur in einer Schwäche von Ingenieuren für
mal was Ekzentrisches lag. Porter erinnert sich, daß er McL
zunächst für crackers hielt und dieser Knallbonbon erst
einmal seine Neugier erregte. Bei gewissen seiner Behauptungen aber
dachte er "That's queer. He understands information theory. How
can a professor of English understand information theory - which is
a highly mathematical, technical theory?" (141)
Natürlich wußten die Ingenieure, daß McLs Begriff
von ihren Gebieten nicht unbestreitbar sicher war, wie jede seiner
Vorstellungen von einer wissenschaftlichen Theorie oder von
empirischen Fakten immer ein bißchen wackelig war. Sah man aber in
seinem Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe eine Art von poetischer
Aneignung, so war sie treffend. Er verstand sie, so Porter, wie ein
Künstler sie verstanden hätte. Begriffe wie "Resonanz" oder
"Feld", das dämmerte Porter mit der Zeit, benutzte McL auf
hochmetaphorische Weise. Darauf hätte dieser aber nun wieder
antworten können, so Marchand, daß diese Begriffe selbst
hochmetaphorisch seien.
So wurden also Computer eingesetzt, um das Maß an
Taktilität, Visualität und Auditivität des auditory image
von Telephonunterhaltungen, Radiosendungen oder was immer zu
messen. Ihm wurde schwindelig bei der Vorstellung, die
Mischungsgrade dieser Mixtur der Sinne, also ihre ratio
exakt messen zu können. So sollten zum erstenmal die Geheimnisse
des menschlichen Sensoriums eröffnet werden. Autos, Kleider, Möbel
und sonst fast alles konnte mit einem Design versehen werden, das
dem menschlichen Sensorium perfekt angepaßt wäre. Neue
Unterrichtsmethoden wurden denkbar. Wenn die neue Mathematik eine
hohe 'auditive' Komponente hatte, so konnte ihr Erlernen in dem
entsprechenden Medium oder Environment kinderleicht gemacht werden,
so wie ein Kanadier dann etwa Chinesisch mit der Gründlichkeit
eines Zweijährigen, der in China lebte, lernen konnte. [KM-»]
Später erfand Seymour Papert am MIT. das computerangereichtere
Environment für Kinder, um ihnen das Lernen von Mathematik so
'kinderleicht' zu gestalten wie es das von Sprache für sie war.
Auch wurden am Media Lab des MIT weitere computerisierte
Environments für Kinder und Erwachsene erfunden. [«-KM]
McLuhan träumte also von einer neuen Klasse von
Kulturingenieuren und environmentalen Medienartisten - für ihn
keine Bedrohung menschlicher Freiheit sondern eine Ausweitung von
human awareness, die letztlich zu einem Zustand von
universellem ESP führen würde, nicht als mystisches Phänomen
verstanden, sondern als Zustand TOTALER PERZEPTION,
bei der alle Sinne ohne Ausnahme harmonisch auf vollen Touren
arbeiteten. (142)
Inzwischen warf McL sich auf die Erzeugung von
Einsichten in das neueste und bedrohlichste Medium aller Medien:
TV. Er fand Beweise dafür, daß die TV-Zuschauer tief an dem
partizipierten, was sie beobachteten. Darin wurde er durch die
Bemerkung eines Arztes am Kansas City Medical Center bestärkt, daß
Medizinstudenten, die eine Operation auf Videoband sahen, sie nicht
so sehr sahen als wirklich selbst durchführten. [KM-»] Das könnte
ihn insofern besonders beeindruckt haben, als auch hier wieder ein
Medium zeigte, daß es am wirkungsvollsten wirkte, wenn es seine
eigene 'Operation' übertrug, so daß die Studenten einer
Dramatisierung der Operation des Mediums selbst zusahen und an ihr
teilhatten, und zwar so, daß sie durch das Medium selbst operierend
operierten wurden, nämlich zerschnitten und wieder zusammengenäht,
aber in totaler Partizipation oder ausnahmsloser Supplementierung:
ihre Sendung war ihnen durch die Sendung gesandt worden: den Alten
Menschen abzulegen und zu zerschneiden und den Neuen
zusammenzunähen und anzuziehen: sie hatten sich selbst in sakrale
TV-Kunst verwandelt. [«-KM]
Die partizipatorische Qualität von TV verdankte
sich McL zufolge der relativ verwaschenen Qualität des TV-Bildes
und seinem niedrigen strukturellen Impact. Wie das auditive Bild
des Telephons, so rief das TV-Bild alle Sinne zum Mitschaffen auf,
vor allem Taktilität, wobei McL unter 'taktil' nicht so sehr den
Tastsinn verstand, sondern das Wechselspiel aller Sinne. Ein
Beispiel, so Marchand, für McLs Neigung, in Worte eine nur ihm
bedeutsame Bedeutung zu investieren.
Seine TV-Theorien schärfte sich nicht an
einschlägiger Literatur über das Fernsehen, sondern in voller
Diskontinuität zu einem Werk aus einem anderem Gebiet: durch Adolf
von Hildebrands Das Problem der Form in der bildenden Kunst.
