VIERTES KAPITEL
Die phantastische Logik Giordano Brunos

1. Die lullianischen und mnemotechnischen Schriften Brunos
Gegenüber den vielen Schriften, die Bruno zwischen 1582 und 1591 der ars combinatoria und der ars reminiscendi widmete, haben nicht wenige Forscher eine außerordentliche Verständnislosigkeit gezeigt. Einer Analyse von Themen, die, obwohl heutzutage "tot", deswegen nicht weniger "vital" waren, werden schnelle Liquidationen oder geradezu explizite Verdammungen vorgezogen. Olschki und De Ruggiereo zogen den brunianischen Lullismus in die Sphäre von "Bizarrerien" und "grobe Illusionen", während Singer öfters ihr Mitleid für einen in den Problemen der Kombinatorik untergegangenen Bruno zum Ausdruck gebracht hat. Eine ganz andere Sensibilität hatte sich bei jenen positivistischen Historikern gezeigt, die, wie Tocco, sich nicht nur den Problemen des brunianischen Lullismus, sondern auch der mit ihm verbundene Frage nach der Beziehungen zwischen den Schriften über die Memoria auf der einen und den italienischen und lateinischen Werken auf der anderen Seite gestellt hatten. Auch in dieser Frage sind gerade jene Wissenschaftler, die im Namen einer größeren historiographischen Treue auf "rationalistische", "modernistische" und "avantgardistische" Interpretationen des Denkens von Bruno verzichtet haben, zu viel beachtenswerteren Resultaten gelangt: In dieser Richtung hat Cesare Vasoli unter Berufung auf die Beobachtungen von Yates, A. Corsano und E. Garin das Problem des brunianischen Lullismus und Symbolismus aufgegriffen. Seine richtigen Folgerungen sollen hier unterstrichen werden: "die Themen und Motive der brunianischen Mnemotechnik sind eine wichtige Hilfe zum Verständnis des historischen und philosophischen Standpunkts von Bruno, seiner reformatorischen Ideale, seiner Hoffnungen, mit Mitteln und Methoden von größter pragmatischer Effizienz tief auf die intellektuelle Situation seiner Zeit einzuwirken; sie lassen uns jene Erneuerung begreifen, von der seine italienischen Schriften ein so klares Zeugnis ablegen... Man braucht nur an die Kontinuität dieser mnemotechnischen Forschungen zu denken, die sich von 1582 an (dem vermutlichen Datum der verlorenen Clavis Magna) bis 1591 (als er De imaginum signorum et idearum compositione veröffentlichte) parallel zu der Entwicklung seiner gesamten metaphysischen Reflexion entfalteten, um die organische Verbindung zwischen philosophischer und technischer logisch-mnemonischer Forschung zu begreifen. Wenn Bruno sich über so viele Jahre bemühte, seine mnemotechnische Lehre mit so großer Sorgfalt zu entwickeln und zu vollenden, geschah dies sicher nicht nur, um einer Zeitmode zu folgen oder der pragmatischen Illusion einer Wissenschaft zu frönen, die oft an praktische Magie oder kabbalistische Erleuchtung zu grenzen schien, sondern viel eher um einige zentrale Prinzipien seiner Lehre in eine Methode von leichter und unmittelbarer Wirksamkeit zu umzusetzen."
Sowohl Corsano als auch Vasoli haben zu Recht die Bedeutung betont, welche die mnemotechnischen Schriften des Peter von Ravenna für die philosophische Bildung des jungen Bruno hatten. In einem Passus der Triginta sigillorum explicatio versicherte Bruno, noch in jungen Jahren auf die Kunst des Ravennaten gestoßen zu sein:
Das war ein kleiner Funke, der in einer ununterbrochen fortschreitenden Meditation einen großen Brand entfachte. Mögen aus diesen aufzüngelnden Flammen viele Funken sprühen. Wenn sie eine gut geeignete Materie erreichen, werden sie wohlduftende Lämpchen anzünden.
In dem großen, von diesem kleinen Funken entfachten Feuer verbrannten viele der Ergebnisse, zu denen Bruno im Kontakt "mit den Peripatetikern" gelangt war, "die ihn in der Jugend erzogen und ernährt hatten". Gegen die deduktiven Verfahrensweisen der Scholastik setzt Bruno einen Prozeß stufenweiser Annäherung an die Sphäre des rationalen Wissens durch den Gebrauch der Imagination und der Memoria. Gegen die rigide Verkettung der Argumente setzt er die Flüchtigkeit der Bilder. Gegen die Reduktion des gesamten Wissens auf die Sphäre des Intellekts setzt er die radikale Vielfalt der Sphäre der Sinne:
Nur Dummköpfe können glauben, die sinnlichen Dinge unter dengleichen Erkenntnisbedingungen zu erfassen, unter denen die rationalen und intelligiblen Dinge begriffen werden. Die sinnlichen Dinge sind nicht nach einem gleichen universalen Maße wahr, sondern vielmehr nach einem ähnlichen, besonderen, eigenen, veränderlichen und veränderbaren. Universelle Definitionen der sinnlichen Dinge als sinnliche geben zu wollen ist dasgleiche wie auf sinnliche Art die intelligiblen Dinge definieren zu wollen.
Die Verwendung von Bildern und der Geschmack an der Darstellung durch Embleme und Devisen ist mit Annahmen dieser Art verbunden. Aber das Gefallen Brunos an Symbolen, Hieroglyphen, Siegeln und an sinnlich verkörperten Ideen kann nicht von der viel umfassenderen intellektuellen Konstruktion getrennt werden, die in den vorangehenden Kapiteln dieses Buches untersucht worden ist. In ihr hatten sich, wie wir gesehen haben, die aus den Werken des Ravennaten und der anderen Vertreter der ciceronianischen Mnemotechnik stammenden Themen mit denen des Lullismus, des Symbolismus, des metaphysischen Exemplarismus, mit der kabbalistischen Literatur, den Idealen der Pansophie, der Erbschaft der dialektisch-rhetorischen Diskussionen des Humanismus und mit dem Streben nach einer religiöse Reform verflochten.