Hier fand er eine Sicht, in der wahre Vision in ihrem Wesen als
taktil gesehen wurde. Wahre Vision (TrueVision) diskontierte das
rein Visuelle, wie es die Maler der Renaissance verstanden: es
löste Perspektivität und Dreidimensionalität in eine
zweidimensionale Fläche mit Feldcharakteristik auf. Das
signifikante Analogon des TV-Bildes war das a-perspektivische Bild
ohne Horizont und Begrenzung ("boundless") in
zweidimensionaler Taktilität. Dazu schnappte McL einige Hinweise
von Künstlern aus seinem Bekanntenkreis auf. André Girard, ein in
katholischen Kreisen wohlbekannter Maler, hatte an visuellen
Experimenten mit Film und Fernsehen gearbeitet und war dazu von dem
französischen Maler Georges Rouault inspiriert worden. Rouaults
Bilder hatten Girard insofern an das Fernsehbild mit seinen
kleinen, massenhaften elektronischen Lichtpunkten erinnert, als sie
gemalt waren wie wenn sie Glasfenster wären: von einem inneren
Licht erleuchtet. Beide, Rouaults Bilder und das TV-Bild, waren von
Grund auf zweidimension und 'taktil'.
Ein anderer Freund McLs, ein Künstler und
Museumsdesigner namens Harley Parker verwies ihn auf den
französichen Impressionisten Georges Seurat. Seurats Bilder
verblüfften McL als eine andere malerische Antizipation des
TV-Image. Seine kleinen reinen Farbpunkte schufen Bilder, die von
innen zu leuchten schienen. Da schaute nicht mehr der Beschauer auf
ein Bild von Raphael oder Vermeer, sondern - mit dieser Idee
spielten McL und Parker - das Bild von Rouault oder Seurat schaute
auf oder erschaute den Beschauer. Der Unterschied zwischen der
TV-ähnlichen Kunst von Seurat und der Kunst der Renaissance sei, so
erklärte McL, der zwischen "light through" und "light
on". (144)
Haben nun die Bilder von Seurat und Rouault ihn zu
dieser Vorstellung geführt, oder war es nicht so, daß er zu jeder
möglichen Bestätigung seiner Ideen griff? Immerhin förderte seine
Exploration des Fernsehens, war sie auch nicht wissenschaftlich
streng durchgeführt, erstaunliche Ergebnisse zutage. So konnte er
behaupten, daß Hitler nur durch das Radio möglich geworden wäre und
daß Fernsehen ihn vernichtet hätte - eine Behauptung, die ihm von
seinen linken Kritiern den Vorwurf der Frivolität einbrachte. Diese
Behauptung lag auf der gleichen Linie wie die von 1960, daß das
coole TV ein exzellentes Antidotum für Unruheherde oder "hot
spots" in Asien und Afrika sei. (144)
Natürlich wußte er, daß seine Theorien viele Leute
auf die Palme brachten. Er verglich sich selbst mit Louis Pasteur,
der seine zeitgenössischen Kollegen mit seinem Gerede von Bakterien
nur genervt hatte. Seine Gesellschafts- als Medientheorie würde
schließlich, so prophezeite er, da sie sich ganz in der Medien- und
Kommunikations- (Komsumptions-) statt in der Produktionssphäre
bewegte, den Marxismus besiegen. [KM-»] 1991 verkündete dann
Francis Fukuyama in echtem McLuhanesisch den "endgültigen Sieg des
Videorecorders" , also des Mediums,
das die Rückkehr aus der Geschichte in die zyklisch rotierende Zeit
von Mythos und Vorgeschichte als endlose Folge von immer
demgleichen Band aus der globalen Videothek der "universalen
Komsumkultur" versprach.
[«-KM]
Auf die Frage, wer denn diese Kommunikationsmittel
in der Hand habe und kontrolliere, antwortete er, es sei sinnlos zu
wissen, wer diese Macht in der Hand habe, ohne zu wissen, welcher
Art diese Macht sei. (144) [KM-»] Und wenn man wüßte, welcher Art
sie sei, wüßte man, daß sie als Die Macht alle, Betreiber wie
Konsumenten, in der Hand habe, nämlich, um einen Begriff seiner
Nachfolger zu benutzen, als "transzendentales Apriori".
[«-KM]
Ein Konservativer (wie er) sei, so erwähnte er
gegenüber Skornia, in dieser Hinsicht viel radikaler als ein
Progressiver. Er sei viel besser vorbereitet, diese Zeit
atemraubender Veränderungen zu begreifen. Statt herumzubasteln und
Anpassungsversuche zu machen wäre der Konservative mit der ganzen
Kraft seines grundsätzlichen Mißtrauens gegenüber dem Prozeß als
Ganzem in der Lage, ihn durch Kontemplation und detachierte
Beobachtung zu begreifen. (145)
Schließlich beendete er Juni 1960 den first
draft seines Reports für die NAEB: Report on Project in
Understanding New Media. Im ersten Absatz stand die Behauptung,
die später sein Buch Understanding Media grundieren sollte:
media are capable of "imposing" their "own assumptions" on the
people who use them. (145) Bevor man ihre Wirkung nicht
verstünde, sei man in Gefahr, alle traditionellen Werte der
abendländischen Zivilisation und Schriftkultur zu verlieren. Das
war nicht, notiert Marchand, die Warnung eines Mannes, der in das
Projekt des kommenden Globalen Dorfes vernarrt war.
Der Report war in Sektionen eingeteilt, die
verschiedenen Medien gewidmet waren: Sprache, Schrift, Druck,
Druckgraphiken, Presse, Photographie, Telegraph, Telephon,
Phonograph, Kino, Radio und Fernsehen. Jede Sektion enthielt eine
Einleitung, "projects and questions" for classroom use, eine
Bibliographie mit beigefügten Kommentaren und eine Karte. Die
Karten bestanden aus einem Rechteck mit dem Namen des Mediums im
Zentrum. Die linke obere Ecke des Rechtecks war mit HD (high
definition) markiert, die untere linke mit SI (structural impact),
die obere rechte mit SC (sensory closure or subjective completion)
und die untere rechte mit LD (low definition). An jeder Ecke
standen dann einige beschreibende Wörter und Sätze bezüglich der
Eigenschaften des jeweiligen Mediums hinsichtlich der tetradischen
Struktur ihrer Wirkungsmöglichkeiten.(145)
Die Karten sollten die grundsätzliche Dynamik des
menschlichen Sensoriums und der Reaktion der menschlichen Psyche
auf jedes Medium zeigen. Sie waren in der Tat äußerst verwirrend.
Als er sie auf einer Konferenz der National Education Association
vorführte, schien er es auf ihren paralysierenden Effekt abgesehen
zu haben, so wie die Gesten eines professionellen Magiers das
Publikum ablenken sollen, bis das Kaninchen aus dem Hut gezaubert
ist. Aus dem Hut kamen dann auch seine verblüffenden
Schlußfolgerungen über die wahre Natur der Medien. (145)
Die NAEB hatte keine Ahnung, was sie mit seinem
Report anfangen sollte. Um das Schlimmste innerhalb der NAEB zu
verhüten, mußte Skornia aus dem ersten Entwurf und weiterem
Material das zusammenstellen, was dann Ende 1960 als Report on
Project in Understanding New Media erscheinen sollte. Die
Verwirrung war außerordentlich und eine Verwendung im
Schulunterricht schwer vorzustellen. Die Wirkung des Textes aber,
wie groß auch immer seine Mängel waren, hätte sein können, Lehrer
und Schüler zu einer eigenen ständigen Beobachtung der Effekte von
Medien mit dem Blick eines frisch auf der Erde Eingereisten
anzuregen. (147)
Der Report setzte einem Jahrzehnt die Krone auf,
in dem McLuhan sich von einer ziemlich grimmigen post-Mechanical
Bride Stimmung zu neuer Heiterkeit und Verspieltheit erhoben
hatte. Natürlich waren seine Medienforschungen zu einem großen Teil
auch Rache dafür, was die Medien ihm, seiner Familie und der Welt
antaten. Hier war die Haltung arroganter Superiorität angebracht
und man müsse, meinte McL, statt in der Ecke zu stehen und zu
jammern, sie direkt angreifen "and kick them in the
electrodes". Sie würden darauf sehr hübsch reagieren und aus
Herren würden bald Dienern geworden sein.
Man konnte damals von McL ohne Übertreibung sagen,
daß er, wofern in Höchstform, als eine Verkörperung seiner eigenen
Theorien in Dauervisionen schwebte. War man perzeptuell nicht
permanent auf dem Kiewif, meinte er, war man so gut wie tot. Und
alles, was man perzipiere, sei real, sogar Halluzinationen. Dieser
grenzenlosen Öffnung auf eine technisch durchsetzten Welt entsprach
sein Optimismus hinsichtlich der Perspektiven einer Extension nicht
nur eines einzelnen Sinnes oder Körperteils durch ein Medium,
sondern des ganzen Nervensystems durch die Neuen Medien insgesamt.