Innerhalb des umfassenderen Rahmens des Lullismus wurde die einschlägige Thematik der ars reminiscendi auf eine metaphysische Ebene gehoben. So gesehen erscheinen die Ansichten Brunos schließlich in vieler Hinsicht denen Rossellis und der Erbauer der Welttheater des sechzehnten Jahrhunderts ähnlich: die Kunst ist keine auf die Ziele des rhetorischen Diskurses beschränkte Technik, sondern ist, in erster Linie, das Instrument zur Errichtung einer Architektur, deren Strukturen die Widerspiegelung der Strukturen der Realität bilden. Die Regeln der Memoria finden ebenso wie die kombinatorischen Techniken ihre Rechtfertigung in dem deutlich ausgesprochenen Postulat einer vollen Korrespondenz zwischen den simboli und den res, zwischen den Schatten und den Ideen, zwischen den Siegeln und den Formen {ragioni, im Sinne von Formursachen} welche die Artikulationen der realen Welt bestimmen. Auf diesem Terrain hatten die Rhetoriken, die sich als Spiegel oder Theater der Welt verstanden (Camillo), einen Berührungspunkt mit jenen Reformen der lullianischen Maschine gefunden, die das platonisch-exemplaristische Postulat fest bewahrt hatten, das dem Versuch des Raimundus Lullus zugrunde lag. Diesen Rhetoriken und lullianischen Kommentaren erscheint Bruno sehr nahestehend, wenn er den ganzen Mechanismus der Kunst als Übersetzung der idealen Verknüpfungen, welche die Textur des Universums bilden, in die Sphäre der Sensibilität und der Imagination auffaßt: der Anspielungsreichtum der Bilder, die Schatten und die "verworrenen Spezies" erlauben schon jetzt, sich jener Relationen zu bemächtigen (und ein anderer Weg ist dem Menschen nicht gegeben), zu denen später eine Erforschung rationaler Art gelangen kann.
Dieser an exemplaristische Voraussetzungen gebundenen Ansatz schließt überhaupt nicht aus, daß bei Bruno, wie übrigens schon bei Lull und des Lullisten des 16. Jahrhunderts, lebhafteste Interessen "praktischer" Art an einer Reform des Wissens, an einer pädagogischen Funktion der Kunst, an einer Ausbildung der Memoria und der inventiven Fähigkeiten, an einer schnellen Übermittlung und Ausbreitung der neuen Kultur und an einer von den fragmentarischen Ansätzen der einzelnen Wissenschaften ausgehenden Rekonstruktion einer totalen Enzyklopädie oder Systematik vorlagen. Diegleiche brunianische Reform wird als das Projekt einer wunderbaren Kunst präsentiert, welche die Herrschaftsmöglichkeiten des Menschen grenzenlos auszuweiten erlaubt. In dieser Form wurde sie in jenen platonisierenden Pariser Kreisen aufgenommen und geschätzt, in denen (wie Yates gezeigt hat) die Interessen an dem Kopernikanismus und an der ramistischen Reform der Logik mit denen an der Kabbala und am Lullismus zusammengingen. So wird die von Bruno vorgenommene Einfügung der "rhetorischen" Techniken der Memoria in die große lullistische Tradition nicht verfehlen, außer in französischen auch in englischen, deutschen und böhmischen Kreisen dauerhaften Einfluß zu gewinnen. Paris. London, Prag, Wittenberg und Frankfurt waren, wie wir gesehen haben, Diffusionszentren des Lullismus und der ars reminiscendi gewesen. In diesen Kreisen hatten sich Peter von Ravenna und Bovillus, Wilson, Spangerbergius und Lavinheta bewegt.
Von den drei 1582 in Paris veröffentlichten Schriften ist De umbris idearum zurecht die bekannteste. Der Versuch, "mit genuin metaphysischen Gründen" die technischen Elemente der Kunst "zu rechtfertigen", erscheint hier besonders deutlich: 1) der Aufstieg der Seele aus der Dunkelheit zum Licht vollzieht sich durch die Apprehension der Schatten der ewigen Ideen: durch diese Schatten hindurch enthüllt sich der im Körper gefangenen Seele irgendwie die Wahrheit; 2) die Ideen-Schatten, in denen sich die Textur des Seins spiegelt, erscheinen in der Sphäre der Sensibilität und Imagination: sie erscheinen als Phantasmen und Siegel; 3) über die künstliche Retention der "Ketten" oder Relationen, die unter den Schatten herrschen, gelangt man wie durch eine stufenweise Reinigung zu einer Rekonstruktion der Verknüpfungen unter den Ideen, um schließlich auf der Höhe der Ratio zum Verständnis jener Einheit zu gelangen, die der zerstreuten Pluralität der Erscheinungen zugrunde liegt
Diese drei Thesen sind das Fundament der brunianischen Reformation der Kombinatorik und der besonderen Verwendung, der er die Regeln der Kunst der Memoria ciceronianischen Ursprungs anpaßt. Wie schon in der Sintaxes von Gregoire und im Opus aureum von De Valeriis erscheint bei Bruno die Vorstellung von der Einheit des Wissens unmittelbar in die der Einheit des Kosmos umsetzbar:
Da in allen Dingen Ordnung und Verknüpfung ist und da eins ist der Körper, eins die Ordnung, eins die Regierung, eins der Beginn, eins das Ende und eins das primum des Universums, müssen wir mit allen Kräften dies versuchen: angesichts der im erhabenen Wirken des Geistes geformten Stufenleiter der Natur uns bemühen, durch inneres Wirken von der Bewegtheit und Vielheit zur Ruhe (status) und Einheit zu gelangen. ... Du wirst wahrnehmen, wahrhaftig einen solchen Aufstieg erreicht zu haben, wenn du aus der verwirrten Vielheit heraus der deutlichen Einheit nahekommen wirst. Das hat nichts zu tun mit dem Aufbauschen der logischen Universalien, die von den untersten deutlichen Spezies aus die mittleren undeutlichen ergreifen und von diesen aus die noch undeutlicheren obersten. Vielmehr besteht es in einem Angleichen der vielen und formlosen Teile an ein Ganzes und Geformtes an sich selbst. ... Da von den Teilen und Spezies des Universums keines getrennt und ohne Ordnung ist (welche die allereinfachste, vollkommenste, und von dem entsprechend dem Grad nach in der ersten Mens ist): was werden wir nicht, wenn wir denkend Ding mit Ding verbinden und mit Vernunft vereinigen, denken, begreifen, erinnern und schaffen können? Ein Einziges ist es, was alle Dinge bestimmt. Ein Einziges ist in allen Dingen der Glanz der Schönheit. Ein einziger Glanz bricht aus der Vielheit der Spezies hervor.
In dem Augenblick, wo er eine "Reform" der lullianischen Kombinatorik vornimmt und dabei dreißig Subjekte und Prädikate an die Stelle der neun von Lull erdachten setzt und die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Prädikaten fallen läßt, greift Bruno weitläufig auf die ciceronianische Tradition zurück und verändert ihre Terminologie: den Orten der Mnemotechnik entsprechen die subiecta (erste Subjekte); den Bildern entsprechen die adiecta (zweite oder nächste Subjekte). Der uralte Vergleich der Mnemotechnik mit der Schrift kann auf diese Weise in verändertem Sinn wieder aufgenommen werden: "Scriptura enim habet subjectum primum chartam tamque locum; habet subiectum proximum minium {Zinnober als Mal- und Schreibstoff} et habet pro forma ipsos characterum tractus". Neben diesem Vergleich kehrt in den brunianischen Werken der größere Teil der Regeln der Memoria wieder, die wir in den Werken des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts vorgefunden hatten. In den ersten Absätzen der Ars memoriae erscheinen wieder die Diskussionen über die Ars und ihre Natur, über die produktive Natur der künstlichen Instrumente, über die Beziehungen zwischen dem Zeichen und dem bezeichneten Objekt, und tauchen wieder auf die Hinweise auf Simonides und die Vorschriften bezüglich der mäßigen Größe, der angemessenen Distanz und der richtigen Helligkeit der Orte. Gerade die brunianische Auffassung des Ortes, die Tocco "viel weiter" vorgekommen ist als die traditionelle, stammt in Wirklichkeit aus weitverbreiteten Werken. Die Idee, sich "belebter Gegenstände" zu bedienen, um die Orte darzustellen, ist ganz und gar nicht neu: sie findet sich schon in einem hundert Jahre älteren Werk, dem De omnibus ingeniis augendae memoriae von Michele Alberto da Carrara.  
Auch in dem 1582 in Paris veröffentlichten Cantus Circaeus sind durch den gewundenen Satzbau und den barocken Zuschnitt der Bilder hindurch wohlbekannte Themen erkennbar. Im zweiten Dialog des Cantus (der im folgenden Jahr in London etwas verändert unter dem Titel Recens et completa ars reminsicendi wiederaufgelegt wurde) wird die in De Umbris abgehandelte Materie mit größerem Interesse an einer Verbreitung als Handbuch dargestellt. Indem die Kunst sich als eine Technik zur Verbesserung des natürlichen Zustandes des Menschen durch geeignete künstliche Mittel präsentiert, wird sie jedermann zugänglich. Bezeichnenderweise zählt Bruno gerade diese vollendete Technifizierung der Kunst zu seinen Verdiensten.
Es ist unsere Absicht, mit Billigung des göttlichen Willens einen methodischen und von der Kunst gesicherten Weg zu verfolgen: die Mängel der natürlichen Memoria zu korrigieren, ihrer Schwäche abzuhelfen und ihre Kraft zu stärken, bis jeder (vorausgesetzt er sei im Besitz von Vernunft und mit einem mittleren Urteilsvermögen begabt) in ihr Fortschritte machen kann und solchermaßen niemand von dieser Kunst ausgeschlossen wird. Das, was die Kunst nicht aus sich selbst noch von den Anstrengungen der Vorgänger hat (deren Erfindungen uns angespornt haben), haben wir in täglicher Meditation verbessert, sei es mit Blick auf die Leichtigkeit, die Sicherheit oder auf die Kürze.
Ausdrücke dieser Art sollten nicht irreführen. Wenige Zeilen zuvor zeigt sich wieder das typisch hermetische Thema einer notwendigen Geheimhaltung der Kunst:
Im Euthydemes ermahnt Plato die Philosophen, daß sie die erhabenen und arkanen Dinge bei sich behalten und sie nur wenigen Würdigen mitteilen sollen.... Dasgleiche verlangen wir von all denen, in deren Hände diese Dinge gelangen: daß sie nicht die Gnade und das Geschenk mißbrauchen, das ihnen gespendet worden ist. So laßt uns bedenken, was durch Prometheus bedeutet wird: daß er, nachdem er den Menschen das Feuer der Götter gezeigt hatte, bei ihnen in Ungnade fiel.