Die Informationsbewegungen innerhalb dieser neuen environmentalen
Technologiesphäre entspräche denen innerhalb des menschlichen
Geistes oder Nervensystems. [KM-»] Dadurch hatte die Hoffnung auf
eine Restition der alten (analogischen) Verbindungen von Kosmos und
Mensch, Makroanthropos und Mikroanthropos auf
informationstechnischem Niveau neue Nahrung bekommen, um in einem
computierisierten Leviathan im Sinne der mythischen Einheit von
Gott, Mensch und Maschine nach Carl Schmitt oder in einer
technologisch explizit gewordenen "Königsmetapher" nach
Northrop Frye zur Vollendung zu kommen. Hätte Frye McLuhans Werk
seit The Gutenberg Galaxy auf dem Hintergrund dieser
Königsmetapher - des Körpers des Königs als Leib der Gesellschaft -
charakterisieren müssen, hätte er darin eine
technologisch-häretische Variante seiner eigenen Darstellung der
Bibel in The Great Code finden können: ein gigantischer
Mythos, durch Medien als aktive Metaphern unifiziert, die alle
Manifestationen der Totalität aller logoi, also des (toten)
kosmischen Christus wären. [«-KM]
Schon früher hatte es geheißen, die Extension oder
Ablation oder Amputation einzelner Sinnesorgane oder Körperteile in
Form von Medien habe einen betäubenden Effekt und ermögliche, diese
Medien und Technologien als abgetrennte Teile ohne Wirkung auf die
Psyche anzusehen. Mit der Amputation und Extension des gesamten
Nervensystems jedoch war dieser Zustand von Benommenheit und
Unbewußtheit unmöglich geworden. Jetzt war die Menschenrasse
insgesamt unausweichlich und um ihres Überlebens willen gezwungen,
in eine Phase intensiven Lernens und Entdeckens einzutreten. Künste
und Wissenschaften, versicherte er 1961 vor der Humanities
Association of Canada, würden ein Zeitalter von beispielloser
Hochblüte und Vollendung durchzustehen haben. (149)
Über den Schlaganfall, bei dem Pater Kelly zur
letzten Ölung gerufen wurde, ging er hinweg. Und die
McLuhan-Universalmaschine for generating ideas lief und spie
weiter. Sein Ruf als einer, der zu virtuell jedem Thema
faszinierende Kommentare abgeben konnte, breitete sich aus und
zunehmend suchten ihn Journalisten auf, um ihm die Tagesereignisse
einzufüttern und die Saat seiner scattershot-, MG- oder
Streubüchsentechnik einzusammeln. Das Environment würde
entscheiden, welche Ideen keimen und überleben sollten. In
Murder by Television führte er die Ermordung von Lee Harvey
Oswald auf die Zerstreuung der Wachen unter dem Blick der
Telekameras zurück und sah in der TV-Übertragung des Begräbnisses
von JFK den Beweis dafür, daß das Medium, weit davon entfernt,
Leidenschaft oder Aufregung hervorzurufen, ein tiefes
tranquilisierendes kommunales Einbezogensein über die gesamte
Nation breite. (150)
Um 1960 rückte er auch an einer anderen Front vor.
Seine Reden vor den Managern von General Electric in ihrem
Managementcenter in Croton-on-Hudson bildeten einen wichtigen
Brückenkopf für seine neue Karriere als Kommunikationsspezialist.
Dabei hatte Ralph Baldwin seine Hände im Spiel. Baldwin war ein
ehemailiger Professor für mittelalterliche Literatur an der
kathoischen Universität in Washington, D.C. Wie Bernard Muller-Thym
war Baldwin einer jener frustrierten katholischen Akademiker, denen
der Übergang von der mittelalterlichen Kultur in die Welt des
avant-garde corporate management sicher auch noch aus
anderen Gründen als Unterbezahlung und schlechten
Arbeitsbedingungen leicht fiel.
In den fünfzigern Jahren trat McLuhan dem von GE
für seine Manager eingerichteten Ausbildungsstab bei. Das General
Electric Management Center war die erste Schule ihrer Art und war
unter dem Einfluß der Doktrin eines weiteren
academic-turned-management theorist eingerichtet worden:
Peter Drucker. Vorher wurden vielversprechende Management-Talente
in reguläre akademische Kurse geschickt. Jetzt bezahlte GE was
immer gefordert wurde, um die besten Dozenten zu bekommen -
Akademiker von Harvard und Yale, hochbezahlte Konsultenten wie
Drucker und sogar Ronald Reagan, damals Fernsehsprecher für GE
and a communicator of note. (151)
Nun saßen die Mächtigen vor ihm und hörten von dem
Zeitalter der kommenden kulturellen Hochblüte. Manager sollten
gelehrte Männer werden von gewandter Beredsamkeit, das Ideal der
Renaissance sollte im späten Zwanzigsten Jahrhundert wiederbelebt
werden. Man schien seinem Enthusiasmus gewogen zu sein. Bei
unangenehmen Fragen legte er Nebelschwaden aus. Auch konnte man
angesichts seines Preises keinen Unwillen zeigen und schließlich
waren solche bull sessions wenigstens doch gutes
Entertainment. (152)
Im Sommer 1961 entschied er sich, ein Buch
zusammenzubringen, an dem er seit seinen Tagen in St.Louis
gearbeitet hatte. Dort sollten sowohl seine Arbeiten am Trivium wie
seine neueren Medienstudien in eine bedeutende Neuformulierung der
Geschichte des Abendlandes münden. Das Buch würde die verheerenden
Auswirkungen des Buchdrucks auf jeden Aspekt des Abendlandes
darlegen. Schon 1955 hatte er Wyndham Lewis von einem Buch The
Gutenberg Era geschrieben. 1958 äußerte er, er habe das für die
Vollendung des Buches notwendige "total pattern" erblickt.
Es mußte nur noch das dem totalen Pattern inhärente Laufen zum
Laufen gebracht werden . So besetzte er
den gesamten Lesesaal der Bibliothek von St.Michael. Er saß vor
einem Stapel von Karteikarten, jede mit einem Zitat. Diese massive
Sammlung von Karten repräsentierte zwanzig Jahre an Lektüre und
Jagd auf die entscheidenden Hinweise auf das Mysterium der
abendländischen Zivilisation. Phase eins: Drei Monate lang flippte
er durch die Karten, jonglierte mit Zitaten und eigenen
Überlegungen und füllte Seite um Seite mit eleganter Handschrift,
so fest und prägnant wie die eines mittelalterlichen Schreibers.