Viel interessanter ist der Versuch, die Terminologie der Ars von der in anderen Wissensfeldern gebräuchlichen wohl unterschieden zu halten. Der Begriff subiectum, erklärt Bruno, hat in diesem Fall eine andere Bedeutung als die diesem Begriff in der Logik oder Physik zugeschriebene. Das subiectum wird hier "in einer zweckmäßigen, nämlich technisch, und das heißt künstlich gemeinten Bedeutung" verstanden. Es ist nicht das Subjekt der formalen Prädikation, das in der Logik dem Prädikat entgegengestellt wird, noch das einer substantiellen Form, genannt Hyle oder materia prima. Es ist nicht das subiectum der akzidentiellen Formen noch das der künstlichen, die den natürlichen Körpern inhärieren: "es ist das Subjekt der phantastischen, zufügbaren und entfernbaren, umherschweifenden und vergehenden Formen, je nachdem wie es die wirkende {R:operante} Phantasie und das Denkvermögen wollen". Auf dieselbe Art wird der Begriff forma nicht als Synonym für Idee gebraucht, wie es in der platonischen Metaphysik, noch als Synonym für Essenz, wie es in der peripatetischen geschieht; er bezeichnet nicht, wie in der Physik, die substanzielle oder akzidentielle Form, welche die Materie informiert; noch zeigt er in der technischen Bedeutung eine "den physischen Dingen hinzugefügte intentio artificalis" an: Das Universum des Diskurses des Begriffes forma ist für Bruno das einer nicht rationalen, sondern phantastischen Logik: "Der Begriff forma wird in einem logischem Sinn angenommen, aber nicht in dem einer rationalen Logik, sondern einer phantastischen, wobei der Begriff Logik in einer umfassenderen Bedeutung angenommen wird."
Diese Erweiterung der traditionellen Logik und diese Konstruktion einer logica fantastica ist eines der zentralen Motive des brunianischen Diskurses. Wer, wie Tocco, bei der brunianischen Produktion die mnemotechnischen Werke streng von den lullianischen trennt, indem er den "psychologischen" Charakter der ersteren dem "metaphysischen" Charakter der letzteren entgegensetzt, hat künstlich unterschieden, was bei Bruno organisch verbunden ist. Die substantiell neue Richtung, die Bruno gegenüber der Tradition der rhetorischen Mnemotechnik und der Erbschaft des Lullismus vertritt, wird eben von dem Versuch bestimmt, einen Konvergenzpunkt oder ein gemeinsames Terrain zu finden (oder wenn man will, eine "Synthese" zu bewirken) zwischen zwei Techniken, die aus verschiedenen Erfahrungen geboren waren und sich seit langem auf divergierenden Linien entwikelt hatten. Soweit er Lull folgt, transferiert Bruno die für den Lullismus charakteristischen metaphysischen Ansprüche ins Innere der Kunst der Memoria. Als Reformator der ars reminiscendi zögert er nicht, sich der Kunstgriffe und Regeln - wobei er sie den traditionellen annähert - zu bedienen, welche die Anhänger der Kombinatorik theoretisch entwikelt hatten. Auf diesen Grundlagen führt er seine Polemik gegen seine Vorläufer und auf diesen Grundlagen gelingt es ihm, seine Position von den anderen abzusetzen: 1) verwirft er die Beziehung vom konventionalem Typ, welche die Theoretiker der ars memoriae zwischen den Orten und den Bildern gesetzt hatten: gegen diese Position vertritt er die Notwendigkeit einer realen Verbindung (die eine Assoziation oder eine Verbindung logischer Art sein kann) zwischen dem subjectum und dem adjectum; 2) substituiert er auf der Basis dieser Forderung den traditionellen Verzeichnissen der hausgemachten Bilder der Gebrauchsgegenstände aus den Werken des fünfzehnten Jahrhunderts komplizierte mythologische und astrologische (der hermetischen Tradition entnommene) Bilder, die ihm die Möglichkeit einer visuellen Darstellung nicht nur des Subjekts, sondern auch der Beziehungen zwischen dem Zentralsubjekt und allen mit ihm entsprechend einer systematischen Ordnung verbundenen Charakteren und Begriffen bieten; 3) begreift er die von Lull erdachten rotierenden Figuren als Instrumente der artifiziellen Memoria: auf den verschiedenen Rädern können mittels lateinischer, griechischer und hebräischer alphabetischer Lettern alle konstitutiven Elemente der Kunst symbolisiert werden.
Während die hundertdreissig Fundamentalorte, die aus den verschiedenen Kombinationen gewonnen werden können, wesentlich für die vollständige Verwirklichung des künstlichen Gedächtnisses sind, bezeichnen sie zugleich auch die in jedem beliebigen System logischer Relationen enthaltenen Elemente. Zwischen Logik und Kunst der Memoria gibt es für Bruno keine substantiellen Unterschiede. Die logica memorativa, die den Gipfel seiner Aspirationen bildet, hat eine sehr enge Verwandtschaft mit der Metaphysik: "die Kunst ist ein gewisser Habitus der denkenden Seele, der sich von dem, was der Ursprung des Lebens der Welt ist, bis zum Ursprung des Lebens aller Einzelwesen ausdehnt."
Bei der Untersuchung der Werke der großen Renaissance-Kommentatoren der Ars magna hat sich schon gezeigt: 1) daß das Problem einer memorativen Technik mit Bäumen, Rädern und Tafeln als Werkzeugen wesentlich für die Entwicklungen der Kombinatorik ist; 2) daß diese Idee einer memorativen Logik eng mit jener enzyklopädischen Interpretation des Lullismus verbunden ist, die am lullianischen Bild des Baumes ansetzt und viele lullianische Kommentare in regelrechte Enzyklopädien verwandelt. Wer sich diese Ergebnisse vergegenwärtigt, wird sich weder über das brunianische Beharren auf den mnemotechnischen Aspekten des Lullismus wundern können, noch über seine Versuche einer Beschreibung der konstitutiven Elemente des Universums durch den Verweis auf die neun subjecta der Kunst.
Im Lichte dieser Erwägungen erscheint auch die These von Tocco nicht haltbar, nach der ein Werk wie De progressu et lampade venatoria logicorum von 1587 "ein Kompendium der aristotelischen Topik" und völlig unabhängig von den Kommentaren zur lullianischen Ars wäre. Die Verwendung der Bilder des Feldes, des Turmes und des Jägers machen es möglich, diese Untersuchung zur Dialektik mit den Traktaten zur Memoria in Beziehung zu setzen, während der explizite Verweis auf die Figuren einen Vergleich mit der Thematik des Lullismus zuläßt. Dabei handelt es sich nicht allein um "interne" Gründe; in vielen Werken des Enzyklopädismus des sechzehnten Jahrhunderts (man denke zum Beispiel an die Schrift In Rhetoricam Isagoge von 1515) erscheint der Lullismus stark mit Themen der Kosmologie und der Rhetorik verflochten. Nicht zufällig war auch Bruno stark an der Möglichkeit einer "Applikation" der Ars auf die Rhetorik und die Physik interessiert: im Artificium perorandi (1587 in Wittenberg diktiert und von Alsted 1610 veröffentlicht) versucht er eine Anwendung der lullianischen Mnemotechnik auf die verschiedenen Typen des rhetorischen Diskurses, während er in der Figuratio aristotelici physici auditu von 1586 eine Übersetzung der zentralen Begriffe der aristotelischen Physik in Bilder unternimmt. In den Londoner Texten von 1583 wurden die komplexen Bilder der Siegel von Bruno nicht benutzt, um direkt die zu erinnernden Gegenstände anzuzeigen, sondern die Regeln der Kunst selbst. Mehr als bei diesen übrigens sehr bedeutenden Werken ist es indes angebracht, die in De lampade combinatoria von 1587 vorgenommene Einschätzung des Lullismus zu unterstreichen: Agrippa gelang es nicht, in die beweistechnische Kraft der Kombinatorik einzudringen, und er bediente sich der Ars, um eher sich selbst als die lullianischen Werke zu feiern; beachtenswert waren die Versuche von Lefèvre und Bovillus; aber allein durch die brunianische Reform ist die ars magna zu ihrer höchsten Vollendung und zum höchsten Grad ihrer Perfektion gelangt: "wir haben auf solche Weise diese von Raimondo Lullo erfundene Kunst vollendet, um sie von aller anmaßenden Geringschätzung zu befreien ...und um jede weitere Vervollkommnung unmöglich zu machen". In diesem schnellen Überblick erhält der Hinweis auf die gemeinsame Quelle, aus der die theologische Metaphysik des Scotus Eriugena, die lullianische Kunst, die Mysterien des Cusanus und die Medizin des Paracelsus stammen, ein besonderes Gewicht.
Die Gründe für diese Nachbarschaft waren schon Tocco klar: Bruno betrachtet das Werk von Lullus als einen der hauptsächlichsten Ausdrücke eines Neoplatonismus, der ausgehend von der Identität des Idealen und Realen zu einer Rekonstruktion der Realität durch die Bestimmung der Bewegung der Ideen gelangen zu können glaubt. Während sie sich als eine Zurückweisung der traditionellen Logik gestaltete und die Bilder an die Stelle der Begriffe sowie die topica an die der analitica setzte, bewegte sich die brunianische Ars auf einem ganz anderen Terrain als die Dialektik, wies jede Identifikation mit einer rhetorischen Technik zurück und wollte Möglichkeiten zu prodigiösen Abenteuern und Totalkonstruktionen eröffnen: "Einige Dinge erscheinen so sehr für die Kunst geeignet, daß sie zweifelsohne auch in den natürlichen Dingen von Nutzen sind: dies sind die Zeichen, die Noten, die Charaktere, die Siegel. Durch sie hat die Kunst solche Macht, daß sie außerhalb der Natur, über der Natur, und, wenn die Situation es verlangt, gegen die Natur zu wirken scheint." Das Ziel der Kunst besteht nicht einfach in einer Stärkung der Memoria oder in einer Potenzierung der intellektuellen Fähigkeiten: sie "öffnet und weist der Entdekung {invenzione} vieler Fähigkeiten {R:facoltá} den Weg." In den bedeutendsten Werken der brunianischen Magie finden wir noch den Rekurs auf die Siegel, Zeichen und Figuren, die den Gesten und Zeremonien als konstitutiven Elemente jener mystisch-rituellen Sprache angenähert werden, die den Weg zu göttlichen Kolloquien öffnet: "an einer bestimmten Art von Gottheiten kann keine Teilhabe sein außer durch Zeichen, Siegel, Figuren, Charaktere, Gesten und andere bestimmte Zeremonien". In der brunianischen Konzeption der Magie als Dienerin und Beherrscherin der Natur, in der Vorstellung ihrer Fähigkeit, die heimlichen Korrespondenzen unter den Dingen zu verstehen und die letzten Formeln der Wirklichkeit zu erfassen, in Werken wie De Magia, Theses de Magia und De Magia mathematica finden tatsächlich die in den mnemotechnischen und lullianischen Werken debattierten Probleme ihre Lösung. Das Bild eines unitären Universums, das durch die Symbole dechriffiert wird, erreicht hier, wie schon im Sygillus seine Vollendung:
Ein einziges Licht erleuchtet das Ganze und ein einziges Leben belebt es... Jenen, die höher steigen, wird nicht nur sichtbar werden das eine Leben in allem, das eine Licht, das in allem ist, die eine Güte, und daß alle Sinne ein einziger Sinn und alle Begriffe ein einziger Begriff sind, sondern auch daß alle diese Dinge, also Begriff, Sinn, Licht und Leben, eine einzige Essenz sind, eine einzige Kraft und ein einziges Wirken.