Phase zwei: Eine Schar von Seminaristen des heiligen Basilius hatte
sämtliche Bücher, die er zitiert hatte, im Lesesaal aufgestapelt.
Er las die Zitate nach den Korrekturfahnen und die Seminaristen
wühlten sich durch die Stapel, lokalisierten die Passagen in den
Büchern und prüften sie auf Korrektheit. So konnte diese endlose
Aufgabe an einem Nachmittag erledigt werden. (154)
Seine Prosa wurde von ihm selbst an "oral,
noisy, brashness" genannt. Manche Rezensenten erinnerte sie an
das Schreiben einer verrückten Dohle. Seine naßforschen
Verallgemeinerungen sollten die sommnabulen Leser mit Rippenstößen
wecken. The Gutenberg Galaxy, wie das Buch schließlich hieß,
war genauso herausfordernd und exzentrisch wie die Werke von Ezra
Pound und Wyndham Lewis und völlig ohne jene sanftmütigen und
diskreten kleinen Gesten, die McL in den Schriften der meisten
Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts verabscheute. In einem Brief
charakterisierte er The Gutenberg Galaxy mit einem Zitat aus
Wyndam Lewis' Autobiographie Rude Assignment : "Ich habe
mit der Freiheit eines Mannes geschrieben, der im 18. Jahrhundert
oder im Ritz lebte".
Der oral naßforsche Lärm seiner Prosa sollte sich
verstärken, als er in den sechziger Jahren anfing, seiner Frau oder
Sekretärin zu diktieren. Zugleich wurde ihm selbst bewußt, wie sehr
seine Bücher und ihr Gegenstand, die Neuen Medien, dengleichen
strukturellen Effekt anstrebten. Marchand führt eine Stelle aus
Understanding Media an, die manchem Leser entgangen sein
mag: "Now that we have considered the subliminal force of the TV
image in a redundant scattering of samples..." Diese redundante
Splitterform nannte der "Mosaik" und The Gutenberg
Galaxy war ein solches Mosaik.
Wenn die Struktur des Buches sonderbar war, so
war, sagt Marchand, das Thema klar. Das Abendland war visualisiert
worden. Der uranfängliche Stammeszustand der Menschheit war durch
die Erfindung des phonetischen Alphabets zerschlagen worden, also
durch eine radikale und einzigartig abendländische Technologie. Die
These Walter Ongs wurde dahingehend amplifiziert, daß die Erfindung
des Buchdrucks eine noch weitgehendere Transformation in der Psyche
des abendländischen Menschen bewirkt hatte: sie hatte zur
Visualisierung des Wissens geführt und damit zu der ihr folgenden
Entwicklung von Rationalismus, mechanistischer Wissenschaft und
Industrie, Kapitalismus, Nationalismus and so on. In den
Text eingeflochten waren Materialien aus seiner Dissertation als
eine Art Subthema, in dem erklärt wurde, wie die Druckerpresse
schließlich die traditionellen Studien in Rhetorik und Grammatik
minderte und Logik und Dialektik zur Vorherrschaft brachte.
Anders als The Mechanical Bride wurde
The Gutenberg Galaxy nicht ignoriert. Alfred Alvarez sah 1962 im New
Statesman in ihr eine "ingenious but infinitely perverse
SUMMA by some medieval logician, who has given up theology in favor
of sociology and knows all about the techniques of modern
advertising". Frank
Kermode rezensierte 1963 in Encounter und das venerable
Organ des englischen literarischen Establishments, TLS,
veröffentlichte einen Artikel von McL über die Effekte des
Buchdrucks und schloß ihn 1964 in eine Nummer über die
gegenwärtigen Avantgardedenker der Welt ein. 1962 erhielt er in
Kanada den Governor-General's Award for Non-Fiction, Canadas
höchsten Literaturpreis. (155)
Sein Ruhm breitete sich auch in den United States
aus. Nun kamen die Mächtigen zu ihm. Life konsultierte ihn,
um herauszubekommen, wie TV die Zeitschriftenleser
beeinflusse.(156) Um seine Erkenntnisse über die Natur von Druck
und Fernsehen zu testen, heuerte die Time-Life-Corporation Daniel
Yankelovich, einen jungen Psychologen für Marketingforschung an.
Der Test kam zu fast gegenteiligen Ergebnissen gegenüber dem von
Carpenter von 1954, doch wurde McLuhan über dieses Projekt einer
wachsenden Zahl von Medienmanagern in New York bekannt.
Schließlich wurde ihm die Möglichkeit angeboten,
ein Institut nach eigenem Zuschnitt an der Universität von Toronto
einzurichten. Das Centre for Culture and Technology sollte
die psychischen und sozialen Konsequenzen aller Technologien
interdisziplinär untersuchen. Das war ein Zeichen dafür, daß man
ihn in Toronto halten wollte.(158) 1967 erhielt das
interdisziplinäre Forschungszentrum die Genehmigung zur
Graduiertenausbildung. Es sollte einen einzigen Kurs anbieten.