Um die brunianischen Magie und den grandiosen Versuchs des Nolaners zu begreifen, eine Kunst zu entwickeln, welche die Menschen einander näher zu bringen vermag, indem sie sich zum Werkzeug einer Reform der Religionen macht, wäre eine analytisch geführte Untersuchung der Beziehungen zwischen dem lullianischen und mnemotechnischen Bruno und jenem bekannteren der Hauptwerke von großem Nutzen. Aus einer solchen Untersuchung könnten sich auch nicht zu vernachlässigende Beiträge zu einem Verständnis von Brunos Sprache und seines Stils ergeben. Es wäre schwierig, weiterhin in dem konvulsivischen Rhythmus seiner italienischen Prosa eine (wie es ein bedeutender Literaturhistoriker will) "Hingabe an den Instinkt und das Überfliessen der poetischen Ader" zu sehen. Die Aufgabe der einem Subjekt zugeordneten Bilder besteht darin, "ähnlich wie bei der Malerei und der Schrift zu präsentieren, bildlich darzustellen, zu denotieren, zu indizieren, um auszudrüken und zu bedeuten". Die Vielfalt der Bilder soll die impliziten und expliziten Signifikate, die in den Ideen enthalten sind, exhaurieren und mit ihnen eine untrennbare Einheit bilden. Hinter der beständigen Wiederkehr der Bilder, der Fülle der Wiederholungen und der Aufeinanderfolge der Symbole, welche die Begriffe sinnlich darstellen, stehen in Wirklichkeit auch ganz bestimmte philosophische Überzeugungen: "Die Philosophen sind gewissermaßen Maler und Dichter, die Dichter Maler und Philosophen, die Maler Philosophen und Dichter. Die wahren Dichter, die wahren Maler und die wahren Philosophen lieben und bewundern sich gegenseitig: es gibt in der Tat keinen Philosophen, es sei denn einer, der imaginiert und malt...".
2. Kombinatorik, ars memorativa und natürliche Magie im 17. Jahrhundert
Die Suche nach einem Universalschlüssel zur Dechiffrierung des "Alphabets der Welt" und das Streben nach einem enzyklopädischen Theater als "Spiegel" der Wirklichkeit hatten also die Techniken der künstlichen Memoria Zielen angepaßt, die von den ursprünglichen verschieden waren. In den an initiatorischen Tönen reichen Diskurs einer erneuerten Magie eingefügt, hatten die Regeln der memorativen Kunst schließlich jeden Kontakt mit den Grundlagen der Dialektik, der Rhetorik und der Medizin verloren: sie konnten nun als ein mirakulöses Instrument zum Erlangen des totalen Wissens oder der Pansophie erscheinen.
Auf diesem Terrain bewegten sich in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts nicht wenige der Vertreter und Anhänger der mnemonischen Künste und des Lullismus. Zwischen 1617 und 1619, also genau in den Jahren, die den jugendlichen Cartesius am Lullismus und an den Künsten der Memoria interessiert sahen, wurden in Lyon die Werke von Johannes Paepp publiziert. Eines von ihnen, der Schenkelius detectus seu memoria artificialis hactenus occultata, war ein umfassender Kommentar der Ars Memoriae Schenkels, eines Textes, der Cartesius wohlbekannt war. In den Artificiosae memoriae fundamenta und in der Introductio facilis in praxin artificiosae memoriae bemühte sich Paepp, die aristotelischen, ciceronianischen und thomistischen Lehren von der Memoria zu illustrieren, zeigte aber, daß er auch die Einflüsse des Lullismus und seiner bedeutendsten Exponenten von Bruno bis Alsted erfahren hatte  . Auf den Spuren des Letzeren und in Polemik gegen die Anschwärzer der Kunst vertrat er die Angemessenheit einer engen Verbindung von Logik und Mnemotechnik: erstere ist für einige Künste und Disziplinen notwendig, die zweite ist unabdingbar für jede Form des Wissens  . Indem er die mnemonische Funktion der lullianischen Kreise unterstreicht und Winke zur Dechiffrierung der Texte der ars notoria gibt  , eliminiert Paepp jede Unterscheidung zwischen "Ciceronianern" und "Lullisten" und versammelt in ein und derselben Aufzählung der Gründer und Theoretiker der Kunst Quintilian und Cicero, Lullus und Gratarolo, Pietro da Ravenna und Romberch, Rosselli und Giordano Bruno, Schenkelius und Alsted. Viele Seiten seiner Schrift sind der Erörterung der Lehren von Bruno gewidmet, und wie Bruno verwandelt auch er seine Abhandlung in eine Auflistung ikonographischer Themen und in eine Serie von Beschreibungen der Bildnisse der Götter. Eher als an einer Diskussion der für die Rhetorik und Enzyklopädie einschlägigen Themen ist Paepp stark an der Beschreibung der Resultate interessiert, zu denen man mit Hilfe der Kunst gelangen kann. Die Techniken der Kombinatorik und der ars reminiscendi werden zu Zielen eingesetzt, die Berührungspunkte mit denen der Magie und des Okkultismus zeigen: mithilfe der Ars ist es möglich, einen Knaben schnellstens in einen Weisen zu verwandeln, in den Besitz prodigiöser Kräfte zu gelangen und die Bewunderung der Gelehrten und der Lenker des Gemeinwesens zu erlangen.
Bei Bruno haben wir die Thematik des Lullismus und der ars reminiscendi mit den Aspirationen und den Idealen der Magie verbunden gesehen. Ähnliches ließe sich auch von Campanella sagen, der sich ebenfalls als mit mirakulösen Fähigkeiten begabt zu präsentieren schätzte. Dem Kardinal Odoardo Farnese versicherte er, Naturphilosphie und Moral, Logik, Rhetorik, Poetik, Politik, Astrologie und Medizin mit einer speziellen Methode unterrichten zu können, die in einem Jahr zu besseren Resultate käme als die gewöhnliche mit zehn Jahren normalen Unterrichts. Dieselbe Vorstellung und dasgleiche Beharren auf der Möglichkeit einer extraordinären "Fazilität" des Lernens finden wir in der Città del Sole. Noch bevor sie zehn Jahre alt sind, lernen die Knaben der Sonnenstadt "ohne Anstrengung" alle Wissenschaften, indem sie sich der gigantischen Enzyklopädie bedienen, die aus den auf die Wände der sechs Stadtmauern gemalten Bilder besteht. Dem lullistischen Enzyklopädismus, der auf Begriffen und "logischen" Prozeduren beruht, stellt Campanella einen auf sinnlich erfahrbaren Bildern gegründeten gegenüber. In dem zwischen 1587 und 1591 verfaßten, aber verlorenengegangenen De investigatione rerum hatte Campanella auf eine Dialektik ex solu sensu verwiesen, welche die Gegenstände der Sinne nach neun Kategorien klassifizierte, "dergestalt, daß man über jede Sache nicht nur mit Worten nach Art des Raimundo Lullo argumentieren kann, sondern auch mittels sensibler Gegenstände". Demgleichen Wunsch nach einem auf den Sinnen {senso} und den Dingen gegründeten Wissen entsprechen die in De sensu rerum et magia von 1620 entwikelten Beobachtungen über die Memoria als "antezipierter Sinn"; die Kritik an den Thesen der peripatetischen Medizin; die Versicherung, es sei mit den Entdeckungen der Medizin möglich, auf die Memoria einzuwirken; sowie die mehrfach behauptete Identität zwischen Memoria und Imagination. Wenn man sich diese Erwägungen vergegenwärtigt, wird man begreifen, wie auch Campanella die "lokale Memoria" mit Sympathie betrachten konnte. Die Ergebnisse, zu denen die "ciceronianische" Mnemotechnik gelangt war, erscheinen ihm als Bestätigung seiner Definition der Memoria als "geschwächter Sinn": "die Kunst der lokalen Memoria veranstaltet für diesen Sinn eine Ausstellung sinnlich wahrnehmbarer und bekannter Dinge, wobei sie die Dinge nach ihrer Verwandtschaft durch Ähnlichkeit anordnet; so zeigt sie, daß die Memoria ein geschwächter Sinn ist, der sich auf diese Weise erneuert und Kraft gewinnt."
Der Kunst der "lokalen Memoria" fehlt es auch im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts nicht an Verehrern: in den Schriften von Filippo Gesualdo und von Gerolamo Marafioto, von Johannes Austriacus und von Adam Bruxius, von Francesco Ravelli und von Schenkel, von John Willis und von Velasques de Azavedo   tauchen wieder die Themen und Regeln der "klassischen" Mnemotechnik auf, werden die Werke über die Memoria von Aristoteles, Cicero, Quintilian, Thomas und Peter von Ravenna diskutiert, werden Kombinationen und Synthesen zwischen der ciceronianischen Mnemotechnik und der Kombinatorik von Lullus versucht, werden Theater und Enzyklopädien gebaut, werden neue und kompliziertere Bilder ersonnen, wird über Zeichen, Gesten und Hieroglyphen diskutiert. Diese Werke tragen dazu bei, eine schon weitbekannte Thematik zu verbreiten und alte Diskussionen neu zu schüren. Beachtenswerter sind andere Schriften, in denen die Magie nicht nur - wie für Bruno und Campanella - den kulturellen Hintergrund bildet, vor dem sich die Künste der Memoria situieren, sondern tatsächlich deren Rechtfertigung liefert. In diesen Schriften wird die Verbindung zwischen den magischen und memorativen Techniken explizit erörtert und die ars reminiscendi als ein Produkt der Magie dargestellt. In der Magia naturalis von Wolfgang Hildebrand (1610) wird das Werk der artifiziellen Memoria als Anwendung der Ars Magica auf eine besondere Form des Handelns dargestellt  .