Unter "Courses of Instruction" erschien dann 1967 im
Vorlesungsverzeichnis der School of Graduate Studies eine
Beschreibung des Zentrums.
C&T 100 Y/1001F&S/Media and Society/ A
course considering media as man-made environment. These
environments acts both as services and disservices, shaping the
awareness of users. These active environments have the inclusive
character of mythic forms and perform as hidden GROUNDS of all
activities. The course trains perception of the nature and effects
of these ever-changing structures. (160)
Kaum war McL etabliert, sollte ein Test für das
entwickelt werden, was er "sensory typology" nannte, also
die sensorischen Balancierungen oder Bevorzugungen - ganzer
Bevölkerungen. Auf ganze Kulturen über längere Zeit angewandt,
würde der Test Ergebnisse über die Effekte bestimmter Technologien
liefern. Darauf basierend könnten einigermaßen präzise Voraussagen
über die Auswirkungen zum Beispiel von Transistorradios oder
Fernsehen auf eine Gesellschaft gemacht werden, die mit ihnen noch
nicht in Berührung gekommen war. Erzieher, Politiker und andere
hätten damit das wunderbarste Werkzeug in der Hand für die
Formierung menschlichen Lebens. (160/61)
Auch die Reklamefachleute könnten ihre Produkte
den sensuellen Modalitäten anpassen. Wären einmal die Defekte
sensorischer Environments aufgedeckt, könnten Erzieher in speziell
entworfenen Environments Literaturliebhabern Mathematik und
umgekehrt lehren. Mit all seiner Hochenergie nahm McL an, daß
Hochenergie selbst das Ergebnis eines vollen Wechselspiels der
Sinne sei, so daß Erzieher auch Hochenergie lehren konnten. IQs
könnten angehoben werden, da niedrige IQs die Folge von "sensory
inhibition", also von Blockierungen oder Verengungen in der
totalen sensorischen Eröffnung oder Offenheit waren. [KM-»] Es gab
also Mittel, für jede Form von Linearität und Kanalisierung
Bypasses zu schaffen oder Netzwerke von kollaterale Leitungen, die
sich unter totalem environmentalem 'Beschuß' ausbilden könnten.
[«-KM]
Der reiche griechische Architekt C.A.Doxiadis, der
das Athens Technological Institute gegründet hatte, war auf die
Idee gekommen, Kreuzfahrten zu organisieren mit außschließlich
intellektuellen Glanzlichtern als Gästen. Sie sollten die Ägäischen
Inseln besichtigen, gutes Essen und guten Wein konsumieren und das
Schicksal der Welt diskutieren. Es konnte der Meinung McLuhans nach
nur eine Folge der Invasionskraft seiner Ideen von dem
elektronischen Äon sein, daß einige seiner noch gänzlich
gutenbergorientierten fellow great minds sich dadurch
irritieren ließen, daß er auch in Gesellschaft von Leuten wie
Margaret Mead, Buchminster Fuller und Sigfried Giedion die
Gespräche beherrschte. (162)
Hier erfuhr er, daß in Griechenland die Einführung
des Fernsehens kurz bevorstand. [KM-»] So waren die Griechen ein
einmaliges, sozusagen unbestrahltes Forschungsmaterial. Fünf Jahre
später würde die ausgeweitete Medienpollution die Isolierung der
Bestrahlungswirkung oder des uranfänglichen ursprünglichen Giftes
vereitelt haben. [«-KM] Also beschloß er, nicht wie ursprünglich
geplant die schon völlig versuchte Bevölkerung von Toronto zu
testen, sondern die einmalige Gelegenheit zu benutzen, um ein mit
angeworbenen Mitteln ausgesrüstetes Team zu Untersuchungen nach
Griechenland zu schicken.
Zur Beschaffung des Geldes für die sensorischen
Tests, die an seinem Institut selbst durchgeführt werden sollten,
entwickelte McL eine enorme Aktivität. Januar 1965 erhielt er
Unterstützung von der IBM-Niederlassung in Toronto über einen
IBM-Manager und Freund, Mac Hillock, robuster Geschäftsmann,
praktisch, mit kantiger Kinnlade und herzlich männlicher Stimme
voll gesunder Agressivität - ganz McLs Mann und Mentor oder
babysitter (163) in Finanzangelegenheiten. Von Mac Hillock
lernte McLuhan, sich nicht mit $100 bis $200 pro Vortrag lächerlich
zu machen. Erst das Zehnfache würde die Nachfrage nach ihm erhöhen.
So tat er sein Bestes, um businesslike zu erscheinen, aber
er war in der Zeit der Depression in Manitoba aufgewachsen und $500
pro Engagement hatten etwas Astronomisches, das schwanken machte.
Je nach dem war er umsonst oder erst nach hartnäckigem Feilschen zu
haben.
Die Tests wurden dann an von Hillock beschafften
IBM-Personal durchgeführt und die IBM Sensory Profile Study
referierte als Ergebnis, daß Systemingenieure und
Managementsekretärinnen die gleichen sensorischen Präferenzen
hätten. (163) Es fand keine sensorisch induzierte Umprogrammierung
von IBM statt.
Andere Projekte testeten die Effekte verschiedener
Formen von Typographie mithilfe einer damals revolutionären Kamera,
die die Augenbewegungen der Testpersonen und zugleich die
anvisierten Objekte aufzeichnen konnte. Neben einem Projekt zur
Erforschung von Dyslexie lief dann eines, bei denen
Simulationversuche von sensorischen Environments anderer Kulturen
in einer "encapsulating chamber" angestellt wurden. Die
Presse wurde eingespannt und Toronto Daily Star zitierte
McLs Voraussage, daß in fünf Jahren Madison Avenue die Welt
beherrschen würde, und daß Regierungen ihre Ökonomien managen
könnten "as easily as adjusting the thermostat in the
living-room." (165) Auch begann man begann zu munkeln, sein
Antlitz sei für ein Time-Cover vorgesehen, was aber nie stimmen
sollte. Aber die von der Schrift unverdorbenen Kinder lagen ihm
immer noch am Herzen. Ein fund-raiser war aufgetaucht und
wollte die Entsendung einer Kinderdelegation zu einer
Repräsentation Kanadas im Ausland sponsoren. Dazu hatte McL
TV-Kinder vorgeschlagen, möglichst über ihr Alter hinaus sensorisch
eröffnet für ein so neues und absorbierendes kommunales
Drama.(165)
Ein vielversprechendes finanzielles Abenteuer war
McLs Mitarbeit an einer zweibändigen Anthologie, Voices of
Literature. Wiewohl in der Wahl der Gedichte nicht unüblich,
verrieten die Kommentare der Herausgeber doch ab und zu eine
unorthodoxe Auffassung von Literatur. So wurde der Unterschied
zwischen der Ballade und anderen narrativen literarischen Formen im
Medienkontext vorgenommen: "TV does not lend itself to narrative
as the movie does; it favors situations with built-in-reactions,
like the old ballad." Auf Wortspiele wurde verwiesen als "a
cue to the larger patterns of a poem". (166)
Mustererkennung und -bildung durch
selbstauslöschende Lückenbuße in zerschlagen-zerschlagenden
literarischen Environments trainierte McL auch mit seinen
Studenten. Drei bis vier Studenten lasen laut jeweils eine Zeile
eines Gedichtes. Diese Fragmentierung zerschlug das
Selbstbewußtsein durch Desorientierung und bewirkte eine
homöostatische Herstellung von Ordnung auf höherer Ebene -
Gruppenkohäsion. Die Bandaufnahme der zerstückelten Lesung
eröffnete den akustischen Raum und damit erregende Perspektiven zur
Analyse der Formen des - medialen - Effekt des Gedichtes. Dieser
mediale Vorgang wurde in einem CBC-Fernsehstudium aufgenommen als
Teil einer TV-Dokumentation. [KM-»] Ein Beispiel dafür, wie durch
Re-entry der partizipatorischen Effekte des Mediums in es
selbst es selbst zu seiner immer umfassendeneren Botschaft wird,
daß es ausnahmslos Medium sei. [«-KM]
Das größte Ereignis war 1964 die Publikation von
Understandig Media: The Extensions of Man. Nach einem von
McLuhans Vorträgen über das Ende des Buches schlug ihm ein
Herausgeber von McGraw-Hill ein Buch darüber vor. Es wurde im
wesentlichen eine Amplifikation seines Reports für die NAEB, und
wurde in den knappen Zeiten vor und nach der Niederschrift von
The Gutenberg Galaxy wie diese selbst weniger geschrieben
denn zusammengepackt (dreimal mußte seine Frau das Manuskript neu
tippen): eine Kollokation aus Notizen von Jahren, auf Papierfetzen
in Mappen, die mit "Telegraph", "Radio" und so weiter markiert
waren. Ein Torontoer Rezensent, der sich über offensichtliche
Wiederholungen und Widersprüche beklagte, meinte, das Buch sei
geschrieben worden, ohne gelesen worden zu sein. (167)
Understanding Media: Einleitung, sieben
Kapitel über die Natur der Medien allgemein, sechsundwzwanzig
Kapitel über spezielle Medien, darunter Sprache, Druck, Uhren, Geld
und, natürlich, TV. Sieben Planetensphären und sechsundzwanzig
Buchstaben, das bringt Marchand auf kabbalistische Gedanken, ist
doch für McL das Alphabet Quelle aller kommenden technologischen
Gadgets.
Im ersten Kapitel die Botschaft: "The medium is
the message." Wer Medien benutzt, den benutzen sie und prägen
ihm ihre eigenen assumptions auf. Die Botschaft von der
Botschaft wurde später umformuliert: Jedes Medium schuf sein
eigenes Environment, mit totalem, schonungs- und ausnahmslosem
Effekt auf die menschlichen Sensibilitäten. Ein neues Medium fügte
sich dem älteren technologisch-medialen Environment nicht einfach
hinzu; unbemerkbar tranformierte es alles, was schon da war, und
schafft so ein völlig neues Environment. Denn ein Medium war nicht
einfach ein physikalisches Objekt, sondern die Gesamtheit seines
Zubehörs und seiner Attribute und der Energiewirbel und -vortices,
die es schuf. Das Automobil zum Beispiel mußte im Kontext seiner
Umwelt gesehen werden, deren Design darauf zugeschnitten war, aus
dem fahrenden Wagen erkannt werden zu können (Neonreklamen).