In der Regina scientiarium und in der Enciclopaedia reitet Pierre Morestel auf verbreiteten Themen herum: die Königin der Wissenschaften, das ist die Kunst des Lull, dreht sich nicht um einen bestimmten Gegenstand, sondern ist von solcher Allgemeinheit und Gewißheit, daß sie autosuffizient und in der Lage ist, das Erreichen der Wahrheit in jedem Zweig des Wissens zu ermöglichen. Der auf der Lehre von den Orten und Bildern gegründeten Kunst der Memoria der Alten setzt Morestel als Neue Kunst der Memoria die lullianische Kombinatorik entgegen. In seinen Schriften verbindet sich die Erörterung der Themen des Lullismus und der Mnemotechnik mit jener der okkulten Philosophie der Präsokratiker, mit der Interpretation der antiken Fabeln, mit der Thematik der Kabbala, mit der Suche nach einem Universalschlüssel.   Auf die mnemonische Medizin des Gratarolo hingegen, und das heißt auf die Tradition des Aristotelismus, beruft sich der anonyme Autor einer 1631 in Frankfurt publizierten Ars magica, welcher der Memoria und den zu ihrer Stärkung eingesetzten astrologischen Bildern zwei Kapitel seines Traktates widmet. Im Pentagonum philosophicum medicum, sive ars nova reminiscentiae (1639) von Lazare Meyssonnier, Arzt des Königs von Frankreich und Korrespondent von Cartesius, Förderer der astrologischen Medizin, der Chiromantie und der Physiognomie, tauchen wieder die Themen der Medizin der Memoria, des Lullismus und der Kabbala auf. In der Belle magie ou science de l`esprit präsentiert er eine "Methode zur Anleitung der Vernunft" und eine "natürliche Logik zur Lösung aller Arten von Problemen" als Funktion der magischen Medizin.   Dergleiche Anspruch auf eine Universalmethode gesellt sich in den Werken von Jean d'Aubry über magische Medizin zu der Versicherung einer supremen Wissenschaft, angesichts derer die Einzelwissenschaften nur schattenhaften Charakters sind. Während er die Grundlinien einer großen Enzyklopädie umreißt, insistiert d'Aubry energisch auf der Einheit des Wissens und auf der Künstlichkeit jeder Trennung zwischen den Disziplinen:
In den drei ersten Kapiteln wirst du alles Wissen der Welt und eine Ordnung aller Dinge erblicken... Im dritten Kapitel wirst du lernen, daß es nur eine einzige Wissenschaft gibt, weil nur eine allein ohne jede Art von Divination Auskunft gibt... Diese Wissenschaft gibt mir unfehlbare Lösungen und Auskünfte von allem, denn sie ist die das Maß aller Wahrheit.  
Auch in den Werken von Robert Fludd, welcher der bekannteste und bedeutendste Exponent des Hermetismus und des kabbalistischen Symbolismus des sechzehnten Jahrhunderts ist, finden wir eine weitläufige, nach konventionellen Regeln durchgeführte Abhandlung über die memorative Kunst.  
In eine ganz und gar magische und hermetische Atmosphäre versetzt uns auch der 1654 in Lyon veröffentlichte Traicté de la memoire artificelle von Jean Belot, der als Anhang den Familières instructions pour apprendre les sciences de Chiromancie et Physionomie beigegeben ist.   Die gesamte lullianische Kombinatorik wird hier mit einer "künstlichen Memoria" identifiziert; durch die mirakulöse Erfindung von Raimundus ist es möglich, auf prodigiöse Weise den Weg der Wissenschaft abzukürzen und anstelle der Mühen eines ganzen Lebens das schnelle Erlernen der fundamentalen Prinzipien jedes Wissenszweiges zu setzen. Um die Essenz der Ars zu enthüllen, die Lullus gewollt unter einer Reihe von Geheimnissen verbarg; um die Errungenschaften von Bruno, Agrippa, Alsted und Lavinheta zu übertreffen; um die Kunst in Reichweite eines jeden zu bringen, von den Predigern bis zu den Kaufleuten, schlägt Belot vor, die Kombinatorik mit der Chiromantie zu verbinden, indem er anstelle der Figuren der Kombinatorik und der Bilder der ciceronianischen Mnemotechnik die in der Kunst der Chiromantie gebräuchlichen Begriffe setzt. Trotz der Ansprüche auf Neuheit erscheinen die "Räder", deren sich Belot bedient, den lullianischen Kommentaren Agrippas entnommen zu sein, wobei an mehreren Stellen Anklänge an das brunianischen Verfahren nicht fehlen. Gerade aus Agrippa und Bruno holt er sich nämlich die Überzeugung - die später mit noch größerer Weitschweifigkeit in der Rhetorique verfochten wird - von den Verbindungen zwischen Rhetorik-Dialektik auf der einen und Lullismus und Arkankünsten auf der anderen Seite. Das Titelblatt des Traktats ist in dieser Hinsicht bezeichnend:
Die Rhetorik, mittels derer man von dem reden kann, was in den Reden zu reden und von dem, was in der Dialektik zu disputieren ist, nach der Subtilität der lullistischen Kunst und anderer noch geheimerer Künste, die hier zu einer einzigen für alle Wissenschaften unabdingbaren Lektion komprimiert werden .
Diese Ziele werden als diegleichen dargestellt, die der alten hebräischen Weisheit und den Verfechtern der Kabbala eigen waren:
Das was die Alten mit so großer Mühe gesucht haben, ohne indes davon das vollkommene Wissen erreicht zu haben, das gebe ich dir voll und ganz: es ist das, was Propheten, Magier, Rabbiner, Kabbalisten, Masoreten und nach ihnen der gelehrte H.C.Agrippa erlangen wollten.
Indem er Rhetorik und Dialektik in den Kreis der "geheimen Künste" zieht, indem er die Kombinatorik mit der Kabbala, der Astrologie und mit der magischen Medizin vermischt, indem er den fünf Teilen der Rhetorik neue, der hermetischen Tradition zugehörige Einteilungen entsprechen läßt, trieb Belot um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts eine Diskussion zur Weißglut, die ihre erfolgreichsten Manifestationen in den Werken von Agrippa, Bruno und Giulio Camillo gefunden hatte. Die ersten Schriften des Belot gehen auf 1620 zurück. Einige Jahre zuvor hatten Bacon und Cartesius eine äußerst polemische Haltung gegenüber dieser Art von Literatur eingenommen. Einen Punkt hatten sie übereinstimmend hervorgehoben: auf dieser Ebene lösten sich die lullianische Kombinatorik und die Künste der Memoria in ein unnützes Fabrizieren von verblüffenden Spielzeugen auf, die den Pöbel täuschen, aber nicht die Wissenschaften voranbringen konnten.