(167)
Das neue transformierte Envionment hatte laut McL
merkwürdige Eigenschaften. Wie des Kaisers Kleider war es virtuell
unsichtbar und unbemerkbar - es wirkte subliminal wie der
Gesichtsausdruck einer Person und ihre Körperhaltung, die unsere
Einstellung ihr gegenüber ändern können, ohne daß wir das merken.
Das neue Environment war unsichtbar, weil es das gesamte Feld der
Aufmerksamkeit besetzte und saturierte. Wenn Leute isolierte
Fragmente des neuen Enviornments sahen, empfanden sie das als
unangenehm oder sogar korrupt, so wie Romantiker Dampfmaschinen
oder Bankkunden elektronische Kassierer verabscheuten. (167)
Dabei machte das neue Environment in Wirklichkeit
die alte Technologie und i h r Environment überhaupt erst sichtbar
und transformierte sie dabei um zu - Kunst oder art form. So
transformierte das Fernsehen das Kino in eine Kustform, die es in
den Abendsendungen als "The Late Show" neu präsentierte.
Dieser Basisprozess erklärte also, warum die Futuristen der
edwardianischen Zeit Maschinen als Kunstform entdeckten gerade als
die neue elektrische Technologie begann, die von ihnen neu
verehrten Maschinen abzulösen. Genauso wurden die alten
Textilfabriken von Lowell, Massachusetts, zu Ausstellungsstücken in
einem Nationalpark für Touristen, die sie anstarrten, als ob es
mittelalterlichen Ruinen seien.
Der einzige, der das unsichtbare Environment sehen
konnte, war nach McLs Meinung der Künstler. Nicht als Ästhet à la
Bloomsbury oder als Mitglied einer Künstlerschule wie der der
Futuristen, sondern der wirkliche Erforscher der Gegenwart, die
Person, die anders als die Meisten wirklich in der Gegenwart
lebte und so eine durchdringende Wahrnehmung für seine Welt
hatte: "Antennen der Rasse", pflegte McL Ezra Pound zu
zitieren.
So ist Kunst eine Art von Frühwarnsystem
hinsichtlich der Auswirkungen der Neuen Medien auf die
Gesellschaft. Das thematisierte das mit "Challenge and Collapse:
The Nemesis of Creativity" betitelte Kapitel aus
Understanding Media", und in dem Kapitel "Hybrid Energy:
Les Liaisons Dangereuses" werden die Medien mit fast
animistischen - [KM-»] oder eher alchemistischen [«-KM] -
Eigenschaften versehen, sich paarend, Nachwuchs erzeugend, sich
angreifend und gegenseitig verzehrend. Sie hatten all die
Eigenschaften derer, deren Extensionen sie waren.(169)
Weit weniger Zitate als in The Gutenberg
Galaxy durchbrachen hier den Fluß des Textes. Das war das Werk
des Herausgebers. Dieser habe, so McL, seine Zitate in einen Pferch
gesperrt aus Furcht vor ihrem ungehemmten stampede über die
Leser hinweg. Man zitierte nicht, um einem Autor Ehre oder Schande
zu erweisen und dabei doch als Autor zu respektieren. Man mußte
fremde Bücher wie fremde Städte plündern und der Erfolg hing nur
davon ab, ob sie reich oder arm waren.
The Mechanical Bride hatte die
Industrialisierung also zu einem Zeitpunkt angegriffen, als sie
selbst innerhalb des neuen Environments der elektronischen
Technologien schon obsolet und dadurch sichtbar geworden war.
Understanding Media hingegen war des Kaisers neues Kleid;
auch nannte McL sie bei Gelegenheit The Electronic Call
Girl. (169) Sollten wir die Sexualorgane auch dieser Braut
sein, wie er es von der mechanischen behauptet hatte? In einem
Vortrag in New York City kurz nach ihrem Erscheinen sah er den Tag
kommen, wo wir alle Computer in der Größe eines Hörgerätes bei uns
tragen würden, daß wir all unser Denken und Tun in das des großen
schaltkreisenden Gehirns der Welt, in die allerletzte, intelligente
Landschaft unserer Lebenspfade eingeben könnten. So sprach McLuhan,
aber mit dem Ziel, genügend Krämpfe und Proteste zu provozieren,
das zu verhindern.
Und wirklich wurden für ihn Bücher angesichts der
allverschlingenden Gewalt der Medien zu Gegengiften und in Atlantic Monthly
protestierte er gegen seine Qualifizerung als Kunde des
elektronischen Callgirls mit dem Hinweis darauf, daß seine
Forschungsexpeditionen in die Medienwelt für Buchleute den
Charakter von Spähtrupps einer belagerten Armee hätten. Weitere
Rezensionen erschienen in Nation, Commentary, New Statesman
und in vielen heavyweight intellectual journals. Sein Buch
hatte ihn zu einem Gegenstand seriöser Debatten in intellektuellen
Kreisen in Nordamerika und in Großbritannien erhoben. Jeder, der
mitreden wollte, mußte ihn lesen. 100,000 Exemplare wurden
verkauft. (170)